"Ich kann nicht klagen" ist ein Satz, der manchmal einen Unterton hat als wolle er weitergehen "...so sehr ich auch möchte".
Und ja, okay, ich geb's zu - vorab war ich dieses Jahr beim Filmfest München schon ein bisschen auf Meckern eingestellt. Weil: 25-jähriges Jubiläum; zugleich das letzte Jahr, in dem zwei Schlüsselgestalten des Festivals ihre jeweiligen Reihen betreuten (Klaus Eder - dem ich persönlich weniger nachtrauere, weil seine Vorstellung von gutem Kino eine andere ist als meine - und Ulla Rapp - die, danke, danke, danke!, mit ihrer "American Independents"-Auswahl noch in den düstersten Filmfest-Jahrgängen zuverlässig für Lichtblicke sorgte) - das schien alles nach etwas Besonderem, Großen, Außergewöhnlichen zu verlangen.
Aber wenn der Blick aufs diesjährige Programm einen Eindruck hinterließ, dann den: Unspektakulär.
Da wollte einfach kein Vorab-Prickeln aufkommen, da fehlten die Namen, die mein Cineastenherz höher hätten schlagen lassen, da las sich keine Filmbeschreibung so, als würde man etwas verpassen, wenn man DAS nicht sieht.
So wenige Überschneidungen von Filmen, in die ich unbedingt rein wollte, hatte ich beim Planen eines Festivalkalenders glaube ich noch nie.
Und jetzt, nachdem das Festival rum ist? Nun ja: Ich kann nicht klagen.
Weil was immer man an grundsätzlicher Kritik über die Filmauswahl auch vorbringen wollte - beim besten Willen kann ich nicht behaupten, dem Festival sei es nicht gelungen, mich acht Tage in Folge mit zumindest sehenswerten, zumeist memorablen, vereinzelt sogar begeisternden Filmen zu versorgen. Das ist deutlich mehr, als ich von der Berlinale 2007 sagen kann.
Da hat sich der Eröffnungsfilm - wie es sich eigentlich für einen Eröffnungsfilm gehört - als durchaus programmatisch erwiesen. Speziell was das Verhätlnis von (geringer) Erwartungshaltung und (unerwartet großem) Sehvergnügen anging.
THE BAND'S VISIT ist eine israelische Produktion über ein ägyptisches Polizeiorchester, das auf Konzertbesuch in Israel im falschen Dorf landet. Keine Stars, kein bekannter Regisseur, kein Glamour, keine bedeutenden Festivalpreise, eine scheinbar kleine Geschichte - nichts schien eigentlich dafür zu sprechen, diesen Film dem Festival voranzustellen. Roter-Teppich-Faktor gleich null, kein sich anbietender "Aufhänger" drumrum.
Außer halt, dass THE BAND'S VISIT ein verdammt toller Film ist.
Seine Komik ist vom Ansatz her verwandt mit der solcher ganz Großen wie Keaton, Tati oder Kaurismäki: Er hat einen ähnlich lakonischen, trocken amüsierten Blick auf die Menschheit - eine Distanz, die sich gleichzeitig ein Bewusstsein für die existentielle Absurdität des menschlichen Daseins, der menschlichen Mühen bewahrt und dennoch ein zärtliches Mitgefühl.
So lässt er dann die Männer des Polizeiorchesters mit ihren himmelblauen Uniformen und ihren Rollköfferchen durch eine Ödnis ziehen, deren realer Himmel so staubig weißgrau ist wie der Wüstenboden und der Beton der Wohnblocksiedlungen. Ihre Odyssee ist vor allem ein Kampf ihres (musikalischen wie dienstlichen) Leiters um die ständige Wahrung eines Anscheins von Ordnung, Disziplin, Autorität und Anstand.
Ein Kampf, der ihn schließlich im entscheidenden Moment dazu führt, ein Zipfelchen von möglichem Glück nicht zu packen, das ihm vor der Nase baumelt.
Und das ist das andere Wunderbare an diesem Film: Dass er, wie alle großen Komödien, auch eine kleine Tragödie ist. Dass er mit dem selben ungeheuren Fingerspitzengefühl, welches er in Sachen Humor an den Tag legt, auch das Gefühlsleben seiner Charaktere beleuchtet.
THE BAND'S VISIT ist ein Film über schwierige, zaghafte, zerbrechliche Annäherungen: Die zwischen dem Orchesterleiter und einer israelischen Restaurantbesitzerin (eine der stärksten, lebendigsten, attraktivsten Frauengestalten nicht nur dieses Filmfests, sondern des Kinojahrs); die zwischen einigen der Orchestermitglieder und einer israelischen Familie; die zwischen einem jungen, schüchternen Israeli und den Mädchen, welche nur dank der tatkräftigen Anleitung des Frauenhelden unter den ägyptischen Musikern endlich in Gang kommt.
Dass das alles auch etwas mit der noch schwierigeren Annäherung zweier Kulturen, Nationen, Religionen zu tun hat, ist klar. Aber THE BAND'S VISIT wird in dieser Hinsicht zum Glück nie bloß symbolisch, metaphorisch oder sonstwie thesenhaft. Wenn er soetwas hat wie eine "Botschaft", dann diese: Zwischen den Menschen ist immer eine Kluft - was immer da noch an vermeintlich grundlegend Trennendem wie eben Nationalität, Geschichte, Weltanschauungssystemen mit reinspielt, macht die Angelegenheit höchstens graduell schwieriger, als sie zwangsläufig immer ist.
Aber der Film hält diese Kluft auch für nicht unüberwindbar. Und das macht seine Größe aus: Zu zeigen, wie mühsam, riskant, manchmal lächerlich das ziwschenmenschliche Brückenbauen ist, wie wacklig, einsturzgefährdet meist dessen Ergebnis - und doch glaubhaft an der Hoffnung festzuhalten, dass es so ziemlich die einzige wirklich lohnende Tätigkeit ist. (Fortsetzung folgt)
Thomas Willmann
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