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Cannes 2006 27.05.2006
 
 
Tagebuchnotizen, 7. Folge
Wer irrt schon gerne unter Palmen?

EL LABERINTO DEL FAUNO
von Guillermo del Toro

 
 
 
 

Ein "Lifetime Achivement Award" für Almodóvar? Vor der "Election" in Cannes wird das Publikum jedenfalls wieder einmal auf die Folter gespannt

Ohne klaren Favoriten auf den Wettbewerbssieg geht Cannes 2006 in seinen letzten Tag. Wer wird am Sonntagabend die Goldene Palme in Händen halten, wer wird daneben von der Jury unter Präsident Wong Kar-wai beim wichtigsten Filmfestival der Welt ausgezeichnet werden? Ungewissheit dominierte auch den Samstag vor der Preisverleihung. Sie wurde dadurch nicht kleiner, dass der Wettbewerb mit seinem allerletzten Beitrag, EL LABERINTO DEL FAUNO vom Mexikaner Guillermo del Toro, noch ein sehr spätes Highlight erlebte, einen Film, der sich urplötzlich recht weit nach vorn unter die Favoriten einer Konkurrenz schob, die nach mäßigem Beginn im zweiten Drittel seinen Siedepunkt erreichte, der der ganz große Glanz, das entscheidende filmische Erweckungserlebnis aber bis zum Ende fehlte.

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Entscheidend wird sein, ob sich die Jury eher für jene Filme entscheidet, die wie Sofia Coppolas MARIE ANTOINETTE das Publikum zwischen Jubel und Buh-Rufen spalteten, oder für jene, die allen irgendwie gefallen, aber kaum echte Leidenschaften entzündeten, wie Pedro Almodóvars VOLVER, der derzeitige, knappe Favorit der internationalen Kritiker vor Coppola - dem Favorit der Franzosen - und dem Emotionsdrama BABEL, in dem Alejandro González Inárritu im Stil seines AMORRES PERROS drei Handlungsstränge virtuos zusammenprallen lässt.
Außenseiterchancen, zumindest auf einige der Silbernen Palmen haben wohl auch Bruno Dumonts grandioser FLANDRES und Nani Morettis Polit-Satire IL CAIMANO. Auch Nuri Bilge Ceylans CLIMATES sollte man nicht abschreiben. Auch wenn der einer französischen Zeitung die Vorlage für die beste Überschrift gab: "Ceylan, c'est long, c'est lent".

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Und sollte es unter anderem auch um ein (film-)politisches Statement gehen, dürfte man wohl Lu Ye's SUMMER PALACE nicht völlig übersehen, und das nicht nur, weil der Regisseur von Peking jetzt mit einem fünfjährigen Arbeitsverbot belegt wurde. Die Chinesen zeigten sich auch in anderer Hinsicht not amused, und zogen einen Teil des offiziellen Pressekorps aus Cannes ab. Den übrigen wurde ganz offiziell die Berichterstattung vom Wettbewerb untersagt.

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So offen wie diesmal hab ich das Rennen jedenfalls in den vier Jahren, die ich herkomme, noch nie erlebt. Um so mehr blühen die Spekulationen: Wong Kar-wai, so wird aus der Jury - "ich kenne da jemanden, der weiß das genau" - berichtet, favorisiere Almodóvars VOLVER. Doch es gebe erheblichen Widerstand…
Hubert Niogret, Kollege von der hervorragenden Filmzeitschrift (und "Cahiers…"-Alternative) "Positif" hat etwas anderes gehört: "Wong soll sich sehr für Pedro Costas JUVENTUD A LA MANCHA stark machen." Wir erbleichen, weil wir da ja - vgl. gestern - nach einer guten halben Stunde aus dem, Kino raus gegangen sind. "Aber das kann bei ihm auch reine Taktik sein." fügt Hubert hinzu. Er selbst ist auch etwas ratlos: "FLANDRES hab ich noch nicht gesehen, den hole ich Sonntag nach." Ihm gefällt, wie mir auch Guillermo del Toros EL LABERINTO DEL FAUNO überraschend gut. "Ich kannte seine früheren Filme gar nicht. Aber der war richtig schön."

