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Berlinale 2006 19.02.2006
 
 

"Small Country, small Budget, small movie!"

WHERE THE TRUTH LIES

Eindimensional, aber bewegend: GRBAVICA von Jasmila Zbanic gewinnt den Goldenen Bären

 
 
 
 

Tränen, politische Rauchschwaden und die Sehnsucht nach Cinephilie: GRBAVICA gewinnt auf der 56. Berlinale - eine erste Festival-Bilanz.

GRBAVICA von der bosnischen Filmemacherin Jasmila Zbanic ist der nicht völlig überraschende, aber am Ende doch unerwartete Gewinner des diesjährigen Goldenen Bären von Berlin. In einem guten Berlinale-Wettbewerb, der keine ganz schwachen, aber auch kaum überragende Filme zeigte, und vor allem künstlerisch nichts Neues brachte, bildet dieses Werk einen recht repräsentativen Kompromiß. Weder ist es wirklich ästhetisch bedeutend, noch politisch so unbequem wie Michael Winterbottoms THE ROAD TO GUANTANAMO, der immerhin den Regiepreis bekam.

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Eindimensional, aber bewegend erzählt GRBAVICA von einer Mutter, die ihrer Tochter vorgaukelt, der verstorbene Vater sei ein Kriegsheld, während diese in Wahrheit die Frucht einer Vergewaltigung während des Bürgerkriegs ist. Der Film wurde in Österreich vom international überaus renommierten "Coop99"-Kollektiv produziert, dessen eigene Filme - NORDRAND, BÖSE ZELLEN von Barbara Albert, LOVELY RITA und HOTEL von Jessica Hausner - allerdings stilistisch weitaus präziser und innovativer sind. Doch richtigen Erfolg hat "Coop99" immer mit Filmen, die, wie Weingartners DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI, gar nicht den eigenen Vorlieben entsprechen.

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GRBAVICA ist wieder ein Fall jener Filme, denen es im Zweifel um Tränen und Moral geht, um schlimme Dinge in fernen Ländern, die man heute sowieso nicht mehr ändern kann, nicht aber um wirklich brennende Aktualität. "Small Country, small Budget, small movie" jubelte sogar die Regisseurin freudestrahlend auf der Bühne - womit sie vielleicht die Erwägungen der Jury präzis auf den Punkt brachte, aber gewiss nicht die Kriterien für einen der wichtigsten Filmpreise. Und manch einer fragte am Samstagabend, ob der Westen nicht besser Karadzic endlich vor Gericht zwingen sollte, als sich mit Preisen wie diesem ein gutes Gewissen zu verschaffen.

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Etwas anders liegen die Dinge bei dem iranischen OFFSIDE ("Grosser Preis der Jury"). Im Gegensatz zu Jasmila Zbanic zwingt Regisseur Jafar Panal seine Zuschauer immer dazu, selbst eine Position einzunehmen. Man verfolgt eine Gruppe junger Mädchen, die sehnsüchtig versuchen, ins Fußballstadion von Teheran zu kommen, wo gerade das entscheidende WM-Qualifikationsspiel läuft. Frauen sind Stadienbesuche durch die Sittenpolizei der Mullahs streng verboten. Mit Leidenschaft und guter Laune erzählt der Film davon, was in den Köpfen echter Fußballfans vorgeht, aber er lässt dem Zuschauer auch kaum Illusionen über den repressiven Alltag im Iran. Doch immer bleiben verschiedene Lesarten möglich: Idyllisiert OFFSIDE - am Ende geht alles gut aus, wird die Einheit der Nation im Fußballrausch beschlossen, läuft überm Abspann die Nationalhymne - nun die Zustände im Iran und macht, indem er die menschliche Maske des Fundamentalismus zeigt, indirekt Propaganda für den Gottesstaat? So argumentierten manche auf der Pressekonferenz zum Film. Oder zeigt OFFSIDE gerade soviel Kritik, wie man unter Zensurbedingungen aus dem Iran zeigen kann?

