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München 2006 20.07.2006
 
 
 
Das Rohe und das Gekochte

Emma und ihr Borstenvieh -
Jördis Triebel in EMMAS GÜCK

 
 
 
 

Manchmal muss man sich eben dreckig machen - wieder mal Ärger um den Förderpreis und deutsche Filme; erste Notizen vom Münchner Filmfest 2006

"Land of hope and glory" - das war mal ein wirklich netter Einfall: Aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums des FilmFernsehFonds Bayern gab es keine langen Reden, keine Selbstbeweihräucherung auf der Bühne und was dergleichen Veranstaltungen sonst so erwarten lassen - dafür hatte man ein Orchester aus Regisseuren, Produzenten, anderen Filmbeschäftigten und Förderern geformt. Und das spielte gemeinsam ein paar Lieder, und alles klang wohl. Ein angenehm entspannte Art, sein Jubiläum zu feiern.

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Bei der anschließenden Party gab es Rohes und Gekochtes, und viel Bier, und es war durchaus eine nette Veranstaltung - aber auch belastet von der üblichen Filmfest-Hysterie. "Der Ströhl macht das Filmfest kaputt", erzählte eine Kollegin, die zumindest immer offen und ehrlich ist, über den Filmfest-Chef. "Der Pfeiffer erzählt überall herum, dass der Ströhl das Filmfest kaputt macht." meinte kurz darauf eine andere. Gemeint war Hartmut Pfeiffer, Pressechef der HypoVereinsbank, die den "Förderpreis Deutscher Film" stiftet, auf den wir gleich noch ausführlicher kommen werden. Und tatsächlich berichteten andere Ähnliches, und so verdichtete sich der pikante Eindruck, dass der Mitarbeiter eines Sponsors unter der Hand die gesponsorte Veranstaltung schlecht redet. Der Grund: Filmfest-Chef Andreas Ströhl tanzt nicht nach der Pfeife Pfeiffers und seiner Preisstifter, und macht aus seiner Überzeigung kein Hehl, dass es für Filmfest und Förderpreis besser wäre, gäbe es keine Preisnominierungen. "Überflüssig und schädlich" sei das, zitiert schon der Boulevard. Worum es überhaupt geht, erklären wir gleich. Zuvor noch eine Beobachtung: Pfeiffer stand auf dem FFF-Fest fast den ganzen Abend und also auffällig lang mit Ströhls Vorgänger Eberhard Hauff herum. Wer weiß, dass Hauff auf Ströhl nicht gerade gut zu sprechen ist, konnte sich denken, was er da so auf Pfeiffer einredete.

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Wieder gibt es also Ärger. Produzenten und Regisseure schimpfen, offen oder hinter vorgehaltener Hand, ein Film wird in letzter Minute ganz aus dem Filmfestprogramm zurückgezogen - der auf dem Filmfest verliehene "Förderpreis Deutscher Film", schon seit Jahren im Gerede, wird endgültig beschädigt.
Dabei klingt alles wunderschön: "Das kreative und innovative Engagement junger deutscher Filmemacher" soll der "Förderpreis Deutscher Film" fördern. 50.000 Euro gibt es, verteilt auf vier Preise - auch nach den Kürzungen der letzten Jahre immer noch eine stattliche Summe.

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Am liebsten würden die Stifter des Ex-"Regieförderpreis" - neben der HypoVereinsbank die Bavaria und der BR - diesen Preis wohl gern gleich ganz selbst vergeben. Damit man aber die Preissumme auch von der Steuer absetzen kann, und das Ganze einen sauberen Eindruck macht, braucht man eine unabhängige Jury. Und damit fängt der Ärger an. Weil die Jurys nämlich mehrmals wirklich unabhängig waren und Preise vergaben, die den Preisstiftern nicht passten, führte man dubiose Vor-Nominierungen ein.
Wer da genau nominiert, weiß - schon das ist ein Unding - offiziell keiner, hinter vorgehaltener Hand flüstert man sich zu, es handle sich um die Pressesprecher der Hypovereinsbank und seinen Amtskollegen vom "FilmFernsehFonds Bayern", um besagten Hartmut Pfeiffer und um Lothar Just, der auch die Pressearbeit des Preises übernommen hat. Dass sie sich von preisfremden Überlegungen beeinflussen lassen, wollen wir nicht unterstellen. Dass diese beiden aber kompetent genug sind, um entscheidende Vorentscheidungen über diesen wichtigen Preis zu treffen, bestreiten wir aber schon. Und wären sie es, warum könnten Just und Pfeiffer dann nicht auch gleich in die Jury?

