Mit Brian DePalmas virtuosem "The Black Dahlia" eröffnen
die 63. Filmfestspiele
Ein Festival, das mit einem Brian DePalma-Film beginnt, kann
gar nicht so schlecht werden: "Ein normaler junger Mann
wird in eine Situation geworfen, die ihn in die extremsten
Tiefen seiner eigenen Psyche führt. Am Ende erreicht
er einen Punkt der Erlösung. Dies wird erzählt in
einer Rekonstruktion seiner persönlichen Sicht und vor
dem Hintergrund eines der ersten medienvermarkteten Mordes
der US-Geschichte." Besser als James Ellroy selbst, der
bekannte US-Bestseller-Autor, kann man den Plot von THE BLACK
DAHLIA ("Die schwarze Dahlie"), mit dem am Mittwochabend
die 63. "Mostra" eröffnet wurde, nicht zusammenfassen.
Wer die Hintergründe kennt, weiß, dass Elloy hier
auch von sich selber sprach, als er sich am Mittwoch-Mittag
gemeinsam mit DePalma und den Hauptdarstellern auf der Eröffnungspressekonferenz
den Fragen der Journalisten stellte.
THE BLACK DAHLIA gehört zu den am gespanntesten erwarteten
Filmprojekten der letzten Jahre. Das liegt zunächst einmal
an dem Stoff selbst: Ellroys Kriminalroman, 1987 erschienen,
wurde prompt zum Bestseller und begründete den Ruhm des
Autors. Buch wie Film vermischen die fiktive Geschichte eines
jungen Polizisten in L.A., der zwischen zwei Frauen hin- und
hergerissen, von seinem Freund und Partner verraten, einen
spektakulären Mordfall aufklärt und dabei zum Zeugen
von Korruption und Gewalt auch innerhalb der Polizei von L.A.
wird, mit dem realen Fall des Mordes am 22jährigen Filmstarlet
Elisabeth Short. Mißbraucht und schrecklich zugerichtet
wurde ihre zweigeteilte Leiche im Januar 1947 in einem Park
von Los Angeles aufgefunden und von den Medien bald "Die
schwarze Dahlie" getauft - einer der spektakulärsten
Mordfälle der US-Kriminalgeschichte, bei dem auch bekannte
Hollywoodpersönlichkeiten zu den Verdächtigen gehörten,
und der bis heute nicht aufgeklärt wurde. Hinzu kommt
die persönliche Betroffenheit Ellroys, dessen Mutter
1957 unter ähnlichen Umständen ermordet wurde. Ellroy
schrieb über den Fall das Sachbuch "Die Rothaarige".
"Elisabeth und meine Mutter vermischten sich mit den
Jahren in meinem Kopf und wurden ein und diesselbe Person."
sagt der Autor heute.
Hinzu kommt die Vorgeschichte des Films, dem jahrelange Kämpfe
um die Person des Regisseurs - neben DePalma waren auch David
Mamet und David Fincher lange im Gespräch -, und die
Verarbeitung des hoch gehandelten, aber komplizierten Stoffes
vorausgingen. Weil Ellroy mehr ist, als ein normaler Krimiautor,
weil seine detailliert recherchierten Romane zugleich auch
eine Kulturgeschichte seiner Heimatstadt erzählen, musste
ein Weg gefunden werden, diesen Ansatz zu bewahren, und den
Stoff zugleich zugänglich und in Filmlänge erzählbar
zu machen.
Diese Aufgabe ist Brian DePalma glänzend gelungen. In
zwei Stunden entfaltet THE BLACK DAHLIA ein fesselndes Panorama
des L.A. von 1947, und spielt zugleich virtuos mit der Filmgeschichte
jener Zeit, dem Film Noir, den auch Ellroy sein Vorbild nennt.
"Das ist der faszinierendste Stil der Filmgeschichte",
betonte DePalma gestern, "leider macht man solche Filme
derzeit zu wenig."
Als Film voller cineastischer Referenzen, zugleich spannend
erzählt und gespikt mit US-Stars - Josh Hartnett, Scarlett
Johansson, Hillary Swank und Mia Kirshner spielen die Hauptrollen
- war "The Black Dahlia" ein hervorragender Eröffungsfilm
für ein Festival, das weniger Marketingbedeutung hat,
als Cannes und Berlin, und dem daher jedes Jahr aufs Neue
der Spagat zwischen Pofis und normalem Publikum glücken
muss. Wie gut das in diesem Jahr gelingt, wird sich zeigen.
Über 200 Filme gibt es am Lido zu sehen, darunter neue
Werke von David Lynch, Spike Lee, Barbara Albert, Johnnie
To und Alain Resnais.
"Für uns sind es fast Ferien, für alle die
hier sind, ist es ein bedeutender Augenblick ihres Lebens."
Diplomatisch verteilte Philip Gröning Komplimente, als
er nach der Bedeutung des für den experimentelleren und
jüngeren "Horizonte"-Wettbewerb der Filmfestspiele
von Venedig gefragt wurde: "Die 'Horizonte' sind die
beste Auswahl ungewöhnlicher Filme in der Welt."
Im Vorjahr war Gröning selbst Teilnehmer mit "Die
große Stille". Jetzt sitzt er als Präsident
der zweitwichtigsten Jury in Venedig vor. Sein Pendant für
den Wettbewerb, in dem in den kommenden elf Tagen 21 Filme
um den Goldenen Löwen kämpfen, ist Superstar Catherine
Deneuve. Mit ihr entscheiden unter anderem die Regisseure
Cameron Crowe (VANILLA SKY) und Park Chan-wook (SYMPTHY FOR
LADY VENGEANCE). Im cremefarbenen Kostüm, die schönen
Augen leider hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen,
lobte die Deneuve das Festival für seine "Cinephilie"
und erinnerte sich vor der Weltpresse an ihren ersten Venedig-Besuch:
"Es war 1967 mit Bunuels Film BELLE DE JOUR. Am Ende
gewannen wir den Goldenen Löwen." Na dann!
Rüdiger Suchsland
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