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Und Berlinale schreibt sich mit P: Pastiches, Postmoderne und Period Pictures bei den Filmfestspielen
„Das ist ein sehr japanischer Film.“ – nicht nur Tsuzoshi Ihara wußte, dass alle gerade etwas ganz besonderes erlebt hatten. Eben war die Premiere von Clint Eastwoods mehrfach oscarnomminiertem Film „Letters from Iwo Jima“ vorüber, nun saß der 76-jährige Regisseur und Schauspieler auf der Bühne – mit Furchen auf den Wangen, grau-weißem, schütteren Haar, Lachfalten, und umringt von seinen japanischen Hauptdarstellern, die seine Söhne sein könnten. Denn das Einzigartige an „Letters from Iwo Jima“ ist, dass dies ein amerikanischer Kriegsfilm ist, der nicht von Sieg und Ruhm handelt, und in dem fast kein Amerikaner zu sehen ist. Eastwood hat sich stattdessen in den ehemaligen Feind, das Kaiserreich Japan hineinversetzt, das 1945 auf der Vulkaninsel Iwo Jima seinen letzten Kampf kämpfte. Der ganze Film wurde auch in japanischer Sprache gedreht. Auch in den USA läuft der Film nur mit englischen Untertiteln – Eastwood zeigt sich unerschrocken vor der Möglichkeit, dadurch Zuschauer einzubüßen: „Die Herausforderung war, in einer anderen Kultur, aus der Sichtweise der Japaner zu erzählen. Dazu gehört die Sprache, und es tut dem amerikanischen Publikum gut, dazu gezwungen zu werden.“ beschrieb Eastwood: „In unseren Filmen werden sie immer als die unmenschlich-böse, grausame Feinde gezeichnet. Dabei waren diese Soldaten in der gleichen Lage wie die amerikanischen Jungs.“ Cultural Learning for Americans.
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Es geht also durchaus ein wenig um historischen Nachhilfeunterricht, und Eastwood lächelte verschmitzt, als man ihn fragte, ob der Film nicht auch viel von heute, vom aktuellen Irakkrieg erzähle: „Mütter, dioe ihre Söhne verlieren, und Frauen, die ihre Männer verlieren – das ist überall auf der Welt das Gleiche.“ Basis seiner Arbeit ist für Eastwood aber Neugier: „Sonst würde ich nicht ein Jahr meines Lebens dafür hergeben. Ich versuche, mich in andere Menschen hineinzuversetzen, ihre Position und ihren Hintergrund zu verstehen.“ Eastwood, der den Weltkrieg selbst als Teenager erlebte, hat in der Vorbereitung viel historisches Material recherchiert. Und sagt: „Ich bin ein Japaner“ In Japan, wo „Letters...“ bereits mit großem Erfolg in den Kinos läuft, hat der Film die Gesellschaft bereits verändert. Denn kaum jemand kennt die Ereignisse des sinnlosen Schlachtens von Iwo Jima, einer der schlimmsten Episoden japanischer Geschichte. Eastwoods Hauptdarsteller Ken Watanabe bestätigte. „Der Film hatte große Wirkung. Die Japaner lernen so ihre eigene Geschichte kennen.“
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Watanabe und seine Kollegen berichteten auch vom Dreh mit dem US-Regisseur. Nicht nur Eastwoods Filme, auch sein Arbeitsstil ist im Hollywood der Gegenwart einmalig: „Er übt so gut wie nie. Das einzige, was trainiert wurde, waren technische Dinge wie Licht und Explosionen.“ Sagte Watanabe: „Und wir haben oft nur eine Aufnahme gemacht. Wenn ich einen Drehbuchsatz verändert habe, hat Eastwood es genommen, wie es kam. Er meinte: „So ist das Leben.““ Und Eastwood verriet lachend sein Erfolgsgeheimnis in der Arbeit mit den Darstellern: „In Japan hat man mehr Respekt vor den Alten.“ Schon jetzt ist klar: Auch wenn der Film im Berlinale-Wettbewerb nur außer Konkurrenz läuft, also keinen Bären gewinnen kann, war dies einer der Höhepunkte der Berlinale.
