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Ein "Lifetime Achivement Award" für Almodóvar?
Vor der "Election" in Cannes wird das Publikum jedenfalls
wieder einmal auf die Folter gespannt
Ohne klaren Favoriten auf den Wettbewerbssieg geht Cannes
2006 in seinen letzten Tag. Wer wird am Sonntagabend die Goldene
Palme in Händen halten, wer wird daneben von der Jury
unter Präsident Wong Kar-wai beim wichtigsten Filmfestival
der Welt ausgezeichnet werden? Ungewissheit dominierte auch
den Samstag vor der Preisverleihung. Sie wurde dadurch nicht
kleiner, dass der Wettbewerb mit seinem allerletzten Beitrag,
EL LABERINTO DEL FAUNO vom Mexikaner Guillermo del Toro, noch
ein sehr spätes Highlight erlebte, einen Film, der sich
urplötzlich recht weit nach vorn unter die Favoriten
einer Konkurrenz schob, die nach mäßigem Beginn
im zweiten Drittel seinen Siedepunkt erreichte, der der ganz
große Glanz, das entscheidende filmische Erweckungserlebnis
aber bis zum Ende fehlte.
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Entscheidend wird sein, ob sich die Jury eher für jene
Filme entscheidet, die wie Sofia Coppolas MARIE ANTOINETTE
das Publikum zwischen Jubel und Buh-Rufen spalteten, oder
für jene, die allen irgendwie gefallen, aber kaum echte
Leidenschaften entzündeten, wie Pedro Almodóvars
VOLVER, der derzeitige, knappe Favorit der internationalen
Kritiker vor Coppola - dem Favorit der Franzosen - und dem
Emotionsdrama BABEL, in dem Alejandro González Inárritu
im Stil seines AMORRES PERROS drei Handlungsstränge virtuos
zusammenprallen lässt.
Außenseiterchancen, zumindest auf einige der Silbernen
Palmen haben wohl auch Bruno Dumonts grandioser FLANDRES und
Nani Morettis Polit-Satire IL CAIMANO. Auch Nuri Bilge Ceylans
CLIMATES sollte man nicht abschreiben. Auch wenn der einer
französischen Zeitung die Vorlage für die beste
Überschrift gab: "Ceylan, c'est long, c'est lent".
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Und sollte es unter anderem auch um ein (film-)politisches
Statement gehen, dürfte man wohl Lu Ye's SUMMER PALACE
nicht völlig übersehen, und das nicht nur, weil
der Regisseur von Peking jetzt mit einem fünfjährigen
Arbeitsverbot belegt wurde. Die Chinesen zeigten sich auch
in anderer Hinsicht not amused, und zogen einen Teil des offiziellen
Pressekorps aus Cannes ab. Den übrigen wurde ganz offiziell
die Berichterstattung vom Wettbewerb untersagt.
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So offen wie diesmal hab ich das Rennen jedenfalls in den
vier Jahren, die ich herkomme, noch nie erlebt. Um so mehr
blühen die Spekulationen: Wong Kar-wai, so wird aus der
Jury - "ich kenne da jemanden, der weiß das genau"
- berichtet, favorisiere Almodóvars VOLVER. Doch es
gebe erheblichen Widerstand
Hubert Niogret, Kollege von der hervorragenden Filmzeitschrift
(und "Cahiers
"-Alternative) "Positif"
hat etwas anderes gehört: "Wong soll sich sehr für
Pedro Costas JUVENTUD A LA MANCHA stark machen." Wir
erbleichen, weil wir da ja - vgl. gestern - nach einer guten
halben Stunde aus dem, Kino raus gegangen sind. "Aber
das kann bei ihm auch reine Taktik sein." fügt Hubert
hinzu. Er selbst ist auch etwas ratlos: "FLANDRES hab
ich noch nicht gesehen, den hole ich Sonntag nach." Ihm
gefällt, wie mir auch Guillermo del Toros EL LABERINTO
DEL FAUNO überraschend gut. "Ich kannte seine früheren
Filme gar nicht. Aber der war richtig schön."