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"Es war einmal unter der Erde, da träumte eine Prinzessin von einer menschlichen Welt…" Ophelia liest gern Märchen, und wenn sie gerade kein Buch zur Hand hat, dann denkt sie sich welche aus. Manchmal sind es richtig schreckliche Gespenstergeschichten; was daran liegen mag, dass die Verhältnisse in denen sie lebt, auch nicht wirklich schön sind. 1944 tobt in der Welt der Krieg, und auch in Spanien liegt das Ende des Bürgerkriegs erst fünf Jahre zurück. Die faschistischen Falangisten Milizen des General Franco haben gesiegt, doch in den dunklen Wäldern, hinter den sieben Bergen, da regieren die Milizen der lokalen Partisanen, die sich im Terrain viel besser aus kennen. Ophelia selbst - und hier gilt nomen est omen - hat ihren Vater verloren und die Mutter hat wieder geheiratet. Der böse Stiefvater, den das Mädchen konsequent "Capitan" nennt, Hauptmann, ist ein Faschist, wie er nicht nur im Märchenbuche steht, und weil Ophelias Mutter schwanger ist, und Capitan Vidal meint, ein Sohn - selbstverständlich wird es ein Sohn - müsse bei seinem Vater geboren werden, müssen Mutter und Tochter durch den Wald zu jenem Außenposten fahren, wo diese Dienst tut. Immerhin fahren sie in einem Rolls Royce. Als sie einmal unterwegs anhalten, findet Ophelia einen geheimnisvollen Stein, der genau in eine Statue passt, die am Wegesrand steht. Da krabbelt eine Gottesanbeterin heraus - das muss eine gute Fee sein, spürt Ophelia ganz klar, und nun beginnt die Reise in eine Traumwelt.

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In sehr eigenen, ausgesucht poetischen und originellen, ungesehenen Bildern erzählt del Toro eine Geschichte des Horrors im Spanien im ersten Jahrzehnt nach dem Bürgerkrieg. Von Anfang an funktioniert das Nebeneinander von "Realität" und Märchenwelt. EL LABERINTO DEL FAUNO ist Fantasy, aber sie handelt immer von unserer eigenen Welt, ihren Schrecken und ihren Hoffnungen.
Nach ihrer Ankunft wird Ophelia von der Fee zu einem Labyrinth im Wald geführt, dessen Zentrum eine Treppe in die Tiefe birgt. Dort begegnet sie einem undurchsichtigen Faun, der ihr das Geheimnis ihrer Herkunft eröffnet: Eigentlich ist sie eine Prinzessin. Sie muss drei Aufgaben vor Vollmond lösen, um ins Fabelreich ihrer Herkunft heimkehren zu können. Sie besiegt sie einen Riesenfrosch, kämpft gegen einen blindes, kindermordendes Ungeheuer in den Etagen des Hauses, und versucht das Geheimnis des Fauns und seines Labyrinths zu entschlüsseln - in seinen Bildern wie der Durchführung gleichermaßen sehr freudianisch wie poetisch. Währenddessen nimmt der Terror in ihrer Umgebung immer mehr zu: Im Kampf gegen die Partisanen schreckt Capitan Vidal vor keiner Grausamkeit zurück: Er foltert und tötet Unschuldige, er tyrannisiert aber auch das Hauspersonal, die Mutter Ophelias und Ophelia selbst.

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In dem von Sergi López glänzend verkörperten Franquisten Vidal gelingt del Toro ein brillantes Portrait des Faschismus - in seiner Todesbesessenheit, wie in der Zwanghaftigkeit dieses ordnungsfetischistischen Charakters, der ein "Espana limpia" (sauberes Spanien) propagiert, und in seiner Freizeit Uhren repariert.
Überaus gelungen ist aber auch die Verbindung der märchenhaften mit den realistischen Elementen. Del Toro bietet satte, barocke, überaus sinnliche Bilder: Es tropft und kleckert, Dreck, Regenwasser, Schleim, Urin, und vor allem Blut, viel Blut fließen, man meint die Feuchtigkeit und Kälte zu spüren, das Moos des Waldes zu riechen. EL LABERINTO DEL FAUNO ist eine zwingende phantasmagorische Genremelange mit Bezügen zur Malerei von Goya, zum heidnisch-antiken, wie zum christlichen Kosmos, moderne Mythologie, katholisches "Alice im Horrorland" - ein toller Film, der zugleich mit seiner Geschichte auch eine kleine Theorie des Horrorfilms mitformuliert, in der es nicht um "Bewältigung" geht, sondern der Regisseur die Liebe zum Horror als Fluchtphantasie plausibel werden lässt, als Geborgenheit spendende bessere Gegenwelt gegenüber dem Horror der Wirklichkeit. Und als Tagtraum in den Sekunden des Todes. Denn am Ende dieses Horrortrips, bei dem ihre Mutter und Vidal auf der Strecke bleiben, wird auch Ophelia sterben und damit tatsächlich ihren Vater wieder finden.