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Aber nicht die Kompetenz dieser Nominierungen ist das Hauptproblem, sondern die Tatsache, dass es sie überhaupt gibt. Denn durch sie teilt man die infrage kommenden deutschen Filme, die sämtlich unter der Voraussetzung eingeladen werden, dass sie im Rennen um den Förderpreis vertreten sind, in Einladungen erster und zweiter Klasse - im Gegensatz zum Wettbewerb jedes anderen deutschen Festivals. Am Ende bleiben nur maximal drei Filme übrig, die eine Preischance erhalten.
In jedem Jahr führt das wieder zu Enttäuschung und Wut bei der Jury, der praktisch jede Entscheidungsfreiheit genommen wird, und bei den Teilnehmern: "Das ist, wie wenn ein Team bei der WM mit dabei ist, aber nichts gewinnen darf." meint eine Produzentin. "Warum überlässt man die Preisentscheidung nicht der Jury?" fragt ein Regisseur. Zudem versteht keiner, der die Filme kennt, warum MEIN ANDERES LEBEN, MONDSCHEINKINDER, NEANDERTAL und VALERIE der Jury nicht mit zur Auswahl gestellt werden.

NEANDERTAL wurde noch nach Filmfestbeginn zurückgezogen - offiziell aufgrund technischer Probleme. Aber jeder in München weiß, dass Regisseure und ihr Produzent Peter Rommel, mit mehreren deutschen Filmpreisen einer der renommiertesten des Landes, über ihre Nichtnominierung alles andere als erfreut waren. "Ich war überrascht, und wusste nicht, dass das so gehandhabt wird." gibt Rommel zu, "unser technisches Problem hat mir geholfen, auf den Missstand aufmerksam zu machen."

Die Stifter beschädigen mit ihren Vornominierungen also alle: Die Jury, der man offenbar keine selbstständige Entscheidung zutraut. Das Filmfest, dessen Geschmack und Auswahl man infrage stellt. Diejenigen Filmemacher, denen man die Preischance willkürlich nimmt, und die mit einer Einladung zweiter Klasse abgespeist werden. Und nicht zuletzt sich selbst: "Typisches Münchner Gemauschel" - das sagt man längst nicht nur in Berlin und Köln über den "Förderpreis". Schon diesmal sagten Produzenten, deren Filme man einlud, höflich "nein danke!" Der Trend wird sich fortsetzen und noch verstärken. Ein etablierter, anerkannter Preis wird ohne Not kaputt gemacht.

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Noch ein Letztes zu diesem überaus unerfreulichen Thema: Natürlich hat jeder Preisstifter das Recht, mit seinem Preis zu machen, was er will. Man darf auch vornominieren, man darf auch wenn es sein soll 15 Vorkommissionen einführen. Wenn eine Jury und ein Festival sich das gefallen lassen, sind sie allein selber schuld. Aber man sollte diesen Preis dann nicht bundesweit als irgendwie von Belang und den Wettbewerb als fair und chancengerecht verkaufen. Man sollte, mit anderen Worten, die Filmemacher nicht verarschen.

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Es beginnt fast wie eine heitere Sommergeschichte: Ein junger Mann, Paul, kommt zu Ferienbeginn zu Verwandten, die sind ein wenig überrascht, aber sie nehmen Paul bereitwillig auf. Bald beginnt er sich nützlich zu machen, indem er den kaputten Pool im Garten repariert. Zugleich lernt er und wir mit ihm die Verwandten näher kennen, eine Kleinfamilie, Vater, Mutter, Kind. Doch ganz allmählich werden auch die Haarrisse in der Harmonie erkennbar: Die Ehe ist schlecht, die Mutter lässt ihre überschüssige Energie am hochpubertierenden Sohn aus, indem sie ihn beim Klavierüben für eine Aufnahmeprüfung trietzt, und der kompensiert das, indem er heimlich trinkt - Abgründe des Bürgerlichen.
Ein Kammerspiel, klar, konzentriert, voller Intensität - Kino ohne Schnickschnack. Im Mai hat es PING PONG von Matthias Luthardt in die strenge Auswahl der "Semaine de la Critique" von Cannes geschafft, jetzt erlebt er beim Filmfest München seine deutsche Premiere. Und wenn es mit rechten Dingen zugeht, dürfte Luthardt und sein starker Film zu den Favoriten gehören auf den "Förderpreis Deutscher Film", einst Hypo-Preis, bei dem ein Regisseur immerhin 30.000 Euro gewinnen kann.

