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Zum Eröffnungsfilm WINTERREISE
In der Theorie, ja in der Theorie, da ist das eine gute Sache:
Als Eröffnungsfilm mal nicht irgendwas gediegen Kunsthandwerkliches,
Internationales, bei dem ein Boulevard-Berichterstattungs-tauglicher
Star auftritt. Sondern ein einheimisches Gewächs, mit
engeren Beziehungen zum Münchner Filmfest, was Schwieriges
und Kantiges. Sepp Bierbichler statt Scarlett Johanssen: Ein
Statement, ein Zeichen, eine programmatische Erklärung,
Kampfansage. (Wenngleich in Wahrheit möglicherweise eine
Notlösung, weil man was Internationales, Gefälliges
mit Star nicht mehr bekommen hat - aber auch dann eine durchaus
bekenntnishafte Wahl aus dem vorhandenen Pool an Filmen.)
Eine weitere wichtige Station des beharrlichen Reformkurses,
mit dem Andreas Ströhl das Filmfest von seinen eingefahrenen
Strukturen weglenkt und ihm eine neues - und uns persönlich
deutlich sympathischeres - Profil verpasst. Wir halten es
ja für keinen Zufall, dass Ströhl mit seinem Vollbart
äußerlich immer mehr Hans Hurch zu ähneln
beginnt, dem Leiter der Viennale, unseres erklärten Lieblings-Filmfestivals.
Aber: Die Praxis. Tja, die Praxis. Die heißt WINTERREISE,
ist der zweite Film von Hans Steinbichler, dessen Debut HIERANKL
2003 in München den "Förderpreis Deutscher
Film" zugesprochen bekam.
Und wie sollen wir sagen... Vielleicht so: Bei der Pressevorführung
im Filmmuseum letzte Woche waren die Toiletten kaputt, was
sich bis in den Vorführsaal olfaktorisch bemerkbar machte.
Uns schien's wie die perfekte Umsetzung der alten Idee vom
Geruchskino.
Jetzt mögen wir freilich alle den Bierbichler Sepp narrisch
gern. Und schauen ihm bereitwillig bei allem zu, was er auf
Bühne und Leinwand zu tun beliebt. Aber just da liegt
das Problem. Regisseur Steinbichler geht's offenbar genauso;
in einem Interview hat er unlängst gesagt, seine einzige
Idee zu diesem Film sei zunächst gewesen: "Sepp
Bierbichler".
Und Bierbichler ist - so ungefähr wie damals Klaus Kinski
selig - auf der gefährlichen Grenze zwischen echtem Schauspieler
und "bloßem" Phänomen. Sich von der Leine,
sein Repertoire an Typischem vom Stapel lassen, das kann er
nur zur leicht. Er braucht Stücke und Regisseure, die
dagegenhalten. Die einbremsen, in Bahnen lenken, ihm Subtilität
abverlangen und echte darstellerische Arbeit. Steinbichler
aber will nur die große Sepp Bierbichler-Show.
Und die kriegt er, und präsentiert sie, dass man nicht
weiß, welcher von den beiden -bichlern, der Bier- oder
der Stein-, da verliebter ist in all die Manierismen und gewollten,
vorhersehbaren Exzesse. Das ist alles besoffen von einer Begeisterung
für sich selbst, von einem ständig sich selbst auf
die Brust klopfenden Gefühl von "Mei, san mir krass."
Der Bierbichler Sepp sagt bestimmt fünzig Mal "Arschloch",
weil's halt so schön ist, ihn "Arschloch" sagen
zu hören; der Bierbichler Sepp macht sich nackert, und
zwar zweimal, weil's halt so krass ist, wenn er sich nackert
macht; der Bierbichler Sepp haut gegen Bleche und schmeißt
Regale um (teils nackert! krass!), und schnauft und schnaubt
und tobt und schreit.
Und man nimmt es (zumindest anfangs) amüsiert hin - aber
fast nix davon geht tiefer, berührt, tut weh. Weil es
eben nur ein Bierbichlersches Schaulaufen ist statt echter
Schauspielerei, weil es sich viel zu wenig drum kümmert,
eine wirklich glaubhafte Film-Figur entstehen zu lassen.
Bierbichlers vorgeblicher Filmcharakter ist der alternde
Wasserburger Baumarkt-Zulieferer Franz Brenninger, dessen
Geschäfte zunehmend schlecht laufen - die Großen
der Branche schanzen sich die Aufträge gegenseitig zu,
die Zahlungsmoral seiner Kunden ist miserabel. Seine Frau
(Hannah Schygulla - eine ambivalente Person...) droht zu erblinden,
bräuchte eine Operation. Was ihn alles nicht daran hindert,
seine Freizeit mit Huren zu verbringen. Dazu kommen psychische
Probleme - was vielleicht mal als typisch bayerisch-grantige,
kompromissunbereite Art Brenningers begann, artet immer mehr
aus, auch wenn er das nicht einsehen will. Brenninger steigert
sich in die Vorstellung hinein, ein dubioses Geldverschiebe-Angebot
aus Kenia könnte ihm den Ausweg zumindest aus der finanziellen
Krise bringen; selbstverständlich ist es eine dieser
im Internet üblichen Trickbetrügereien, die ihn
auch noch die letzten stillen Reserven zu kosten droht.