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Die deutschen Filmemacher können mit drei Preisen mehr als zufrieden sein. Jedenfalls numerisch. Im Gegensatz zum Silberbär für Jürgen Vogel - in seiner Dreieinigkeit als Produzent, Autor, Schauspieler von DER FREIE WILLE - und für Sandra Hüllers fulminantes Debüt, bleibt der Preis für Moritz Bleibtreu das Geheimnis der Jury. Weitaus angemessener wäre ein Preis für Hans Christian Schmids Regieleistung in REQUIEM gewesen. Mit Valeska Griesebachs neosymbolistischem SEHNSUCHT ging auch der einzig ästhetisch radikale Film des Wettbewerbs leer aus.

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So kann Berlinale-Chef Dieter Kosslick mit der diesjährigen Berlinale zufrieden sein; zur Euphorie besteht aber kein Anlass. Nach zwei miserablen Jahren und viel Kritik an der Filmauswahl hat sich die Berlinale konsolidiert. Die Stimmung war besser, auch wegen einer cleveren Dramaturgie, die die stärksten Filme überwiegend an den Anfang platzierte und mit stargemästetem Hollywoodkino umkränzte - das nur außer Konkurrenz antrat. Trotzdem konnte auch organisatorische Tünche nicht verbergen, dass Berlin nach wie vor stark darunter leidet, viele Filme nicht zu bekommen - während die Konkurrenz aus Cannes ihre ersten Einladungen boshaft kurz vor Berlinale-Start veröffentlichte.
Zudem hat Kosslicks Hätscheln der Deutschen - über 50 von rund 400 Filmen aller Sektionen kamen aus dem eigenen Land - auch den Nachteil, das anderes vernachlässigt wird. Das traf vor allem die Franzosen: Erstmals seit über zehn Jahren gab es nur einen französischen Wettbewerbsfilm, auch sonst war der Nachbar schwach vertreten. Das zweite Opfer ist Asien: War Berlin unter Kosslicks Vorgänger de Hadeln noch Europas Zentrum dieser wichtigsten Region des Weltkinos, gab es 2006 wenig aus China und noch weniger aus Japan - eine lächerliche, wohl persönlichen Vorlieben geschuldete Ignoranz, die den Film-Standort Berlin schwächt. Denn die Filme sind da, sie liefen im Januar in Rotterdam oder werden im Mai in Cannes gezeigt. Und hervorragende Filme aus China und Korea waren statt im Wettbewerb im Forum zu sehen: Den Stilwillen von Zhang Mings kühl-bezwingende Antonioni-Hommage BEFORE BORN vermisste man dort ebenso wie den Zauber von IN BETWEEN DAYS von So Yong Kim, der von nichts erzählt als vom Alltag einer Studentin, dies aber in einer kristallklaren direkt inszenierten Weise, die den Zuschauer wie weniges berührt und von der ersten Sekunde an gefangen hält. Gerade das Forum glänzte nach schwächeren Jahren diesmal mit einer konzentrierten, konzisen Auswahl, zu der auch einige der besten deutschen Filme gehörten, und fand zu gewohnter Stärke zurück.

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So galt auf der diesjährigen Berlinale einmal mehr: Der Wettbewerb ist nicht durchweg "must see"; echte Entdeckungen macht man im Forum. Das kann aber nicht das Ziel aller Wünsche bei einem Festival wie diesem sein. Während Kosslicks Verkaufstalent und organisatorische Stärke unbestritten sind, und er seine inhaltliche Handschrift - politischer Moralismus, eine Verbindung aus gutem Gefühl und aktuellem Manifest - vom ersten Tag an gefunden hatte, fehlt der Berlinale auch im fünften Jahr unter seiner Leitung die künstlerische Linie. Kompromissloser Stil und ästhetische Haltung, Intensität und spürbare cinephile Leidenschaft aber sind es, die vor der Filmgeschichte Bestand haben, wenn die politischen Rauchschwaden längst verzogen sind.

 

Rüdiger Suchsland

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