Mögen sie sich auch in ihrer Auswirkung ähneln, so ist es doch falsch zu glauben, dass ein Kino-Schwätzer wie der andere sei. Vielmehr spaltet sich die Gattung der Schwätzer in zahlreiche Arten und Unterarten, die sich durch Umfang, Inhalt und Auslöser ihrer oft so störenden Gespräche unterscheiden. Man betrachte hierzu etwa den Dauerredner.
Der Dauerredner bildet hinsichtlich der Kommunikation während einer Filmvorführung die Antipode zum Cinephilen. Während der Cinephile in vollkommener filmischer Vertiefung nur im äußersten Notfall (Brand im Saal, Todesröcheln des Sitznachbarn, Fehler bei der Projektion) sein Schweigen bricht, redet der Dauerredner vom Zeitpunkt seines Eintreffens bis zum Verlassen des Kinos ohne Unterlass.
Naturgemäß ist der Dauerredner in Begleitung (wenn nicht, ist doppelte Vorsicht angebracht), die ihrerseits wenig bis gar nichts äußert, was wahlweise an mangelnder Gelegenheit oder aber an fehlender Lust dazu liegt.
Typisch ist dabei, dass der Dauerredner (in Abgrenzung zu anderen Kino-Schwätzer-Arten) nie über das Kino im Allgemeinen oder gar den Film auf der Leinwand im Speziellen spricht. Seine Themen liegen mehr im Privaten, in Bereichen wie Beziehungen, Mitmenschen, Arbeit, Wohnverhältnisse oder die Konsumwelt.
Zurechtweisungen von entnervten anderen Kinogehern nimmt der Dauerredner unkommentiert hin, lässt sich in seinem Redefluss jedoch kaum stoppen, sondern senkt im besten Fall die Stimme ein wenig ab, wodurch seine bisher allgemein klar verständlichen Worte zu einem undefinierbar zischelnden Silbenbrei verschwimmen.
Die eine und alles entscheidende Frage, die einen echten Cineasten schier in den Wahnsinn treiben kann, ist dabei: Warum geht der Dauerredner überhaupt ins Kino? Warum zahlt er bis zu acht Euro Eintritt, um dann sehr unpraktisch neben anstatt gegenüber seines Gesprächspartners zu sitzen und ständig vom hektischen Geschehen auf der Leinwand und ungehaltenen Kinobesuchern gestört zu werden? Unzweifelhaft scheint, dass der Dauerredner dem Film unmöglich folgen kann bzw. offensichtlich gar nicht folgen will.
Wäre ein Park, ein Cafe oder gar sein eigenes Heim nicht besser für sein Monologisieren geeignet? Für dieses paradoxe Verhalten gibt es zwei mögliche Erklärungen:
Erstens: Der Dauerredner sucht (aus welch abwegigen und bizarren Gründen auch immer) bewusst die Kinoatmosphäre für seine Kommunikation. Vielleicht braucht er einfach diese Mischung aus klandestiner Öffentlichkeit, von der Leinwand erleuchteter Dunkelheit und wutschnaubenden Kinobesuchern, um seine Sprechhemmungen zu überwinden und sich das über Tage oder Wochen Angestaute von der Seele zu reden.
Zweitens: Der Dauerredner zählt gar nicht zu den Kinogeher-Arten. Der eigentliche Kinogeher ist vielmehr seine wortkarge, unauffällige Begleitung, die den Kinobesuch trotz oder (nicht weniger wahrscheinlich) gerade wegen der Eigenheit des Dauerredners bewusst in die gemeinsamen Freizeitaktivitäten einplant.
In diesem Fall müsste man also von der Kinoart des Beschwatzten sprechen, der unter dem kinofremden Parasiten des Dauerredners leidet. Für diese Theorie spricht, dass man Dauerredner auch in Lebensräumen außerhalb des Kinos, etwa auf Popkonzerten, antreffen kann.
Michael Haberlander |