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Okay, okay. Wir haben uns vertan. Unser früher Goldener
Bär-Tip ging daneben - wobei sich OFFSIDE immerhin den
Silbernen Meister Petz mit dem dänischen Transen-Drama
EN SOAP teilen durfte. Aber zu unserer Entschuldigung: GRBAVICA
- ein Drama über die Nachwirkungen der Vergewaltigungen
im Krieg in Sarajevo - war als Sieger nun wirklich eine Überraschung.
Den hatte keiner auf der Rechnung. (Buchstäblich nicht:
Die Kulturredaktion des Tagesspiegel hatte, wie wir aus gewöhnlich
gut unterrichteten Kreisen wissen, intern einen Wettpool laufen.
Nicht einer der Teilnehmer hat auf GRBAVICA gesetzt.)
Wie sich das traditionell gehört, habe ich selbst den
Siegerfilm mal wieder nicht gesehen, kann also nicht viel
dazu sagen, wie berechtigt oder unberechtigt die Auszeichnung
in meinen Augen ist. Soviel aber steht zu befürchten:
Wie schon letztes Jahr bei der Soweto-Oper U-CARMEN E-KHAYELITSHA
dürfte dies einer jener Preis-Entscheidungen werden,
die kaum spürbare Wellen im öffentlichen Bewusstsein
oder dem Gang der Kinogeschichte schlägt. Von allem,
was ich über den Film gehört habe, scheint es keinen
Grund zu geben, ihm den aufgebundenen güldenen Bären
nicht zu gönnen. Aber ebensowenig einen, ihn halbwegs
zwingend zu rechtfertigen - oder, andersrum, sich darüber
richtig aufzuregen. Das ist nämlich das eigentlich Seltsame
an dieser Entscheidung: Es herrschte während des Festivals
keine Aufregung um GRBAVICA. Es gab keine große Diskussionen
um den Film, keine Lobeshymnen, keine Verdammungsreden; viele
Zeitungen hatten ihn nicht einmal besprochen; in den Kritiker-Rankinglisten
dümpelte er unauffällig im guten Mittelfeld. Es
war einer dieser Filme, die im allgemeinen Bewusstsein kaum
stattfanden.
Und das sind heute schlechte Voraussetzungen für solch
einen Siegerfilm. Leider sind die Zeiten vorbei, in denen
einer der großen Festivalpreise im Kinogeschäft
noch von sich aus etwas zählte. Als goldene Palmen, Löwen,
Bären noch ganze Karrieren machen konnten und ein solcher
Überraschungssieg mehr ausgelöst hätte als
Schulterzucken. Das gemeine Kinogeher-Volk interessiert sich
nicht mehr a priori für den Ausgang dieser Wettbewerbe,
sieht den Sieg nicht mehr als Adelung an, die zwingend neugierig
macht auf den Besuch des Films. Solche Preise haben nicht
mehr selbst die Kraft, die Aufmerksamkeit für zuvor obskure
Filme zu wecken. Die Preise müssen inzwischen selbst
um öffentliche Aufmerksamkeit buhlen. Um noch als bedeutsam
wahrgenomme zu werden, müssen sie sich ihrerseits an
Filme hängen und vergeben, die schon im öffentlichen
Bewusstsein herausragen. Da braucht es große Namen,
eine schlagzeilentaugliche Story drumrum (z.B. das immer beliebte
"Deutscher Film gewinnt!"), oder wenigstens schon
während des Festivals eine handfeste Kontroverse um den
Film.
Man kann diese Realitäten ruhig traurig finden, und man
will ja auch nicht wirklich künftigen Jurys vorschreiben,
sich danach statt nach ihrem besten Wissen und Gewissen zu
richten. Aber es bleibt das ungute Gefühl, dass eine
solche Entscheidung diese Zustände eher noch verschärfen
wird - es ist das zweite Jahr in Folge, in dem der Goldene
Bär die Öffentlichkeit nicht mehr wirklich bewegt
und erreicht, und dem Grundinteresse für den Preis ist
das wahrscheinlich nicht zuträglich.
