Wie der mächtigste Mann Italiens trotz Korruptionsvorwürfen nicht zu Fall gebracht werden konnte
Ein alter Mann, klein, mit schmal eingezogenen Schultern, einer großen Brille, die auf umgeknickten Ohren sitzt, fast wie bei einem reuigen Hund, mit nach unten gezogenen Mundwinkeln, die ihm einen verbitterten Ausdruck verleihen, in buckliger Haltung, den Blick starr vor sich gerichtet, so begegnet uns Giulio Andreotti.
Der leichte, flüchtige Händedruck und die Angewohnheit, seine Gesprächspartner nie direkt anzublicken, zeugen von der Distanz, mit der er anderen Menschen begegnet. Wortkarg, steif und ungerührt, seine Emotionen stets hinter einer Maske verbergend, hört er aufmerksam zu und analysiert berechnend sein Gegenüber. Selbst langjährigen Vertrauten bringt er nicht die geringste Geste der Zuneigung gegenüber, dies gilt auch für seine Frau, der qualvoll bewusst wird, dass sie ihr Leben mit einem Fremden verbracht hat. Gedanken und Gefühle werden nur durch kleinste Ausdrucksänderungen vermittelt und somit die Unnahbarkeit und extreme Beherrschung beibehalten. Die Politik ist das einzig Wichtige, und Wohlwollen äußert er nur über politische Unterstützung.
Er findet keinen Schlaf, läuft nervös stundenlang auf und ab oder steht mitten in der Nacht auf, um zu arbeiten oder zu beten. Er wirkt sehr unscheinbar, erscheint als ein harmloser, fast Mitleid erregender alter Mann, wenn er seinen Kopf aufgrund nie endenwollender Kopfschmerzen in die Hände stützt, doch in Wahrheit ist er der einflussreichste Mann Italiens.
Andreotti ist eine vielschichtige Persönlichkeit, ist Politiker, Schriftsteller und Journalist. Als führender Vertreter der Christdemokratischen Partei, dominiert er 50 Jahre lang die politische Bühne Italiens. Allein sieben Mal war er Ministerpräsident und hatte unzählige Male viele weitere Ministerämter inne. Er hat zahlreiche Spitznamen, doch egal wie man ihn nennen mag, Unsterblicher, Buckliger oder Belzebub, er ist die unangefochtene Verkörperung der Macht. Er wurde mehrmals beschuldigt, Verbindungen zur Mafia zu haben und mehrere Morde in Auftrag gegeben zu haben. Obwohl diese Verdächtigungen zu Anklagen und Verurteilungen führten, wurde er stets doch freigesprochen, aus Mangel an Beweisen oder Zeugen. Durch geschicktes Ausradieren belastender Beweise schaffte er es schließlich doch immer eine reine West zu behalten.
IL DIVO spielt Anfang der 90er Jahre und handelt vom Beginn der siebten Amtszeit Andreottis und der Aufdeckung des Korruptionsskandals, der schließlich ihn und seine Partei stürzten. Paolo Sorrentino dokumentiert einen Teil politischer Historie, denn sowohl die Namen der politischen Akteure, als auch die Namensliste der genannten Mafiosi sind real. Über das exemplarische Portrait dieser politischen Figur, thematisiert er aber auch die gegenwärtige Situation Italiens, die auch weiterhin von Korruption und organisiertem Verbrechen geprägt ist.
Der Film beginnt mit einer beschleunigten Montage mehrere Morde, unter anderem an dem Journalisten Mino Pecorelli, dem Bankvorstehenden Giorgio Ambrosi oder Michele Sindona, der im Gefängnis vergiftet wurde. Durch die Wiederholung dieser Mordszenen im weiteren Verlauf des Films, werden diese in den Handlungszusammenhang eingebunden und mit Andreotti in Verbindung gebracht. Ein wichtiges Element, das die Wirkung der Mordsszenen verstärkt und auch für den gesamten Film eine ausschlaggebende Rolle spielt, ist die Musik. Die auffällige Stille, bei der man erst leise und dann immer deutlicher die Hintergrundgeräusche auf der Tonspur wahrnimmt, wird plötzlich durchbrochen von einer lauten, heiteren Musik, die von dem Klang der Schüsse durchdrungen ist. Die Widersprüchlichkeit der Emotionen die die fröhliche musikalische Untermalung und die gewalttätige Bildsprache auslösen, schafft ein Spannungsverhältnis, das die Szene kraftvoller wirken lässt.
"Eine einzige Einstellung vermag, wenn sie gut durchdacht und ausgewogen ist, mehr zu fesseln und zu sagen, als zehn Seiten Dialog." Dieser Aussage bleibt Paolo Sorrentino treu und lässt statt des wortkargen Politikers die Bilder und die Musik sprechen. Hier hat er die formale Schönheit gefunden, nach der er in seinen Filmen stets sucht und die für ihn einen Film erst sehenswert macht.
Carola Heinrich
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