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"Es war einmal unter der Erde, da träumte
eine Prinzessin von einer menschlichen Welt
" Ophelia
liest gern Märchen, und wenn sie gerade kein Buch zur
Hand hat, dann denkt sie sich welche aus. Manchmal sind es
richtig schreckliche Gespenstergeschichten; was daran liegen
mag, dass die Verhältnisse in denen sie lebt, auch nicht
wirklich schön sind. 1944 tobt in der Welt der Krieg,
und auch in Spanien liegt das Ende des Bürgerkriegs erst
fünf Jahre zurück. Die faschistischen Falangisten
Milizen des General Franco haben gesiegt, doch in den dunklen
Wäldern, hinter den sieben Bergen, da regieren die Milizen
der lokalen Partisanen, die sich im Terrain viel besser aus
kennen. Ophelia selbst - und hier gilt nomen est omen - hat
ihren Vater verloren und die Mutter hat wieder geheiratet.
Der böse Stiefvater, den das Mädchen konsequent
"Capitan" nennt, Hauptmann, ist ein Faschist, wie
er nicht nur im Märchenbuche steht, und weil Ophelias
Mutter schwanger ist, und Capitan Vidal meint, ein Sohn -
selbstverständlich wird es ein Sohn - müsse bei
seinem Vater geboren werden, müssen Mutter und Tochter
durch den Wald zu jenem Außenposten fahren, wo diese
Dienst tut. Immerhin fahren sie in einem Rolls Royce. Als
sie einmal unterwegs anhalten, findet Ophelia einen geheimnisvollen
Stein, der genau in eine Statue passt, die am Wegesrand steht.
Da krabbelt eine Gottesanbeterin heraus - das muss eine gute
Fee sein, spürt Ophelia ganz klar, und nun beginnt die
Reise in eine Traumwelt.
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In sehr eigenen, ausgesucht poetischen und originellen, ungesehenen
Bildern erzählt del Toro eine Geschichte des Horrors
im Spanien im ersten Jahrzehnt nach dem Bürgerkrieg.
Von Anfang an funktioniert das Nebeneinander von "Realität"
und Märchenwelt. EL LABERINTO DEL FAUNO ist Fantasy,
aber sie handelt immer von unserer eigenen Welt, ihren Schrecken
und ihren Hoffnungen.
Nach ihrer Ankunft wird Ophelia von der Fee zu einem Labyrinth
im Wald geführt, dessen Zentrum eine Treppe in die Tiefe
birgt. Dort begegnet sie einem undurchsichtigen Faun, der
ihr das Geheimnis ihrer Herkunft eröffnet: Eigentlich
ist sie eine Prinzessin. Sie muss drei Aufgaben vor Vollmond
lösen, um ins Fabelreich ihrer Herkunft heimkehren zu
können. Sie besiegt sie einen Riesenfrosch, kämpft
gegen einen blindes, kindermordendes Ungeheuer in den Etagen
des Hauses, und versucht das Geheimnis des Fauns und seines
Labyrinths zu entschlüsseln - in seinen Bildern wie der
Durchführung gleichermaßen sehr freudianisch wie
poetisch. Währenddessen nimmt der Terror in ihrer Umgebung
immer mehr zu: Im Kampf gegen die Partisanen schreckt Capitan
Vidal vor keiner Grausamkeit zurück: Er foltert und tötet
Unschuldige, er tyrannisiert aber auch das Hauspersonal, die
Mutter Ophelias und Ophelia selbst.
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In dem von Sergi López glänzend verkörperten
Franquisten Vidal gelingt del Toro ein brillantes Portrait
des Faschismus - in seiner Todesbesessenheit, wie in der Zwanghaftigkeit
dieses ordnungsfetischistischen Charakters, der ein "Espana
limpia" (sauberes Spanien) propagiert, und in seiner
Freizeit Uhren repariert.