WELLEN, WEIßWEIN, WOLLE
Es hapert aber einfach auch schon bei der der Jury zur Begutachtung
anheimgegebenen Vorauswahl. Da ist zuviel Proporzdenken am
Werk, wird zuviel auf Nummer Sicher gegangen. Wo sollen sie
denn da auch sein, die großen cineastischen Überraschungen,
die sich vergolden ließen?
Man nehme nur die asiatischen Beiträge im Wettbewerb,
INVISIBLE WAVES und ISABELLA: Beides schöne Filme, fraglos.
INVISIBLE WAVES (fotografiert von Kult-Kameramann Christopher
Doyle) war da am stärksten, wo er am handlungsärmsten
war. Herrlich die lange Sequenz, in der der Protagonist eine
Überfahrt durchmacht in einer winzigen Kabine direkt
neben dem Maschinenraum auf einem halb tatiesque, halb kafkaesk
wirkenden Kreuzfahrtschiff. Weniger herrlich das lange Drama
danach um einen Gangsterboss. (Wobei generell die Pressekonferenz
zu dem Film noch unterhaltsamer und memorabler war als der
Film selbst. Danke eines schon um 11 Uhr vormittags mit einem
Weißweinglas einlaufenden Chris Doyles - und es schien
nicht, als wäre es sein erstes -, der mehr oder minder
die Moderation an sich riss ("Stupid question. Next."
"But I..." "NEXT!" - und die Frage war
wohlgemerkt nicht an ihn gerichtet...) und eine teils etwas
peinliche, teils in der Leidenschaft für seine Kunst
begeisternde Show ablieferte.)
Und ISABELLA hatte neben einer der interessanteren Varianten
zum Thema Inzest der letzten Kinojahre viel Schönes am
Rande zu bieten, wie einen dauern mampfenden Anthony Wong
in einer Gastrolle oder ein Trinkduell zwischen zwei Mädchen
um einen Mann.
Aber es waren beides keine Filme, die lang im Gedächtnis
blieben, die einem neue Perspektiven auf den asiatischen Film,
das Kino allgemein oder (höchstes Ziel) das Leben zu
eröffnen.
Immerhin in die Wettbewerbs-Reihe geschafft, aber nur außer
Konkurrenz, hatte es Michel Gondrys THE SCIENCE OF SLEEP,
der bewies, dass Gondry den visuellen Einfallsreichtum seiner
Musikvideos doch auch auf Spielfilmlänge durchhalten
kann und nicht immer so verquasselt werden muss wie in ETERNAL
SUNSHINE OF THE SPOTLESS MIND. Der wunderschöne Film
ist eine Art sehr persönliches Handarbeitsprojekt - voller
Animationssequenzen mit Modellen und Kulissen aus Pappe, Filz,
Wolle, und auch wenn er sich als Film über die Liebe
tarnt, geht es doch mehr um die Sehnsucht nach der Kindheit
und nach einer Mutter, nicht nach einer echten Partnerin.
Wahrscheinlich war's aber auch wurscht, dass Gondrys Film
nicht zur Preisauszeichnung freigegeben war, weil er der Jury
ziemlich sicher zu witzig, verspielt, verschroben, individuell
und autobiographisch gewesen wäre und bei weitem nicht
politisch genug. Dass er nicht als ein Statement getaugt hätte,
war vermutlich auch einer der Hauptgründe, warum es keinen
Bären für Robert Altmans A PRAIRIE HOME COMPANION
gab, obwohl der bei erheblichen Teilen von Publikum und Kritik
zu den Favoriten zählte. Und man hätte es ihm gegönnt,
dem alten Mann und Meister, hier nochmal mit einer Statuette
bedacht zu werden - auch wenn der Film freilich nicht die
eben eingeforderten cineastischen Überraschungen barg:
A PRAIRIE HOME COMPANION ist ein Werk des Abschieds, ist nochmal
eine Summe des Altmanschen Schaffens, mit Anklängen an
fast alle seine bisherigen Filme; es ist ein Schwanengesang
im Country-Stil, eine beschwingte Elegie auf eine verlorene
amerikanische Kunstform - die titelgebende Live-Radioshow
-, ein künstlerisches Vermächtnis voller Zoten.
