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Pyramiden am Strand und Ron Howards "Der Da Vinci Code"
Fett und riesengroß liegt eine schwarze Pyramide im
Hafen von Cannes, seit Tagen wie man hört. Sie ist das
erste, was man sieht bei der Ankunft, direkt neben dem Festivalpalais,
wo auch der Bus hält, der einen vom Flughafen hierherbringt.
Unübersehbar soll das Ding auf THE DA VINCI CODE aufmerksam
machen, Ron Howards Verfilmung von Dan Browns Bestseller,
der bei uns "Sakrileg" heißt, und mit dem
am Mittwoch die 59. Internationalen Filmfestspiele eröffneten.
Nicht etwa die "Mona Lisa" oder das "Abendmahl"
von Leonardo soll alle Blicke auf sich ziehen und werben,
sondern das kulturell noch weitaus kompatiblere altägyptische
Symbol und Gebäude, das im Film/Buch der Schlüssel
ist, der die letzten Geheimnisse offenbart.
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Dieser Eröffnungsfilm ist gleichermaßen eine auch
für Cannes marketingstrategisch logische Wahl wie ein
Sakrileg an jener Filmkunst für die das südfranzösische
Traditionsfestival nach wie vor steht, wie kein anderes. Doch
vielleicht ist der okkulte Thriller, dessen Helden zwei Symbolforscher
sind, die einer katholischen Verschwörung auf die Spur
kommen, von bösen Häschern des Geheimordens Opus
Dei gejagt werden, und am Ende nichts Geringeres finden, als
den Heiligen Gral, eine doch ganz treffende Metapher um gerade
dieses Filmfestival zu beschreiben. Denn auch die Festivalbesucher,
tausende Einkäufer, Filmhändler, Produzenten und
Kritiker aus aller Welt, suchen hier etwas, das sie gar nicht
so genau kennen, das, gerade wenn sie es gefunden haben, sein
Geheimnis nicht wirklich preisgeben kann: Einen Film, der
das Kino neu erfindet, der sein Publikum verzaubert und in
andere Welten führt, ihm Geheimnisse offenbart, und diesem
Publikum doch vor allem etwas über sich selbst erzählt.
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"Qui va gagner le festival?" - "Wer gewinnt
das Festival?" Das ist immerhin mal eine gute Frage.
gestellt hat sie das Mädchen am Schalter, an dem an seine
Akkreditierung holt. In zwei Minuten, so schnell, reibungslos
und bürokratisch, wie bei keinem Festival der Welt. Die
Deutschen, die gern über "die bürokratischen
Franzosen" schimpfen, sollten mal nach Spanien gehen.
Oder zur Berlinale. Selbstverständlich gibt es in Cannes
auch keine "Akkreditierungsgebühren", jenen
Obulus, den man als Journalist bei jedem Provinzfestival entrichten
muss, um seine Arbeit zu tun. Cannes ist der einzige Ort,
der die Arbeit von Filmkritikern zu würdigen weiß,
der diese nicht als Bittsteller oder Schnorrer indirekt abkanzelt
- und damit repräsentativ für die gesamte französische
Filmkultur, die ganz allgemein darauf basiert, dass es hier
mehr Neugier gibt, mehr Interesse am Neuen und den Entwicklungsmöglichkeiten
des Kinos, mehr Erziehung auch. Diese Filmkultur prägt
natürlich auch das Festival. Und an keinem anderen Ort
haben mich normale Mitarbeiter zur Begrüßung je
nach meiner Einschätzung gefragt.
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Aber wer wird nun gewinnen? Für einen Augenblick bin
ich durch die Frage völlig entwaffnet. Spontan tippe
ich auf den türkischen Filmemacher Nuri Bilge Ceylan,
der mit UZAK vor drei Jahren den wichtigen Spezialpreis der
Jury bekam. Dann schiebe ich noch ein: "Oder vielleicht
Bruno Dumont." hinterher. Der hatte hier mit LA VIE DE
JESUS und L'HUMANITE immerhin schon Erfolg gehabt.
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"Nein, nicht der" meint Kollge Josef Schnelle,
dem ich das alles erzähle. "Man muss von der Papierform
her natürlich auf Sofia Coppola tippen." Schließlich
hat die mit MARIE ANTOINETTE auch ein französisches Thema.
Und in der Jury sitzt Wong Kar-wai, der bestimmt auf bildkräftiges
Kino setzt, nicht auf protestantisch-karge Meditationen. Oder
doch gerade das? Derlei Überlegungen bestimmen immer
den Anfang eines Festivals, an Tagen wie diesen, bevor es
losgeht.