Eigentlich also keine uninteressante Figur - wenn es den Film
halt interessieren würde, sie stimmig zu zeichnen, statt
sie nur als Austob-Sprungbrett für Bierbichler zu nutzen.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Dieser Mann um die Sechzig
aus der Handwerkerbranche in der Provinz hört in dem
Film daheim zeitgenössischen Indie-Rock, einen schlechten
Radiohead-Abklatsch mit dem ach so symbolträchtigen Refrain
"I'm going insane". Nicht, weil es irgendwie glaubhaft
zu dem Charakter passen könnte, sondern weil es Bierbichler
die Gelegenheit gibt, rumzuschreien "Des is da Wahnsinn!".
Solcher falscher Töne sind in WINTERREISE unzählige
- und selbst da, wo etwas stimmig sein könnte, ist immer
erstmal das Bedeutungsgehubere und der aufdringlich zur Schau
gestellte Kunstwille da, bevor sich etwas entfalten könnte.
Kaum eine Einstellung, die nicht plärren würde "Hier
wird KUNST gemacht!" - und wie meist ist das der sicherste
Weg zum bloßen Kunsthandwerk, dem die Prätention
nur so aus dem Mund schäumt.
Zu dieser Prätention gehört - der Titel läßt's
hinreichend ahnen -, dass auch der arme Franz Schubert herhalten
muss, um Brenningers Abstieg in Wahn, Verzweiflung, Tod zu
begleiten und zu mystifizieren. (Wem Schubert nix bedeutet,
der darf diesen Absatz überspringen und es ungerührt
hinnehmen, was für eine Hin- und Herrichtung der radikalste
aller Liederzyklen in Steinbichlers Film widerfährt.)
Das geht los damit, dass Brenninger bei einer nächtlichen
Autofahrt geradezu überfallen wird von einer Aufnahme
von "Der Wegweiser", sie ihn fast buchstäblich
aus der Bahn wirft. Soweit ist das, wenn man für Schubert
empfänglich ist, durchaus plausibel. Aber was eine garstige
Aufnahme, die der Film da verwendet - offenbar eigens für
den Soundtrack eingespielt, um Lizenzgebühren zu sparen:
Ein larmoyantes Gesülze mit Fischer-Dieskau-Allüren
(und Fischer-Dieskau im Original wäre schon schlimm genug
gewesen...). Genau an dem vorbei, was Schubert groß
macht - seine erbarmungslose Klarsichtigkeit, diese Ausweglosigkeit
jenseits jeden Melodrams und Greinens zur Schnulzigkeit umgebogen.
Später muss man noch eine "Interpretation"
des Eröffnungslieds des Zyklus von Hannah Schygulla über
sich ergehen lassen, die so gewollt, unverständig und
daneben ist, dass wir uns lieber gar nicht nochmal genauer
dran erinnern wollen. Und dann gibt's gegen Ende noch von
einem zufällig nach Kenia verschlagenen deutschen Schubert-Fan
einen kleinen Volkshochschul-Vortrag über die "Winterreise",
der zielstrebig alles zu beschreiben vermeidet, was wirklich
an den Kern von Schuberts Genie rankäme. Plus eine melodielose,
aber im neuneinhalbten Monat bedeutungsschwangere Rezitation
des "Nebensonnen"-Gedichts, als wäre es Müllers
zweifelhafte Lyrik, in der die Größe der "Winterreise"
läge und nicht in dem, was Schuberts Musik damit und
daraus macht.
Der einzige halbe Lichtblick ist dabei der Bierbichler Sepp,
der auch zum Liedvortrag kommt, u.a. des "Leiermanns".
Bierbichler hat ja mit dem Uri Caine-Ensemble schon Liederabend-Projekte
gemacht, die relativ gelungen manch bittere Perle des (spät-)romantischen
Repertoires vom Schleier des Schmalzes und der Schönheit
befreit haben. Und auch hier ist Bierbichlers brüchige
Fistel-Gesangsstimme nicht ganz fehl am Platze, geht's schon
in die richtige Richtung. Wenn's auch noch einen Tick zu gewollt,
zu inszeniert, zu wenig schlicht und von Herzen ist, um wirklich
zu erschüttern.
Was einen an all dem Kunst- und Bedeutungsanspruch, den WINTERREISE
schubkarrenweise vor sich herschiebt, aber letztlich wirklich
so fuchsig machen kann, das ist, wie feige er sich mit seinem
Hyper-Poetisieren vor allem drückt, wo's wirklich interessant
würde.
Es ist ja schlimm genug, die Schygulla solch Bleisätze
aufsagen zu hören wie "Franz. Was ist in Dir drin?
Lass es heraus. Dann können wir es teilen". Aber
wenn's schon sein muss, dann doch bitte in einem Film, den's
wirklich interessiert was drin ist, im Franz.