Man spürt, so munter und musikalisch vieles ist, den
ganzen Film durch, dass Altman sich mit ihm so langsam ans
Hinübergehen macht. Und dass er, mit nur leichter Wehmut,
mit dem baldigen Sterben leben kann: "The death of an
old man is not a tragedy," heißt es an einer Stelle,
und es ist wohl das heimliche Motto des Films.
ES BLEIBT ALLES ANDERS
Aber zurück zur kleinen Tragödie des vergebenen
Bären: Ob die Jury angebissen hätte, wenn man ihnen
solche Köder vorgesetzt hätte, bleibt fraglich,
aber jedenfalls liefen in den Panorama- und Forums-Reihen
einige Filme, bei denen man sich des Gefühls nicht erwehren
konnte, dass sie bestens dazu getaugt hätten, den Wettbewerb
zumindest etwas lebendiger und aufregender zu gestalten.
Warum zum Beispiel aus Asien ausgerechnet ISABELLA und INVISIBLE
WAVES? Da hätte Spannenderes zur Auswahl gestanden. Gut,
auch unser alter Freund Sabu hat diesmal mit SHISSO einen
Beitrag abgeliefert, der sich nicht gerade revolutionär
von anderen poetischen, japanischen Coming-of-age-Filmen abhebt.
Ausnahmsweise mal kein eigener Stoff, sondern eine Romanverfilmung,
mit über zwei Stunden ungewohnt lang, und, noch überraschender,
keine skurrile Komödie. Beim ersten Sehen schön,
aber nicht gerade überwältigend - aber auch einer
der Filme, die man gerne nochmal außerhalb des Festivals
sehen würde, wenn sie mehr Raum haben, ihre ruhige Wirkung
zu entfalten.
Doch wie wär's hiermit gewesen, um den Wettbewerb mal
gescheit aufzumischen?: Dem neuen Takashi Miike - mit Abstand
mein Favorit des gesamten Festivals; der eine Film, bei dem
ich wirklich dauernd ein Gefühl von "Wow!"
hatte.
Man muss freilich sagen: Takashi Miike ist inzwischen total
vorhersehbar geworden. Da überrascht nichts mehr. Da
weiß man schon vorab: Jeder neue Film von ihm wird alles
über den Haufen schmeißen, was man über das
Kino zu wissen glaubte, wird die Grenzen dessen neu definieren,
was mit dem Medium Film möglich ist, und wird Wege gehen,
die man von Miike nicht erwartet hätte. Man möge
jetzt bitte von mir nicht den Versuch erwarten, 46 OKU NEN
NO KOI (engl. Titel: BIG BANG LOVE - JUVENILE A) irgendwie
zu erklären. Selbst ihn zu beschreiben fällt schwer.
Es ist eine lose aus und um einen Krimi-Plot um einen Mord
in einem Jugendgefängnis gesponnene Meditation um Männlichkeit,
Vergänglichkeit, Begehren und Zeit (oder so ähnlich,
oder vielleicht doch ganz anders...), mit filmischen Anleihen
von Fassbinder bis DOGVILLE. Ich kann mich nicht erinnern,
je einen Film gesehen zu haben, der mir so sehr vorkamm wie
Lyrik; der Erzählkino so sehr auf eine assoziative, rhythmische,
intuitive, poetische Weise funktionieren ließ. Verstehen
kann man diesen Film kaum, aber man begreift ihn, auf einer
Ebene, die eben nicht in ein paar klare, rationale Sätze
transponierbar ist.
