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08.06.2006
 
 
       
artechocks kleines Bestiarium der Kinogeher
Folge 5: Der Feststeller
     
 
 
 
 

Stellen Sie sich vor: Sie sitzen in einem schlecht besuchten Kino, die Saallichter sind noch an, die Tür öffnet sich, zwei Personen treten ein, worauf eine nach einem Blick über die sporadisch besetzten Sitzreihen sagt: "Das Kino ist ja fast leer."
Sie haben nun die Gewissheit, die kommenden zwei Stunden den Raum mit einem Feststeller zu teilen.

Der Feststeller zeichnet sich durch zwei Merkmale aus.
Erstens: Er stellt laufend etwas fest (daher der Name), was zweitens für jeden offensichtlich ist. Das gilt für seine Anmerkung über das leere Kino ebenso, wie etwa für seine Feststellung "Erst kommt Werbung", wenn die unvermeidlichen Spots beginnen oder "Jetzt fängt der Film an", wenn die Saallichter ganz gelöscht werden und der Trailer des Filmstudios vom Hauptfilm kündet.

Den ersten Höhepunkt erlebt der Feststeller schon beim Vorspann, denn auf der Leinwand geschriebene Worte üben auf ihn einen geradezu magischen Reiz aus. Er kann deshalb nicht anders, als einzelne Worte laut mitzulesen, etwa "Miramax" oder "Bruce Willis" oder ein zur Exposition eingeblendetes "Paris".
Auch im weiteren Verlauf hält diese Faszination für das Geschriebene an, weshalb zuverlässig - wie bei einer Simultanübersetzung - Begriffe wie "Testament" oder "Labor" oder "Geheim" im Saal zu hören sind, wenn entsprechende Schriftstücke oder Schilder auf der Leinwand erscheinen.

Doch es gibt noch mehr festzustellen. Etwa "Der Eiffelturm", wenn das berühmte Pariser Wahrzeichen zu sehen ist oder "Tom Hanks", wenn der weltweit bekannte Schauspieler erstmals im Film erscheint.
Auch hier gilt wieder, dass der Feststeller nur das absolut Offensichtliche und Bekannte feststellt, weshalb man ihn nie mit Aussagen wie "Ah, der Jardin du Luxembourg" oder "Liev Schreiber!" vernehmen wird.

Gerade in seiner Beschränkung auf das Offensichtliche lässt sich der Feststeller von anderen Kinogeher-Arten unterscheiden. Während also der Feststeller ein schlichtes "Das ist Tom Hanks" von sich gibt, platzt der Komiker bei der selben Szene mit einem "Forrest Guuump. Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, hahaha" heraus, kommentiert der Kommentator knapp "Was hat der denn für eine Frisur?" und weiß der Klugschwätzer zu berichten: "Das wurde gar nicht im Rom gedreht. Alle Außenaufnahmen wurden in Ungarn gemacht."

Während die knappen, faktischen Bemerkungen des Feststellers für die anderen Zuschauer zwar störend aber überwiegend ignorierbar sind, können seine Äußerungen zum Handlungsverlauf manche Menschen an die Grenzen ihrer Selbstbeherrschung führen.
Sätze wie "Der bekommt jetzt Schläge", wenn eine gemeiner Kerl den schweigsamen Karatemeister zu lange provoziert oder "Der Mann ist ihr Vater", nachdem ein lange verschwiegenes Familiengeheimnis unmissverständlich gelüftet wurde, treiben bestimmte Zuschauer zur Weißglut.

Ihre bissigen, an den Feststeller gerichteten Kommentare, stoßen bei diesem auf weitgehendes Unverständnis. Er ist sich keines Vergehens bewusst, was darauf hindeutet, dass er seine Anmerkungen selbst gar nicht wahrnimmt und es sich dabei wohl um einen nicht willentlich steuerbaren Reflex handelt.

Erlösung vom Feststeller gibt es für den genervten Kinogeher erst, wenn er die Worte "Der Film ist aus" bzw. "Ende" hört.

Nach dem Film gibt der Feststeller selten ein qualitatives Urteil ab, was zweifelsfrei daran liegt, dass solche Einschätzungen aufgrund ihrer Subjektivität nicht allgemein offensichtlich sind.

Während andere also darüber streiten, ob der Film gut oder schlecht war, brilliert der Feststeller mit Erkenntnissen wie "Der Film war ganz schön lang" oder "Da waren aber eine Menge Explosionen zu sehen."

Michael Haberlander

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