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Philip Seymour Hoffman spielt hervorragend unerotische,
schmierige, manchmal richtig perverse Typen und möchte endlich
mal einfach "cute" sein - eine etwas ungewöhnliche Berlinale-Begegnung
mit dem oscarnominierten CAPOTE-Star.
Auf den ersten Blick sieht Philip Seymour Hoffman aus, wie
das kleine Dickerchen mit der etwas zu weißen, ziemlich
schlechten Haut, den etwas zu roten und zu fettigen Haaren,
der in der Schule im Sport ganz schlecht war, beim Fußball
als letzter gewählt und immer gehänselt wurde. Ein
Nerd, dessen Lieblingsspeise Erdnussflips sind, weswegen er
immer ein bisschen nach Erdnüssen riecht, der keine Freundin
hat, und erst mit 25 bei Mami auszieht. Der, an dem noch die
kleinsten Kleinbürger- und Spießeridioten ihre
Allmachtsphantasien und Sadismen ausleben. Man möchte
Weißgott nicht in dieser Haut stecken. "Dass ihr
mich alle immer als pummelig und hellhäutig beschreiben
müsst, verstehe ich noch", erklärt er resigniert
beim Gespräch auf der letzten Berlinale, "aber kann
nicht mal einer schreiben, dass ich auch "cute"
bin? Das hat noch nie einer." Wirklich nicht? O.K. Also
schreiben wir es hier einmal hin: Philip Seymour Hoffman ist
wahnsinnig "cute". Er spielt zwar Triebtäter
und Kontaktgestörte, Schurken und Wichser, ungewaschene,
verklemmte, pickelige, schmierige, miese Typen, Perverse und
Außenseiter, Süchtige und Gangster, aber wie er
das tut, ist "cute". Wirklich! Zufrieden Mr. Hoffman?
Aber hinzufügen muss man der Ehrlichkeit halber schon:
Bis dieser Mann in Hollywood oder sonst wo auf dieser Erde
einmal den schönen Lover oder den drahtigen Actionhelden
spielt, wird es noch lange, sehr lange dauern.
Auf der Berlinale, wo er mit Fistelstimme und ständig
hochgezogenen Augenbrauen als die aus dem Ei gepellte, hochmanierierte
Edel-Schwuchtel Truman Capote (sprich: Kapotiiiiiihhhh) zu
sehen ist, erscheint er - bewusst - underdressed und als Anti-Capote.
In Jeans und karierten Amihemd, vor allem aber mit 8-Tage-Bartstoppeln.
Zudem gähnt er beim Interview, fläzt sich auf dem
Sofa in der Hotelsuite, und die netten Mädels des Verleihs
haben schon vorher gewarnt: "Er" war gestern "etwas
länger" weg (will sagen: er kam erst zum Frühstück
nach Haus), hat "etwas zu viel" getrunken (will
sagen: er hatte einen Vollrausch). Am nächsten Tag liest
man dann alles in der Zeitung: es war eine Art öffentliches
Besäufnis mit Heath Ledger, dem BROKEBACK MOUNTAIN-Star,
ein Film der ebenfalls Oscar-nominiert ist und somit Hoffmans
direkter Konkurrent. Mensch Meier, zwei Rivalen betrinken
sich auf der Berlinale gemeinsam in einer Bar, total kumpelmäßig,
ey. Eijentlich is et och egal, wer den Preis gewinnt, dabeisein
ist alles, oder? Super PR-Story, für beide, und die Kollegen
drucken's eifrig nach. Dabei sollte man besser kein Wort solcher
Geschichten glauben, passt einfach zu gut ins glatte Bild
der fröhlichen Hollywood-Familie.
Im Interview ist Hoffman dann überaus maulfaul, und
wenn es sich hier nicht um den heißesten Star des diesjährigen
Oscarrennens handelte, würde man ihn anfahren: "Mann,
ich bin auch nicht zum Vergnügen da, tu Deinen Job, sag
endlich mal einen ganzen Satz und möglichst auch noch
einen, der sich zitieren lässt." So hört man
stattdessen nur kleine Wortbröckel zwischen seinen Zähnen
aufs Mikro fallen, Sachen wie: "Ist ne lange Zeit her
weiß gar nicht mehr" auf die Frage, warum
ihn die Capote-Rolle interessiert habe. Naja. Immerhin ist
ausführlich Zeit, ihn zwischen den einzelnen Bröckeln
in Ruhe anzugucken. Und sieht man ihn genauer an, ist noch
etwas anderes zu entdecken. Man spürt, dass mehr da ist,
kann es aber nicht greifen. Ein Abgrund vielleicht? Ein Geheimnis?