Als nächstes, hat Meister Miike auf der Pressekonferenz
verkündet, werde er was ganz anderes machen, werde er
versuchen, sich und sein Kino wieder neu zu erfinden. (Ich
sag ja: Der Mann ist SO vorhersehbar...) Geplant hat er einen
japanischen Italowestern, der alles zuvor Gesehene in den
Schatten stellen soll.
HEER DER FLIEGEN
Und warum auch kein japanischer Italowestern, wenn's schon
einen australischen gibt?: Mit einem solchen war nämlich
kein Geringerer als Nick Cave am Start. Von ihm stammte Drehbuch
und Musik zu THE PROPOSITION; der Meister war auch selbst
bei der Premiere anwesend (und im Publikum saß Tante
Blixa, obwohl der bei den Bad Seeds nicht mehr klampfen darf),
mit einer Bart- und Haartracht, mit der er problemlos eine
Zweitkarriere als Darsteller in mexikanischen Pornos anstreben
könnte. Cave beschränkte sich aber auf's cool ins
Publikum winken; das Reden überließ er John Hillcoat,
dem Regisseur des Films.
THE PROPOSITION tarnt sich mit historischen Fotografien im
Vor- und Nachspann notdürftig als Auseinandersetzung
mit einem dunklen Kapitel aus der Geschichte Australiens,
aber er tut nicht viel, um dieses Deckmäntelchen zu füllen
- er ist in Wahrheit eine filmische "Murder Ballad",
ein pervers-romantisches Vollbad in Tod, Gewalt und Verwesung.
Zurückhaltung übt nur Caves Musik - ihren genialsten
Moment hat sie, als sich über Minuten fast unmerklich
ein einziger, leiser Akkord auf der Tonspur unter das Summen
von Schmeißfliegen mischt und langsam daraus hervorschält.
Fliegen gibt es mehr als genug in THE PROPOSITION, kaum eine
Szene, durch die sie nicht surren und schwirren - als wüssten
sie, dass auch das lebende Fleisch in der Welt dieses Films
bald zu Aas werden wird. THE PROPOSITION ist ein Film von
ungeheurer Gewalttätigkeit, und ich bin nie ganz den
Verdacht losgeworden, dass er es in Caves Vorstellung auf
eine eher unreife, pubertäre Art hätte sein können.
Aber unter Hillcoats Regie und mit einem Aufgebot großartiger
Schauspieler (Emily Watson, John Hurt, Ray Winstone, Guy Pearce)
bekommen nicht nur die Bilder eine überwältigende,
elegische Kraft, sondern auch die Gewalt eine emotionale Resonanz.
Der Film ist nicht planlos explizit in seiner Darstellung,
er zeigt meist nur sekundenschnell, schlaglichtartig genau
die extremen Details, die einen den Schmerz, die Brutalität
spüren, miterleiden lassen, die einen rausreißen
aus den gewohnten Mustern der Ästhetisierung von Gewalt.
Eine der heftigsten Momente ist etwa die Auspeitschung eines
zu 100 Schlägen verurteilten Mannes: Man kennt das aus
unzähligen anderen Filmen, dass man den Anfang der Bestrafung
erlebt und dann später zu der Szene zurückkehrt,
um Zeuge des Endes des Countdowns zu werden. Auch THE PROPOSITION
blendet einen Teil der Prozedur aus, und als er wieder einsteigt,
ist der Rücken des Gefangenen nur noch in Fetzen, der
Bestrafer muss das Blut regelrecht aus der Peitsche wringen,
und man wartet auf das Zählen der vermeintlich letzten
Schläge, und dann kommt das "39,... 40".
Ich hätte zu gern erlebt, was losgewesen wäre,
wenn THE PROPOSITION im Wettbewerb gelaufen wäre. Und
ich behaupte: Er hätte die künstlerische Größe
gehabt, um mehr abzugeben als nur einen oberflächlichen
Skandal.