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Ein Lieblingsthema, nicht nur des Wettbewerbs, war auch in diesem Film wieder Folter. Ob es an Guantanamo und Abu Ghraib liegt, an den neu aufgeflammten Debatten über vermeintlich gerechtfertigte Folter auch in Westeuropa - jedenfalls wurde in den Filmen gefoltert wie lange nicht. Oft, aber nicht immer dienten dabei historische Fallbeispiele zur Rechtfertigung für Szenen in denen detailliert ausgemalt wurde, was für Torturen Menschen Menschen antun können - man glaubt fast das geschehe womöglich mit einer gewissen klammheimlichen Freude der Filmemacher, die offenbar der Ansicht sind, ihr Publikum habe diese Art der Darstellung nötig.

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Zum Beispiel CRÓNICA DE UNA FUGA vom Argentinier Israel Adrían Caetano. Caetano erzählt die wahre Geschichte von mehreren Männern, die 1977 von der argentinischen Militärjunta in einem Haus inhaftiert und über Monate gefoltert wurden, bevor ihnen gemeinsam die Flucht gelingt. Ein nüchtern und reduziert erzählter Film, der die Opfer begleitet, und akribisch ihr Leid konstatiert. Dabei ist er so gemacht, dass er die Identifikation leichter macht, als zum Beispiel der Film JUNTA, der vor einigen Jahren ins Kino kam. Andererseits fehlt es Caetano völlig am Stilwillen und jener visuellen Konsequenz, die etwas Robert Bressons entfernt ähnlichen UN CONDAMNÉ À MORT S'EST ÉCHAPPÉ auszeichnet.

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Noch einmal zur gestern aufgeworfenen Frage, ob es legitim ist, oder nur von Banausenhaftigkeit zeugt, aus einem Film weit vor Ende herauszugehen. Als wir Rainer Flasskamp, Chef des Kölner Flax-Film-Verleihs, davon erzählten, meint der "Wir sind hier wie Trüffelschweine, wir suchen nur das wirklich Besondere", und verweist auf die "verlorene Lebenszeit, um die es geht." Er habe die ersten 200 Filme seines Lebens konsequent durchgesessen, dann nicht mehr. "Das eine Prozent der Fälle, wo sich ein Film nach einer halben Stunde noch völlig ändert, kann man nachholen." Hoffen wir's. Flasskamp ist allerdings, wie gesagt kein Kritiker.

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Natürlich hat Cristina Nord einerseits recht, wenn sie in der taz vom Samstag beklagt, dass so viele Kritiker während der Pressevorführung scharenweise aus dem Saal strömten, und es ehrt sie, dass sie JUVENTUD A LA MANCHA verteidigt. Am fehlenden kommerziellen Potential, wie sie unterstellt, lag die Kritikerignoranz allerdings meiner Meinung nach nicht, wohl eher an dem, was sie "Arte povera im besten Sinne" nennt. Von der dummen Platzierung eines derart unzugänglichen Films auf den vorletzten Tag, an dem alle müde sind, einmal abgesehen. Regisseur Pedro Costa zeigt nichts, auch nicht wie Bresson etwas Abwesendes in der Wirkung oder Reaktion, sondern er lässt seine Protagonisten einfach alles erzählen. Weil Laien eben Laien sind, tun sie das nicht sehr inspiriert, sondern leiern den Text weitgehend tonlos herunter. Alle Handlung ereignet sich in Form von Berichten, und man könnte schon sagen, dass hier ein wesentlicher Sinn des Kinos, das Zeigen nämlich, verfehlt wird. Zumindest aber ist JUVENTUD A LA MANCHA nicht weniger, sondern nur auf andere Weise geschwätzig, wie Richard Linklaters Filme. Auch Linklater, könnte man sagen, "hört mit großer Geduld" seinen Figuren zu. Der faule Trick dieses Films besteht, scheint mir, genau in der Behauptung einer Würde, die angeblich in der Hilflosigkeit und Armut per se liegen soll. Am gleichen Fehler krankt übrigens auch Kauismäki.
Warum ich aus JUVENTUD A LA MANCHA hinausgegangen bin, ist genau, weil ich an diese Art von Würde nicht glaube, weil ich zum Beispiel auch nicht denke, dass man einem Leiden einer Figur im Kino dadurch gerecht wird, dass man es dort in die Länge zieht. Oder das man mit dem Argument von der arte povera die zwar genau cadrierten, aber visuell schlechten Videobilder entschuldigen kann.

