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18.02.2007
 
 
     
Berlinale 2007
Meditation im Sinkflug

 
Goldner Bär für TUYAS EHE
 
 
 
 
 

"Transcendental Style": Zum Abschluß der 57. Berlinale triumphieren langsame, meditative Kinoformen - und die Kritik an Dieter Kosslicks Festivalkurs wird lauter.

Auch am Ende blieben die Sensationen aus: Einmal mehr triumphiert das asiatische Kino bei einem großen Festival und bestätigt Asiens Ruf als der gegenwärtig innovativsten, künstlerisch reichhaltigsten Kinoregion. Einmal mehr wurden die Festivalfavoriten am Ende enttäuscht - diesmal traf es neben Robert De Niros GOOD SHEPHERD, der immerhin noch einen Ensemblepreis bekam, Sam Garbarskis allzu-nettes Frauen-Melo IRINA PALM. Und einmal mehr gewinnt mit Nina Hoss eine deutsche Darstellerin den Silbernen Bär - in diesem Fall überaus verdient: Hoss ist seit Jahren eine der allerbesten und intelligentesten deutschen Schauspielerinnen. Und sie ist eine der ganz wenigen, die auf Anspruch Wert legen, die Risiken eingehen. Der Preis für ihren wunderbaren Titelpart in Christian Petzolds YELLA würdigt diesen Mut - und einen der besten Filme des Wettbewerbs.

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Über die Preise am Samstag gibt es zwar wie immer allerhand zu nölen, und meine persönlichen Wettbewerbs-Lieblinge YELLA und LOST IN BEIJING haben zu wenig bzw. gar nichts erhalten, aber es hätte auch alles viel schlimmer kommen können: Ein Preis für den manierierten Schmarrn ICH HABE DEN ENGLISCHEN KÖNIG BEDIENT, zum Beispiel, oder für den katholischen Klosterschinken IN MEMORIA DI MI oder für besagten IRINA PALM ist uns immerhin erspart geblieben.

Umgekehrt ist TUYAS EHE zwar der unambitionierteste von vier asiatischen Filmen, aber keineswegs schlecht: Der Chinese Wang Quan-an erzählt in seinem Siegerfilm mit verschmitztem Humor und gibt seiner Story über ein Bauernpaar, das sich scheiden lässt, damit die Frau mittels neuem Mann den verletzten ersten Gatten besser versorgen kann, auch tiefere Bedeutung - eine Fabel über die Ökonomisierung des Privaten im neuen China. Der Goldene Bär für TUYAS EHE konnte auch deshalb erwartet werden, weil der Film eine entlegene Region mit exotischem Flair (die Mongolei), eine herzzerreißende, trotzdem unsentimentale Handlung mit gewissem Stilwillen vereint, der das breite Publikum aber weder provoziert, noch überfordert - wie es die allerbesten Filme taten: YELLA, I AM A CYBORG… vom Koreaner Park Chan-wook, die beide immerhin prämiert wurden und LOST IN BEIJING von der Chinesin Li Yu, der leider leer ausging.

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Ohne wirkliche Schwerpunkte zu setzen, streute die Jury die übrigen Preise: Gerechnet hatte man mit BEAUFORT vom Israeli Joseph Cedar, der hier vom Nahostkrieg fast im Stil eines Science-Fiction-Films der 70er Jahre erzählt: Mit atonalem elektronischen Gepiepse unterlegt begleitet man fünf Soldaten in kiloschwerer Montur durch eine menschenleere Wüsten- und Bunkerlandschaft. Unweigerlich erinnert einen diese Tristesse an das Raumschiff in ALIEN, an Tarkowskis SOLARIS - aber auch die verlorenen japanischen Soldaten in den Bunkern von Eastwoods LETTERS OF IWO JIMA kommen einem in den Sinn.