Andererseits - und als Gegengewicht zu dem todesschwangeren
Fliegengeschwärme - hätten dort auch zwei sprechende
Rotkehlchen verdient gehabt, landen zu dürfen: Die schwirrten
nämlich durch Neil Jordans BREAKFAST ON PLUTO (seine
zweite Patrick McCabe-Verfilmung nach THE BUTCHER BOY) - ein
wunderbar überbordender, witziger, aber nie oberflächlicher,
nie Geist und Gefühl vernachlässigender Film über
einen irischen Transvestiten zur Hochzeit der "troubles".
Alles mögliche ließe sich davon lobpreisen und
erzählen, unzählige Details erwähnen (z.B.
dass Bryan Ferry einen Gastauftritt als Mörder hat!)
- aber was muss man mehr sagen, um die Bedeutung dieses Films
zu verdeutlichen, als dass in ihm die Wombles vorkommen! Jawoll,
die Wombles! Endlich mal ein "period-movie", der
weiß, wie man WIRKLICH den Geist der Siebziger illustriert.
NÄHE UND NACKTHEIT
Ich fürchte, ich habe ein bisschen zuviel am Wettbewerb
rumgemeckert: In vielerlei Hinsicht bot er im Schnitt eine
der stärksten Auswahlen der letzten Jahre. Aber das fühlt
sich insgesamt oft schwächer, unbedeutender an, als wenn
es nur ein paar einzelne, aber extremere Ausreißer nach
Unten und Oben gibt: Man ist's während des Festivals
selbst zwar eher zufrieden, weil die Grundversorgung stimmt.
Aber es bleibt danach weniger hängen.
Und so schien's mir insgesamt mit dieser Berlinale: Eigentlich
das im Durchschnitt beste Programm seit Jahren. Aber nicht
eines der im Einzelfall memorabelsten.
Immerhin habe ich persönlich es geschafft, während
der ganzen Berlinale keinen einzigen wirklich ärgerlichen
Film zu sehen, und das Glück muss man bei einem solchen
Festival erstmal haben. Am enttäuschendsten war noch
Chen Kaiges WU JI, mit dem die Chinesen das Erfolgsrezept
von Zhang Yimous HERO und HOUSE OF FLYING DAGGERS wiederholen
wollten: International renomierter Arthouse-Regisseur wird
auf das altehrwürdige Populär-Genre Wuxia losgelassen.
Aber nicht nur fehlen diesmal richtig gute Martial Arts-Einlagen
- der Look ist ein einziger bunt-digitaler Pixelquatsch und
-matsch, was zuverlässig jedes aufkommende Feeling niederhält.
Nur das Finale ist dann so hochgradig melodramatisch, dass
doch noch etwas Emotion hochköchelt und man halbwegs
versöhnt wird.
Es war eine seltsam zweigeteilte Berlinale. Fast hektisch
vollgepackt die erste Hälfte - und dann schien nach dem
Wochenende schon alles so gut wie vorbei. Da waren nicht nur
die meisten Stars und mit ihnen ein erheblicher Teil der Berichterstatter
schon wieder aus der Stadt gezogen.
In der zweiten Hälfte konnte man sich dann die interessant
wirkenden Filme einzeln aus dem Programm picken, statt aus
dem Vollen zu schöpfen. Da gab es zum Beispiel noch KOMM
NÄHER, ein gelungenes Improvisations-Experiment um das
Thema Einsamkeit und Angst vor Nähe von Vanessa Jopp,
dem einerseits das Glück eignet, mit Meret Becker (heftig
und überzeugend gegen ihr Kindfrau-Image anspielend),
Stefanie Stappenbeck, Fritz Roth, Marek Harloff und Heidrun
Bartholomäus Schauspieler zu haben, die hervorragendes
Material liefern, und das andererseits den editorischen Verstand
hat, dem Ganzen eine Form zu geben, die nicht wie sonst so
gern bei Impro-Arbeiten ausufert und zerfasert.
