Während die Bestimmung der meisten Kinogeher in praktischer
jeder beliebigen Filmvorstellung möglich ist, gibt es
einige Arten, die nur unter ganz speziellen Bedingungen erkennbar
sind. Zu ihnen gehört der Aufrücker, für dessen
Beobachtung ein schlecht besuchtes Kino mit freier Platzwahl
eine unverzichtbare Voraussetzung ist.
Denn nur in einem solchen "Biotop" ist sein ungewöhnliches
Verhalten, sich trotz zahlreicher anderer, in unseren Augen
gleichwertiger oder gar besserer Sitzmöglichkeiten, ausgerechnet
unmittelbar vor, hinter oder neben uns zu setzen.
Akzeptieren wir es auch, in voll besetzten Kinos komplett
von Menschen umgeben zu sein, so bevorzugt der durchschnittliche
Zuschauer im Idealfall doch einen gewissen Freiraum beim Filmkonsum,
was einerseits ganz pragmatische Gründe hat (unbeeinträchtigte
Sicht, ungezwungene Wahl der Sitzposition, ungestörte
Nutzung der Armlehnen) aber auch an dem naturgegebenen Streben
nach Abgrenzung zu fremden Menschen liegt.
Für den Aufrücker scheinen solche Argumente keine
Bedeutung zu haben. Rätselhaft bleibt dabei sowohl seine
grundsätzliche Entscheidung sich in unserer Nähe
zu platzieren, als auch seine konkrete Wahl eines bestimmten
Sitzes.
Am undurchsichtigsten ist dabei vermutlich die freiwillige
Platzwahl direkt hinter uns. Gerade die unbehinderte Sicht
nach vorne zur Leinwand ist den meisten Kinogehern das höchste
Gut, das der Aufrücker hier einfach verschenkt.
Setzt sich der Aufrücker dagegen in einem fast leeren
Kino unmittelbar vor uns, empfinden wir dies als ärgerliche
bzw. dreiste Unaufmerksamkeit, die sich immerhin durch unauffälliges
Wechseln des eigenen Platzes schnell beheben lässt.
Ignoriert der Aufrücker die unzähligen freien Plätze
und wählt den Sitz direkt neben uns, so sind wir zwar
physisch kaum am Kinogenuss gehindert, nur plagen uns dann
Zweifel und Misstrauen, die hinter der "Aufdringlichkeit"
des Aufrückers nichts Gutes vermuten.
Über die Motivation des Aufrückers kann man in
den jeweiligen Fällen nur spekulieren. Möglicherweise
steckt dahinter naive Gedankenlosigkeit oder eine Form des
Herdentriebes oder aber das manische Bestreben, den Platz
im Kino "lückenlos" auszunutzen. Auch eine
diffuse Kombination aus all dem ist denkbar.
Vielleicht sieht der Aufrücker im ausgewählten
Platz aber auch nur den besten aller für ihn möglichen
und lässt sich selbst durch unsere Anwesenheit nicht
von diesem Entschluss abbringen.
Wenn wir uns unwissentlich in der direkten Nachbarschaft seines
althergebrachten Stammplatzes breit gemacht haben, empfindet
er möglicherweise uns als lästige Aufrücker.
Es ist darüber hinaus nicht auszuschließen, dass
es den Aufrücker auf der Suche nach sozialer, menschlicher
Nähe ins Kino zieht.
Verlässliche Aussagen über die Verbreitung des
Aufrückers zu machen, ist aufgrund der Schwierigkeiten
bei der Bestimmung kaum möglich. Trifft man ihn in den
schlecht besuchten Vorstellungen nur hin und wieder, so ist
davon auszugehen, dass die "Dunkelziffer" in den
vollen Kinosälen um ein Vielfaches höher liegt.
Michael Haberlander
|