Stellen Sie sich vor: Sie sitzen in einem schlecht besuchten
Kino, die Saallichter sind noch an, die Tür öffnet
sich, zwei Personen treten ein, worauf eine nach einem Blick
über die sporadisch besetzten Sitzreihen sagt: "Das
Kino ist ja fast leer."
Sie haben nun die Gewissheit, die kommenden zwei Stunden den
Raum mit einem Feststeller zu teilen.
Der Feststeller zeichnet sich durch zwei Merkmale aus.
Erstens: Er stellt laufend etwas fest (daher der Name), was
zweitens für jeden offensichtlich ist. Das gilt für
seine Anmerkung über das leere Kino ebenso, wie etwa
für seine Feststellung "Erst kommt Werbung",
wenn die unvermeidlichen Spots beginnen oder "Jetzt fängt
der Film an", wenn die Saallichter ganz gelöscht
werden und der Trailer des Filmstudios vom Hauptfilm kündet.
Den ersten Höhepunkt erlebt der Feststeller schon beim
Vorspann, denn auf der Leinwand geschriebene Worte üben
auf ihn einen geradezu magischen Reiz aus. Er kann deshalb
nicht anders, als einzelne Worte laut mitzulesen, etwa "Miramax"
oder "Bruce Willis" oder ein zur Exposition eingeblendetes
"Paris".
Auch im weiteren Verlauf hält diese Faszination für
das Geschriebene an, weshalb zuverlässig - wie bei einer
Simultanübersetzung - Begriffe wie "Testament"
oder "Labor" oder "Geheim" im Saal zu
hören sind, wenn entsprechende Schriftstücke oder
Schilder auf der Leinwand erscheinen.
Doch es gibt noch mehr festzustellen. Etwa "Der Eiffelturm",
wenn das berühmte Pariser Wahrzeichen zu sehen ist oder
"Tom Hanks", wenn der weltweit bekannte Schauspieler
erstmals im Film erscheint.
Auch hier gilt wieder, dass der Feststeller nur das absolut
Offensichtliche und Bekannte feststellt, weshalb man ihn nie
mit Aussagen wie "Ah, der Jardin du Luxembourg"
oder "Liev Schreiber!" vernehmen wird.
Gerade in seiner Beschränkung auf das Offensichtliche
lässt sich der Feststeller von anderen Kinogeher-Arten
unterscheiden. Während also der Feststeller ein schlichtes
"Das ist Tom Hanks" von sich gibt, platzt der Komiker
bei der selben Szene mit einem "Forrest Guuump. Das Leben
ist wie eine Schachtel Pralinen, hahaha" heraus, kommentiert
der Kommentator knapp "Was hat der denn für eine
Frisur?" und weiß der Klugschwätzer zu berichten:
"Das wurde gar nicht im Rom gedreht. Alle Außenaufnahmen
wurden in Ungarn gemacht."
Während die knappen, faktischen Bemerkungen des Feststellers
für die anderen Zuschauer zwar störend aber überwiegend
ignorierbar sind, können seine Äußerungen
zum Handlungsverlauf manche Menschen an die Grenzen ihrer
Selbstbeherrschung führen.
Sätze wie "Der bekommt jetzt Schläge",
wenn eine gemeiner Kerl den schweigsamen Karatemeister zu
lange provoziert oder "Der Mann ist ihr Vater",
nachdem ein lange verschwiegenes Familiengeheimnis unmissverständlich
gelüftet wurde, treiben bestimmte Zuschauer zur Weißglut.
Ihre bissigen, an den Feststeller gerichteten Kommentare,
stoßen bei diesem auf weitgehendes Unverständnis.
Er ist sich keines Vergehens bewusst, was darauf hindeutet,
dass er seine Anmerkungen selbst gar nicht wahrnimmt und es
sich dabei wohl um einen nicht willentlich steuerbaren Reflex
handelt.
Erlösung vom Feststeller gibt es für den genervten
Kinogeher erst, wenn er die Worte "Der Film ist aus"
bzw. "Ende" hört.
Nach dem Film gibt der Feststeller selten ein qualitatives
Urteil ab, was zweifelsfrei daran liegt, dass solche Einschätzungen
aufgrund ihrer Subjektivität nicht allgemein offensichtlich
sind.
Während andere also darüber streiten, ob der Film
gut oder schlecht war, brilliert der Feststeller mit Erkenntnissen
wie "Der Film war ganz schön lang" oder "Da
waren aber eine Menge Explosionen zu sehen."
Michael Haberlander
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