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Manchmal muss man sich eben dreckig machen - wieder mal
Ärger um den Förderpreis und deutsche Filme; erste Notizen
vom Münchner Filmfest 2006
"Land of hope and glory" - das war mal ein wirklich
netter Einfall: Aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums
des FilmFernsehFonds Bayern gab es keine langen Reden, keine
Selbstbeweihräucherung auf der Bühne und was dergleichen
Veranstaltungen sonst so erwarten lassen - dafür hatte
man ein Orchester aus Regisseuren, Produzenten, anderen Filmbeschäftigten
und Förderern geformt. Und das spielte gemeinsam ein
paar Lieder, und alles klang wohl. Ein angenehm entspannte
Art, sein Jubiläum zu feiern.
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Bei der anschließenden Party gab es Rohes und Gekochtes,
und viel Bier, und es war durchaus eine nette Veranstaltung
- aber auch belastet von der üblichen Filmfest-Hysterie.
"Der Ströhl macht das Filmfest kaputt", erzählte
eine Kollegin, die zumindest immer offen und ehrlich ist,
über den Filmfest-Chef. "Der Pfeiffer erzählt
überall herum, dass der Ströhl das Filmfest kaputt
macht." meinte kurz darauf eine andere. Gemeint war Hartmut
Pfeiffer, Pressechef der HypoVereinsbank, die den "Förderpreis
Deutscher Film" stiftet, auf den wir gleich noch ausführlicher
kommen werden. Und tatsächlich berichteten andere Ähnliches,
und so verdichtete sich der pikante Eindruck, dass der Mitarbeiter
eines Sponsors unter der Hand die gesponsorte Veranstaltung
schlecht redet. Der Grund: Filmfest-Chef Andreas Ströhl
tanzt nicht nach der Pfeife Pfeiffers und seiner Preisstifter,
und macht aus seiner Überzeigung kein Hehl, dass es für
Filmfest und Förderpreis besser wäre, gäbe
es keine Preisnominierungen. "Überflüssig und
schädlich" sei das, zitiert schon der Boulevard.
Worum es überhaupt geht, erklären wir gleich. Zuvor
noch eine Beobachtung: Pfeiffer stand auf dem FFF-Fest fast
den ganzen Abend und also auffällig lang mit Ströhls
Vorgänger Eberhard Hauff herum. Wer weiß, dass
Hauff auf Ströhl nicht gerade gut zu sprechen ist, konnte
sich denken, was er da so auf Pfeiffer einredete.
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Wieder gibt es also Ärger. Produzenten und Regisseure
schimpfen, offen oder hinter vorgehaltener Hand, ein Film
wird in letzter Minute ganz aus dem Filmfestprogramm zurückgezogen
- der auf dem Filmfest verliehene "Förderpreis Deutscher
Film", schon seit Jahren im Gerede, wird endgültig
beschädigt.
Dabei klingt alles wunderschön: "Das kreative und
innovative Engagement junger deutscher Filmemacher" soll
der "Förderpreis Deutscher Film" fördern.
50.000 Euro gibt es, verteilt auf vier Preise - auch nach
den Kürzungen der letzten Jahre immer noch eine stattliche
Summe.
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Am liebsten würden die Stifter des Ex-"Regieförderpreis"
- neben der HypoVereinsbank die Bavaria und der BR - diesen
Preis wohl gern gleich ganz selbst vergeben. Damit man aber
die Preissumme auch von der Steuer absetzen kann, und das
Ganze einen sauberen Eindruck macht, braucht man eine unabhängige
Jury. Und damit fängt der Ärger an. Weil die Jurys
nämlich mehrmals wirklich unabhängig waren und Preise
vergaben, die den Preisstiftern nicht passten, führte
man dubiose Vor-Nominierungen ein.
Wer da genau nominiert, weiß - schon das ist ein Unding
- offiziell keiner, hinter vorgehaltener Hand flüstert
man sich zu, es handle sich um die Pressesprecher der Hypovereinsbank
und seinen Amtskollegen vom "FilmFernsehFonds Bayern",
um besagten Hartmut Pfeiffer und um Lothar Just, der auch
die Pressearbeit des Preises übernommen hat. Dass sie
sich von preisfremden Überlegungen beeinflussen lassen,
wollen wir nicht unterstellen. Dass diese beiden aber kompetent
genug sind, um entscheidende Vorentscheidungen über diesen
wichtigen Preis zu treffen, bestreiten wir aber schon. Und
wären sie es, warum könnten Just und Pfeiffer dann
nicht auch gleich in die Jury?
