Auch in Cannes sind die Amis paranoid
"You wanna fuck, or watch a movie?" - "Lets
watch a fucking movie." Eine repräsentative Dialogzeile
aus SOUTHLAND TALES am Sonntagmorgen im Wettbewerb - recht
treffend für die Stimmung des Augenblicks in einen Wettbewerb,
der seine Konturen noch nicht gefunden hat, während man
die interessanteren Filme bisher in den Nebenreihen fand.
Immerhin führte SOUTHLAND TALES dazu, dass man Sarah
Michelle Gellar in einer Hauptrolle sehen konnte. Aber Sarah
Michelle Gellar in Cannes - sagt das jetzt eigentlich mehr
über Sarah Michelle Gellar aus, oder mehr über Cannes?
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SOUTHLAND TALES ist der neue, zweite Film von Richard Kelly,
der durch seinen Erstling DONNIE DARKO berühmt wurde.
Weil der auch unter Filmkritikern Kult ist, war SOUTHLAND
TALES einer der am innigsten erwartetsten Filme des Wettbewerbs.
Und weil man nichts so hasst, wie eine Liebe von der man enttäuscht
wurde, läßt sich jetzt schon mit Sicherheit sagen,
dass der Film als der wohl größte Reinfall dieses
Jahres im Gedächtnis bleiben wird.
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Das postapokalyptische Szenario von SOUTHLAND TALES spielt
im Jahr 2008, und wurde mit drei von Kelly verfassten Comicbüchern
- deswegen beginnt der Film auch ein bisschen arg a la STAR
WARS mit Kapitel IV - und einer höchst aufwendigen Website
ehrgeizig vorbereitet. Die Welt hat einen Atomschlag hinter
sich - "after the nuclear attacks of Texas, things became
real complicated." - und ausgerechnet deutsche Technology
und deutscher Adel retten wieder mal die Welt. Eine Wissenschaftler-Familie
mit dem schönen Namen von Westphalen erfindet ein "fluid
karma". Klingt gut. Außerdem gibt es in den USA
Präsidentschaftswahlen, und eine positive marxistische
Verschwörung an der eine Pornoqueen mit TV-Show (Gellar)
beteiligt ist. Die bad guys sind die Republicans. Auch eher
eine abgegriffene Erkenntnis. Regisseur Kelly behauptet, der
Film sei ein merkwürdiger Hybrid zwischen den Sensibilitäten
von Andy Warhol und Philip K. Dick.
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"Warning: you are entering a domain of chaos."
lautet die Werbezeile des Films, und damit ist das Wesentliche
gesagt. Denn der knapp dreistündige Film ist vor allem
eine große Zumutung, die versucht cool und smart zu
sein. Und seine Wirkung ist etwa wie der Besuch von MATRIX
REVOLUTIONS, wenn man die Vorgängerfilme nicht gesehen
hat. Dauend werden neue Figuren eingeführt, die in post-punkigen
80er-Jahre Lederklamotten vor irgendwelchen Bildschirmen oder
Kommunikationsgeräten sitzen und draufglotzen, oder irgendwelche
meist belanglosen Botschaften in - auch für den Filmbesucher
- schlecht gepixelten Digitalbildern empfangen. Auch nach
einer halben Stunde hat man noch immer nicht wirklich verstanden,
um was es jetzt eigentlich gehen soll, so dass das Ganze,
wenn überhaupt, an Lynchs DUNE, oder einen SF-Film der
80er Jahre erinnert.
Schon nach einer halben Stunde ist fast alles verloren, man
selber will gehen, und fragt sich, ob man dem Beispiel der
ersten folgen soll, die genau das tun. Und nach eineinhalb
Stunden denkt man nur noch: Was für ein Riesenscheiß,
und bleibt, weil es jetzt zum Rausgehen auch zu spät
ist.
Natürlich gibt es schöne Dialogzeilen, etwa die
über die "Mayflower": "a bunch of nerds
on a boat in the 16th century". Oder Sarah Michelle Gellars:
"Scientists say, the future is going to become far more
futuristic, than predicted."
Am besten ist noch der Rand des Films, die untergründige
USA-Kritik, die Kleinigkeiten eines Portraits der USA im Jahr
2008 - die Selbstverständlichkeit des Alptraums: 40 US-Soldaten
wurden gerade in Syrien getötet, die Polizei schießt
und tötet, ohne zu fragen. Interessant ist der Film allenfalls
als ein Dokument des Wahnsinns, der in den USA derzeit dominiert
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Man kann SOUTHLAND TALES allerdings auch interpretieren als
die linksliberale Westcoast-Version der Paranoia, die man
in anderen Filmen findet, als eine elaboriertere Variante
von THE DA VINCI CODE. Beiden gemeinsam ist die extreme Humorlosigkeit
des Films, eine bierernste Seriosität, die dem albernen
Plot in beiden Fällen völlig unangemessen ist. Unter
den Oberflächen des Langweiligen, der Ödnis, die
diese Filme dominiert, ist vor allem Furcht zu spüren.