Überraschender waren die zwei Auszeichnungen für EL OTRO vom Argentinier Ariel Rotter. Das Entfremdungsdrama über die Midlife-Crisis eines Mannes hatte auf viele Beobachter etwas zu schwerfällig gewirkt, und ganz gewiss waren in den letzten Jahren weitaus bessere Filme aus Argentinien leer ausgegangen. Doch auch wenn die Jury diesmal keine klaren Trends setzte, ist die Handschrift des Jurypräsidenten Paul Schrader in den Preisen erkennbar: Der gläubige Calvinist hatte vor 30 Jahren ein Buch mit dem Titel "On transcendental style in cinema", vor allem bei Ozu und Bresson geschrieben, ein Plädoyer für langsame, strenge, meditative Kinoformen. Genau in dieser Tradition stehen auf ihre Weise alle fünf Hauptpreise.

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Dieses gedämpft positive Fazit lässt sich allerdings nicht auf die gesamte Berlinale übertragen. Insgesamt war der Wettbewerb wieder einmal recht uninteressant, besonders wenn man sich für die künstlerische Seite des Kinos begeistert. Aber auch politisch Brisantes kam kaum vor, zumeist machten es sich die Filme in der Sentimentalität des Politisch-Korrekten gemütlich, oder wichen in die Vergangenheit aus. Nur einzeln Beiträge fragten grundsätzlich nach der Conditio Humana. Aber wo, wenn nicht bei einem Filmfestival kann es darum gehen? Noch schwerer wiegt: Der Auswahl fehlt Überraschendes, Aufwühlendes, Provokatives, es fehlen Mut und Neugier. Kein Wunder, dass die Fachbesuchervorstellungen oft leer blieben, vor allem am frühen Morgen. Nur wer Angst hat, etwas zu verpassen, quält sich nach langer Nacht früh wieder aus dem Bett. Man muss konstatieren, dass in Cannes auch jede Nebenreihe zuletzt einen besseren Qualitätsschnitt hatte, als die vergangenen Berlinale-Wettbewerbe. Die Berliner Nebenreihen "Panorama" und "Forum" boten zwar viele einzelne gute Filme, und nicht wenige davon hätten den Wettbewerb bereichert. Aber es gab auch viel Schwaches, und während das "Panorama" zwischen Genialem und Überflüssigem dümpelnd seinen Kurs sucht, hat das "Forum" in den sechs Jahren unter Christoph Terhechte deutlich an Profilschärfe verloren. Weder auf anspruchvolles Genre, noch auf strenge Kunst kann man sich hier verlassen. Und Terhechtes Begründung, es gäbe "diese Filme derzeit nicht" überzeugt nicht - denn in Cannes und Venedig sind sie zu sehen.

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Neben der Qualität hat die Berlinale unter Kosslick auch quantitativ abgespeckt. Es gibt weniger Filme und weniger Vorstellungen. Während das Festival damit an Substanz einbüßt, wird das Drumherum aufgebläht: Mit Veranstaltungen wie dem Talent Campus kann man die Augen der Kulturbürokraten und Lobbyisten zum Leuchten bringen, und zusätzliche Steuergelder "generieren". Und Albernheiten wie die Sonderreihe "Kulinarisches Kino" bei der man sich zu Fressfilmen von Doris Dörrie und Co. auch gleich den eigenen Bauch vollschlagen kann, begeistern gewiss die Berliner Schickimicki-Szene um Bürgermeister Wowereit - dem Festival bringt beides gar nichts; es lenkt nur von dem ab, worum es gehen müsste: den Filmen, zumal den ungewöhnlichen, überraschenden, mit ungesehenen Bildern.

So verfestigt sich der Eindruck der letzten Jahre, dass sich die Berlinale unter Dieter Kosslick in einem allmählichen, aber stetigen Sinkflug befindet. Billiges Showbiz und Populismus haben die Qualität ersetzt. Auch wenn das gesamtgesellschaftlichen Trends entsprechen mag, sehnen sich gar nicht mehr wenige schon nach Ex-Chef Moritz de Hadeln zurück, den man 2001 aus Überdruß verjagt hatte. Kosslick, dessen Vertrag im kommenden Jahr zur Verlängerung ansteht, sollte seinen Kurs verändern. Denn auf lange Sicht endet jeder Sinkflug in der Bruchlandung.

Rüdiger Suchsland

 

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