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Auch von Richard Linklaters FAST FOOD NATION und SOUTHLAND
TALES, dem neuen Film von DONNIE DARKO-Regisseur Richard Kelly
hört man Gutes im Vorfeld. Und Aki Kaurismäki, Ken
Loach, Pedro Almodóvar und Nanni Moretti gehören
in jedem Festival zu den Favoriten. Ein Geheimtip kommt aus
Spanien: Guillermo Del Toro mit PAN'S LABYRINTH. Und wie immer
gibt es viel Französisches: Tony Gatlif, Lucas Belvaux,
Bruno Dumont, Nicole Garcia, Xavier Giannoli und Rachid Bouchareb.
Wer jetzt "Chauvinismus" brüllen will, der
darf Luft holen und sich an die über 50 deutschen Filme
erinnern, die auf der Berlinale liefen.
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Was auffällt: seit langem ist kein Iraner im Wettbewerb
vertreten. Und nur ein Asiate: SUMMER PALACE vom viel versprechenden
chinesischen Independentstar Lou Ye. Der Rest läuft außer
Konkurrenz. Fast schon eine Brüskierung für die
wichtigste Region des Weltkinos, die hier zuletzt so erfolgreich
lief.
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"Un Certain Regard" eröffnete mit dem Episodenfilm
"Paris, je t'aime": Darin läuft TRUE, Tom Tykwer
brillanter Kurzfilm, der besser ist, als manches lange Werk.
Natalie Portman muss/darf in gerade mal gut zehn Minuten nichts
weniger, als das ganze Auf und Ab der Liebe darstellen. Ein
geniales Spiel aus Gefühl und Zufall, Wahrheit und Lüge.
Denn ihr Freund ist blind, und schon als er sie das erste
Mal trifft, täuscht er sich, denn was er für einen
Liebesstreit hält, ist nur die Probe für einen Auftritt:
Portman spielt eine junge Schauspielerin, also auch sich selbst.
"Natalie Portman finde ich schon lange toll", begründete
Tykwer, warum seine Wahl auf sie fiel: "Man fragt sich
immer, woher weiß die das alles schon, was sie da spielt.
Und wieso hat die überhaupt ein Bewusstsein von bestimmten
Blicken und dem, was sie bedeuten können, obwohl sie
noch so jung ist und diese Erfahrung eigentlich noch gar nicht
gesammelt haben kann. Aber sie ist eben eine von diesen wundersamen
Erscheinungen, die man bei Schauspielern manchmal erlebt."
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"Beim ersten Mal versteht man gar nichts, und beim zweiten
Lesen fragt man sich: 'Warum bin ich da nicht gleich drauf
gekommen?'" - so hat Hollywoodstar Tom Hanks, der hier
die Hauptrolle des Symbolforschers Robert Langdon spielt,
gestern von seiner Lektüreerfahrung mit Dan Brown berichtet,
und damit die Wirkung des Buches ganz gut auf den Punkt gebracht.
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"Ich hab mehrfach versucht, dieses Buch zu lesen",
berichtet Josef Schnelle vor der Vorführung des Eröffnungsfilms,
"erst auf Deutsch, dann auf Englisch, aber selbst auf'm
Klo hat's nicht geklappt, wo ich wirklich jeden Scheiß
lese
das ist was für literarische Analphabeten.
Für Vollidioten.
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Und tatsächlich: Eine triviale Handlung, ungefähr
auf dem Niveau von Enid Blytons "Fünf Freunde"
oder den "Drei Fragezeichen". Eine Jahrtausendstory
- Jesus - trifft auf die andere - Der Heilige Gral -, vermischt
sich mit dem aktuell modischen Interesse am alten Ägypten
und immer modischer Paranoia, wie den beliebten Apokryphen:
Jesus war eigentlich ein moderner Hedonist, verheiratet mit
- da schau her! - Maria Magdalena, mit der er auch Kinder
zeugte - so so -, und die Kirche, die katholische zumal, ist
- genau, genau! - böse. Der Heilige Gral, das ist die
letzte Nachfahrin Christi, die wie ein fleischgewordener Kelch,
dessen Blut in die Gegenwart transportiert. Und die Weltgeschichte
ist nicht zuletzt ein Kampf zwischen diesen bösen Priestern
- Päpste, Opus Die und so - und guten aufgeklärten
Rittern eines Geheimordens, dem unter andere, Isaac Newton,
Descartes und Leonardo Da Vinci angehörten, und die der
unterdrückten weiblichen Seite des Christentums wieder
zu ihrem Recht verhelfen wollen.
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So weit, so krude. Wer nur einmal Monthy Pythons DIE RITTER
DER KOKUSNUSS gesehen hat, kann derlei nicht mehr wirklich
ernst nehmen, und wünscht sich zugleich, die britischen
Komiker hätten THE DA VINCI CODE gekannt, um mit diesen
Motiven ihre Späße zu machen. Andererseits hat
immerhin Steven Spielberg in seinen vier INDIANA JONES-Filmen
gezeigt, wie man Geschichte und Mythologie als Steinbruch
benutzen, mit Pseudowissenschaft, Paranoia und populären
Stars vermischen und daraus nach dem Muster einer Kindergeburtstagsschatzsuche
großartige Kinounterhaltung zaubern kann.
