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15.03.2007
 
 
       
artechocks kleines Bestiarium der Kinogeher
Folge 13: Der Perfektionist
     
 
 
 
 

Der Perfektionist (auch Falscher Cineast genannt) gehört zu den Arten, die für eine besondere Form der Mimikry im Kino stehen.

Seine Bestimmung fällt meist nicht schwer. Bereits vor Filmbeginn ist der Perfektionist von einer steten Unruhe ergriffen. Misstrauisch verfolgt er jede Platznahme in seinem Umfeld, begutachtet umständlich auch die hinter ihm sitzenden Menschen und rügt unvorschriftsmäßig platzierte Kleidungsstücke auf den Stuhllehnen vor sich.

Anstatt sich beim Filmbeginn endlich zu beruhigen, nimmt seine Anspannung nun sogar noch zu.
Hier gilt es anzumerken, dass der Filmbeginn für den Perfektionisten nicht das Ende der Trailer der (oft zahlreichen) Produktionsfirmen oder gar das Ende des Vorspanns (egal wie wenig dort passiert) ist, sondern tatsächlich die erste Sekunde der ersten Filmrolle.

Ab diesem Moment toleriert der Perfektionist keinerlei Störung mehr. Ihn deshalb für einen Gestörten (vgl. Folge 1) zu halten, ist naheliegend aber falsch.
Die Unterscheidung zwischen den beiden Arten ist relativ leicht zu treffen, da der Gestörte für seine Entrüstung eine tatsächliche und erhebliche Störung benötigt, während sich der Perfektionist schon von der geringsten Normabweichung beeinträchtigt fühlt.
Und wo der Gestörte aus Ärger halblaut vor sich hin lamentiert, da scheut der Perfektionist nicht vor direkten, unmissverständlichen und nichtverhandelbaren Zurechtweisungen zurück.

Kinobesucher, die sich erdreisten, während der zweiten Sekunde des Vorspanns noch zu reden, müssen deshalb mit einem "Können Sie endlich (sic!) mal die Klappe halten!" rechnen. Ein im weiteren Verlauf des Films von ihm geäußertes "Ruhe!!" oder ein "Pschhhhhht!" von der Lautstärke eines geplatzten Pneumatikschlauches mag knapper sein, birgt aber das selbe Potential an kompromissloser Aggression.

Abgestraft wird auf diese Art ausnahmslos jede Form der Störung. Neben den verschiedenen Formen des Redens bzw. Flüsterns auch Zuspätkommen, Handyläuten ("Schalten Sie gefälligst Ihr scheiß Handy aus!"), Rascheln, unerlaubte Sitzpositionsänderungen, mehrmaliges Husten bzw. Naseputzen und, und, und.

Als Rechtfertigung für sein Handeln dient dem Perfektionist dabei sein Selbstbild als unerschütterlicher Kämpfer für die Filmkunst, woraus er folgenden Syllogismus zieht: Da Kunst alles darf, darf auch der, der für die Kunst kämpft, alles.
Nur so ist es zu erklären, dass er bei seinen Zurechtweisungen alle Normen des allgemein üblichen Zusammenlebens erwachsener Menschen ignorieren kann und wildfremde Kinobesucher in oben beschriebener Form nötigt.

Viele Leute lassen sich davon beeindrucken und beugen sich dem Willen dieses scheinbar so leidenschaftlichen und bedingungslosen Cineasten. Tatsächlich aber ist der Perfektionist kein Cineast, im besten Fall ist er als Mutation eines solchen zu betrachten.

Cineasten lieben Filme, die sie natürlich bevorzugt in Ruhe und ohne Störung betrachten. Dass im Kinoalltag Störungen nahezu unumgänglich sind, ist für sie aber dahingehend nicht so schlimm, da sie (sofern es die äußeren Umständen nur halbwegs zulassen) ohnehin vollkommen in die Betrachtung des Filmes s.h. in den Film versinken.

Der Perfektionist dagegen ist besessen von der Idee, dass er einen Film nur dann genießen und erleben kann, wenn er ihn von der ersten bis zur letzten Sekunde ohne jegliche Störung sieht. Zu seinem Verhängnis ist eine solche "perfekte Vorstellung" eine Utopie.
Denn neben den schier unendlichen Störungen, die die anderen Kinogeher verursachen können, gibt es noch ungezählte Beeinträchtigungen, die ihn selbst in einem leeren Kinosaal ereilen können; schlechte Projektion und/oder mangelhafter Ton, externe Störgeräusche, unfähige Filmvorführer, abgenutzte Filmkopien, etc.

Der Perfektionist ist mit einem HiFi-/High-End-Fan zu vergleichen, der bei seiner endlosen Suche nach dem perfekten Sound vollkommen die Musik aus dem Auge verliert, während für den Cineast (vergleichbar mit dem echten Musikliebhaber) die äußeren, technischen Nachteile des Mediums nur im Extremfall die Schönheit seiner Inhalte verdecken können.

Michael Haberlander

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