02.01.2025

Sinnliche Erlebniswelten

The Lighthouse
Kammerspiel an der rauen Küste: The Lighthouse
(Foto: Universal Pictures)

Die Filme von Robert Eggers

Von Marc Trappendreher

Er gilt als das aufstre­bende Wunder­kind des gegen­wär­tigen US-ameri­ka­ni­schen Films, als einer, der mit einer neuen Film­sprache beweist, dass Autoren­film und Genrekino kein Wider­spruch ist: Robert Eggers. Mit nur vier Filmen hat Eggers sich im Weltkino als viel­ver­spre­chender Name etabliert. Nosferatu, die Neuver­fil­mung des Film­klas­si­kers von Friedrich Wilhelm Murnau, ist seine aktuelle Regie­ar­beit.

Eggers Interesse am Mythos zeichnen alle seine Filme im Beson­deren aus. Er ist deshalb jemand, der sich besonders nahe am Genrekino bewegt, er liebt die großen Erzäh­lungen und ihre Arche­typen, die zeitlos und immer neu inter­pre­tierbar sind. Eggers’ Filme sind also offen­kundig Genrekino: Horror- und Aben­teu­er­film. Er entzieht sich diesen Kate­go­rien auch nicht, jedoch unter­wan­dert und erweitert er sie, immer die Schnitt­stelle zwischen reinem Unter­hal­tungs­faktor und intel­lek­tu­ellem Verweis­system bedienend. Für diese Tendenz genügt ein Blick auf Robert Eggers’ Werdegang: Der spätere Regisseur fand zunächst als Kostüm- und Produk­ti­ons­de­si­gner zum Film, er ist somit ein Künstler, der sich seine Film­welten besonders über die Form erschließt. Dies ist ein bedeut­samer Aspekt seines Schaffens, liegt darin doch ein Grund für sein beson­deres Auge für die visuelle Gestal­tung. Eggers insze­niert seine filmi­schen Räume sorg­fältig, durch die Ausstat­tung, durch Requi­siten und Kostüme – er ist ein wahrer Metteur-en-Scène, der dem ursprüng­li­chen fran­zö­si­schen Wort­ge­halt des Begriffs sehr entspricht.

Neben einer Handvoll Kollegen hat sich Eggers als ein Vertreter des »Art-Horror« einen Namen gemacht. Mit dem Begriff ist zunächst ein Diffe­renz­kri­te­rium getroffen, das Eggers' Film­schaffen innerhalb zeit­genös­si­scher Genre­er­zäh­lungen abheben soll. Bei Eggers finden die festen Formeln filmi­scher Erzähl­tra­di­tion und der indi­vi­du­elle Kunst­wille, der Sinn für die äußere Gestal­tung, zusammen. In Hollywood zählt er damit zu der neuen Gene­ra­tion an Regis­seuren, die das (vor-)forma­tierte Unter­hal­tungs­kino mit moder­nis­ti­schen Kunst­an­sprüchen durch­ziehen – zu dieser gehören ferner Ari Aster (Midsommar), Jordan Peele (Get Out) und Alex Garland (Civil War). Es ist die Gene­ra­tion an Film­schaf­fenden, die auf neuer­liche Weise die Schnitt­stelle zwischen Genrekino und Arthouse zu bedienen versucht. Mit Blick auf die heutigen Veteranen des New Hollywood, aber auch Filme­ma­cher, denen ein Mindestmaß an vision du monde genügt.

