|
Mädchen vorm Spiegel, Retter des Königreichs, erste Favoriten
und anderes aus Venedig
Scarlett Johansson, eine der Hauptdarstellerinnen in Brian
De Palmas THE BLACK DAHLIA, hat dieser Tage einige am Lido
in Verwirrung gestürzt. Zunächst kam das zur Zeit
beliebteste Poster-Girl vieler Filmjournalisten eine ganze
Stunde zu spät zur Eröffnungspremiere. Das brachte
viele Fernsehsender in wohlverdiente Not. Plötzlich mussten
sie in ihren vorab arrangierten "Live-Schalten"
tatsächlich über Filme berichten, statt über
Stars. "Wieviel Zeit muss eigentlich ein junges Mädchen
vor dem Spiegel verbringen?" fragte not amused am nächsten
Tag eine italienische Zeitung - obwohl man hier doch eigentlich
für dergleichen und blonde Mädchen insbesondere
eine Menge Verständnis aufbringt.
Weiter ging es dann noch einen Tag später. Da hatten
irgendwelche besonders klugen Presseagenten Johansson und
ihren Kollegen Aaron Eckhart gemeinsam für Interviews
an einem Round Table platziert. Nun spielt Eckhart zwar durchaus
mehr als nur eine bessere Nebenrolle, trotzdem hätte
man sich denken können, was auch passierte: Alle Fragen
gingen an Johansson. Als auch die zweite Interviewrunde ohne
eine Frage an ihn vergangen war, stand Eckhart wutschnaubend
auf und verließ schimpfend den Saal.
+++
Endzeit und Idylle liegen manchmal näher beieinander
als man denkt. Gleich mehrfach begegnete man ihnen jetzt im
Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig und zweimal in einem
Film, der in England spielte.
+++
THE QUEEN von Stephen Frears (MEIN WUNDERBARER WASCHSALON)
erzählt von jener denkwürdigen Woche, die auf den
Tod der Lady Di am 31. Juli 1997 folgte. Damals reagierte
Königin Elisabeth II. zu lange nicht mit öffentlich
zur Schau getragener Betroffenheit auf das Geschehen, sondern
verharrte - verständlicherweise wenig persönlich
berührt - unerschüttert im Dienst nach Vorschrift
im Ferienschloß Balmoral, was zu einer tiefen Entfremdung
in der innigen Beziehung zwischen der Queen und ihren Untertanen
führte. Es waren dramatische Tage, erfährt man jetzt
aus dieser Innenansicht eines höfischen Lebens in unseren
Tagen, die Frears mit ähnlichem Feingefühl entfaltet,
wie er dies vor 20 Jahren in GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN
mit der Gesellschaft des Ancien Regime tat. THE QUEEN ist
eine Komödie der Macht und zur gleichen Zeit ein Thriller
der Emotionen. Denn Frears nimmt die Königin und ihre
Anverwandten nicht über Gebühr ernst, lässt
ihr aber immer ihre Würde, und zeigt, wie sie mit sich
und ihrer Wut auf die oberflächliche Glamourprinzessin
ringt, die noch im Tod die Monarchie in Gefahr bringt. Zugleich
zeigt er auch seine Version des Parallelhofes, der Familie
und Berater des seinerzeit frischgewählten Tony Blair,
der schnell erkennt, wie er von Dianas Popularität profitieren
kann, aber zugleich die Monarchie rettet, indem er die Königin
am Ende erfolgreich drängt, ihr Verhalten zu verändern.
THE QUEEN, an der Oberfläche durchaus eine unterhaltsame
Komödie, ist zugleich ein Film über die Spannung
zwischen Monarchie und Demokratie, Tradition und Moderne.
Helen Mirren verkörpert die Königin wunderbar, freilich
mit einer Intelligenz und Ironie, die man dem realen Vorbild
bei allem Respekt doch nicht zutraut, und auch Michaal Sheen
ist glänzend als Premier, der anfangs als unerfahrener
Spießer erscheint, der mehr und mehr an Profil gewinnt
und am Ende ins Zentrum von Film und Handlung rückt -
was natürlich auch ein Kommentar zur Sache ist.
+++
THE QUEEN ist nun der Favorit vieler Kritikerkollegen, was
dem Film doch vielleicht etwas zu viel der Ehre antut. Denn
überraschen kann Frears an keiner Stelle, und filmisch
bringt der Film nichts Neues. Zudem bleiben die Gründe
von Blairs Handeln - das auch historisch nicht belegt ist
- ebenso im Dunkeln wie die Gründe für Frears, diesen
Stoff zu verfilmen - will man sich nicht damit begnügen,
dass hier einer eben eine gute Geschichte erzählen will.
Was hat das alles mit uns zu tun, was könnten wir aus
der Story erfahren? "Uneasy lies the head, that wears
a crown", zitiert der Film eingangs Shakespeares Heinrich
IV. Aber die Dimension eines Königsdramas fehlt dem Film,
und die sollte er wohl auch nicht haben, aber es bietet sich
hier natürlich auch ein anderer Vergleich an: der Film
Sofia Coppolas MARIE ANTOINETTE vor drei Monaten im Cannes-Wettbewerb.