Überaus gelungen ist aber auch die Verbindung der märchenhaften
mit den realistischen Elementen. Del Toro bietet satte, barocke,
überaus sinnliche Bilder: Es tropft und kleckert, Dreck,
Regenwasser, Schleim, Urin, und vor allem Blut, viel Blut
fließen, man meint die Feuchtigkeit und Kälte zu
spüren, das Moos des Waldes zu riechen. EL LABERINTO
DEL FAUNO ist eine zwingende phantasmagorische Genremelange
mit Bezügen zur Malerei von Goya, zum heidnisch-antiken,
wie zum christlichen Kosmos, moderne Mythologie, katholisches
"Alice im Horrorland" - ein toller Film, der zugleich
mit seiner Geschichte auch eine kleine Theorie des Horrorfilms
mitformuliert, in der es nicht um "Bewältigung"
geht, sondern der Regisseur die Liebe zum Horror als Fluchtphantasie
plausibel werden lässt, als Geborgenheit spendende bessere
Gegenwelt gegenüber dem Horror der Wirklichkeit. Und
als Tagtraum in den Sekunden des Todes. Denn am Ende dieses
Horrortrips, bei dem ihre Mutter und Vidal auf der Strecke
bleiben, wird auch Ophelia sterben und damit tatsächlich
ihren Vater wieder finden.
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Ein Lieblingsthema, nicht nur des Wettbewerbs, war auch in
diesem Film wieder Folter. Ob es an Guantanamo und Abu Ghraib
liegt, an den neu aufgeflammten Debatten über vermeintlich
gerechtfertigte Folter auch in Westeuropa - jedenfalls wurde
in den Filmen gefoltert wie lange nicht. Oft, aber nicht immer
dienten dabei historische Fallbeispiele zur Rechtfertigung
für Szenen in denen detailliert ausgemalt wurde, was
für Torturen Menschen Menschen antun können - man
glaubt fast das geschehe womöglich mit einer gewissen
klammheimlichen Freude der Filmemacher, die offenbar der Ansicht
sind, ihr Publikum habe diese Art der Darstellung nötig.
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Zum Beispiel CRÓNICA DE UNA FUGA vom Argentinier Israel
Adrían Caetano. Caetano erzählt die wahre Geschichte
von mehreren Männern, die 1977 von der argentinischen
Militärjunta in einem Haus inhaftiert und über Monate
gefoltert wurden, bevor ihnen gemeinsam die Flucht gelingt.
Ein nüchtern und reduziert erzählter Film, der die
Opfer begleitet, und akribisch ihr Leid konstatiert. Dabei
ist er so gemacht, dass er die Identifikation leichter macht,
als zum Beispiel der Film JUNTA, der vor einigen Jahren ins
Kino kam. Andererseits fehlt es Caetano völlig am Stilwillen
und jener visuellen Konsequenz, die etwas Robert Bressons
entfernt ähnlichen UN CONDAMNÉ À MORT S'EST
ÉCHAPPÉ auszeichnet.
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Noch einmal zur gestern aufgeworfenen Frage, ob es legitim
ist, oder nur von Banausenhaftigkeit zeugt, aus einem Film
weit vor Ende herauszugehen. Als wir Rainer Flasskamp, Chef
des Kölner Flax-Film-Verleihs, davon erzählten,
meint der "Wir sind hier wie Trüffelschweine, wir
suchen nur das wirklich Besondere", und verweist auf
die "verlorene Lebenszeit, um die es geht." Er habe
die ersten 200 Filme seines Lebens konsequent durchgesessen,
dann nicht mehr. "Das eine Prozent der Fälle, wo
sich ein Film nach einer halben Stunde noch völlig ändert,
kann man nachholen." Hoffen wir's. Flasskamp ist allerdings,
wie gesagt kein Kritiker.
