Schule des Sehens: Filme aus Asien auf der Berlinale - Wettbewerb vor der Entscheidung.
Der Berlinale-Wettbewerb geht in die Zielgerade. Ein klarer Favorit in einer mittelprächtigen, nicht übermäßig mutigen Auswahl hat sich noch nicht herauskristallisiert – doch liegt in den Wetten auf den Goldenen Bären derzeit Robert De Niros Männerbund-Thriller THE GOOD SHEPHERD und Sam Gabarskis Frauen-Melo IRINA PALM vorne. Immerhin zeigten die Beiträge der letzten Tage nach zahlreichen Historienstücken und politisch-korrekter Moral auch künstlerisch herausragende Filme.
Viele davon kamen aus Asien: Der auch politisch brisanteste Beitrag stammt von der erst 33-jährigen Chinesin Li Yu. Um deren Film LOST IN BEIJING hatte es bereits im Vorfeld Konflikte mit den Pekinger Zensur-Behörden gegeben, und die Regisseurin war genötigt, den Film bei seiner gestrigen Premiere in einer leicht gekürzten Fassung zu zeigen. Offenbar ging es dabei weniger um freizügige Sex-Szenen, als um Bilder, die Chinas Hauptstadt Beijing im Jahr vor den dortigen Olympischen Spielen so zeigen, wie sie tatsächlich aussieht: Schmutzig, trist, bevölkert nicht nur von fleißigen Arbeitern, sondern auch von amoralischen Kapitalisten, Prostituierten, Obdachlosen, und geprägt von grundsätzlicher Amoral.
Doch auch der um einige Bilder gekürte Film ist in seiner Kernaussage klar und in jeder Hinsicht herausfordernd: Im Zentrum der Story stehen zwei sehr verschiedene Paare. Eines ist arm und vom Land, das andere reich und urban, eines jung, das andere schon älter und unter Kinderlosigkeit leidend. Megastar Tony Leung spielt einen Chef, der unter Alkoholeinfluß mit einer durchaus bereitwilligen Angestellten Sex hat. Als sie schwanger wird, erpreßt ihn deren Ehemann, doch er selbst will das Kind. Eine ausweglose Situation, und das Portrait einer Welt, in der auch die Gefühle zur Ware werden. Darüber hinaus berührt LOST IN BEIJING gleich zwei weitere delikate Themen: Chinas „Einkindpolitik“, und die Lage der chinesischen Landbevölkerung, die derzeit stark im Focus der Soziologen liegt. Überaus gelungen ist der Film aber noch mehr durch seine strahlend schönen Bilder, die von einem rasanten Schnitt verdichtet werden zu einem desillusionierten Poem über die Metropole.
Nicht minder interessant ist DESERT DREAM, gedreht vom Chinesen Zhang Lu mit koreanischem Geld, weshalb der Film offiziell koreanischen Ursprungs ist. Die Geschichte zeigt das Wüstenleben der Landbevölkerung in der „inneren Mongolai“. Gegen den scharfen kalten Wind pflanzen die Hirten Bäume, so auch der von seiner Frau verlassene Hungai. Sein Leben ändert sich, als eine junge Frau und ihr kleiner Sohn wie aus dem Nichts im Dorf auftauchen – sie sind Flüchtlinge aus Nordkorea. Hungai nimmt sie auf, und nun zeigt der Film in überaus sensibler Weise, mit stillem Humor, wie sich diese Menschen, die ihre Sprache nicht verstehen, einander über Blicke und Gesten annähern. In ruhigen Bildern, deren symbolistische Form und ruhiger Gang an die Filme Tarkowskis und Herzogs erinnert, bekommt man Einblick in eine fremde, raue Welt, die von Nomaden unterschiedlichster Art bevölkert ist. Was wirklich bleibt, ist nur der Wind.
Weder ruhig, noch symbolistisch ist I AM A CYBORG, BUT THAT’S OK von dem derzeit führenden koreanischen Regisseur Park Chan-wook: EINER FLOG ÜBERS KUCKUCKSNEST auf koreanisch, mit dem entscheidenden Unterschied, dass der Film visualisiert, was im Kopf der Insassen eines Irrenhauses vor sich geht – amüsant und überdreht ist der Film selbst wohltuend verrückt.
Eine Entdeckung im Forum war schließlich EYE IN THE SKY von dem bisher nur als Drehbuchautor bekannten Hongkong-Regisseur Yau Nai-hoi. Ein Polizei-Thriller, aber eigentlich ein Film über Überwachung und Beobachtung – überaus einfallsreich und von faszinierender Eleganz. In den ersten zehn Minuten des Films fällt kein Wort Dialog, man begleitet einfach verdeckte Ermittler bei der Arbeit, folgt den Blicken, analysiert immer genauer das Verhalten der Passanten, wird selbst zum spurensuchenden Detektiv – wie es jeder gute Kino-Zuschauer werden sollte. Das Kino als Schule genauen Hinsehens – so sollte es immer sein, auch wenn man dafür manchmal bis nach Asien reisen muss.
Rüdiger Suchsland
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