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Venedig 2006 31.08.2006
 
 
Tagebuchnotitzen, 1. Folge
Ferien, Morde und Spektakel
WHERE THE TRUTH LIES
Mit Spannung erwartet: THE BLACK DHALIA von Brian DePalma
 
 
 
 

Mit Brian DePalmas virtuosem "The Black Dahlia" eröffnen die 63. Filmfestspiele

Ein Festival, das mit einem Brian DePalma-Film beginnt, kann gar nicht so schlecht werden: "Ein normaler junger Mann wird in eine Situation geworfen, die ihn in die extremsten Tiefen seiner eigenen Psyche führt. Am Ende erreicht er einen Punkt der Erlösung. Dies wird erzählt in einer Rekonstruktion seiner persönlichen Sicht und vor dem Hintergrund eines der ersten medienvermarkteten Mordes der US-Geschichte." Besser als James Ellroy selbst, der bekannte US-Bestseller-Autor, kann man den Plot von THE BLACK DAHLIA ("Die schwarze Dahlie"), mit dem am Mittwochabend die 63. "Mostra" eröffnet wurde, nicht zusammenfassen. Wer die Hintergründe kennt, weiß, dass Elloy hier auch von sich selber sprach, als er sich am Mittwoch-Mittag gemeinsam mit DePalma und den Hauptdarstellern auf der Eröffnungspressekonferenz den Fragen der Journalisten stellte.

THE BLACK DAHLIA gehört zu den am gespanntesten erwarteten Filmprojekten der letzten Jahre. Das liegt zunächst einmal an dem Stoff selbst: Ellroys Kriminalroman, 1987 erschienen, wurde prompt zum Bestseller und begründete den Ruhm des Autors. Buch wie Film vermischen die fiktive Geschichte eines jungen Polizisten in L.A., der zwischen zwei Frauen hin- und hergerissen, von seinem Freund und Partner verraten, einen spektakulären Mordfall aufklärt und dabei zum Zeugen von Korruption und Gewalt auch innerhalb der Polizei von L.A. wird, mit dem realen Fall des Mordes am 22jährigen Filmstarlet Elisabeth Short. Mißbraucht und schrecklich zugerichtet wurde ihre zweigeteilte Leiche im Januar 1947 in einem Park von Los Angeles aufgefunden und von den Medien bald "Die schwarze Dahlie" getauft - einer der spektakulärsten Mordfälle der US-Kriminalgeschichte, bei dem auch bekannte Hollywoodpersönlichkeiten zu den Verdächtigen gehörten, und der bis heute nicht aufgeklärt wurde. Hinzu kommt die persönliche Betroffenheit Ellroys, dessen Mutter 1957 unter ähnlichen Umständen ermordet wurde. Ellroy schrieb über den Fall das Sachbuch "Die Rothaarige". "Elisabeth und meine Mutter vermischten sich mit den Jahren in meinem Kopf und wurden ein und diesselbe Person." sagt der Autor heute.
Hinzu kommt die Vorgeschichte des Films, dem jahrelange Kämpfe um die Person des Regisseurs - neben DePalma waren auch David Mamet und David Fincher lange im Gespräch -, und die Verarbeitung des hoch gehandelten, aber komplizierten Stoffes vorausgingen. Weil Ellroy mehr ist, als ein normaler Krimiautor, weil seine detailliert recherchierten Romane zugleich auch eine Kulturgeschichte seiner Heimatstadt erzählen, musste ein Weg gefunden werden, diesen Ansatz zu bewahren, und den Stoff zugleich zugänglich und in Filmlänge erzählbar zu machen.

Diese Aufgabe ist Brian DePalma glänzend gelungen. In zwei Stunden entfaltet THE BLACK DAHLIA ein fesselndes Panorama des L.A. von 1947, und spielt zugleich virtuos mit der Filmgeschichte jener Zeit, dem Film Noir, den auch Ellroy sein Vorbild nennt. "Das ist der faszinierendste Stil der Filmgeschichte", betonte DePalma gestern, "leider macht man solche Filme derzeit zu wenig."
Als Film voller cineastischer Referenzen, zugleich spannend erzählt und gespikt mit US-Stars - Josh Hartnett, Scarlett Johansson, Hillary Swank und Mia Kirshner spielen die Hauptrollen - war "The Black Dahlia" ein hervorragender Eröffungsfilm für ein Festival, das weniger Marketingbedeutung hat, als Cannes und Berlin, und dem daher jedes Jahr aufs Neue der Spagat zwischen Pofis und normalem Publikum glücken muss. Wie gut das in diesem Jahr gelingt, wird sich zeigen. Über 200 Filme gibt es am Lido zu sehen, darunter neue Werke von David Lynch, Spike Lee, Barbara Albert, Johnnie To und Alain Resnais.

"Für uns sind es fast Ferien, für alle die hier sind, ist es ein bedeutender Augenblick ihres Lebens." Diplomatisch verteilte Philip Gröning Komplimente, als er nach der Bedeutung des für den experimentelleren und jüngeren "Horizonte"-Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig gefragt wurde: "Die 'Horizonte' sind die beste Auswahl ungewöhnlicher Filme in der Welt." Im Vorjahr war Gröning selbst Teilnehmer mit "Die große Stille". Jetzt sitzt er als Präsident der zweitwichtigsten Jury in Venedig vor. Sein Pendant für den Wettbewerb, in dem in den kommenden elf Tagen 21 Filme um den Goldenen Löwen kämpfen, ist Superstar Catherine Deneuve. Mit ihr entscheiden unter anderem die Regisseure Cameron Crowe (VANILLA SKY) und Park Chan-wook (SYMPTHY FOR LADY VENGEANCE). Im cremefarbenen Kostüm, die schönen Augen leider hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen, lobte die Deneuve das Festival für seine "Cinephilie" und erinnerte sich vor der Weltpresse an ihren ersten Venedig-Besuch: "Es war 1967 mit Bunuels Film BELLE DE JOUR. Am Ende gewannen wir den Goldenen Löwen." Na dann!

Rüdiger Suchsland

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