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In diesem Sinn ist THE DA VINCI CODE eigentlich genau der
Stoff, den globales Blockbusterkino heute braucht. Ron Howards
Verfilmung demonstriert aber auch perfekt, warum diese Form
des Kinos derzeit nicht richtig funktioniert, warum Hollywood
in den letzten Jahren einen Megaflop an den nächsten
reiht: Denn die Macher haben derzeit schlicht gesagt zuviel
Angst. Ökonomischer Druck und konservativer Zeitgeist
gehen ein fatales Bündnis ein, der Wunsch, es allen recht
zu machen und Angst vor der eigenen Courage lähmen die
Fantasie. Keine visuellen Exzesse, keine ironischen Witze
a la Spielberg, keine exzentrischen Kameraeinstellungen, keinen
Spott auf religiöse Überzeugungen. Aufregende Bilder
liefern allenfalls kurze Illustrationen der minutenlangen
Monologe, in denen die Figuren über Feinheiten der Überlieferung
oder der Ikonographie der Renaissancemalerei dozieren, oder
das aus TV-Dokumentationen gewohnte "Reenactment",
die Nachstellung historischer Ereignisse oder Bilder in Kamerarhetorik
auf Volksschulniveau. So wirkt Überhaupt THE DA VINCI
CODE wie eine überlange "Terra X"-Folge.
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Man erkennt sie sofort: Die großen dunklen Rehaugen,
das artig geschnittene Haar, die Kleider mit den Blümchen
drauf, 160 Zentimeter klein und zerbrechlich: Audrey Tautou,
die im DA VINCI CODE die Kryptologin Sophie spielt. Die inzwischen
27-jährigeTautou versucht immer noch, ein Leben nach
AMÉLIE zu führen. Eigentlich, das hat sie nach
AMÉLIE ziemlich deutlich gesagt, mag sie auch keine
US-Blockbuster, "Action, aber europäisch!"
meinte sie damals, und darum verwundert es ein wenig, dass
sie jetzt, nachdem sie andere entsprechende Angebote über
Jahre abgelehnt hat, nun in genau so einem Blockbuster zu
sehen ist. Zu lange sollte man sich über diesen Meinungswandel
aber nicht wundern, Tautou steht weitaus fester auf dem Boden
der Tatsachen, als man glauben mag, wenn man sie mit ihrem
AMÉLIE-Auftritt verwechselt. Mit THE DA VINCI CODE
wird es Tautou jetzt endgültig geschafft haben, ein internationaler
Star zu werden, wenn auch womöglich der unbekannteste
von allen. Sie wird jetzt wieder viele Angebote aus Amerika
ablehnen und mit etwas Glück in ein paar europäischen
Filmen auftauchen. Oder sollte Hollywood ihr doch beim nächsten
Mal etwas geeignetere Rollen anbieten? Vielleicht ein Remake
von FRÜHSTÜCK BEI TIFFANY'S? Nach Audrey Hepburn
wurde sie immerhin benannt.
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Vor fünf Jahren übrigens lehnte man Tautou's "Amélie"-Auftritt
beim Filmfestival von Cannes ab. Jetzt kommt sie hier endlich
an, als Französin in einem US-Blockbuster, der so blockbustig
ist, wie er nur sein kann. Sozusagen als Jeanne D'Arc des
amerikanischen Kulturimperialismus. Auch ein Triumph.
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Der deutsche Film ist nach zwei Jahren im Wettbewerb diesmal
nur in Nebenreihen präsent - was auch daran liegt, dass
die Berlinale mit über 50 Filmen in diesem Jahr kaum
etwas für Cannes übrig ließ. Allerdings wurden
mit Stefan Krohmers im Geist von Rohmer verfilmter Feriengeschichte
SOMMER 04 AN DER SCHLEI mit Martina Gedeck in der Hauptrolle
und Matthias Luthardts beklemmendem bürgerlichen Kammerspiel
PING PONG zwei Filme geladen, die für das junge neue
deutsche Kino stehen: Sommerlich und trotzdem gedankenvoll
sind sie eine gute Wahl fürs Mekka des Kinos, das Cannes
auch in diesem Jahr natürlich wieder ist.
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Ein paar schöne Dialog-Sätze fallen im DA VINCI
CODE übrigens schon: "You used me." - "God
uses us all." etwa, eine Antwort, mit der sich in Zukunft
jeder Beziehungsdisput wunderbar beenden lässt. Mein
Lieblingssatz lautet: "Grail-quest requires sacrifice".
Und da wir hier alle auch Jäger des verlorenen Kino-Grals
sind, werden wir in den nächsten Tagen bestimmt noch
einige Opfer bringen.
Rüdiger Suchsland
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