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editorial

Herzlichen Glückwunsch der Galerie Caduta Sassi zu ihrem zehnjährigen Jubiläum! Die von mehreren Künstlern betriebene und aus der gleichnamigen Performancegruppe hervorgegangene Produzentengalerie in der Schulstr. 38 gibt seit 1991 Künstlern, die "an den Randzonen der Kunst" arbeiten, ein Forum. Die Ausstellung "fare un giro" zeigt die Künstler der Galerie bis 29.06.
Auf die nächsten zehn Jahre jenseits des Mainstreams!

pit schultz - after the hype:kulturelle praxis im internet

Mit der rasanten Ausbreitung des Internets entstand in den 90er Jahren eine neue Kunstform: net.art. Im Rahmen der Vortragsreihe MedienKunstPerspektiven (Medienforum München, Kulturreferat LHM, Lothringer13/halle) blickte Pit Schultz auf den Netzaktivismus der vergangenen Jahre zurück und fragt: Was bleibt von der blühenden Netzkultur nach dem Ende des Hypes? Pit Schultz (Berlin, Amsterdam und Budapest) ist Mitbegründer von „Botschaft“ und der Mailinglist „nettime“. Er ist Mitherausgeber von Netzkritik. Materialien zur Internet-Debatte, Berlin.

Goldene Jahre - Hundejahre? Was für eine Jugend, die 80er, als man inspiriert von den Blüten der Science-Fiction Literatur und berauscht vom subversiv-demokratischen Verschwörertum seinem Hackerdasein noch ungeniert frönen konnte; als erste Firmen-Mailboxe vernetzt und über DFÜ-Knotenpunkte aufgebaut wurden; das Internet noch ein Kind ohne Namen war und die neue Kommunikationsform eine exklusive, eine elitäre Angelegenheit war, die einem Rollenspiel glich. "The Thing" war ein Pionier in Sachen Information und Kunst. Ein elitäres Diskussionsforum, bei der Beuys soziale Skulptur für die textuelle Interaktion Pate gestanden haben mochte. Aber doch sehr selbstreferentiell und schließlich von einer euphorischen New Yorker Szene dominiert.

Pit Schultz erzählt wie alles begann und dann von der Wende - in Deutschland. In Berlin fiel die Mauer, fielen die Häuser in die Hände der Studenten. Überlebenskampf im urbanen Raum! Für die offenen Gruppenstrukturen war das Internet ein geeignetes Tool, um sich sozial, politisch und künstlerisch zu äußern, zugleich ein erneuter Versuch aus dem alten und allzu hehren Kunstverständnis auszubrechen.
Als schließlich ein Schweizer Konzern das www 1994 mit einer benutzertauglichen Oberfläche versah, machte das Netz einen gewaltigen Sprung nach vorn. Die Medientheorie ließ nicht auf sich warten, huldigte - von amerikanisch-libertären Gedanken beflügelt - der Utopie des Cyberspace und verdarb es sich damit endgültig mit einer eher argwöhnischen europäischen Linie. Die Mailinglist "nettime", dessen Mitbegründer Schultz ist, entstand 1995 als kritische Gegenbewegung und "kollaborativer Netzfilter" in den Bereichen Journalismus, Kunst und Musik.

Eine Hype-Welle folgte der nächsten. Vor allem drüben: nach der Westküste der Osten, nach dem subkulturellen Badeurlaub die Brandung: Brand I. In der neuen Metropole NY wurde das Utopie-Versprechen 1:1 angenommen. Der E-Commerce gedieh, die Hochfinanz leckte Blut und schnell war klar, daß derjenige den Jackpot leerte, der zuerst verkaufte. Ist Internet Kommunikation oder Kommerz? Wie ist diese schier unbeschreibliche Produktivität überhaupt zu zahlen? Freeservices, die man spekulativ auf die Zukunft anlegt oder doch die Rückkehr zur alten Ökonomie. Der Kampf ist bis heute nicht ausgefochten.

net.art.story

Die net.art.story entwickelte sich innerhalb von nettime. Hier spielte man mit dem Modell der Avantgarde, schuf virtuelle Künstler, die eine ironische Position zum eigenen Schaffen bezogen. Doch es war ein kurzer Sommer. Netzkunst ist nicht sammelbar, nicht verkaufbar, schwer ausstellbar, 3D gar unbezahlbar.Ohne öffentlich oder wirtschaftlich finanzierte Sammlungen wie das ZKM (Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe) kaum denkbar - undenkbar: eine Obrigkeitskultur! Künstler arbeiten heute wieder mit den unterschiedlichsten Medien. Die sogenannte "Medienkunst" ist fast folkloristisch geworden. "Autodestructive Art" spielt mit dem Ende von net.art. Auf Knopfdruck kann jeder produzieren. Überhaupt treten wir in eine neue Phase der Programmiererkünstler ein. Künstler schreiben Programme, die Websites und Bilder selbst generieren. Die Software ist das Produkt, das für sich selbst steht. In Schultz' Verständnis findet Kunst nicht im Ausstellungskontext statt. Kunst muß auch nicht Kunst genannt werden. Es geht vielmehr um die Ästhetisierung von kultureller Praxis. Die Software ist einsatzfähig im kommerziellen Bereich genauso wie im künstlerischen Bereich. Auf der Dokumenta X war Schultz Co-Kurator des Hybrid Workspace.

Immer wieder kommt Schultz auf die Club-Kultur: Das Synthetisieren von Bildern in Echtzeit wird schon lange von DJs eingesetzt. Hier entstehen spannende Ansätze mit durchaus ästhetischem und politischem Drive. Mit der Clubkultur entgegnet man dem Globalisierungswahn, konzentriert man sich wieder auf den "micro-orb". Im Gegensatz zu Amerika entwickelt sich hier eine neue Form von städtischer Medienkultur. Und nicht zu verachten: man widmet sich wieder Themen - realen womöglich existentiellen Dingen. Mc Luhans verheißungsvolles "The medium is the message" ist eben längst kein Thema mehr.

imke bösch



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