Und da war noch Mary Harrons THE NOTORIOUS BETTIE PAGE über
das legendäre Pin Up- und Fetisch-Model der Fünfziger.
Ein zutiefst netter, ein braver Film. Was man ihm durchaus
als Schwäche auslegen kann. Aber was auch sehr im Einklang
ist mit dem Charakter Pages, wie der Film ihn zeichnet: Für
diese Bettie (überraschend überzeugend verkörpert
von Gretchen Moll) ist fast alles ein einziges Spiel, sie
begegnet den Menschen und dem Leben mit einer begeisternden
Offenheit. Klar wird dadurch, dass der Film sich diese Sichtweise
weitgehend zu eigen macht, manches unter den Teppich gekehrt
oder zu distanzlos serviert. Aber andererseits ist es in einem
heutigen US-amerikanischen Film schon enorm viel, wenn er
es schafft, einen völlig nackten Frauenkörper auf
eine Weise zu zeigen, aus der nichts spricht außer einer
wunderbaren Natürlichkeit, Selbstverständlichkeit,
Lebenslust und Selbstbestimmtheit.
GÖTTINNENDÄMMERUNG
Und weil wir grade bei Traumfrauen sind: Der große
Vorteil des Versiegens des Angebots in den normalen Reihen
während der zweiten Berlinale-Hälfte hatte freilich
den einen großen Vorteil, dass man sich um so ungestörter
der Retro über "Traumfrauen der 50er" widmen
konnte. Und die bot halt nicht zuletzt auch jede Menge TraumFILME
- egal in welchem Kontext, Werke von Douglas Sirk oder einen
all-time-favorite wie JOHNNY GUITAR mal wieder auf Leinwand
zu sehen, macht immer glücklich.
Was nicht heißen soll, dass ich Joan Crawford in JOHNNY
GUITAR nicht großartig finde. Oder dass ET DIEU CRÉE
LA FEMME allzuviel Interessantes zu bieten hätte AUßER
Brigitte Bardot.
Aber es musste nicht immer Begeisterung für die Frauen
vorhanden sein, um die Filme zu genießen. Doris Day
zum Beispiel, Miss Antisepsis schlechthin, ist wirklich nicht
geeignet, mein Männerherz höher schlagen zu lassen.
Obwohl man bei Michael Curtiz' I'LL SEE YOU IN MY DREAMS von
1951 zumindest noch vage ahnen kann, was Groucho Marx meinte,
als er sagte: "I knew her before she became a virgin."
Aber Doris Day, in just diesem Film, die in Blackface (sic!)
Al Jolsons "Tootsie" singt - ja, da bumpert das
Cineastenherz, weil das ist unglaublich, das ist bizarr, das
macht Stimmung, da muss man dabei sein, kommen Sie, schauen
Sie...
So richtig zum Träumen aber, was wundert's, Audrey Hepburn
in ROMAN HOLIDAY. Ja, da kann man schmachten und sehnen -
und bekommt eine Ahnung, was es vielleicht war, was all den
neuen Filmen auf der Berlinale gefehlt hat. ROMAN HOLIDAY
ist ja kein Film, der von seinem Drehbuch her soviel Einzigartiges,
Überwältigendes, Unwiederholbares machen würde.
Es ist - wie immer - nicht das Was, es ist das Wie, das den
Zauber ausmacht. Und dieses überirdische Schwarz-weiß,
diese Liebe der klassischen Hollywood-Ausleuchtung zu Audreys
Gesicht, diese stolze, selbstverständliche Künstlichkeit
und Überhöhung: Sie sind dem Kino weitgehend abhanden
gekommen, es scheint sich davor zu schämen. Das Kino
hat verlernt, die Menschen auf der Leinwand zu Göttern
zu machen. Und da muss es nicht wundern, wenn es manchmal
allzu profan wirkt.
Thomas Willmann
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