Die Widmung des Films lautet "Für unsere Väter",
und man darf vermuten, dass Steinbichler, Jahrgang 1969, und
Drehbuchautor Martin Rauhaus, wohl ein Generationsgenosse,
in einem Alter sind, wo man sich tatsächlich damit auseinandersetzen
muss wie's ist, wenn die Väter alt werden und vielleicht
auch sonderbar. Es gibt ein paar wenige Szenen, in denen Brenningers
Monomanie wirklich in den Kontext seiner Familie gestellt
wird, wo man ihn mit seinen ratlosen, erwachsenen Kindern
sieht, die ihn nicht einmal soweit bringen können, dass
er eingestünde, dass er ein Problem hat.
Da keimt eine Ahnung davon auf, dass Brenningers psychische
Krankheit eben nicht nur im romantischen Bild des irgendwie
immer heiligen, attraktiven Wahns abzuhandeln wäre, sondern
dass es reale Schmerzen, reale Komplikationen gäbe, denen
nachzugehen den Film auf wirklich krasses Terrain führen
hätte können.
Aber da will er nicht hin. Statt dessen setzt sich diese
Winterreise lieber nach Afrika ab.
Vorgeblich, weil Brenninger sein Geld zurück will. Wobei
er sich von der jungen Laila als Dolmetscherin begleiten lässt
(die bezaubernde Sibel Kekilli hat leider kaum mehr als dekorative
Funktion, ihre Filmfigur so gut wie keine eigene Geschichte
- außer, dass sie en passant kurz auch noch etwas Kurdenproblematik
in den Film bringt, weil sich das ja immer gut macht).
Aber in Wirklichkeit ist das alles bloß eine Flucht
ins Mythische, Pseudopoetische. Wobei paradoxerweise in den
Sequenzen in Kenia erstmals ein Gefühl von wahrem Leben
zumindest in die Ränder der Bilder kommt. Und zwar einfach,
weil sich dort die Produktionsbedingungen offenbar weniger
kontrollieren ließen, weil man dort wirklich auf offener
Straße ohne Absperrungen gedreht hat. Man wird dabei
den Verdacht nicht los, dass eine Doku über das deutsche
Drehteam mit seinen Prätentionen in Konfrontation mit
der afrikanischen Wirklichkeit eine Polt-würdige Realsatire
abgeben würde.
Dem Film ist aber diese Wirklichkeit im besten Fall egal,
im zweitbesten unangenehm. Im schlimmsten Fall versucht er,
sie für seine verstiegenen Zwecke zu missbrauchen. Es
gibt eine Szene, da wird das vollends bäh: Da sitzen
in einer Seitengasse ein alter, anscheinend kranker Mann und
ein kleiner Junge in einem Haufen Dreck, und Bierbichler gesellt
sich zu ihnen, lehnt sich neben ihnen in halber Hocke an die
Wand, will sich aber offensichtlich nicht ganz zu ihnen setzen,
sei es, weil es ihm vor dem Müll am Boden graust, sei
es, weil ihm selbst zu peinlich ist, wie da das echte Leiden
zweier Menschen zum bloßen Schauwert gemacht wird für
diese "Kunstscheiße" (um mal ein schönes
Kaurismäki-Wort für diese Art von Filmen zu verwenden).
Von solchen unfreiwilligen Statisten abgesehen, ist das Fantasie-Kenia
von WINTERREISE nur von Pappkameraden bevölkert - einem
fiesen deutschen Botschafter, der einem trashigen '70er-Jahre-Thriller
entflohen sein könnte; dem schon oben erwähnten
Schubert-Sammler, der eher wie die Schultheater-Version einer
Graham Greene-Figur wirkt; und den bösen afrikanischen
Trickbetrüger.
Was der Film aber eigentlich sucht in Kenia, das ist die Kitschvorstellung
vom "Mythos Afrika", ein Land der Magie, Weisheit,
Natürlichkeit, also das volle Programm postkolonialistischer
Romantisierung.
Und in dieser "poetischen" Kulisse kann der Brenninger
sich dann (offscreen) aufhängen, und es ist super. Weil
die Familie daheim bekommt ja noch ein Geld, wird also bestimmt
total happy sein. Und Lailas Stimme verzapft uns beim Panorama
eines afrikanischen Sonnenuntergangs, dass der Tod der eigentliche
Beginn des Lebens sei. Somit der Brenninger also sein Glück
gefunden hat und alles ganz wunderbar ist.
Und das schwurbelt so rührend und versöhnlich und
lyrisch daher, dass man sich tatsächlich für ein
paar Zehntelsekunden einlullen lassen könnte - bis einem
schlagartig klar wird, wie sehr gelogen und falsch das alles
ist, und wie feige es alles unter den Teppich zu kehren versucht,
was es sich anfangs an Themen auf's Tablett geladen hat. Nein,
nein und nochmals nein: Der Tod IST nicht der Anfang des Lebens.
Und dass Brenninger Selbstmord begeht, wird nicht dadurch
gut und schön, dass er es in beeindruckenderer Landschaft
tut als in Wasserburg am Inn.
Aber an diesem Ende ist halt kein Bierbichler mehr in dem
Film, der täte, was nötig wäre. Nämlich
mal ganz laut "Scheiße!" schrein.
Thomas Willmann
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