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Natürlich hat Cristina Nord einerseits recht, wenn sie
in der taz vom Samstag beklagt, dass so viele Kritiker während
der Pressevorführung scharenweise aus dem Saal strömten,
und es ehrt sie, dass sie JUVENTUD A LA MANCHA verteidigt.
Am fehlenden kommerziellen Potential, wie sie unterstellt,
lag die Kritikerignoranz allerdings meiner Meinung nach nicht,
wohl eher an dem, was sie "Arte povera im besten Sinne"
nennt. Von der dummen Platzierung eines derart unzugänglichen
Films auf den vorletzten Tag, an dem alle müde sind,
einmal abgesehen. Regisseur Pedro Costa zeigt nichts, auch
nicht wie Bresson etwas Abwesendes in der Wirkung oder Reaktion,
sondern er lässt seine Protagonisten einfach alles erzählen.
Weil Laien eben Laien sind, tun sie das nicht sehr inspiriert,
sondern leiern den Text weitgehend tonlos herunter. Alle Handlung
ereignet sich in Form von Berichten, und man könnte schon
sagen, dass hier ein wesentlicher Sinn des Kinos, das Zeigen
nämlich, verfehlt wird. Zumindest aber ist JUVENTUD A
LA MANCHA nicht weniger, sondern nur auf andere Weise geschwätzig,
wie Richard Linklaters Filme. Auch Linklater, könnte
man sagen, "hört mit großer Geduld" seinen
Figuren zu. Der faule Trick dieses Films besteht, scheint
mir, genau in der Behauptung einer Würde, die angeblich
in der Hilflosigkeit und Armut per se liegen soll. Am gleichen
Fehler krankt übrigens auch Kauismäki.
Warum ich aus JUVENTUD A LA MANCHA hinausgegangen bin, ist
genau, weil ich an diese Art von Würde nicht glaube,
weil ich zum Beispiel auch nicht denke, dass man einem Leiden
einer Figur im Kino dadurch gerecht wird, dass man es dort
in die Länge zieht. Oder das man mit dem Argument von
der arte povera die zwar genau cadrierten, aber visuell schlechten
Videobilder entschuldigen kann.
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Kritiker sind jedenfalls auch nur Menschen, die bestimmte
Vorlieben und Abneigungen haben. Dass die allzu oft in die
gleiche Richtung gehen, und tätsächlich dann schnell
eine langweilige Mainstreamgestalt haben, ist allerdings wirklich
bedauerlich.
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Nicht nur wir allein spekulieren über den Sieger. Aylin
Tasciyan, renommierte türkische Filmkritikerin, ist zum
Beispiel über FLANDRES und MARIE ANTOINETTE ganz anderer
Meinung als wir, hat aber im Unterschied zu vielen deutschen
Kollegen auch Argumente. An Coppola stört sie vor allem
das letzte Bild, in dem das zerstörte Schlafzimmer von
Versailles zu sehen ist. Damit verlasse die Regisseurin die
streng subjektive Perspektive der Königin, und nehme,
nachdem sie zuvor so unparteiisch geblieben sei, doch Partei
für die Gegenrevolution. Das muss man wohl so sehen.
Allerdings scheint mir Coppolas Film recht klar etwas anderes
zu sagen: Wir alle, sie selbst natürlich auch, aber ebenso
ihre Kritiker, leben in einem Ancien Regime.
Der Vierte Stand, das sind bestimmt nicht arme Non-Hollywood-Regisseure
und jene Filmkritiker, die gern Marie Antoinettes Kopf über
die Leinwand rollen sehen möchten, um in die richtige
politische Stimmung zu kommen, sondern, die Armen aus Afrika,
Lateinamerika, dem Mittleren Osten und Russland, die bereits
jetzt vor den Toren des Europäischen Palasts stehen.
