Wasser - das Elixier des Lebens. Wenn Forscher auf der
Suche nach außerterrestrischem Leben ihren Blick in
den Weltraum richten, dann halten sie vor allem nach einem
Ausschau: H2O.
Chuyia ist sieben Jahre alt. Unverwüstlich fröhlich.
Manchmal jähzornig. Häufig aufmüpfig. Gar nicht
schüchtern. Und: Witwe. Im Indien von 1938 nichts Ungewöhnliches:
Kleine Mädchen werden früh verheiratet. Stirbt der
Gatte, wartet auf sie, wie auf alle verwitweten Frauen, ein
unbarmherziges Schicksal: Die Familie schiebt die nun Wertlose
in einen Ashram ab, wo sie ein Leben in Demut und Entsagung
führen soll.
Nicht von ungefähr ist der Film an den Ufern des Ganges
angesiedelt, dem heiligen Fluss der Hindus. Ein Bad in ihm
verspricht die Reinigung von Sünden und die Hoffnung
auf ein besseres Karma im nächsten Leben. Regisseurin
Deepa Metha vollendet damit ihre Trilogie über die Elemente
Feuer, Erde und Wasser.
Und so wird Wasser zum Schlüssel des Films: Es trennt
Welten, vereint Liebende, und ist der letzte Ausweg für
Verzweifelte. Wasser führt auch Narayan und Kalyani zusammen,
die sich begegnen, als die junge Witwe Kalyani gemeinsam mit
der kleinen Chuyia ihr Hündchen badet. Der Welpe entwischt,
die temperamentvolle Chuyia stürmt hinterher und kommt
an der Hand des frischgebackenen Juristen Narayan zurück.
Nachts aber gleitet eine Barke über den stillen Strom.
Er trennt Kalyanis armseliges Leben am Tage von ihrem heimlichen
Tun in der Nacht. Als einzige Frau in dem Witwenheim darf
sie das Haar lang tragen - um den Männern zu gefallen.
Das Geld für ihre Liebesdienste streicht die Heimleiterin
Madhumati ein. "Fette Kuh" nennt sie Chuyia, und
beißt die Matrone bei ihrer ersten Begegnung erst einmal
in die feiste Wade.
Die Frauen im Ashram leben wie Aussätzige. Denn die
Frauen, so predigen die Gelehrten, haben ihren schweren Schicksalsschlag
- den Tod des Gatten - durch Sünden in einem vorhergehendem
Leben selbst herbeigeführt und sollen nun dafür
Buße tun. Pass auf, dass dein Schatten nicht auf die
Braut fällt, ermahnt der Priester die Witwe Shakuntala.
Denn bereits ihr Schatten wird als unrein angesehen.
Narayan sieht das anders. Der junge Jurist - gespielt von
Bollywoods prominentem Darsteller John Abraham - erklärt
es an einem Wendepunkt des Films in ebenso schlichten wie
niederschmetternden Worten: "Euer Leben im Ashram bedeutet
für die Familie ein Maul weniger zu stopfen, vier Saris
weniger im Jahr bezahlen, ein Bett weniger, mehr Platz für
die anderen" - es geht um Geld, nicht Religion.
Immer wieder weht ein Hauch von Bollywood durch den Film:
Zwischen den tragischen Szenen und melancholisch- romantischen
Bildern gibt es immer wieder komödiantische, slapstickartige
Elemente, quirliges Leben und viel Musik, die zu einer fröhlichem,
bunten Fest mit Gesang und Tanz kumulieren - ausgerechnet
im Witwenheim.
Grundsätzlich jedoch ist der Tenor von Water, düster,
bitter, schicksalhaft und vor allem trotzig. Letztlich erzählt
der Film von der Fähigkeit des Menschen, auch unerträgliche
Situationen zu überstehen. Jeder ihrer Figuren beschert
Filmemacherin Deepa Mehta eine persönlich kleine Flucht:
Die alte Frau, die noch Jahrzehnte nach ihrer Hochzeit vom
Naschwerk der Feier träumt - Süßigkeiten,
die Ihr als Witwe verboten sind. Chuyia übt sich in der
Kunst bewusster Verdrängung: "Ich bleibe nicht lange,
Morgen holt mich meine Mutter", sagt sie und hangelt
sich so von Tag zu Tag. Auch die gebildete Shakuntala sucht
ihren Weg, um sich mit der auswegslosen Situation zu arrangieren.
Sie hofft ihren Frieden zu finden, indem sie eine Rechtfertigung
für ihr Schicksal in der Religion sucht - was ihr, da
sie zu intelligent ist, aber nicht so recht gelingen will.
Den radikalsten Schritt aber wagt Kaliyani: Von der fügsamen
jungen Frau, verwandelt sie sich in eine empörende Rebellin,
indem sie das Ungeheuerliche glaubt: Dass auch sie, die Witwe,
ein Recht auf Hoffnung hat, ein Recht darauf, glücklich
zu werden und sogar Liebe zu finden.
Das Indien von 1938 bildet den perfekten Rahmen für
die Botschaft des Films, der zur Courage aufruft, sein Leben
in die Hand zu nehmen und jeder Ungerechtigkeit zu trotzen.
"Früher habe ich daran geglaubt, dass Gott die Wahrheit
ist, Heute glaube ich, dass die Wahrheit Gott ist", sagt
Ghandi in einer Sequenz des Films, die Shakuntala schließlich
zur Auflehnung bewegt.
Auch heute noch gelten Witwen in Indien wenig, und Ehefrauen
häufig nur solange die Mitgift reicht. Fanatische Hindus
haben den Film als Hindu-feindlich angeprangert und die Dreharbeiten
in Indien gewaltsam beendet. Erst Jahre später konnte
die Filmemacherin WATER in aller Stille in Indien fertigstellen.
Ungerechtigkeit, gegen die es sich aufzustehen lohnt, ist
jedoch ein weltweites Phänomen. Der Ganges, der Colorado,
die Isar, der Nil und der Rhein könnten davon viele Geschichten
erzählen.
Nani Fux
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