Narrative Ambi­va­lenz gegen klas­si­sche Erzähl­norm: »The Witch«

In seinem Debütfilm The VVitch: A New-England Folktale (2015) kombi­nierte Eggers klas­si­sche Horror­mo­tive mit dem Erwachen weib­li­cher Sexua­lität in einer repres­siven, puri­ta­ni­schen Glau­bens­ge­mein­schaft im Neueng­land des 17. Jahr­hun­derts. Von dem Produk­ti­ons­studio A24 klug vermarktet, wurde dieser Film zugleich als überaus generisch wahr­ge­nommen, als ein Genrefilm, und als besonders stil­be­tonter, kunst­voller Arthouse­film: Aufgrund unter­schied­li­cher reli­giöser Auffas­sungen verlässt eine gottes­fürch­tige Familie ihren Glau­bens­orden für eine abge­le­gene Holzhütte an einem Waldrand. Die Eltern bemühen sich, die heran­wach­senden Kinder nach­drück­lich in ihrem festen Glauben zu unter­weisen. Allmäh­lich beginnen sich dann vers­tö­rende Vorfälle zu häufen. Als der jüngste Sohn verschwindet, verdäch­tigen die fana­ti­schen Eltern ihre Tochter Thomasin (Anja Taylor Joy) eine Hexe zu sein. Dieser Horror­film entfaltet in eindring­li­chen Bildern den uralten Konflikt zwischen Gut und Böse und bietet dabei zwei unter­schied­liche Inter­pre­ta­ti­ons­an­sätze an. Die somit gewonnene narrative Ambi­va­lenz steht klarer­weise im Wider­spruch zur klas­si­schen Erzähl­norm – in The VVitch erwächst eine funda­men­tale Intrans­pa­renz aus der gleich­wer­tigen Zuläs­sig­keit zweier Erzähl­winkel: Zum einen gibt es die ratio­na­lis­ti­sche Lesart, die das Schicksal dieser Familie als Folge des reli­giösen Wahns darstellt, den sie allum­fas­send lebt, und somit als selbst­ver­schuldet auslegt. Zum anderen wird der über­na­tür­liche folk­lo­ris­ti­sche Gehalt des Stoffes aus Teufels­an­be­tung und Hexen­sabbat überaus ernst genommen und in keiner Weise ironi­sie­rend oder vernei­nend darge­stellt. Eggers’ akri­bi­sche Recher­che­ar­beit, die sorg­fäl­tige Auswer­tung histo­ri­scher Quellen, sowie die detail­ge­treue Übernahme von Text­do­ku­menten und Arte­fakten haben an diesem Effekt erheb­li­chen Anteil und markieren damit ein wesent­li­ches Erken­nungs­zei­chen der Hand­schrift Eggers’.

Ohne defi­ni­tive Inter­pre­ta­ti­ons­an­ge­bote: »The Light­house«

Unter­drückte Sexua­lität, Isolation und Wahn prägen auch Eggers’ nächsten Spielfilm The Light­house (2019), in dem er Robert Pattinson und Willem Dafoe in einem kammer­spiel­ar­tigen Schau­spie­ler­duell vor der Kamera zusam­men­brachte. Ange­sie­delt in den späten 1890er Jahren, wieder in Neueng­land, folgt die Geschichte zwei Leucht­turm­wär­tern, Thomas Wake (Dafoe) und Ephraim Winslow (Pattinson), die auf einer abge­le­genen Insel ihr Dasein fristen. Während sie sich um den Leucht­turm kümmern, beginnen die beiden Männer der rauen Umgebung zu verfallen, während ihre Beziehung sich konflikt­be­laden zuspitzt. Es geht Eggers in The Light­house um die dezi­dierte Anbindung an die unmit­tel­bare Lebens­rea­lität zweier Menschen, die an den Folgen der Isolation und Kommu­ni­ka­ti­ons­armut zerbre­chen. Die düstere visuelle Atmo­sphäre die aus dem 4:3-Format und der Schwarz-Weiß-Foto­grafie gewonnen wird, kombi­niert Eggers mit einer eindring­li­chen dumpfen Klang­ku­lisse, die die psycho­lo­gisch belas­tenden Erleb­nisse der Wärter auf das Publikum über­tragen soll – Eggers Irri­ta­ti­ons­ef­fekt entspre­chend verschwimmen bald die Grenzen zwischen Realität und Wahn. Die schein­bare Ereig­nis­lo­sig­keit inten­si­viert sich dabei anhand der bean­spruchten Erzähl­dauer. Dem durch­drin­genden und surrealen Erlebnis soll hier das Augenmerk gelten, nicht zuletzt, weil Eggers Verweise auf Bibe­ler­zäh­lungen oder die Odin-Sage spie­le­risch herstellt und keine defi­ni­tiven Inter­pre­ta­ti­ons­an­ge­bote macht.

