Cannes 2009
Francis lässt die Puppen tanzenTagebuchnotizen, 2. Folge |
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Cannes erweckt die Puppen zum Leben - Air Doll |
»Kill me, kill me, you are my son« – Ödipus läßt grüßen in Francis Ford Coppolas neuem Film, in dem ein US-Amerikaner von zwei leichtlebigen Argentinierinnen mit dem Spruch »Come with us, Bambi« ins Schaumbad gelockt wird, um entjungfert zu werden, und dann am Tag nach dem ersten Sex, also wie man so sagt, »zum Mann geworden«, erfährt, wer sein Vater ist.
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»Nichts stimmt, aber alles ist wahr« – direkt nach seinem mit autobiographischen Anspielungen prall gefüllten neuen Film kam Francis Ford Coppola auf die Bühne und stellte sich, begleitet von seiner Frau, seinem Sohn Roman und einigen Darstellern, dem Publikum. Und man freute sich immerhin, dass Coppola dort zurück ist, wo er hingehört: Im Kino. Ein gutgelaunter Mann mit gelbem Kurzarmhemd und Ringelsocken, der sichtbar mit sich im Reinen ist, und offenkundig den Spaß daran wiedergewonnen hat, Filme zu machen. Das war nicht immer so. Zehn Jahre musste er nach dem Misserfolg von One From the Heart und der Fast-Pleite seiner Firma Schulden abzahlen, und Filme nur als Geldmaschine produzieren. Jetzt kommt er zurück zu den Filmfestspielen nach Cannes, wo er 1980 mit Apocalypse Now die Goldene Palme gewann. Tetro eröffnete die renommierte Quinzaine, die anspruchsvollste Sektion neben dem Wettbewerb – ausgerechnet in dem gleichen altmodisch holzgetäfelten Kino, in dem seinerzeit Apocalypse Now 1980 seine Uraufführung erlebte und das Festival spaltete, bevor der Film dann am Ende die Goldene Palme gewann.
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Motten fliegen in Scheinwerfer, es flackert, dann geht ein Matrose in weißer Uniform durch die eine schwarze, nur laternenerhellte Nacht: Tetro beginnt gleich mit einer Fingerübung in der Poesie des Lichts – der Film ist bis auf wenige Stellen (Erinnerungsmaterialien der Figuren) in Schwarzweiß gedreht, allerdings nicht in den gleißenden Kontrasten des alten Film-Materials, sondern digital und daher immer etwas matt und stumpf wirkend. Mehr als an einen
kühl-existentialistischen Film-Noir erinnerten die Bilder an Edgar Reitz' Fernsehproduktion Heimat.
Auch sonst ist dies tatsächlich ein in vieler Hinsicht altmodisches Werk: Eine Geschichte, die zwar in Buenos Aires spielt, aber von der Stadt nur folkloristisches Klischees zeigt. Die Story benutzt entsprechend Argentinien nur als Kulisse – natürlich wird irgendwann auch noch nach Patagonien gefahren – und dreht sich um zwei amerikanische Brüdern, die vor ihrem allzu starken Papa an den Rio de la Plata geflohen sind. Mehr und mehr entwickelt sich die Ausgangssituation dann zu einer
archaischen Tragödie, gepflastert mit Zitaten aus der Kulturgeschichte der Romantik (neben Wagners Rheingold und diversen Faust-Varianten vor allem auf Offenbachs Hoffmanns Erzählungen (der mit Ausschnitten aus dem gleichnasmigen Film von Powell/Pressburger illustriert wird und E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann): Puppen, ein doppelter Bruderzwist und zwei Mütter kommen ins Spiel – im Zentrum steht ein
psychologisches Portrait des »american male« an sich, gezeichnet in groben, aber bekannten Strichen als getrieben von Vatermordphantasien und Anerkennungssehnsucht, vom dauernden Ringen, und der Konkurrenz um die gleiche Frau mit einem übermächtigen, bewundert-gehassten Vater, zudem gequält von Schuldgefühlen und der Abwesenheit der Mutter. Klaus Maria Brandauer spielt den Dirigenten-Übervater, mehr mit Wiener-Grinse-Schmäh als mephistophelisch...