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Kritiker sind jedenfalls auch nur Menschen, die bestimmte Vorlieben und Abneigungen haben. Dass die allzu oft in die gleiche Richtung gehen, und tätsächlich dann schnell eine langweilige Mainstreamgestalt haben, ist allerdings wirklich bedauerlich.

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Nicht nur wir allein spekulieren über den Sieger. Aylin Tasciyan, renommierte türkische Filmkritikerin, ist zum Beispiel über FLANDRES und MARIE ANTOINETTE ganz anderer Meinung als wir, hat aber im Unterschied zu vielen deutschen Kollegen auch Argumente. An Coppola stört sie vor allem das letzte Bild, in dem das zerstörte Schlafzimmer von Versailles zu sehen ist. Damit verlasse die Regisseurin die streng subjektive Perspektive der Königin, und nehme, nachdem sie zuvor so unparteiisch geblieben sei, doch Partei für die Gegenrevolution. Das muss man wohl so sehen. Allerdings scheint mir Coppolas Film recht klar etwas anderes zu sagen: Wir alle, sie selbst natürlich auch, aber ebenso ihre Kritiker, leben in einem Ancien Regime.
Der Vierte Stand, das sind bestimmt nicht arme Non-Hollywood-Regisseure und jene Filmkritiker, die gern Marie Antoinettes Kopf über die Leinwand rollen sehen möchten, um in die richtige politische Stimmung zu kommen, sondern, die Armen aus Afrika, Lateinamerika, dem Mittleren Osten und Russland, die bereits jetzt vor den Toren des Europäischen Palasts stehen.

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An Dumont stört Aiylin, dass er "not in touch with his people" ist, und noch nicht einmal so misanthropisch sei wie bisher. Sie hofft erwartungsgemäß auf den Istanbuler Lokalmatador Nuri Bilge Ceylan, der tatsächlich hier ähnliche Außenseiterchancen hat, wie Bruno Dumont, und schimpft zugleich auf den zweiten bekannten türkischen Regisseur der jüngeren Geberation, Zeki Demirkubuz, der die Einladung in die Reihe Certain Regard abgelehnt hat, weil er unbedingt in den Wettbewerb wollte. Ob er das jetzt in Venedig schafft, ist völlig offen. "Hier in Cannes hätte er einen guten Weltvertrieb gefunden, und seiner Karriere einen großen Schub gegeben." sagt Aylin.

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Und sie hat unbedingt recht: Das Entscheidende in Cannes, aber auch für die Teilnahme an der offiziellen Selektion, ist neben der reinen Qualität des Films ein einflussreicher Weltvertrieb. Es ist daher alles andere als ein Zufall, dass sieben von 20 Wettbewerbs-Filmen von Wild Bunch stammen, und mehrere andere von Celluloid Dreams.

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Glaubt man der Brachenzeitschrift "Variety", dann war der Markt in diesem Jahr aber enttäuschend. Zugleich decken sich das Geschehen im Markt und Wettbewerb immer weniger. Europäer haben auf dem Markt nämlich herzlich wenig zu melden, das Geschäft wird von den Amerikanern dominiert. Und von den Asiaten. Wenn die nicht kaufen, wie in diesem Jahr, dann droht die Krise.

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Eine Ahnung davon, was genau auf dem Markt eigentlich so passiert, gab ein Freund aus der Türkei, Tunc Sahin, der bei dem Verleih arbeitet, der unter anderem Lars von Triers und Kim Ki-duks Filme, aber auch zum Beispiel Christoph Hochhäuslers FALSCHER BEKENNER in der Türkei herausbringt. Auf ca. 50 Meetings in vier Tagen geht es vor allem um das Kaufen von Optionen. Man hört, X macht einen Film mit Y, oder Z hat ein Drehbuch für einen Horrorfilm geschrieben, und dann muss man buchen. Auf das Resultat hat man keinerlei Einfluß. "You can't even make a look on a project, you have to buy it in the very moment, they announce it." erzählt Tunc.
So kommt man dann zu den Verleihrechten von SOUTHLAND TALES und einer mittleren Firmen-Krise nach der miserablen Reaktion. Aber eben auch zu einem Glanzstück wie EL LABERINTO DEL FAUNO.

