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24.08.2006
 
 
       
artechocks kleines Bestiarium der Kinogeher
Folge 9: Der Aufrücker
     
 
 
 
 

Während die Bestimmung der meisten Kinogeher in praktischer jeder beliebigen Filmvorstellung möglich ist, gibt es einige Arten, die nur unter ganz speziellen Bedingungen erkennbar sind. Zu ihnen gehört der Aufrücker, für dessen Beobachtung ein schlecht besuchtes Kino mit freier Platzwahl eine unverzichtbare Voraussetzung ist.

Denn nur in einem solchen "Biotop" ist sein ungewöhnliches Verhalten, sich trotz zahlreicher anderer, in unseren Augen gleichwertiger oder gar besserer Sitzmöglichkeiten, ausgerechnet unmittelbar vor, hinter oder neben uns zu setzen.

Akzeptieren wir es auch, in voll besetzten Kinos komplett von Menschen umgeben zu sein, so bevorzugt der durchschnittliche Zuschauer im Idealfall doch einen gewissen Freiraum beim Filmkonsum, was einerseits ganz pragmatische Gründe hat (unbeeinträchtigte Sicht, ungezwungene Wahl der Sitzposition, ungestörte Nutzung der Armlehnen) aber auch an dem naturgegebenen Streben nach Abgrenzung zu fremden Menschen liegt.

Für den Aufrücker scheinen solche Argumente keine Bedeutung zu haben. Rätselhaft bleibt dabei sowohl seine grundsätzliche Entscheidung sich in unserer Nähe zu platzieren, als auch seine konkrete Wahl eines bestimmten Sitzes.

Am undurchsichtigsten ist dabei vermutlich die freiwillige Platzwahl direkt hinter uns. Gerade die unbehinderte Sicht nach vorne zur Leinwand ist den meisten Kinogehern das höchste Gut, das der Aufrücker hier einfach verschenkt.

Setzt sich der Aufrücker dagegen in einem fast leeren Kino unmittelbar vor uns, empfinden wir dies als ärgerliche bzw. dreiste Unaufmerksamkeit, die sich immerhin durch unauffälliges Wechseln des eigenen Platzes schnell beheben lässt.

Ignoriert der Aufrücker die unzähligen freien Plätze und wählt den Sitz direkt neben uns, so sind wir zwar physisch kaum am Kinogenuss gehindert, nur plagen uns dann Zweifel und Misstrauen, die hinter der "Aufdringlichkeit" des Aufrückers nichts Gutes vermuten.

Über die Motivation des Aufrückers kann man in den jeweiligen Fällen nur spekulieren. Möglicherweise steckt dahinter naive Gedankenlosigkeit oder eine Form des Herdentriebes oder aber das manische Bestreben, den Platz im Kino "lückenlos" auszunutzen. Auch eine diffuse Kombination aus all dem ist denkbar.

Vielleicht sieht der Aufrücker im ausgewählten Platz aber auch nur den besten aller für ihn möglichen und lässt sich selbst durch unsere Anwesenheit nicht von diesem Entschluss abbringen.
Wenn wir uns unwissentlich in der direkten Nachbarschaft seines althergebrachten Stammplatzes breit gemacht haben, empfindet er möglicherweise uns als lästige Aufrücker.

Es ist darüber hinaus nicht auszuschließen, dass es den Aufrücker auf der Suche nach sozialer, menschlicher Nähe ins Kino zieht.

Verlässliche Aussagen über die Verbreitung des Aufrückers zu machen, ist aufgrund der Schwierigkeiten bei der Bestimmung kaum möglich. Trifft man ihn in den schlecht besuchten Vorstellungen nur hin und wieder, so ist davon auszugehen, dass die "Dunkelziffer" in den vollen Kinosälen um ein Vielfaches höher liegt.

Michael Haberlander

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