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Aber nicht die Kompetenz dieser Nominierungen ist das Hauptproblem,
sondern die Tatsache, dass es sie überhaupt gibt. Denn
durch sie teilt man die infrage kommenden deutschen Filme,
die sämtlich unter der Voraussetzung eingeladen werden,
dass sie im Rennen um den Förderpreis vertreten sind,
in Einladungen erster und zweiter Klasse - im Gegensatz zum
Wettbewerb jedes anderen deutschen Festivals. Am Ende bleiben
nur maximal drei Filme übrig, die eine Preischance erhalten.
In jedem Jahr führt das wieder zu Enttäuschung und
Wut bei der Jury, der praktisch jede Entscheidungsfreiheit
genommen wird, und bei den Teilnehmern: "Das ist, wie
wenn ein Team bei der WM mit dabei ist, aber nichts gewinnen
darf." meint eine Produzentin. "Warum überlässt
man die Preisentscheidung nicht der Jury?" fragt ein
Regisseur. Zudem versteht keiner, der die Filme kennt, warum
MEIN ANDERES LEBEN, MONDSCHEINKINDER, NEANDERTAL und VALERIE
der Jury nicht mit zur Auswahl gestellt werden.
NEANDERTAL wurde noch nach Filmfestbeginn zurückgezogen
- offiziell aufgrund technischer Probleme. Aber jeder in München
weiß, dass Regisseure und ihr Produzent Peter Rommel,
mit mehreren deutschen Filmpreisen einer der renommiertesten
des Landes, über ihre Nichtnominierung alles andere als
erfreut waren. "Ich war überrascht, und wusste nicht,
dass das so gehandhabt wird." gibt Rommel zu, "unser
technisches Problem hat mir geholfen, auf den Missstand aufmerksam
zu machen."
Die Stifter beschädigen mit ihren Vornominierungen also
alle: Die Jury, der man offenbar keine selbstständige
Entscheidung zutraut. Das Filmfest, dessen Geschmack und Auswahl
man infrage stellt. Diejenigen Filmemacher, denen man die
Preischance willkürlich nimmt, und die mit einer Einladung
zweiter Klasse abgespeist werden. Und nicht zuletzt sich selbst:
"Typisches Münchner Gemauschel" - das sagt
man längst nicht nur in Berlin und Köln über
den "Förderpreis". Schon diesmal sagten Produzenten,
deren Filme man einlud, höflich "nein danke!"
Der Trend wird sich fortsetzen und noch verstärken. Ein
etablierter, anerkannter Preis wird ohne Not kaputt gemacht.
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Noch ein Letztes zu diesem überaus unerfreulichen Thema:
Natürlich hat jeder Preisstifter das Recht, mit seinem
Preis zu machen, was er will. Man darf auch vornominieren,
man darf auch wenn es sein soll 15 Vorkommissionen einführen.
Wenn eine Jury und ein Festival sich das gefallen lassen,
sind sie allein selber schuld. Aber man sollte diesen Preis
dann nicht bundesweit als irgendwie von Belang und den Wettbewerb
als fair und chancengerecht verkaufen. Man sollte, mit anderen
Worten, die Filmemacher nicht verarschen.
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Es beginnt fast wie eine heitere Sommergeschichte: Ein junger
Mann, Paul, kommt zu Ferienbeginn zu Verwandten, die sind
ein wenig überrascht, aber sie nehmen Paul bereitwillig
auf. Bald beginnt er sich nützlich zu machen, indem er
den kaputten Pool im Garten repariert. Zugleich lernt er und
wir mit ihm die Verwandten näher kennen, eine Kleinfamilie,
Vater, Mutter, Kind. Doch ganz allmählich werden auch
die Haarrisse in der Harmonie erkennbar: Die Ehe ist schlecht,
die Mutter lässt ihre überschüssige Energie
am hochpubertierenden Sohn aus, indem sie ihn beim Klavierüben
für eine Aufnahmeprüfung trietzt, und der kompensiert
das, indem er heimlich trinkt - Abgründe des Bürgerlichen.