Der hatte einen Stilbegriff, eine Haltung, wo Frears nur schmunzelt,
und erwartet, dass wir alle das mit ihm tun. Coppola war im
Zweifelsfall progressiv und anstößig und einfallsreich,
wo Frears gefällig ist, konservativ und konventionell.
Ok, der Film macht die Königin zu einer menschlichen
Figur. Reicht das schon für einen wirklich hervorragenden
Film?
+++
Vielleicht macht aber gerade eine solche gewisse - gute,
fehlerfreie - Durchschnittlichkeit den Film zu einem Preiskandidaten.
Denken wir nur an BROKEBACK MOUNTAIN im letzten Jahr, er auch
solchen Kriterien recht gut entspricht. Abgesehen natürlich
von dem Löwen für Helen Mirren, der sicher scheint,
und das eigentlich schon war, als man von der Besetzung las.
Im Übrigen hatten Engländer hier zuletzt immer gute
Karten, denken wir an VERA DRAKE oder an THE MAGDALENE SISTERS.
+++
Woher kommt es eigentlich, dass sich gerade England so sehr
als Schauplatz für die Vision schöner, schrecklich
neuer Welten anbietet? Orwell, Huxley und Bradbury schrieben
hier ihre Entwürfe einer totalitären Zukunft, früher
schon verfassten mit Thomas Morus und Francis Bacon zwei Briten
die ersten Utopien der Neuzeit, und auch im Kino waren es
zuletzt mit 28 DAYS LATER, CODE 46, V FOR VENDETTA jenseits
von Hollywood britische Regisseure und ihre Insel, die zum
Schauplatz für - vor allem negative - Zukunftsentwürfe
erkoren wurden. Das jüngste Beispiel lief jetzt im Wettbewerb
von Venedig: Regisseur von CHILDREN OF MEN ist zwar mit Alfonso
Cuaron ein Mexikaner, doch sein Film, ein bitterer Science-Fiction,
spielt in England im Jahr 2027.
+++
Afonso Cuarons Vision eines England spielt genau 30 Jahre
nach Frears Film, in der nahen Zukunft des Jahres 2027, und
ist auch sonst das Gegenteil. Keine Politiker "als Menschen",
kein britischer Charme, sondern Verfall allerorten. CHILDREN
OF MAN ist eine Dystopie, ein schwarzer Zukunftsentwurf, wie
man ihm zuletzt in unserem Kino öfters begegnet. Nach
dem Roman von P.D. James zeigt der Film eine Welt im Zusammenbruch.
Europa ist zerstört, Pandemien und Hungersnöte quälen
die Menschheit, und die Menschen sind seit einiger Zeit unfruchtbar
geworden. In England werden alle Einwanderer in Konzentrationslagern
gehalten, Terroristen versuchen aus dem Untergrund auch die
wenigen noch funktionierenden Reste der Gesellschaft zu zerstören.
Da wird eine junge Einwanderin schwanger, und an dieses Ungeborene
knüpft der Film seinen Hoffnungsschimmer. Clive Owen
spielt einen Mann, der der Schwangeren bei der Flucht hilft
- am Ende durch allerlei Gefahren hindurch erfolgreich. Das
Kind wird geborenen und der Film ist zuende. Was jetzt passiert,
wie das eine Kind die Menschheit retten könnte und warum
das gut wäre, erfahren wir nicht. Mitreißend und
reißerisch bietet CHILDREN OF MAN unter - durchaus preiswürdigen
- spektakulären Bildern und überaus ideenreicher
Ausstattung - allein schon die Wohnung eines reichen Mannes
(Danny Huston), der Picassos "Guernica" und Michelangelos
"David" (mitmetallener Fußprothese) vor der
Vernichtung bewahrt, ist Gold wert - vor allem Spektakel und
eine kitschige Weihnachtsgeschichte.
+++
Anfangs ist das durchaus ein hochinteressant anzusehender
und gut inszenierter Film, voller geschickter, nicht übermäßig
aufdringlicher Anspielungen auf die Gegenwart. Alles ist sehr
traurig und sehr schön, man sieht die Darsteller gern,
zumal man hier nicht sicher sein kann, ob sie nicht trotz
großen Namens schnell wieder aus dem Film verschwinden.
Auch dass die Handlung immer schon unplausibel ist, stört
hier nicht sehr. Aber in der letzten halben Stunde dreht der
Film durch, verbindet Hysterie und Katholizismus zu einem
kruden Symbolismus: Soldaten knien nieder vor dem Neugeborenen
und ballern dann aber gleich weiter, Owen stirbt auch noch
und das rettende Schiff heißt "domani". Mann
oh Mann oh Mann.
Rüdiger Suchsland
|