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Von Brando zu Brandauer – das ist auch künstlerisch ein weiter Weg. Wäre dies der Film eines x-beliebigen Unbekannten, würde man ihn wohl achselzuckend übergehen. Weil er von Coppola ist, schaut man gebannt hin, ist geneigt viel zu verzeihen – und am Ende doch enttäuscht. Coppolas Filme waren schon immer tiefstes 19. Jahrhundert. Aber dies ist eigentlich ein schlechter Film, der zwar immerhin persönlich ist - erst seine dritte Drehbucharbeit -, und Coppolas Lieblingsthemen, die Reise ist heart of darkness, die Familie und den amerikanischen Mann ein weiteres Mal bearbeitet. Vom Filmemacher, der Coppola einst und noch in Bram Stoker's Dracula unbedingt war, ist hier aber nichts mehr zu sehen.
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Und die Argentinier, denen man so begegnet sind sowieso ganz schockiert, wie ihre Hauptstadt wegkommt: Coppolas Blick ist touristisch. Nichts bleibt vom Charme der Stadt, alles wird Abziehbild. Buenos Aires ohne Buenos Aires, Coppola ohne Coppola – überzeugt von diesem überladenen, schwerblütigen Drama waren am Ende zwar nur eingefleischte Coppola-Fans. Zu den Paukenschlägen von Verdis Requiem wird dann der tote Vater beerdigt, ein anderer wurde dafür geboren. Letzter Satz: »It's gotta be ok, we are a family.« Na dann.
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Sie heißt Cindy, und hat 5970 Yen gekostet. Sie hält still beim Sex, widerspricht nicht, ist abwaschbar, und auch sonst pflegeleicht. Doch eines Tages erwacht die Sexpuppe Cindy zum Leben und von nun an wird alles kompliziert. Air Doll heißt der neue Film von Hirokazu Kore-eda (Nobody Knows, Still Walking). In dem gewinnt der Japaner dem im Prinzip überaus klassischen Thema der toten Puppe, die zum Leben erwacht (bzw. des Automatenmenschen) – besonders beliebt zu Zeiten der europäischen Romantik, bei Shelley, Kleist oder Hoffmann – neue Facetten ab.
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Es hat einen ganz eigentümlichen Zauber, wenn man in den ersten Minuten des Films verfolgt, wie sich die aufblasbare Puppe, zunächst noch steif und ruckartig, dann zunehmend elastisch in der Welt bewegt. Wodurch sie eigentlich belebt wird – durch den Sexualakt ihres Besitzers in der Nacht davor, durch sein Kompliment, sie sei »ki-de-ki«, beautiful, oder durch die Reinigung danach, oder gar durch Gott, das lässt der Film offen. Später erst erwähnt sie, was passierte: »I found myself a heart, I was not supposed to have.«
Stattdessen sieht man, was das Erste ist, was sie tut: Sie kleidet sich an – auch Sexpuppen kennen offenbar Scham. Sie probiert verschiedene Kostüme an, mehr oder weniger alles Fetische der Phantasie ihres Besitzers, und landet dann bei einem veritablen Püppchendress. Erst später entwickelt sie auch Geschmack in Modefragen. Dann begleitet man sie bei der Entdeckung der Welt: Dem Nachahmen der Kinder, der naiven Annäherung an das so komplexe Leben unseres Alltags. Sie findet Arbeit in einer Videothek namens »Cinema Circus«, was dem Film Gelegenheit zu ein paar Filmdiskursen en passent bietet, und dazu Plakate von I, Robot und diversen Klassikern abspielungsreich ins Bild zu rücken. Auch Pornofilme hat der Laden, und Cindy damit Gelegenheit in der Porno-Abteilung auf anderer Ebene ihren Ebenbilder zu begegnen. Auch ein paar Anspielungen auf Andersens Märchen von der kleinen Meerjungfrau gibt es, die so gerne ein Mensch sein möchte...
