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11.02.2008
 
 
     
Berlinale 2008
Nachrichten aus dem Forum

 
Sowas wie Heimat: MY WINNIPEG
 
 
 
 
 

Spuren im Schnee
Mit Guy Maddins „My Winnipeg“ eröffnet das 38. Internationale Forum des jungen Films

Wenn es für das deutsche Wort „Heimat“ eine Entsprechung in der englischen Sprache gäbe, dann hätte Guy Maddin sich vielleicht für dieses Wort als Titel entschieden. So heißt der Film „My Winnipeg“. Die Stadt im Kopf, die verschlungene Topographie der Erinnerung, in der Realität, Fantasie, Kindheitstraumata und die verschiedenen Ebenen der Badeanstalt miteinander verschwimmen, die kleine kanadische Stadt Winnipeg ist sein Thema. Der Filmemacher Guy Maddin hat dort sein Leben verbracht, Winnipeg ist Kulisse und manchmal auch Protagonist seiner eigenwilligen, melodramatischen, selbstironischen Stummfilmgedichte. Hauptdarsteller war die Stadt noch nie; und eigentlich wollte der Regisseur auch nie einen Dokumentarfilm machen. Wie löst man also das Dilemma, wenn man vom Documentary Channel den Auftrag bekommt, einen Dokumentarfilm über die eigene Stadt zu drehen? Guy Maddin hat, jenseits von Kupferstichen und anderen Langweiligkeiten der Stadtgeschichte, die eigene Hassliebe verfilmt: Die nostalgische, konservative Liebe zur goldenen Vergangenheit, in der eine Kette alter Frauen versuchte, eine Ulme vor ihrer Fällung zu bewahren und in der das alte Eishockeystadium der Himmel auf Erden war; den Hass auf die Fehler der Gegenwart und die Hassliebe zur dominanten Mutter. Dieser Familienwahnsinn ist in Form von nachgespielten Kindheitserinnerungen besonders unterhaltsam in Szene gesetzt, mit Ann Savage, B-Movie-Star der vierziger Jahre als Mutter.

Vergangenes Jahr schon war Guy Maddins „Brand Upon the Brain!“ ein Höhepunkt des Forums, Maddins gute Freundin und kreative Partnerin Isabella Rossellini war bei der Inszenierung in der deutschen Oper 2007 auch dabei. Diesmal ist sie in drei kurzen, sehr vergnüglichen Filmen zu sehen, die vor „My Winnipeg“ und außerdem im Rahmen des Forum Expanded gezeigt werden – als Spinne, Glühwürmchen oder Fliege gewandet, erläutert sie in „Green Porno“ das aufregende Liebesleben der Insekten. Der traumwandlerische Essay „My Winnipeg“ ist die richtige Wahl für die Eröffnung einer Sektion, die Dokument, Experiment, Spielfilmdebüts ununterschieden nebeneinander stellt und den urbanen Raum dieses Jahr zu einem Schwerpunkt gemacht hat. „My Winnipeg“ mit seinen verschiedenen Ebenen und Stilen, seiner fantastisch-verwirrenden Suche nach Spuren unter vielen Schneeschichten könnte nicht nur synonym für die Vielschichtigkeit von „Heimat“ stehen, sondern auch für diejenige des Forums.

 

Waffen gegen Bildung
Benjamin Gilmours „Son of a Lion“ im Internationalen Forum des jungen Films


Auf der Glastür ist ein Gebiss aufgemalt: Die Zähne weiß, das Zahnfleisch leuchtend rot. Niaz' Zahnschmerzen waren so schlimm, dass er nach Peschawar zum Zahnarzt musste. Ein kurzer Blick in den Mund genügt: Die Zähne hinten sind nicht mehr zu retten. Es wird diskutiert, Niaz sei doch noch so jung, ob man das nicht bedenken könne? Am Ende wird er entlassen, noch mit vollständigem Gebiss. Dem Elfjährigen ist das gar nicht so recht. Gern würde er länger bei seinem Onkel in der Stadt bleiben, er möchte nicht zurück zu seinem strengen Vater. „Son of a Lion“ ist das Debüt von Benjamin Gilmour, der eigentlich gelernter Rettungssanitäter ist und in Sydney lebt. Er hat viel Zeit mit seinen Laiendarstellern verbracht, Paschtunen im Nordwesten Pakistans. In dieser felsigen Wüstengegend spielt der Film; im Mittelpunkt steht der Konflikt zwischen Vater und Sohn. Die beiden leben in Darra, einem Dorf, das auf die Manufaktur von Waffen spezialisiert ist, auch Niaz' Vater stellt Waffen her. Eines Tages, so hofft er, wird sein Sohn in seine Fußstapfen treten. Doch der liebt die Musik – laut seinem Vater Teufelswerk –, er möchte lesen lernen, zur Schule gehen. Dieser Grundkonflikt zwischen Vater und Sohn, Waffen und Bildung, ist zwar manchmal etwas plakativ gestrickt. Doch Szenen wie der Zahnarztbesuch, die wie intime Alltagsbeobachtungen wirken, machen Gilmours Film aus; ebenso die Bilder von der staubgesättigten Landschaft, die sich scharf und gleichzeitig flirrend fahl absetzt gegen das Blau des Himmels.

 

„Son of a Lion“ von Benjamin Gilmour: Sa 09.02.17:45 CinemaxX 5, So10.02. 20:00 CineStar 8, Mo 11.02.14:00 Delphi Filmpalast, Mi13.02.12:30 Arsenal 1, Do 14.02. 22:45 Cubix 9

 

 

 


Julia Teichmann

 

 

 

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