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Zwei, die nicht mehr dazugehören, sind Hans Steinbichler und Michael Hofmann. Beide hatten in früheren Jahren nämlich schon mal den Regiepreis gewonnen. Steinbichler eröffnet heute Abend mit WINTERREISE, Hofmann präsentiert mit EDEN einen Film, der ganz anders ist, als sein damaliger Siegerfilm SOPHIIIIE!!!
Will man sich auf einen Grund konzentrieren, um WINTERREISE begeistert zu empfehlen, dann ist es Sepp Bierbichler. Und die Rolle des Franz Brenninger, der Hauptfigur des Filmfest-Eröffnungsfilms - erstmals seit zehn Jahren wieder ein deutscher Film - ist ohne Untertreibung Bierbichler wie auf den Leib geschrieben und für ihn eine der Rollen seines Lebens.
"Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus." - man kann den zweiten Film von Hans Steinbichler, der mit seinem Debüt HIERRANKL - in dem auch schon Bierbichler mitspielte - 2003 triumphal den Regieförderpreis beim Münchner Filmfest gewann, als persönliche Interpretation und Variation von Franz Schuberts melancholischem Liederzyklus begreifen. Auch er erzählt eine Reise und sehr früh schon lässt sich ahnen, dass sie kein gutes Ende nehmen wird.

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Ein Mann schimpft. Er verflucht die Autofahrer, die Banken, Geschäftspartner, aber auch seine Familie, seine Mitmenschen überhaupt, die ganze Welt. "Alles Arschlöcher!" Manchmal ist er ganz außer sich vor Zorn. Die Welt, seine Welt ist aus den Fugen. Und manchmal singt er. Im Kirchenchor seiner Heimatstadt Wasserburg am Inn, im Auto, wenn kein anderer Autofahrer in der Nähe ist, über den er sich aufregen kann, und zu Hause, wenn er mit dem Kopfhöher an den Ohren laute Musik hört. Dann ist er glücklich.
Klinisch betrachtet ist Brenninger womöglich manisch depressiv. Aber viel wichtiger ist, dass er eine wunderschöne Kinofigur ist: Ein Geschäftsmann, genialisch und hochverschuldet, ideenreich und überaus sensibel, einer der liebevoll und zärtlich zu den Menschen sein kann, und der sich hassen kann. Wenn man ihm zuschaut und vor allem zuhört, in endlosen Stakkato-Monologen, ist das auch wunderbar witzig, sehr amüsant - nur bleibt einem das Lachen manchmal im Hals stecken. Bierbichler arbeitet alle Nuancen dieser Figur heraus, man kann in seinem Gesicht auch hinter den Masken des Augenblicks lesen - und je länger man zusieht, um so weniger wird man den Eindruck los, dass hier ein Schauspieler mit seiner Rolle ganz verschmolzen ist.
Erzählt wird, wie dieser Mann sich zunächst seiner selbst und seiner engsten Familie immer mehr entfremdet, "sich verliert", und wie er sich dann wieder findet über eine Zufallsbekanntschaft und eine Reise nach Afrika, die er aus existentieller Not unternimmt, um für seine schwer kranke Frau Maria das Geld für eine notwendige Operation aufzutreiben, und dabei letztlich auch sich selbst zu retten… Dabei hilft ihm nur seine Übersetzerin Leila.
WINTERREISE erzählt von Einsamkeit und Verlorenheit, von Todessehnsucht und Lebenshunger. Ein starker Auftritt, souverän inszeniert, und ein Film, der in seiner romantischen, "typisch deutschen" Art an den frühen Wenders erinnert - allerdings, wie gesagt, mit viel mehr Humor. Neben Bierbichler spielen Hanna Schygulla und Sibel Kikili die Hauptrollen - letztere in ihrem ersten Auftritt seit GEGEN DIE WAND. WINTERREISE ist großes Kino. Eine melancholische Komödie mit menschlichen Antlitz, ein Film zwischen Vulkanausbruch und Poesie, dem man immer weitern zugucken möchte, auch wenn er schon lange zuende ist, und das letzte Lied "Der Leiermann" schon lange verklungen.