Gestellt wird dadurch natürlich die Frage nach der Menschlichkeit des Menschen, danach, was ihn eigentlich von einer Maschine trennt – davon abgesehen, dass er kein Ventil hat, an dem man die Luft heraus lassen kann. Bald schon ist Cindy einsam in der Menschenwelt. Die ist kalt und böse, nur die Maschinenwelt ist unschuldig, das Girl aber beißt in einen Apfel und sündigt – denn das ist Menschsein: »Because I found a heart, I told a lie.«
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All das hat eine gewisse Poesie, reicht aber nicht hin. Stattdessen plätschert der Film nach einer knappen Stunde zwischen wenigen guten Szenen über die Zeit, und nachdem der Puppe – darauf hat man seit Beginn gewartet – einmal die Luft ausgeht, passiert das auch dem Film. Der Rest ist, mehr und mehr, Kitschphantasie.
Natürlich soll das auch Kritik sein an der japanischen Gesellschaft, an einer Welt, die durch Demütigung und Ausnutzung strukturiert ist, und in der alle ein bisschen unglücklich sind, sich mit Substituten am Leben halten, wie Pornos oder Sexpuppen. Das Beste am Film bleibt die gloriose Bae Du-na (Sympathy for Mr. Vengeance, Tube, The Host).
Kann es ein Zufall sein dass der Regisseur hier die Rolle einer japanischen Sex-Puppe mit einer koreanischen Schauspielerin besetzt hat?
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Nach der verhalten aufgenommen Eröffnung mit dem 3D-Animationsspektakel Up begann der Wettbewerb an den ersten Tagen stark, und hatte seinen Schwerpunkt in Asien und Australien: Von dort kommt Jane Champion, die hier mit The Piano einst triumphierte. Bright Star heißt ihr neuer Film, und erzählt die historische verbürgte Liebesgeschichte zwischen dem britischen Dichter John Keats und Fanny Brawn aus der Sicht der Frau als großes, idealisiertes Liebesdrama. Das lebt zum einen von der Genauigkeit mit der Campion seit jeher ihre Stoffe mit feinsten Stichen stickt, noch mehr aber von der Hauptdarstellerin Abbie Cornish. Wie die junge Nicole Kidman beherrscht Cornish spröde und verführerisch zugleich die Leinwand, zieht die Blicke auf sich – eine Erscheinung, die man nicht vergisst und eine erste Kandidatin auf den Darstellerpreis.
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Auch zwei Filme aus Asien beeindruckten: Thirst vom Koreaner Park Chan-wook, der in Oldboy bereits seine Version von Victor Hugos Rachegeschichte Graf von Montechristo geboten hatte, versetzt Emile Zolas Erfolgsroman Thérèse Raquin in die Gegenwart – und erzählt ihn als religionskritische Vampirgeschichte. Eine Ehebruchsmelo voll schwarzem Humor, Leichtigkeit und inszeniert in
atemberaubenden, dick aufgetragenen Bildern.
Das genaue Gegenteil, eine subtile und ganz naturalistische Studie aus dem China von heute, ist Spring Fever vom Chinesen Lou Ye. Angesiedelt in der alten Kaiserstadt Nanjing geht es darin um eine Vierecksliebesgeschichte. Spring Fever dürfte zuhause verboten werden – allzu freizügig ist der Sex, und insbesondere die Darstellung der Homosexuellenszene in China. Da zeigt der Film etwas, das man noch nicht kannte. Wirklich bestechend ist aber
Lou Yes Blick auf die Welt überhaupt: Nichts wird psychologisiert, dafür das Leben gezeigt, sehr nahe, sehr echt, voller Sinn für kleine Schönheiten und voller Gefühl für Rhythmus und Musik. Kino als sinnliches Vergnügen.