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Filmfest München 2006 27.07.2006
 
 
Water - ein Film von Deepa Mehta
 
Cannes 2006
Wasser als Hoffnungsträger:
Sarala in der Rolle der Chuyia
 
 
 
 

Wasser - das Elixier des Lebens. Wenn Forscher auf der Suche nach außerterrestrischem Leben ihren Blick in den Weltraum richten, dann halten sie vor allem nach einem Ausschau: H2O.

Chuyia ist sieben Jahre alt. Unverwüstlich fröhlich. Manchmal jähzornig. Häufig aufmüpfig. Gar nicht schüchtern. Und: Witwe. Im Indien von 1938 nichts Ungewöhnliches: Kleine Mädchen werden früh verheiratet. Stirbt der Gatte, wartet auf sie, wie auf alle verwitweten Frauen, ein unbarmherziges Schicksal: Die Familie schiebt die nun Wertlose in einen Ashram ab, wo sie ein Leben in Demut und Entsagung führen soll.

Nicht von ungefähr ist der Film an den Ufern des Ganges angesiedelt, dem heiligen Fluss der Hindus. Ein Bad in ihm verspricht die Reinigung von Sünden und die Hoffnung auf ein besseres Karma im nächsten Leben. Regisseurin Deepa Metha vollendet damit ihre Trilogie über die Elemente Feuer, Erde und Wasser.

Und so wird Wasser zum Schlüssel des Films: Es trennt Welten, vereint Liebende, und ist der letzte Ausweg für Verzweifelte. Wasser führt auch Narayan und Kalyani zusammen, die sich begegnen, als die junge Witwe Kalyani gemeinsam mit der kleinen Chuyia ihr Hündchen badet. Der Welpe entwischt, die temperamentvolle Chuyia stürmt hinterher und kommt an der Hand des frischgebackenen Juristen Narayan zurück.

Nachts aber gleitet eine Barke über den stillen Strom. Er trennt Kalyanis armseliges Leben am Tage von ihrem heimlichen Tun in der Nacht. Als einzige Frau in dem Witwenheim darf sie das Haar lang tragen - um den Männern zu gefallen. Das Geld für ihre Liebesdienste streicht die Heimleiterin Madhumati ein. "Fette Kuh" nennt sie Chuyia, und beißt die Matrone bei ihrer ersten Begegnung erst einmal in die feiste Wade.

Die Frauen im Ashram leben wie Aussätzige. Denn die Frauen, so predigen die Gelehrten, haben ihren schweren Schicksalsschlag - den Tod des Gatten - durch Sünden in einem vorhergehendem Leben selbst herbeigeführt und sollen nun dafür Buße tun. Pass auf, dass dein Schatten nicht auf die Braut fällt, ermahnt der Priester die Witwe Shakuntala. Denn bereits ihr Schatten wird als unrein angesehen.

Narayan sieht das anders. Der junge Jurist - gespielt von Bollywoods prominentem Darsteller John Abraham - erklärt es an einem Wendepunkt des Films in ebenso schlichten wie niederschmetternden Worten: "Euer Leben im Ashram bedeutet für die Familie ein Maul weniger zu stopfen, vier Saris weniger im Jahr bezahlen, ein Bett weniger, mehr Platz für die anderen" - es geht um Geld, nicht Religion.

Immer wieder weht ein Hauch von Bollywood durch den Film: Zwischen den tragischen Szenen und melancholisch- romantischen Bildern gibt es immer wieder komödiantische, slapstickartige Elemente, quirliges Leben und viel Musik, die zu einer fröhlichem, bunten Fest mit Gesang und Tanz kumulieren - ausgerechnet im Witwenheim.

Grundsätzlich jedoch ist der Tenor von Water, düster, bitter, schicksalhaft und vor allem trotzig. Letztlich erzählt der Film von der Fähigkeit des Menschen, auch unerträgliche Situationen zu überstehen. Jeder ihrer Figuren beschert Filmemacherin Deepa Mehta eine persönlich kleine Flucht: Die alte Frau, die noch Jahrzehnte nach ihrer Hochzeit vom Naschwerk der Feier träumt - Süßigkeiten, die Ihr als Witwe verboten sind. Chuyia übt sich in der Kunst bewusster Verdrängung: "Ich bleibe nicht lange, Morgen holt mich meine Mutter", sagt sie und hangelt sich so von Tag zu Tag. Auch die gebildete Shakuntala sucht ihren Weg, um sich mit der auswegslosen Situation zu arrangieren. Sie hofft ihren Frieden zu finden, indem sie eine Rechtfertigung für ihr Schicksal in der Religion sucht - was ihr, da sie zu intelligent ist, aber nicht so recht gelingen will.

Den radikalsten Schritt aber wagt Kaliyani: Von der fügsamen jungen Frau, verwandelt sie sich in eine empörende Rebellin, indem sie das Ungeheuerliche glaubt: Dass auch sie, die Witwe, ein Recht auf Hoffnung hat, ein Recht darauf, glücklich zu werden und sogar Liebe zu finden.

Das Indien von 1938 bildet den perfekten Rahmen für die Botschaft des Films, der zur Courage aufruft, sein Leben in die Hand zu nehmen und jeder Ungerechtigkeit zu trotzen. "Früher habe ich daran geglaubt, dass Gott die Wahrheit ist, Heute glaube ich, dass die Wahrheit Gott ist", sagt Ghandi in einer Sequenz des Films, die Shakuntala schließlich zur Auflehnung bewegt.

Auch heute noch gelten Witwen in Indien wenig, und Ehefrauen häufig nur solange die Mitgift reicht. Fanatische Hindus haben den Film als Hindu-feindlich angeprangert und die Dreharbeiten in Indien gewaltsam beendet. Erst Jahre später konnte die Filmemacherin WATER in aller Stille in Indien fertigstellen.

Ungerechtigkeit, gegen die es sich aufzustehen lohnt, ist jedoch ein weltweites Phänomen. Der Ganges, der Colorado, die Isar, der Nil und der Rhein könnten davon viele Geschichten erzählen.

Nani Fux

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