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12.07.2007
 
 
       
artechocks kleines Bestiarium der Kinogeher
Folge 15: Der Komiker
     
 
 
 
 

Über die Probleme eines abnormen Humorverständnisses wurde an dieser Stelle schon beim Immerlach gesprochen. Während der Immerlach einen passiv gestörten Humor hat, ist beim Komiker eine aktive Humoranomalie zu beobachten.

Einen Komiker im Kino zu bestimmen, ist meist nicht schwer. Bereits vor dem eigentlichen Film findet er zahlreiche Gelegenheiten, gegenüber seiner Begleitung lautstarke, vermeintlich komische Kommentare abzugeben. Als Standardsituation gilt etwa der sich schließende Vorhang nach dem Werbeblock, den der Komiker (beeindruckend konsequent) mit Worten wie "So, schön war's. Also gehen wir!", oder "Das war aber ein kurzer Film" kommentiert.

Zum Glück weitgehend eingestellt wurde der Versuch, vor der Vorstellung Eis direkt im Kinosaal zu verkaufen. Die typische Frage der Kinoangestellten "Will jemand Eis?", bot dem Komiker über Jahre hinweg die dankbare Möglichkeit, sein fragwürdiges Verständnis von Schlagfertigkeit unter Beweis zu stellen.

Auch im eigentlichen Film gehören Fragen, die nicht unmittelbar beantwortet werden, bei denen der Befragte nur kurz zögert oder nachdenkt, zu einer der Domänen des Komikers. Egal ob jemand auf der Leinwand wissen will "Wo bist du gewesen?", "Wer sind Sie?" oder "Was soll ich nur tun?", der Komiker findet umgehend eine Antwort, die sich durch drei Eigenschaften auszeichnet.
1. Sie ist in einem sehr weit gefassten Sinne als komisch zu betrachten.
2. Sie amüsiert in erster Linie den Komiker.
3. Sie kümmert sich nicht im Geringsten darum, ob es sich um einen komischen, ernsten, spannenden oder tragischen Film(moment) handelt.

Vor allem der letzte Punkt kann zu nachhaltigen Konflikten mit den anderen Kinobesuchern führen.
Da der Komiker bei seinen Äußerungen keinen Unterschied macht, ob es sich beim gezeigten Film um einen 70er Jahre-Western, einen spannenden Hightech-Thriller oder ein ergreifendes Holocaust-Drama handelt, kommt es immer wieder zu scharfen Rügen der anderen Kinobesuchern, die emotionell mit seinem Frohsinn überfordert sind.
Doch auch hier hilft dem Komiker sein Humor, wenn der etwa einen genervt ihm zugewandten Zuschauer souverän erwidert: "Hey, da vorne ist die Leinwand, nicht hier hinten!"

Unerschöpflich sind die Aspekte, die der Komiker in einem Film sonst noch (grundlos) lustig findet und worüber er sich (vorbehaltlos) lustig macht:
Das Aussehen, die Sprache oder das Verhalten der Schauspieler, ungewohnte kulturelle Eigenheiten ferner Länder, Nacktheit in jeder Form, religiöse Riten, menschliches Leid, Tiere, die Darstellung starker Emotionen, Unfälle und Katastrophen...
Zu allem fällt dem Komiker eine Anmerkung ein, mal ein knapper one-liner, mal nur ein einzelnes Wort, mal Stöhnen, Seufzen, demonstrative Lachen oder ein sonstiges aussagekräftiges Geräusch.

Schwierig ist es festzustellen, was der Komiker vom gezeigten Film hält. Möglicherweise bringt er durch seine Kommentare eine Unzufriedenheit mit dem Gezeigten zum Ausdruck. Möglicherweise nimmt er den Film als Kunstwerk gar nicht wahr, sondern betrachtet ihn als eine bunte Abfolge von Stichworten. Vielleicht sieht er darin aber auch ein ungeschliffenes Juwel, das durch seine Anmerkungen erst richtig glänzt.
So eine Einstellung bedarf naturgemäß einer gehörigen Portion Weltfremdheit, die dem Komiker (in seiner vermutlich solipsitischen Lebenseinstellung) mit großer Wahrscheinlichkeit zuzurechnen ist.

Falsch ist die Annahme, dass nur Personen mit einfacher Bildung und geringer gesellschaftlicher Anerkennung zu den Komikern gehören. Vielmehr finden sie sich in allen intellektuellen und sozialen Schichten und gerade mehr oder minder gebildete Exemplare können mit ihren fehlgeleiteten Bonmots zu den schlimmsten dieser Art zählen.

Unzweifelhaft dagegen ist, dass Komiker mit überwältigender Mehrheit Männer sind. Wer jemals einen weiblichen Komiker im Kino erlebt hat weiß, dass dieser Umstand als positiv zu bewerten ist.

Unter keinen Umständen sollte man der Versuchung erliegen, einen Kommentar des Komikers mit Lachen zu quittieren. Eine solche (wenn auch nur einmalige und unfreiwillige) Ermutigung wird man im weiteren Filmverlauf bitter bezahlen.
Wer jedoch regelmäßig das Bedürfnis verspürt, die Äußerungen von Komikern mit einem eigenen witzigen Kommentar zu kontern, weiterzuspinnen oder gar zu übertreffen, der sollte innehalten und vorstehenden Text gewissenhaft noch einmal lesen.

 

Michael Haberlander

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