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Eine Fälscherwerkstatt inmitten eines deutschen KZ. Kaum zu glauben, aber bis in die ersten Wochen des Jahres 1945 ließ das dritte Reich Geldnoten aus verschiedenen Ländern fälschen, allein über hundert Millionen britische Pfund. Die Fälscher waren sämtlich KZ-Häftlinge mit Erfahrungen bei Banken, als Drucker, Zeichner – oder einer kriminellen Vergangenheit als Fälscher. Diese unglaubliche, wahre und bisher unerzählte Geschichte bringt jetzt der Österreicher Stefan Ruzowitzky („Anatomie“) auf die Leinwand. Sein Film „Die Fälscher“, eine deutsch-österreichische Koproduktion, die jetzt im Berlinale-Wettbewerb Premiere hatte, stellt die abenteuerlichen Aspekte der Handlung, den KZ-Thriller in den Vordergrund. Das wirkt manchmal recht plakativ, in einzelnen Szenen auch geschmacklos und zu dick aufgetragen, aber als Ganzes reißt die Handlung doch mit. Konventionell, mit grobkörnigen Digitalbildern inszeniert hebt sich der Film von der lackierten, allzu sauberen Ästhetik von Filmen wie „Der Untergang“ ab. Zudem brilliert „Die Fälscher“ durch hervorragende Schauspielleistungen: Karl Markovics und August Diehl werden noch von Devid Striesow in den Schatten gestellt: Der spielt einen SS-Offizier, dessen Sadismus mitunter durch Gangster-Charme gebremst wird – ohne das der Zuschauer sich je über die wahre Natur dieses vielfachen Mörders täuschen könnte.
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Wie hier stehen auch in anderen Wettbewerbsfilmen bisher historische Stoffe im Vordergrund: „Das Jahr als meine Eltern in Urlaub waren“ vom Brasilianer Cao Hamburger erzählt von der brasilianischen Diktatur aus Kinderperspektive – ein eindringliches Drama.
„The Good German“ ist gleichfalls ein Historienstück. Der neue Film von Steven Soderbergh („Traffic“) führt ins Nachkriegsberlin: George Clooney spielt einen Journalisten, der einen mysteriösen Mord aufklärt. Altnazis und Femmes Fatales, dunkle Geschäfte der Besatzungsmächte und die melancholische Freiheit des Neuanfangs taucht Soderberg in prächtige Schwarzweißbilder. Doch der Film ist letztlich eine Fingerübung, ein hochinteressanter, hochintelligenter Essay über den Noir mit filmischen Mitteln – mehr als ein funktionierender Film: Die Chemie zwischen Cate Blanchett und George Clooney stimmt nie, Blanchett spielt ihre Rolle als Faux-Remake von Marlenes Dietrichs Auftritt in „Touch of Evil“, und George Clooney reloaded seinen Batman-Auftritt – der ganze Film ist ein Pastiche, Postmoderne nach ihrem Ende und man ertappt sich beim Gedanken, wie wohl ein Noir von Greenaway ausgesehen hätte.
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Ähnlich wie schon Stephen Soderbergh in „The Good German“ geht auch Weltstar Robert De Niro in seiner zweiten Regiearbeit „The Good Shephard“ in die Zeiten des Kalten Kriegs zurück. Matt Damon spielt einen CIA-Agent wider Willen. Ein Mann wie ein Eisblock, der seine Liebe, seine Ehe und sein eigenes Leben für den Kampf gegen eingebildete und reale Feinde opfert – voller hintersinniger Bezüge zur gegenwärtigen Politik. Der Film ist auch ein Psychoportrait von Männerbünden: Ob Studentenverbindung, Armee und CIA – was den Mann erst zum Mann macht, deformiert auch Persönlichkeit und moralischen Instinkt.
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Heiterer und gegenwärtiger wurde es in den Nebensektionen: Im Panorama lief das Regiedebüt der französischen Schauspielerin Julie Delpy: „Two Days in Paris“ ist die Liebesgeschichte zwischen einem Amerikaner und einer Französin. Voller Ironie und gut beobachtet handelt der Film auch von der kulturellen Differenz zwischen altem Europa und den USA. Mit von der Party in der Komödie, die auch in deutsche Kinos kommt, sind Delpys Eltern, beides bekannte Theaterschauspieler und Daniel Brühl in einer Nebenrolle als Anti-Globalisierungskämpfer, der Brandanschläge auf Fast-Food-Ketten verübt. „Jagdhunde“ von Ann-Kristin Reyels erzählt von einer Familie auf dem brandenburgischen Land. Ein glänzendes Drehbuch erzählt von Menschen, die sich einander entfremdet haben und sich wieder einander annähren. Auch das ist eine unerwartet erwachsene Komödie – was keineswegs Alltag ist im deutschen Film.