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An Dumont stört Aiylin, dass er "not in touch with
his people" ist, und noch nicht einmal so misanthropisch
sei wie bisher. Sie hofft erwartungsgemäß auf den
Istanbuler Lokalmatador Nuri Bilge Ceylan, der tatsächlich
hier ähnliche Außenseiterchancen hat, wie Bruno
Dumont, und schimpft zugleich auf den zweiten bekannten türkischen
Regisseur der jüngeren Geberation, Zeki Demirkubuz, der
die Einladung in die Reihe Certain Regard abgelehnt hat, weil
er unbedingt in den Wettbewerb wollte. Ob er das jetzt in
Venedig schafft, ist völlig offen. "Hier in Cannes
hätte er einen guten Weltvertrieb gefunden, und seiner
Karriere einen großen Schub gegeben." sagt Aylin.
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Und sie hat unbedingt recht: Das Entscheidende in Cannes,
aber auch für die Teilnahme an der offiziellen Selektion,
ist neben der reinen Qualität des Films ein einflussreicher
Weltvertrieb. Es ist daher alles andere als ein Zufall, dass
sieben von 20 Wettbewerbs-Filmen von Wild Bunch stammen, und
mehrere andere von Celluloid Dreams.
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Glaubt man der Brachenzeitschrift "Variety", dann
war der Markt in diesem Jahr aber enttäuschend. Zugleich
decken sich das Geschehen im Markt und Wettbewerb immer weniger.
Europäer haben auf dem Markt nämlich herzlich wenig
zu melden, das Geschäft wird von den Amerikanern dominiert.
Und von den Asiaten. Wenn die nicht kaufen, wie in diesem
Jahr, dann droht die Krise.
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Eine Ahnung davon, was genau auf dem Markt eigentlich so
passiert, gab ein Freund aus der Türkei, Tunc Sahin,
der bei dem Verleih arbeitet, der unter anderem Lars von Triers
und Kim Ki-duks Filme, aber auch zum Beispiel Christoph Hochhäuslers
FALSCHER BEKENNER in der Türkei herausbringt. Auf ca.
50 Meetings in vier Tagen geht es vor allem um das Kaufen
von Optionen. Man hört, X macht einen Film mit Y, oder
Z hat ein Drehbuch für einen Horrorfilm geschrieben,
und dann muss man buchen. Auf das Resultat hat man keinerlei
Einfluß. "You can't even make a look on a project,
you have to buy it in the very moment, they announce it."
erzählt Tunc.
So kommt man dann zu den Verleihrechten von SOUTHLAND TALES
und einer mittleren Firmen-Krise nach der miserablen Reaktion.
Aber eben auch zu einem Glanzstück wie EL LABERINTO DEL
FAUNO.
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Nachzutragen haben wir noch einen sehr beeindruckenden Film
aus China: VOITURE DE LUXE von Wang Chao. Die feinfühlig
und lakonisch erzählte Geschichte eines jungen Mädchens,
das in Shanghai als Escort Girl arbeitet und von ihrem Vater
besucht wird. Modernität und Tradition, "Grosstadtsünde"
und "Landmoral" prallen aufeinander - eine Allegorie
auf die chinesische Gegenwart.
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Das Schönste an so einem Festival sind ja auch die Begegnungen
mit anderen Kulturen. Nachzutragen haben wir daher auch noch
ein paar Impressionen von dem Japanerempfang mit sehr sehr
gutem, aber völlig undefinierbarem Essen. In punkto Food-Design
geht bei den Japanern ja bekanntlich einiges. Neben kleinen
Fischen - oder getrockneten Seepferdchen? - gab es auch eine
Art Styropor mit Fischgeschmack, der wie ein Baum, mit Jahresringen
aussah und übereinstimmend zum Urteil "schmeckt
wie Mottenkugeln" führte - wobei die ja noch keiner
probiert hat. Dann aber brachten mitleidige Japaner "Sake!
Sake!", der über alles hinweghalf.
