11.05.2013
28. DOK.fest München 2013

Drehen, bis es gut wird

Mia Donovan
Foto: DOK.fest/Maren Willkomm

Mia Donovan über ihr Langzeit-Portrait

Ihr echter Name kommt nur einmal vor. Ansonsten ist sie Lara für uns, die 2004 mit 19 Jahren als Pornodarstellerin in kurzer Zeit in Los Angeles mit dem HI-Virus angesteckt wurde. Die kanadische Fotografin und Filmemacherin Mia Donovan begleitete sie sechs Jahre auf ihrem harten Weg in ein anderes Leben, auf Reisen in die Vergangenheit, durch dunkle Täler der Verzweiflung bis in die Psychatrie.

Natascha Gerold sprach mit der Regisseurin über ihre gemeinsame Zeit mit Lara, die ihr Pseudonym zwar immer noch als Teil ihrer Identität sieht, sich aber der Öffentlichkeit zunehmend mit echtem Namen präsentiert.

artechock: Frau Donovan, warum haben Sie Lara zunächst kontaktiert?

Mia Donovan: Als sie sich mit HIV infizierte, habe ich eine Dokumentar-Fotoserie gemacht über selbstbestimmte Sexarbeiterinnen in Montreal. Es gibt dort nämlich eine große Sexindustrie, etwa 80 Stripclubs, viel Escort-Service, auch ein paar Pornoproduktionsfirmen. Als ich Lara in den Nachrichten sah, dachte ich an die Mädchen, die ich fotografiert hatte und wie leicht sie in ihre Situation hätten geraten können. Viele von ihnen waren jung und unsicher, sie wirkten, als könnten sie keine Grenzen für sich selbst ziehen – das Thema Selbstbestimmung und -bewusstsein war also nicht so einfach. Eigentlich wollte ich Lara fotografieren, doch für sie sollte es von Anfang an ein Film werden. Also lieh ich mir eine Kamera. Lange war nicht klar, ob aus dem Ganzen etwas werden könnte, da es ihr in den ersten Jahren oft sehr schlecht ging.

artechock: Haben Sie damit gerechnet, dass Sie Lara so lange begleiten?

Donovan: Nach den ersten drei Jahren stellte ich mich auf ein langfristiges Nebenprojekt ein, das durchaus auch zehn Jahre hätte dauern können. Wir waren stets in Kontakt miteinander, drehten aber nicht permanent. Wir machten weiter, bis sich für Lara eine positive Perspektive des Entzugs ergab. Ohne die wäre der Film zu voyeuristisch gewesen und nicht realisiert worden. Deshalb wurde er auch mit institutionellen Geldern finanziert, bei denen es keine Deadline gab.

artechock: "Bevor ich dir etwas von mir gebe, muss du mir etwas von dir geben" – so erinnert die Drogenberaterin ihre erste Begegnung mit Lara als Teenager, die sich einem nicht ohne weiteres öffnete. Haben Sie diese Erfahrung auch mit ihr gemacht?

Donovan: Auf jeden Fall. Es hat lange gedauert, bis wir beide zu dem Punkt kamen, an dem sie sich wohlfühlte und mir vertraute. Ich denke, die Zeit, die man miteinander mit ausgeschalteter Kamera verbringt, ist genauso wichtig wie die, in der gedreht wird –das gilt für jeden Dokumentarfilm. Für Produzenten ist das manchmal nicht so einfach zu verstehen. Man muss einen Instinkt dafür entwickeln, wann man besser nicht filmt.

artechock: Mitten im Film hegt Lara erheblich Zweifel am Ihrem gemeinsamen Projekt verbunden mit Fragen, für die jeder Dokumentarfilmer gewappnet sein muss. Waren Sie es auch?

Donovan: Nicht unbedingt, denn das kam für mich aus heiterem Himmel. Andererseits hat es mich bestärkt, denn es zeigte, dass sie den ganzen Prozess des Filmemachens reflektierte. Ich wurde auch an die Verantwortung erinnert, die ich für sie als Person habe, denn der Film besteht für die Ewigkeit und ich wünsche mir für Sie ja eine bessere Zukunft mit einem Beruf, Familie und allem was sie wollte. Die härteste Vorführung war in ihrer Heimatstadt Montreal im November 2011. Ihre Freunde waren da, die ganze Familie, auch die ihres Lebensgefährten. Ich war schon besorgt, dass sich der Film auf ihr aktuelles Leben auswirken könnte, wo sie gerade mitten in der Ausbildung war und alles so gut lief. Aber nach dem Film wurde sie von allen sehr ermutigt und bekam Standing Ovations, was eine große Erleichterung war. Sie ist jetzt fertig mit der Ausbildung als Grafikdesignerin, macht derzeit ein Praktikum, ist verlobt, es geht ihr gut, sie kann sogar Kinder bekommen – es läuft ganz wunderbar für sie.

artechock: Innerhalb der Pornoindustrie in L.A. ist der Gebrauch von Kondomen während der Aufnahmen eher verpönt. Man verwies auf die Selbstverpflichtung zu regelmäßigen HIV-Tests, denen sich Pornodarsteller bei der Adult Industrie Medical Health Care Foundation unterziehen mussten. Diese Stiftung ist bankrott seit 2011. War das eine gute Nachricht?

