Radio Days made in Nippon
Kurz vor Mitternacht in einer großen Radiostation in
Tokyo: Die Proben für das romantische Hörspiel "Das
Schicksal einer Frau" sind beendet. Alles ist gut gelaufen.
Nur die Autorin, eine Hausfrau, die einen Drehbuchwettbewerb
gewonnen hat, ist etwas nervös. Gleich soll ihr erstes
Werk über den Sender gehen - live!
Doch kurz vor Beginn der Sendung gefällt der Schauspielerin
Nokko, dem Star des Ensembles, ihr Rollenname nicht mehr.
Der Produzent gibt auf Drängen des Programmdirektors
nach. Bloß nicht den Star verärgern! Aus Ritsuko
wird so "Mary Jane". Und eine japanische Hausfrau
ist Nokko auch zu profan. Flugs wird aus der Hauptfigur eine
amerikanische Anwältin. Hektisch schreibt man das Skript
um, und der Ort der Handlung wird kurzerhand in die USA verlegt.
Der männliche Hauptdarsteller will da nicht nachstehen.
Die Sendung läuft schon, als er sich vom Fischer zum
Piloten befördert und mit Blick auf eine Fast-Food-Packung
in "Donald McDonald" umbenennt. Doch jede Änderung
zieht die nächste nach sich. Immer fieberhafter bastelt
man am Skript, immer mehr Köche verderben den Brei. Die
Geschichte wird immer chaotischer. Als gegen Ende sogar die
männliche Hauptfigur verschwinden soll, flippt sogar
die Autorin aus, die zuvor alles stoisch ertragen hat. Es
bedarf schon eines Wunders, dass der Held am doch noch gerettet
wird und es zum Happyend heißen kann: "Welcome
Back, Mr. McDonald!"
Der Originaltitel RAJIO NO JIKAN bedeutet wörtlich übersetzt
"Radio-Zeit" oder "Radiostunde" und wird
dem Film doppelt gerecht. Neben dem Bezug auf den Inhalt betont
er auch den nostalgischen Aspekt des Radiohörspiels,
dem schon Woody Allen sein RADIO DAYS gewidmet hat. Bei Mitani
spielt die Handlung zwar in der Gegenwart, aber auch hier
gibt es die Sehnsucht nach der "guten alten Zeit".
Mitani Koki, der Regisseur und Autor, hat hier sein eigenes
Theaterstück verfilmt. Dabei scheint sich der Konflikt
zwischen japanischer Tradition und modernem amerikanischen
Einfluss, der in der Geschichte aufschimmert, auch in seiner
Brust abzuspielen. In einem Interview erklärte er, dass
er seit seiner Jugend lieber amerikanische als japanische
Filme sieht. Dies gilt aber offenbar nur für den Stil
des Films. In der Handlung liegen seine Sympathien eindeutig
bei den Protagonisten, die für das traditionelle Japan
stehen. Als der Produzent im Stück gefragt wird, warum
er Hörspiele macht, antwortet er, dass man im Fernsehen
teuere Spezialeffekte brauche, um mit modernen amerikanischen
Filmen zu konkurrieren. Im Hörspiel dagegen genüge
ein Sprecher, der "Weltall" sagt - und schon sei
man in den unendlichen Weiten des Alls. Hier sei nur die menschliche
Vorstellungskraft die Grenze.
Folgerichtig hat sich Mitani keine aktuellen, sondern alte
amerikanische Screwball-Komödien als Vorbild für
seinen Film genommen. Alle ruhigen oder gar kontemplativen
Szenen und die Beobachtung des Alltäglichen, wie sie
für viele japanische Filme, die man auf Festivals sieht,
typisch sind, wurden strikt vermieden. Auch der Einsatz der
Musik, der die Szenenwechsel emotional unterstreicht, orientiert
sich an amerikanischen Vorbildern. Allerdings zieht der Film
seinen Witz weniger aus pointierten Wortgefechten als aus
der permanenten Verschärfung der Situation. Der Film
folgt dabei einem Prinzip, das im Westen vor allem aus Kriminalkomödien
bekannt ist, wo jede Abweichung vom ursprünglichen Plan
unerwartete Reaktionen und damit neue Komplikationen herauf
beschwört. Die Figuren reiten sich so immer tiefer ins
Schlamassel hinein. Mitani zeigt, dass dieses Prinzip auch
ohne kriminelle Energie wunderbar funktioniert. Ein bisschen
Selbstsucht der Protagonisten genügt.
Die Handlung - sowohl des Films als auch des Hörspiels,
das vor unseren Augen entsteht - wird immer absurder und verzwickter.
Das Tempo wird dabei bis kurz vor Schluss kontinuierlich gesteigert,
so dass die Zuschauer kaum aus dem Lachen herauskommen. Sicher
haben Mitani seine Erfahrungen aus dem Theater geholfen, exakt
das richtige Timing zu treffen. Ansonsten ist dem Film die
Herkunft vom Theater nur noch an der Beschränkung auf
wenige Schauplätze innerhalb des Radiogebäudes anzumerken.
Die Kamera agiert sehr aktiv mit Schwenks und Zooms direkt
auf das Zentrum der Handlung.
Während Storyline und Erzählstil sich offen an
amerikanischen Vorbildern orientieren, erscheinen die Figuren
zunächst als typisch japanisch: Vom Programmdirektor
über die Schauspieler bis zum alten Geräuschemacher,
der längst durch CDs ersetzt wurde und nun sein Gnadenbrot
als Wächter in der Tiefgarage fristet. Die unsichere,
schüchterne Autorin, die es nicht wagt, gegen die Verstümmelung
ihres Drehbuchs Einspruch zu erheben, blüht sichtbar
auf als der Produzent sie mit "Sensei" anredet.
Die junge Assistentin und der Regisseur machen die Arbeit
und halten den Laden am Laufen, während sie sich immer
artig verbeugen und die Rüffel ihrer Vorgesetzten einstecken.
Der Produzent katzbuckelt nach oben hin und schilt zum Ausgleich
seine Untergebenen. Außer der Autorin und ihrem Ehemann
ist keiner ernsthaft an dem Hörspiel interessiert. Alle
sehen es nur als Vehikel, sich in der gesellschaftlichen Hackordnung
zu positionieren und das eigene Ego aufzupolieren. Bei näherem
Hinsehen stellt man aber fest, dass dies kein rein japanisches
Phänomen ist. Ähnliches könnte sich auch hierzulande
abspielen.
Claus Schotten
Mitani Koki, Jahrgang 1961, hat schon während seines
Studiums in Tokio seine eigene Theatergruppe, die "Tokyo
Sunshine Boys", gegründet. Anschließend hat
er für Theater und Fernsehserien gearbeitet. RAJIO NO
JIKAN war sein erster abendfüllender Spielfilm. Er wurde
1998 mit großem Erfolg im Internationalen Forum des
Jungen Films auf der Berlinale gezeigt. Anschließend
hat er über fünf Jahre einen Verleih in Deutschland
gesucht. Vor 2½ Jahren haben ihn dann die Freunde der
Deutschen Kinemathek in den Verleih genommen. In München
lief er bislang trotzdem nicht im Kino. Mitani hat 2001 mit
MINNA NO IE (Unser gemeinsames Haus) einen weiteren Spielfilm
gedreht, der in Deutschland auf Festivals gezeigt wurde. Auch
hier ist der Konflikt zwischen traditioneller japanischer
und moderner westlicher Kultur Ausgangspunkt für eine
Komödie, die sich in diesem Fall um den Bau eines Einfamilienhauses
dreht.
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