Mythos und Verun­si­che­rung: »The Northman«

Eggers' Faszi­na­tion für mythische Stoffe wurde schließ­lich mit The Northman (2022) ganz offen­kundig. Seine Hinwen­dung zu diesem Urtext aus altnor­di­scher Zeit, der Amletus-Saga (der Vorstufe zu Shake­speares »Hamlet«) und dessen Bear­bei­tung stellen mit Blick auf den betrie­benen Verwei­ge­rungs­gestus eine wesent­liche, radikale Stei­ge­rung gegenüber den beiden Vorgän­ger­filmen dar. Erzäh­le­risch operiert dieser Film über die Muster des Aben­teu­er­films. Die Reise des Helden ist der hand­lungs­ge­bende Topos, die hier nur noch von Rache bestimmt zu sein scheint. Als der abtrün­nige Bruder Fjölnir (Claes Bang) den König Aurvandil (Ethan Hawke) tötet, sinnt sein Sohn auf Vergel­tung. Als erwach­sener Mann kehrt Amleth (Alexander Skarsgård) in seine Heimat zurück, um den Mord an seinem Vater zu rächen und seine Mutter Gudrún (Nicole Kidman) zu befreien. Eggers schafft hier mit der immer wieder­keh­renden Einflech­tung von heid­ni­schen Ritualen und mythisch aufge­la­denen Traum­se­quenzen einen Wikin­ger­film, der weit entfernt ist von den roman­ti­sierten Darstel­lungen, wie sie die Serie »Vikings« (2013-2020) abbildete. Ähnlich wie Nicolas Winding Refns Walhalla Rising (2009) konfron­tiert dieser Film mit Versatz­stü­cken aus der nordi­schen Mytho­logie, die die Überhand nehmen und mithin einen starken Sog- und Verun­si­che­rungs­ef­fekt auslösen. Auf intel­li­gible Weise ist diesem Film allein nicht beizu­kommen: Eggers geht es hier einmal mehr um die sinnliche Film­erfah­rung, um das Eintau­chen in eine Erleb­nis­welt von Archaik und Deter­mi­na­tion.

Für den Mythos so bedeutsam ist die Idee der Schick­sals­haf­tig­keit, die Vorsehung, die alle mensch­li­chen Geschicke letztlich leitet: Davon erzählen die Filme Eggers, vornehm­lich sind es Männer, die an ihren jewei­ligen Vorhaben scheitern, deren Abwendung des Schick­sals so illu­so­risch ist, wie ihr Wille zur Selbst­be­stim­mung verzwei­felt erscheint. So auch in seinem neuesten Film: Dass sich Eggers an eine Neuver­fil­mung des expres­sio­nis­ti­schen Film­klas­si­kers von Friedrich Wilhelm Murnau wagt, dürfte weiter nicht verwun­dern – der expres­sio­nis­ti­sche deutsche Film der Zwan­zi­ger­jahre war besonders auf das Produk­ti­ons­de­sign ausge­richtet. Murnaus Schau­er­mär­chen von 1922 etablierte das Grauen im Kino auf eine nie zuvor gesehene Weise, noch bevor sich der Begriff des Horror­films überhaupt etabliert und gefestigt hatte. Robert Eggers’ Nosferatu (2024) ist vornehm­lich eine ehrfürch­tige Reverenz auf das Original, dessen erst­ma­liges Erleben im Kindes­alter für ihn zu der prägenden filmi­schen Sinnes­er­fah­rung wurde, die ihn zum Film­schaffen brachte. Die Geschichte – bereits bei Murnau eine Übernahme der berühmten Vampi­rer­zäh­lung von Bram Stoker – folgt dem Immo­bi­li­en­makler Thomas Hutter (Nicholas Hoult), der nach Trans­sil­va­nien reist, um einen myste­riösen Kunden, Graf Orlok (Bill Skarsgård), zu treffen. Orlok entpuppt sich als ein vampirähn­li­ches Wesen, das nicht nur Hutter, sondern auch seine Frau Ellen (Lily Rose-Depp) bedroht, mit der er sich zutiefst schick­sals­ver­wandt sieht. Alle Bemühungen Hutters, auch mit der Unter­s­tüt­zung des verschro­benen Vampir­jä­gers Albin Eberhart von Franz (Willem Dafoe), das Unheil abzu­wenden, und seine Geliebte aus den Fängen des Monsters zu befreien, müssen scheitern. Aus Eggers’ Anver­wand­lung des Stoffes spricht die unbe­dingte Hingabe zur visuellen Gestal­tung, die sichtlich Anleihen bei der Romantik macht. Die sorg­fäl­tigen Bild­ar­ran­ge­ments, die große Tiefen­schärfe, die aufwän­digen Kostü­mie­rungen und die detail­ver­ses­senen Ausstat­tungen zeugen von Eggers’ Willen, mit Nosferatu eine moderne Rück­be­sin­nung auf den expres­sio­nis­ti­schen Stummfilm zu schaffen, auf eine Zeit, in der der Film zuvor­derst ein visuelles Medium war und sich der Horror aus Schauder und Grusel nährte.