Donovan: Ich glaube, eher eine schlechte. Sharon Mitchell (die Stiftungsgründerin, zuvor selbst langjährige Pornodarstellerin, Anm. d. Red.) hat wahrlich nicht alles richtig gemacht, unter anderem hat sie, in Panik zwar, aber auf eigene Faust, die Namen der Darstellerinnen im Internet veröffentlicht, die mit dem HIV-infizierten Kollegen gearbeitet und somit dem Infektionsrisiko ausgesetzt waren – darunter auch Laras Name mit ihrem Bild. Man muss ihr aber zugutehalten, dass sie versucht hat, wenigstens etwas Ordnung ins Chaos zu bringen. Immerhin hat die Pornoindustrie dank ihrer nach dem Ausbruch des HI-Virus die Dreharbeiten für einen Monat gestoppt. Auch ihrer Meinung nach sollte der Gebrauch von Kondomen in der Pornoindustrie Pflicht sein. Doch sie war gegen die gesetzliche Verpflichtung, da sonst im Ausland gedreht werde, was mit noch mehr gesundheitlichen Risiken für die Darsteller verbunden wäre und sie noch weniger dazu beitragen könnte, ihnen zu helfen, so ihre Argumentation. Und sie hat wohl Recht, denn jetzt ist die Pornoindustrie in Los Angeles qua Gesetz zum Gebrauch von Kondomen während der Dreharbeiten vor Ort verpflichtet, doch der Vertrieb von Filmen, in denen keine benutzt wurden, bleibt weiterhin erlaubt. Außerdem bleibt fraglich, ob es den Produktionsfirmen so viel ausmacht, wenn sie eine Strafe wegen des Nichtgebrauchs von Kondomen zahlen müssen. Für die Betroffenen ändert das wohl nichts.

artechock: Wie können sich die Darsteller dann heute vor dem HIV-Risiko schützen?

Donovan: Sie können lediglich auf den Gebrauch von Kondomen bestehen. Und darin liegt das Problem, das auch Lara in ihrer Zeit in L.A. hatte: Wer das will, bekommt keine Aufträge. Dazu kommt die Macht, die die Agenten – diese charismatischen Männer Mitte dreißig und älter – über die jungen Mädchen haben, sowie der Reiz des Geldes. Für viele von den Mädchen sind die Summen, die man verdienen kann, zunächst mal ein Vermögen. In unserem Film geht es um AIDS, aber es gibt natürlich noch andere Krankheitsrisiken, mit denen vor allem Pornodarstellerinnen leben: Herpes, Chlamydien, die man als Frau schon mal vier oder fünf Mal im Jahr bekommen kann, Gonorrhoe … alles Dinge, die man zwar behandeln kann, die auf Dauer aber nicht gut fürs Immunsystem sein können.

artechock: In den 1980er-Jahren war der Gebrauch von Kondomen in der Pornoindustrie ganz normal. Hängt der „Trend zur Sorglosigkeit“ mit der besseren Behandelbarkeit von AIDS zusammen?

Donovan: Letztendlich weiß ich nicht, warum die jungen Frauen diese enormen Risiken auf sich nehmen, die die immer waghalsigeren Praktiken mit sich bringen. In der Schwulenpornoszene sieht das anders aus: Da wird nicht getestet, aber der Gebrauch von Kondomen ist selbstverständlich. Ein Produzent sagte uns, Analsex ohne Kondom für den schwulen Zuschauer käme dem Konsum von Snuff-Videos gleich. Die Abwesenheit von Kondomen in Heteropornos ist auch insofern bedenklich, als Jugendliche oft Sexualität via Pornos im Internet kennenlernen und so kein Risikobewusstsein geschaffen werden kann.

artechock: Ist Lara immer noch daran interessiert, in der Öffentlichkeit aufzutreten?

Donovan: Ja, wir betreiben Aufklärungsarbeit mit jungen Menschen, manche der Termine macht sie auch allein. In Quebec zeigen wir „Inside Lara Roxx“ Jugendlichen, haben Vorführungen in Colleges, Unis, auch in Jugendschutzeinrichtungen, wo Lara in ihrer Teenagerzeit war. Sie findet es wichtig, das Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren den Film sehen sollten. Der Film ist zwar für Jugendliche ab 13, manche Lehrer haben aber wegen des Inhalts Bedenken, ihn an Schulen zu zeigen. Deshalb ist jetzt eine gekürzte Version geplant, damit Lara auch mit jüngeren Schülern sprechen kann.

Inside Lara Roxx, So., 12.05., 16:30 Uhr, City 3