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Nun noch ein Wort zum Eröffnungsfilm: Dass ein Filmfestival sein Pulver nicht gleich zu Anfang verschießen will, ist das Schicksal aller Eröffnungsfilme. Sie sollen Stimmung machen, Lust auf zwölf Tage Kino, keinen vergraulen, aber auch den Ärger von Nachzüglern vermeiden, dass sie das Beste schon versäumt haben. Sie sollen Stars bieten, damit das Festival zu Beginn groß in den Schlagzeilen ist, den Funktionären schmeicheln und im Idealfall ein paar Trends setzen, die auch das folgende Programm mitprägen.
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Genau das alles leistet "La Vie en Rose", mit dem vorgestern die diesjährige Berlinale offiziell eröffnet wurde. Regisseur ist der Franzose Olivier Dahan. Sein Film erzählt, grob chronologisch, aber von Zeitsprüngen und Rückblicken unterbrochen, das Leben des weltberühmten "Spatz von Paris", der französischen Chansonnière Edith Piaf (1915-1963). Das war keineswegs auf Rosen gebettet: Von Vater und Mutter im Stich gelassen wuchs die Piaf bei ihrer Großmutter auf, einer Bordellbesitzerin. Mit einem gewissen Genuss präsentiert Dahan dieses Milieu: Krankheit und Leid, Sex und Crime - eine Jugend in der Unterschicht der 20er Jahre. Aber inmitten des ganzen Elends sind die Menschen gutherzig und geradeheraus, und nichts liegt ihnen mehr am Herzen als das Wohlbefinden der kleinen Edith. Und selbst wenn diese zwischendurch mal erblindet, tröstet die Musik und weil das Elend groß ist, haben alle immerfort ein Liedchen auf den Lippen. So wird Klein-Edith durch die Kombination aus Leid und musikalischer Umgebung zu der, die sie war. Später dann wird sie durch ihrem Mentors Louis Leplée zum Star. Dann wurde Leplée ermordet, und bis zu Piafs Tod gab es Gerüchte, sie könne mit der Tat etwas zu tun haben. So hüpft der Film von einem biographischen Event zum nächsten - jedes inspirierte die Sängerin zu einem Lied. Und am Ende wirkt die glamouröse, rätselhafte Piaf plötzlich arg banal.
Dahans Film ist also ein Stück konventionellsten Ausstattungskinos, mit vielen Klischees, und „großen“ Stars, auch wenn diese, wie Gerard Depardieu zwar groß auf dem Plakat stehen, aber nur für knappe zehn Minuten auf der Leinwand zu sehen sind. In Frankreich, wo jedes Kind die Lieder mitsingen kann, ist so ein Film natürlich trotzdem ein Ereignis, eine Selbstfeier der eigenen Tradition und der exception culturelle. In Berlin war es nur eine ganz gewöhnliche Berlinaleeröffnung.
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Überschattet wurde die noch durch einen Angriff unter der Gürtellinie: Pünktlich zum Auftakt erschien am Montag im "Spiegel" ein anonymer Text, in dem Berlinale-Chef Dieter Kosslick zum "Floppmacher" erklärt wurde. Begründung: Die deutschen Wettbewerbsfilme des vergangenen Jahres hätten zusammen nur 200.000 Zuschauer gehabt. Hämisch war vom "Prekariat des Kinos" die Rede. Der Artikel sorgt im Hintergrund für erheblichen Ärger, zumal der anonyme Autor in seinem Text kurzerhand Oskar Roehlers "Elementarteilchen" vergessen hatte, der nach seiner Wettbewerbsteilnahme allein schon rund eine Million ins Kino lockte. Kosslick nahe stehende Beobachter sprachen von der "Rache der Münchner Firma Constantin". Die hat bekanntlich gute Beziehungen zum Spiegel - Eichinger verfilmt das RAF-Buch von Chefredakteur Aust -, und zufälligerweise hatte Kosslick Marco Kreuzpaintners Film "Trade - Willkommen in Amerika" an dem auch die Constantin beteiligt ist, nicht in den Wettbewerb geladen.
Rüdiger Suchsland
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