Bei der "Wild Bunch Party", wo wir leider nicht
waren, soll es "Schleimduschen" gegeben haben, und
unbekleidete Mädchen, die sich stundenlang mit grünen
Schleim geduscht haben. So etwas hatten wir beim Deutschen
Empfang natürlich nicht zu erwarten, da war außer
denen die wir immer treffen, nur Heike Makatsch und das war
dann auch nicht weiter aufregend.
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Zufälliges Treffen beim Abendessen noch einmal mit PING
PONG-Regisseur Matthias Luthardt und seiner Freundin Fanziska
Petri. Auf die Frage, wie viele Filme er gesehen hat kann
er nur mit drei Stück aufwarten, für ihn war Cannes
eine anstrengende Interview-TourDeForce. Immerhin gewann er
am Samstag gleich zwei Preise, und hat jetzt einen französischen
und zehn andere Verleiher, einen deutschen aber natürlich
noch nicht. Irgendwann zitiert Matthias, natürlich in
ganz anderem Zusammenhang, den schönen Satz von Richard
"Dick" Ross: "Fuck them, before they fuck you!"
Den merken wir uns.
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Was es hier neben dem Wettbewerb auch gibt, sind schöne
Kino-Dokumentationen, so etwa die von Sam Pollard über
JOHN FORD/JOHN WAYNE - THE FILMMAKER AND THE LEGEND. Vor allem
über Ford bietet sie viel Interesantes, auch über
sein politisches Engagement.
Am Ende der Vorführung steht dann Peter "I once
asked Orson Welles" Bogdanovich da und erzählt unterhaltsame
Ford-Anekdoten von dem Schlag: Als Bogdanovich Wayne ein Buch
schenken sollte, meinte Ford "He's go't a book."
"- and a very little smile" fügt Bogdanovich
hinzu. Dann setzte er sich unter das Publikum und schaute
sich noch einm,al denKlassiker THE SEARCHERS an.
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Bleibt noch ein sehr schöner Film außer Konkurrenz:
Johnnie To's ELECTION 2, wie sein Vorgänger ein Film
über die Wahlen des neuen Triadenführers von Hongkong
- und eine Allegorie auf Sein und Schein der Politik. Mord
und Totschlag unter Gangstern und unter dem Mantel von "Tradition"
und "Unity", auch hier wird brutal gefoltert, und
ein Körper zuletzt mit dem Hackebeilchen zerlegt und
ganz wörtlich zu Hackfleisch verarbeitet, das dann den
Hunden vorgesetzt wird. Trotzdem keineswegs ein Splatter,
sondern ein realistischer Gangster- und Politfilm, nicht primär
auf Spannung setzend, sondern auf Dokumentation. Der immer
noch nicht sehr alte To, seit ein paar Jahren nicht mehr in
der Berlinale, wo man ihn vom Wettbewerb fernhielt, und ins
Forum abschob, sondern im Wettbewerb von Cannes zu Gast, entwickelt
sich gegenüber seinen früheren Gangsterfilmen immer
noch weiter, zeigt weniger schöne Form und elegante Choreographie,
dafür Substanz, ein System bei der Arbeit, die Vernetzung
der öffentlichen Institutionen und ihrer Nachseite, der
Gangsterwelt. Eher in der Tradition von Rosi und ähnlichen
Filmen der 60er und 70er, vor allem aus Italien und Japan,
die das Handwerk der Macht unverblümt und in seinen Konsequenzen,
auch seinen inneren Zwängen zeigen. Denn es sind hier
auch die Gangster, die etwas nicht mehr ertragen, die kotzen
müssen, sagen "What a nightmare" und "You
are a maniac." Nicht weniger zentral als die eher kurzen
Gewaltakte sind die die Gespräche und Verhandlungen,
die ihnen vorausgehen, die sie verbinden, ihre Konsequenz
sind, wie ihre Vorbereitung. To gelingen immer wieder präzise
Beobachtungen einer Sprache der Andeutungen, der Blicke, der
kleinen Gesten des Gunsterweisens und -entziehens. Die wichtigste
Floskel ist dabei immer die mit dem Verb "to take care
of it." Dann muss wieder einer sterben.