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Nachzutragen haben wir noch einen sehr beeindruckenden Film aus China: VOITURE DE LUXE von Wang Chao. Die feinfühlig und lakonisch erzählte Geschichte eines jungen Mädchens, das in Shanghai als Escort Girl arbeitet und von ihrem Vater besucht wird. Modernität und Tradition, "Grosstadtsünde" und "Landmoral" prallen aufeinander - eine Allegorie auf die chinesische Gegenwart.

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Das Schönste an so einem Festival sind ja auch die Begegnungen mit anderen Kulturen. Nachzutragen haben wir daher auch noch ein paar Impressionen von dem Japanerempfang mit sehr sehr gutem, aber völlig undefinierbarem Essen. In punkto Food-Design geht bei den Japanern ja bekanntlich einiges. Neben kleinen Fischen - oder getrockneten Seepferdchen? - gab es auch eine Art Styropor mit Fischgeschmack, der wie ein Baum, mit Jahresringen aussah und übereinstimmend zum Urteil "schmeckt wie Mottenkugeln" führte - wobei die ja noch keiner probiert hat. Dann aber brachten mitleidige Japaner "Sake! Sake!", der über alles hinweghalf.
Bei der "Wild Bunch Party", wo wir leider nicht waren, soll es "Schleimduschen" gegeben haben, und unbekleidete Mädchen, die sich stundenlang mit grünen Schleim geduscht haben. So etwas hatten wir beim Deutschen Empfang natürlich nicht zu erwarten, da war außer denen die wir immer treffen, nur Heike Makatsch und das war dann auch nicht weiter aufregend.

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Zufälliges Treffen beim Abendessen noch einmal mit PING PONG-Regisseur Matthias Luthardt und seiner Freundin Fanziska Petri. Auf die Frage, wie viele Filme er gesehen hat kann er nur mit drei Stück aufwarten, für ihn war Cannes eine anstrengende Interview-TourDeForce. Immerhin gewann er am Samstag gleich zwei Preise, und hat jetzt einen französischen und zehn andere Verleiher, einen deutschen aber natürlich noch nicht. Irgendwann zitiert Matthias, natürlich in ganz anderem Zusammenhang, den schönen Satz von Richard "Dick" Ross: "Fuck them, before they fuck you!" Den merken wir uns.

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Was es hier neben dem Wettbewerb auch gibt, sind schöne Kino-Dokumentationen, so etwa die von Sam Pollard über JOHN FORD/JOHN WAYNE - THE FILMMAKER AND THE LEGEND. Vor allem über Ford bietet sie viel Interesantes, auch über sein politisches Engagement.
Am Ende der Vorführung steht dann Peter "I once asked Orson Welles" Bogdanovich da und erzählt unterhaltsame Ford-Anekdoten von dem Schlag: Als Bogdanovich Wayne ein Buch schenken sollte, meinte Ford "He's go't a book." "- and a very little smile" fügt Bogdanovich hinzu. Dann setzte er sich unter das Publikum und schaute sich noch einm,al denKlassiker THE SEARCHERS an.

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Bleibt noch ein sehr schöner Film außer Konkurrenz: Johnnie To's ELECTION 2, wie sein Vorgänger ein Film über die Wahlen des neuen Triadenführers von Hongkong - und eine Allegorie auf Sein und Schein der Politik. Mord und Totschlag unter Gangstern und unter dem Mantel von "Tradition" und "Unity", auch hier wird brutal gefoltert, und ein Körper zuletzt mit dem Hackebeilchen zerlegt und ganz wörtlich zu Hackfleisch verarbeitet, das dann den Hunden vorgesetzt wird. Trotzdem keineswegs ein Splatter, sondern ein realistischer Gangster- und Politfilm, nicht primär auf Spannung setzend, sondern auf Dokumentation. Der immer noch nicht sehr alte To, seit ein paar Jahren nicht mehr in der Berlinale, wo man ihn vom Wettbewerb fernhielt, und ins Forum abschob, sondern im Wettbewerb von Cannes zu Gast, entwickelt sich gegenüber seinen früheren Gangsterfilmen immer noch weiter, zeigt weniger schöne Form und elegante Choreographie, dafür Substanz, ein System bei der Arbeit, die Vernetzung der öffentlichen Institutionen und ihrer Nachseite, der Gangsterwelt. Eher in der Tradition von Rosi und ähnlichen Filmen der 60er und 70er, vor allem aus Italien und Japan, die das Handwerk der Macht unverblümt und in seinen Konsequenzen, auch seinen inneren Zwängen zeigen. Denn es sind hier auch die Gangster, die etwas nicht mehr ertragen, die kotzen müssen, sagen "What a nightmare" und "You are a maniac." Nicht weniger zentral als die eher kurzen Gewaltakte sind die die Gespräche und Verhandlungen, die ihnen vorausgehen, die sie verbinden, ihre Konsequenz sind, wie ihre Vorbereitung. To gelingen immer wieder präzise Beobachtungen einer Sprache der Andeutungen, der Blicke, der kleinen Gesten des Gunsterweisens und -entziehens. Die wichtigste Floskel ist dabei immer die mit dem Verb "to take care of it." Dann muss wieder einer sterben.

