War hier in Folge 3 bereits die Rede von der Empathischen, der es nicht gelingt, ihre emotionelle Beteiligung am Leinwandgeschehen für sich zu behalten, so soll es heute um ihr männliches Pendant, den Kommentator gehen.
Auch für den Kommentator scheint es unmöglich zu sein, seine Gedanken während eines Kinobesuches unausgesprochen zu lassen, weshalb er seine Meinung ohne Scham und Rücksicht offen äußert.
Entscheidend für seine genaue Bestimmung und für die Abgrenzung von anderen Arten sind dabei Auslöser und Inhalt dieser Aussagen.
Ausgelöst werden seine Kommentare dann, wenn etwas außerhalb seines üblichen kulturellen Erfahrungsschatzes liegt. Da dieser Erfahrungsschatz äußerst konventionell ist und seine Grenzen ungefähr bei einem durchschnittlichen Fernsehkrimi liegen, findet der Kommentator im Kino, das seit jeher zum Un- und Außergewöhnlichen neigt, endlosen Anlass für seine Bemerkungen. Es ist dabei egal, ob es um ungewöhnliches bzw. ungewohntes Aussehen, Verhalten, kulturelles Verständnis oder besondere filmische Umsetzung geht; vor dem Kommentator sind alle Abweichungen gleich und werden mit Worten wie "Das glauben die ja selber nicht.", "Wie schaut denn der/das aus?" oder gar "Ein solcher Schmarrn!" reflektiert.
Besonders schwer erträglich ist es deshalb, einen Kommentator während eines "exotischen" Films (z.B. einem asiatischen Kampfsport- oder Yakuza-Epos) im Publikum zu haben. Sonderbar gekleidet Menschen, mit sonderbarem Verhalten und sonderbaren Gebräuchen, die während ihrer Kämpfe minutenlang durch die Lüfte fliegen, bei ihren Feinden Wunden mit meterhohen Blutfontänen verursachen und unerwartet anfangen, in großen Gruppen zu tanzen und zu singen, stellen für den Kommentator den GAU dar.
Die vorherrschenden Tonarten für seine Kommentare sind dabei Unglauben, Ablehnung, Misstrauen mit einem Schuß despektierlicher Häme. Der Inbegriff dieser Haltung ist seine Frage: "Was ist das denn für ein Unsinn?!"
Manchmal reicht ihm auch ein gut vernehmbares Prusten, Grunzen, gespieltes Auflachen oder eine ähnlich gelagerte nonverbale Mitteilung, um seiner Bestimmung nachzukommen.
Unzweifelhaft scheint, dass der Kommentator sein Verhalten nicht steuern und deshalb seinen Mitteilungsdrang nicht unterdrücken kann.
Wie ist es sonst zu erklären, dass er für alle Anwesenden gut hörbare Kommentare abgibt, die ihn in 95 Prozent aller Fälle wie einen ungebildeten und/oder unerfahrenen und/oder kulturlosen Ignoranten erscheinen lassen?
Da sich seine Kommentare (meist zeitlich vollkommen unpassend) fast ausschließlich auf Äußerlichkeiten und Nebensächliches beziehen, ist darüber hinaus davon auszugehen, dass er dem eigentlichen Inhalt bzw. der Handlung des Films nicht oder kaum folgen kann oder will. Dies, zusammen mit seinem Mokieren über bestimmte filmische Effekte und Stilmittel, deutet darauf hin, dass der Kommentator nur selten ins Kino geht.
Insgesamt kann man wohl sagen, dass er seine Kinobesuche auch nicht besonders genießt. Außergewöhnlich hoch ist dementsprechend sein Anteil an der Gruppe der Menschen, die vorzeitig das Kino verlassen.
Als kleiner Trost bleibt dem genervten Kinofan die muntere Spekulation darüber, welch sonderbare und widrige Umstände dazu geführt haben, dass der Kommentator ausgerechnet in diesem amerikanischen Independent- oder jenem iranischen Problemfilm gelandet ist, wo es doch allenthalben unkomplizierte, konventionelle (Kino)Unterhaltung als Alternative gegeben hätte.
Michael Haberlander |