Ein Kammerspiel, klar, konzentriert, voller Intensität
- Kino ohne Schnickschnack. Im Mai hat es PING PONG von Matthias
Luthardt in die strenge Auswahl der "Semaine de la Critique"
von Cannes geschafft, jetzt erlebt er beim Filmfest München
seine deutsche Premiere. Und wenn es mit rechten Dingen zugeht,
dürfte Luthardt und sein starker Film zu den Favoriten
gehören auf den "Förderpreis Deutscher Film",
einst Hypo-Preis, bei dem ein Regisseur immerhin 30.000 Euro
gewinnen kann.
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Zwei, die nicht mehr dazugehören, sind Hans Steinbichler
und Michael Hofmann. Beide hatten in früheren Jahren
nämlich schon mal den Regiepreis gewonnen. Steinbichler
eröffnet heute Abend mit WINTERREISE, Hofmann präsentiert
mit EDEN einen Film, der ganz anders ist, als sein damaliger
Siegerfilm SOPHIIIIE!!!
Will man sich auf einen Grund konzentrieren, um WINTERREISE
begeistert zu empfehlen, dann ist es Sepp Bierbichler. Und
die Rolle des Franz Brenninger, der Hauptfigur des Filmfest-Eröffnungsfilms
- erstmals seit zehn Jahren wieder ein deutscher Film - ist
ohne Untertreibung Bierbichler wie auf den Leib geschrieben
und für ihn eine der Rollen seines Lebens.
"Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus."
- man kann den zweiten Film von Hans Steinbichler, der mit
seinem Debüt HIERRANKL - in dem auch schon Bierbichler
mitspielte - 2003 triumphal den Regieförderpreis beim
Münchner Filmfest gewann, als persönliche Interpretation
und Variation von Franz Schuberts melancholischem Liederzyklus
begreifen. Auch er erzählt eine Reise und sehr früh
schon lässt sich ahnen, dass sie kein gutes Ende nehmen
wird.
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Ein Mann schimpft. Er verflucht die Autofahrer, die Banken,
Geschäftspartner, aber auch seine Familie, seine Mitmenschen
überhaupt, die ganze Welt. "Alles Arschlöcher!"
Manchmal ist er ganz außer sich vor Zorn. Die Welt,
seine Welt ist aus den Fugen. Und manchmal singt er. Im Kirchenchor
seiner Heimatstadt Wasserburg am Inn, im Auto, wenn kein anderer
Autofahrer in der Nähe ist, über den er sich aufregen
kann, und zu Hause, wenn er mit dem Kopfhöher an den
Ohren laute Musik hört. Dann ist er glücklich.
Klinisch betrachtet ist Brenninger womöglich manisch
depressiv. Aber viel wichtiger ist, dass er eine wunderschöne
Kinofigur ist: Ein Geschäftsmann, genialisch und hochverschuldet,
ideenreich und überaus sensibel, einer der liebevoll
und zärtlich zu den Menschen sein kann, und der sich
hassen kann. Wenn man ihm zuschaut und vor allem zuhört,
in endlosen Stakkato-Monologen, ist das auch wunderbar witzig,
sehr amüsant - nur bleibt einem das Lachen manchmal im
Hals stecken. Bierbichler arbeitet alle Nuancen dieser Figur
heraus, man kann in seinem Gesicht auch hinter den Masken
des Augenblicks lesen - und je länger man zusieht, um
so weniger wird man den Eindruck los, dass hier ein Schauspieler
mit seiner Rolle ganz verschmolzen ist.
Erzählt wird, wie dieser Mann sich zunächst seiner
selbst und seiner engsten Familie immer mehr entfremdet, "sich
verliert", und wie er sich dann wieder findet über
eine Zufallsbekanntschaft und eine Reise nach Afrika, die
er aus existentieller Not unternimmt, um für seine schwer
kranke Frau Maria das Geld für eine notwendige Operation
aufzutreiben, und dabei letztlich auch sich selbst zu retten
Dabei hilft ihm nur seine Übersetzerin Leila.