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Nur ein "Schaulaufen" und gegenseitiges Schulterklopfen zwischen Regisseur und Star, wie Kollege Willmann, kann ich darin nicht erkennen - auch wenn er mit seinen Bemerkungen zum Afrika-Teil und zum Selbstmord der Brenningerfigur leider den Nagel auf den Kopf trifft. Wobei Willmann hier klar die Masse des Publikum auf seiner Seite hat. Für mich erscheint das als One-Man-Show, die nahe geht, weil sie intensiv ist und rücksichtslos, nicht "krass". Weil viel Wahrheit in der ganzen Ignoranz und Monomanie steckt. Der Mann ist zum Kotzen. Und liebenswert. Solche Leute gibt's halt. Natürlich interessiert sich der Film für nichts, als Bierbichler und die imaginären Vaterkonflikte, die hier ausgefochten werden. Natürlich interessiert einen die Frauenfigur nicht die Bohne. Aber: So what?

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EDEN beginnt mit einer Ode: "Mit der Entdeckung des Kochens begann die Entwicklung des Steinzeitmenschen zum Homo Sapiens. Kochen ist die Mutter der Philosophie, der Chemie und der Physik. Kochen ist Dichtung, Transformation, Schöpfung. Kochen ist die älteste Kunstgattung, älter als die Höhlenmalerei." - so die ersten Sätze eines Spielfilms, der vom Kochen handelt, dem Kult des Kochens, und von Gregor (grandios und mit zarter Eleganz gespielt von Josef Ostendorf) einem Menschen, der seine ganze Leidenschaft ins Kochen und Schlemmen steckt. Das Ergebnis ist eine Cucina Erotica, die die Esser geil macht. Das einzig asexuelle Wesen bleibt Gregor selbst - bis die junge Eden (MTV-Kult Charlotte Roche in ihrer ersten Filmrolle) diesen burlesken Hanswurst erweckt, und er die Macht seiner Kochkunst verliert.

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Langsam lernt das deutsche Kino, dass das Rohe und das Gekochte zusammengehören, dass zu Sinnlichkeit und Sex auch die Erlaubnis gehört, sich mal dreckig zu machen. Dies belegt auch VALERIE von Birgit Möller, ein sehr starker Film, die Story eines reichen, armen Großstadtgirls, die in ihrer Klarheit und Reduktion an die Werke von Amos Kollek (SUE) erinnert.
Weniger kühl, weinerlicher ist ELBE von Marco Mittelstaedt, Ost-Tristesse, wie man sie in den letzten Jahren schon ein paar Mal zu oft gesehen hat. Und Franziska Strünkels ambitionierter Thriller VINETA, basierend auf einem Theaterstück von Moritz Rinke, in dessen Zentrum ein überarbeitetes Genie steht, ist im Ergebnis nur ein professionell gemachtes, aber hochgradig prätentiöses Nichts am Rande der Publikumsveralberung - mit Peter Lohmeyer, Ulrich Matthes und Matthias Brandt allerdings starbesetzt. Dann doch viel lieber in Sven Taddickens EMMAS GLÜCK in dem ein kindliches Bauernmädchen - die unglaublich bezaubernde Jördis Triebel wird wohl hoffentlich mit dem Förderpreis ausgezeichnet, und da werden wir auch mal kurz nichts Wahres über diesen Preis sagen, sondern den Mund halten und laut applaudieren - durch die Liebe zu einem Krebskranken erlöst wird - mit einer Schlachtszene, wie man sie noch nicht gesehen hat. Manchmal muss man sich für sein Glück eben dreckig machen.

Rüdiger Suchsland

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