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Es ist klar, dass es bei diesem hochelegant und zugleich sperrig inszenierten Sozialdarwinismus um mehr geht, als nur einen Genrefilm. In einer Sprache der Andeutungen, aber völlig klar erzählt To von den Beziehungen zwischen Hongkong und dem Mainland China, und letzteres kommt dabei nicht gut weg. To kann das im Gegensatz zu seinem Shanghaier Kollegen Lu Ye ohne Furcht vor Repression, weil er eben Filmemacher in Hongkong ist. So nimmt der Film kein Blatt vor den Mund, lässt einen Hongkonger zum Chinesen sagen: "I am deeply impressed, but also frightened by you." Und der Chinese, ein Offizier der Bundespolizei CSA plädiert durchaus für Ordnung, aber eben die de Leviathan. Er will einen Statthalter und darum wird er auch die Wahlen abschaffen, und eine "Familie" installieren.
"It's all true!" versichert Vivianne Chow von der "South China Morning Post", "Kein zweiter Film aus Hongkong ist so offen über Hongkongs Politik."

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Man kann ELECTION 2 übrigens auch als Western mit anderen Mitteln begreifen. Jimmy, der Business-Man, der seine Vergangenheit hinter sich lassen will und ihr doch nicht entkommen kann, wäre dann wie ein Westerner, dem Zivilisierung, der Eintritt in die Gesellschaft, auch deren Anerkennung immer versagt bleibt - schon weil ihn die Autoritäten brauchen, weil schließlich einer die Dreckarbeit abwickeln muss. Eine tragische Figur also, die nie ankommen kann im Leben, sondern irgendwann einengewalttätigen Tod sterben muss - wie John Wayne in den meisten Filmen von Ford.

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Wer irrt schon gerne unter Palmen? Morgen haben also auch wir in Cannes unsere "Election" hinter uns. Auch hier geht es um Macht, um Durchsetzungsfähigkeit, um Geld. Hoffentlich auch um die Filmkunst, um ein Statement, das klar ist, und in die Zukunft weist, und nicht nur Leistungen der Vergangenheit belohnt. So oder so würde ein Preis für den knappen Favoriten Almodóvar in dieser Weise wahrgenommen: Nicht völlig daneben, aber doch eher ein "Lifetime Achivement Award", mit dem überdies schlechter Stil belohnt würde - denn der, der seit Jahren am Lautesten schreit, er hätte doch jetzt mal die Palme verdient, und nach dem Regiepreis für TODO SOBRE MI MADRE die beleidigte Leberwurst gab, hätte dann seine Genugtuung. Dass ich das blöd fände, ist jetzt klar genug, oder? Unabhängig von Vorlieben und Sympathien wäre es aber schön, wenn die Juryentscheidung unkonventionelle Erzählweisen, ungesehene Bilder, überhaupt den Bildern und einem heterodoxen Kino den Vorzug geben würde vor jenem eingetrockneten Typus des "typischen Cannes-Autorenfilms", wenn sie Filme und Filmemacher fürs Kino entdecken würde. Wirklich zu erwarten ist das nicht, was auch an der diesjährigen Wettbewerbsauswahl liegt, die hierfür kaum Raum lässt. Zu hoffen, wie die Jurys 1999 (Cronberg) und 2003 (Chereau) belegten, schon. Hoffen wir also, dass die Jury die richtige Wahl trifft.

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Zum Abschluss aber noch eine Cannes-Facette: Beim Nachhauseirren stellt sich eine Dame in den Weg: "allo! Sexmassage? Blow Job?" Es wird wirklich Zeit, dass das Festival zuende geht.

Rüdiger Suchsland

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