WINTERREISE erzählt von Einsamkeit und Verlorenheit,
von Todessehnsucht und Lebenshunger. Ein starker Auftritt,
souverän inszeniert, und ein Film, der in seiner romantischen,
"typisch deutschen" Art an den frühen Wenders
erinnert - allerdings, wie gesagt, mit viel mehr Humor. Neben
Bierbichler spielen Hanna Schygulla und Sibel Kikili die Hauptrollen
- letztere in ihrem ersten Auftritt seit GEGEN DIE WAND. WINTERREISE
ist großes Kino. Eine melancholische Komödie mit
menschlichen Antlitz, ein Film zwischen Vulkanausbruch und
Poesie, dem man immer weitern zugucken möchte, auch wenn
er schon lange zuende ist, und das letzte Lied "Der Leiermann"
schon lange verklungen.
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Nur ein "Schaulaufen" und gegenseitiges Schulterklopfen
zwischen Regisseur und Star, wie Kollege Willmann, kann ich
darin nicht erkennen - auch wenn er mit seinen Bemerkungen
zum Afrika-Teil und zum Selbstmord der Brenningerfigur leider
den Nagel auf den Kopf trifft. Wobei Willmann hier klar die
Masse des Publikum auf seiner Seite hat. Für mich erscheint
das als One-Man-Show, die nahe geht, weil sie intensiv ist
und rücksichtslos, nicht "krass". Weil viel
Wahrheit in der ganzen Ignoranz und Monomanie steckt. Der
Mann ist zum Kotzen. Und liebenswert. Solche Leute gibt's
halt. Natürlich interessiert sich der Film für nichts,
als Bierbichler und die imaginären Vaterkonflikte, die
hier ausgefochten werden. Natürlich interessiert einen
die Frauenfigur nicht die Bohne. Aber: So what?
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EDEN beginnt mit einer Ode: "Mit der Entdeckung des
Kochens begann die Entwicklung des Steinzeitmenschen zum Homo
Sapiens. Kochen ist die Mutter der Philosophie, der Chemie
und der Physik. Kochen ist Dichtung, Transformation, Schöpfung.
Kochen ist die älteste Kunstgattung, älter als die
Höhlenmalerei." - so die ersten Sätze eines
Spielfilms, der vom Kochen handelt, dem Kult des Kochens,
und von Gregor (grandios und mit zarter Eleganz gespielt von
Josef Ostendorf) einem Menschen, der seine ganze Leidenschaft
ins Kochen und Schlemmen steckt. Das Ergebnis ist eine Cucina
Erotica, die die Esser geil macht. Das einzig asexuelle Wesen
bleibt Gregor selbst - bis die junge Eden (MTV-Kult Charlotte
Roche in ihrer ersten Filmrolle) diesen burlesken Hanswurst
erweckt, und er die Macht seiner Kochkunst verliert.
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Langsam lernt das deutsche Kino, dass das Rohe und das Gekochte
zusammengehören, dass zu Sinnlichkeit und Sex auch die
Erlaubnis gehört, sich mal dreckig zu machen. Dies belegt
auch VALERIE von Birgit Möller, ein sehr starker Film,
die Story eines reichen, armen Großstadtgirls, die in
ihrer Klarheit und Reduktion an die Werke von Amos Kollek
(SUE) erinnert.
Weniger kühl, weinerlicher ist ELBE von Marco Mittelstaedt,
Ost-Tristesse, wie man sie in den letzten Jahren schon ein
paar Mal zu oft gesehen hat. Und Franziska Strünkels
ambitionierter Thriller VINETA, basierend auf einem Theaterstück
von Moritz Rinke, in dessen Zentrum ein überarbeitetes
Genie steht, ist im Ergebnis nur ein professionell gemachtes,
aber hochgradig prätentiöses Nichts am Rande der
Publikumsveralberung - mit Peter Lohmeyer, Ulrich Matthes
und Matthias Brandt allerdings starbesetzt. Dann doch viel
lieber in Sven Taddickens EMMAS GLÜCK in dem ein kindliches
Bauernmädchen - die unglaublich bezaubernde Jördis
Triebel wird wohl hoffentlich mit dem Förderpreis ausgezeichnet,
und da werden wir auch mal kurz nichts Wahres über diesen
Preis sagen, sondern den Mund halten und laut applaudieren
- durch die Liebe zu einem Krebskranken erlöst wird -
mit einer Schlachtszene, wie man sie noch nicht gesehen hat.
Manchmal muss man sich für sein Glück eben dreckig
machen.
Rüdiger Suchsland
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