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Und auch hier gilt: Hollywood hat derzeit massive, ernsthafte
Schwierigkeiten, funktionierende Blockbuster zu produzieren.
Stattdessen entsteht jener neue Typus von Blockbuster, mit
dem die großen US-Studios noch einmal Kasse machen wollen,
und der - wie das Beispiel "Mission Impossible"
ebenso zeigt, wie "X-Men 3", der jetzt bald ins
Kino kommt -, selbst eingesessene Kino-Genres infiziert: Des
Genre-Hybriden. Wie eben jetzt Forrest Gumps und Amélies
Jagd nach dem Heiligen Gral - es könnte gut erfunden
sein, der Titel eine bissige Satire auf den Hollywood-Wahn
nach Patchwork-Stoffen, mit denen alle Segmente eines immer
weiter sich ausdifferenzierenden globalen Publikum noch einmal
zusammengefügt werden können. Aber es ist so einigermaßen
die Wahrheit.
Diese Probleme sind systemabhängig, aber müssen
auch aus der Kollektivpsyche eines Publikums erklärt
werden, das nervöser und hysterischer, sprunghafter ist,
als früher, und das offenbar die stärkeren Reize
sucht, an deren Produktion eine Mainstreamindustrie an ihre
Grenzen stößt.
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Besser vermag so etwas natürlich William Friedkin, wie
er bereits zu Hochzeiten des Vietnamkriegs bewiesen hat. FRENCH
CONNECTION und THE EXORCIST waren ja vor allem Reisen ins
kollektive Unbewusste Amerikas, das zur Hochzeit von Vietnamkrieg
und Watergate nach Friedkins subtilen Dekonstruktionen des
Polizeiapparats und der all american family lechzte. Friedkins
neuer Film, BUG, der erstaunlicherweise in der Arthouse-Sektion
"Quinzaine" läuft, passt genau in die Landschaft,
und lotet das aus, dem SOUTHLAND TALES und DA VINCI CODE auf
unterschiedliche Weise ausweichen: es beginnt mit einem Hubschraubergeräusch
und dem Blick auf einen Ventilator
Erinnerungen an Anfang
von APOCALYPSE NOW werden wach. Aus dem Off Telefonklingeln,
"Hello? Hello? Bastard." Ashley Judd spielt die
Hauptrolle. Keine kann so kaputt und white-trashig aussehen,
wie Judd und dabei doch attraktiv bleiben. Sie spielt Agnes,
eine Frau, die Gewohnheitstrinkerin ist, in einer Bar arbeitet
und in einem Motel wohnt. Ihr Mann sitzt im Knast, weil er
sie fast totschlug. Ihr Kind verschwand vor neun Jahren spurlos
im Supermarkt. Alle Voraussetzungen für eine satte Paranoia
sind also vorhanden, und als sie auf Peter trifft, und mit
ihm ein Verhältnis beginnt, ist es soweit.
Der ist überzeugt, Opfer eines Experiments des Geheimdienstes
zu sein, und eine "Wanze" in sich zu tragen. Die
Dinge eskalieren schnell. BUG bietet Innenansichten der Paranoia:
Ununterbrochenes Blablabla: "Its the way things are
,
the rich get richer, the poor poorer.
Ich wurde verwanzt.
Man macht Experimente mit mir.
Wir werden nie mehr
sicher sein.
chips implanted on every new born baby
since 1982
." Irgendwann zieht Peter sich selbst
auch mit einer Klempnerzange die Zähne, schneidet sich
vermeintliche Bugs aus dem Leib. Die Wohnung verlassen beide
nicht, legen sie mit Silberpapier aus. Und am Ende, als Agnes
sicher ist: "I am the super mother bug." - was man
Ashley Judd wirklich so sehr gerne sagen hört - tun beide,
was paranoide Menschen irgendwann tun, und zünden a la
Waco das Haus über ihrem Kopf an.
Gleich weil er schwer erträglich ist, ist Friedkins
Film auch ein treffender Kommentar zum ganzen Komplex der
Conspiracy Theory und Paranoia, zur Signatur der US-Gegenwartsgesellschaft.
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Um ein Haar hätte unsere Münchner Kollegin Margret
Köhler schon zu Beginn des Festivals den 79jährigen
Sidney Poitier über den Haufen gerempelt - ausgerechnet
während einer gemeinsamen Unterhaltung. Aber immer noch
geistesgegenwärtig wich Poitier gerade noch aus, während
die Kollegin weiter davon erzählte, wie sie früher
in Juan les Pins barfuss im Sand getanzt hat.
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Womit wir endlich beim ewigen Lieblingsthema gelandet sind:
die Deutschen in Cannes. Aber darauf kommen wir morgen, jetzt
geht es erst mal ins Kino.
Rüdiger Suchsland
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