Sein Leib ist kräftig. Man sieht, dass es nicht nur Fett
ist, das seine Arme dick macht, auch Muskeln. Und man stellt
sich vor, dass er, wenn er will, ziemlich kräftig zuschlagen
könnte.
Diese zwei Seiten seines Äußeren bestimmten bis
jetzt über seine Rollen. Mit einem kleinen Part in DER
DUFT DER FRAUEN fing es 1992 an, seitdem hat der heute 38jährige
Hoffman in rund 40 Filmen vor allem drei Arten von Figuren
gespielt: den biederen, harmlosen Spießer, den neurotischen,
verkorksten Loser, oder den brutalen, unter unscheinbarer
Oberfläche bedrohlichen Bösewicht. Sie spielte er
mit einigen der besten und berühmtesten US-Regisseure:
Mit den Coen-Brüdern in THE BIG LEBOWSKI, mit Anthony
Minghella in THE TALENTED MR.RIPLEY, mit Cameron Crowe in
ALMOST FAMOUS, und immer wieder mit Paul T. Anderson in BOOGIE
NIGHTS, MAGNOLIA - "der beste Film, in dem ich je gespielt
habe" - und PUNCH-DRUNK-LOVE. Es waren oft bessere Nebenrollen
und schräge, latent unangenehme Figuren auf einem schmalen
Grat zwischen Sympathie und Abscheu: In HAPPINESS, dem supergenialen
Film von Todd Solondz war Hoffman ein einsamer Kontaktgestörter,
der fortwährend an die Wand wichst und die Frauen seiner
Nachbarschaft mit obszönen Anrufen belästigt. In
OWNING MAHONNY war er ein Spielsüchtiger, der seine Umgebung
nur hemmungslos ausnutzt. In MAKELLOS spielte er einen, der
gern Frauenkleider trägt, und auf seine Geschlechtsumwandlung
wartet. Und in Spike Lees 25th HOUR vereinigte er fast alle
diese Aspekte im Part eines bemitleidenswerten Lehrers, der
sich von einer Minderjährigen verführen lässt.
Aber immer sind es hervorragende Filme, in denen er sein kaum
minder eindrucksvolles Können zeigt. Warum er gerade
diese Rollen wähle, erklärt er beim Gespräch,
könne er übrigens selbst nicht sagen: "Man
wird von etwas angezogen."
Ob sich seine Rollenangebote jetzt mit CAPOTE ändern?
Schwer zu sagen. In MISSION IMPOSSIBLE 3 piekt er immerhin
mal einen richtigen Schurken. A-Klasse-Level. Vielleicht hat
Philip Seymour Hoffman immerhin in einer Woche seinen ersten
Oscar gewonnen. Die Rolle des berühmten Schriftstellers
und Stars der New Yorker Avantgarde-Szene, Truman Capote,
der Ende der 50er Jahre im konservativen Farmermilieu der
US-Südstaaten für "Kaltblütig" recherchiert,
jenen Tatsachenroman, der sein berühmtestes Buch werden
sollte, ist eine phänomenale Leistung: "Capote war
eitel, er konnte gar nicht genug Aufmerksamkeit bekommen",
charakterisiert Hoffman. "Er hatte eine unverfrorene
Art, sagte allen Leuten ins Gesicht, was er dachte. Eine einschüchternde
Person." Hoffman betont, er versuche einer solchen Rolle
gerecht zu werden, ohne sich vom realen Vorbild zu sehr beeinflussen
zu lassen: "Es ist keine Dokumentation, sondern eine
Interpretation." Mittlerweile, und das war schon vor
der Oscarnominierung - der ersten seiner Karriere - so, wird
Hoffman von seinen Kollegen hochgeachtet. Edward Norton nannte
ihn "einen der besten Schauspieler seiner Generation."
Rüdiger Suchsland
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