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Es ist klar, dass es bei diesem hochelegant und zugleich
sperrig inszenierten Sozialdarwinismus um mehr geht, als nur
einen Genrefilm. In einer Sprache der Andeutungen, aber völlig
klar erzählt To von den Beziehungen zwischen Hongkong
und dem Mainland China, und letzteres kommt dabei nicht gut
weg. To kann das im Gegensatz zu seinem Shanghaier Kollegen
Lu Ye ohne Furcht vor Repression, weil er eben Filmemacher
in Hongkong ist. So nimmt der Film kein Blatt vor den Mund,
lässt einen Hongkonger zum Chinesen sagen: "I am
deeply impressed, but also frightened by you." Und der
Chinese, ein Offizier der Bundespolizei CSA plädiert
durchaus für Ordnung, aber eben die de Leviathan. Er
will einen Statthalter und darum wird er auch die Wahlen abschaffen,
und eine "Familie" installieren.
"It's all true!" versichert Vivianne Chow von der
"South China Morning Post", "Kein zweiter Film
aus Hongkong ist so offen über Hongkongs Politik."
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Man kann ELECTION 2 übrigens auch als Western mit anderen
Mitteln begreifen. Jimmy, der Business-Man, der seine Vergangenheit
hinter sich lassen will und ihr doch nicht entkommen kann,
wäre dann wie ein Westerner, dem Zivilisierung, der Eintritt
in die Gesellschaft, auch deren Anerkennung immer versagt
bleibt - schon weil ihn die Autoritäten brauchen, weil
schließlich einer die Dreckarbeit abwickeln muss. Eine
tragische Figur also, die nie ankommen kann im Leben, sondern
irgendwann einengewalttätigen Tod sterben muss - wie
John Wayne in den meisten Filmen von Ford.
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Wer irrt schon gerne unter Palmen? Morgen haben also auch
wir in Cannes unsere "Election" hinter uns. Auch
hier geht es um Macht, um Durchsetzungsfähigkeit, um
Geld. Hoffentlich auch um die Filmkunst, um ein Statement,
das klar ist, und in die Zukunft weist, und nicht nur Leistungen
der Vergangenheit belohnt. So oder so würde ein Preis
für den knappen Favoriten Almodóvar in dieser
Weise wahrgenommen: Nicht völlig daneben, aber doch eher
ein "Lifetime Achivement Award", mit dem überdies
schlechter Stil belohnt würde - denn der, der seit Jahren
am Lautesten schreit, er hätte doch jetzt mal die Palme
verdient, und nach dem Regiepreis für TODO SOBRE MI MADRE
die beleidigte Leberwurst gab, hätte dann seine Genugtuung.
Dass ich das blöd fände, ist jetzt klar genug, oder?
Unabhängig von Vorlieben und Sympathien wäre es
aber schön, wenn die Juryentscheidung unkonventionelle
Erzählweisen, ungesehene Bilder, überhaupt den Bildern
und einem heterodoxen Kino den Vorzug geben würde vor
jenem eingetrockneten Typus des "typischen Cannes-Autorenfilms",
wenn sie Filme und Filmemacher fürs Kino entdecken würde.
Wirklich zu erwarten ist das nicht, was auch an der diesjährigen
Wettbewerbsauswahl liegt, die hierfür kaum Raum lässt.
Zu hoffen, wie die Jurys 1999 (Cronberg) und 2003 (Chereau)
belegten, schon. Hoffen wir also, dass die Jury die richtige
Wahl trifft.
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Zum Abschluss aber noch eine Cannes-Facette: Beim Nachhauseirren
stellt sich eine Dame in den Weg: "allo! Sexmassage?
Blow Job?" Es wird wirklich Zeit, dass das Festival zuende
geht.
Rüdiger Suchsland
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