Sinnliche Erlebniswelten |
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Kammerspiel an der rauen Küste: The Lighthouse | ||
(Foto: Universal Pictures) |
Er gilt als das aufstrebende Wunderkind des gegenwärtigen US-amerikanischen Films, als einer, der mit einer neuen Filmsprache beweist, dass Autorenfilm und Genrekino kein Widerspruch ist: Robert Eggers. Mit nur vier Filmen hat Eggers sich im Weltkino als vielversprechender Name etabliert. Nosferatu, die Neuverfilmung des Filmklassikers von Friedrich Wilhelm Murnau, ist seine aktuelle Regiearbeit.
Eggers Interesse am Mythos zeichnen alle seine Filme im Besonderen aus. Er ist deshalb jemand, der sich besonders nahe am Genrekino bewegt, er liebt die großen Erzählungen und ihre Archetypen, die zeitlos und immer neu interpretierbar sind. Eggers’ Filme sind also offenkundig Genrekino: Horror- und Abenteuerfilm. Er entzieht sich diesen Kategorien auch nicht, jedoch unterwandert und erweitert er sie, immer die Schnittstelle zwischen reinem Unterhaltungsfaktor und intellektuellem Verweissystem bedienend. Für diese Tendenz genügt ein Blick auf Robert Eggers’ Werdegang: Der spätere Regisseur fand zunächst als Kostüm- und Produktionsdesigner zum Film, er ist somit ein Künstler, der sich seine Filmwelten besonders über die Form erschließt. Dies ist ein bedeutsamer Aspekt seines Schaffens, liegt darin doch ein Grund für sein besonderes Auge für die visuelle Gestaltung. Eggers inszeniert seine filmischen Räume sorgfältig, durch die Ausstattung, durch Requisiten und Kostüme – er ist ein wahrer Metteur-en-Scène, der dem ursprünglichen französischen Wortgehalt des Begriffs sehr entspricht.
Neben einer Handvoll Kollegen hat sich Eggers als ein Vertreter des »Art-Horror« einen Namen gemacht. Mit dem Begriff ist zunächst ein Differenzkriterium getroffen, das Eggers' Filmschaffen innerhalb zeitgenössischer Genreerzählungen abheben soll. Bei Eggers finden die festen Formeln filmischer Erzähltradition und der individuelle Kunstwille, der Sinn für die äußere Gestaltung, zusammen. In Hollywood zählt er damit zu der neuen Generation an Regisseuren, die das (vor-)formatierte Unterhaltungskino mit modernistischen Kunstansprüchen durchziehen – zu dieser gehören ferner Ari Aster (Midsommar), Jordan Peele (Get Out) und Alex Garland (Civil War). Es ist die Generation an Filmschaffenden, die auf neuerliche Weise die Schnittstelle zwischen Genrekino und Arthouse zu bedienen versucht. Mit Blick auf die heutigen Veteranen des New Hollywood, aber auch Filmemacher, denen ein Mindestmaß an vision du monde genügt.
In seinem Debütfilm The VVitch: A New-England Folktale (2015) kombinierte Eggers klassische Horrormotive mit dem Erwachen weiblicher Sexualität in einer repressiven, puritanischen Glaubensgemeinschaft im Neuengland des 17. Jahrhunderts. Von dem Produktionsstudio A24 klug vermarktet, wurde dieser Film zugleich als überaus generisch wahrgenommen, als ein Genrefilm, und als besonders stilbetonter, kunstvoller Arthousefilm: Aufgrund unterschiedlicher religiöser Auffassungen verlässt eine gottesfürchtige Familie ihren Glaubensorden für eine abgelegene Holzhütte an einem Waldrand. Die Eltern bemühen sich, die heranwachsenden Kinder nachdrücklich in ihrem festen Glauben zu unterweisen. Allmählich beginnen sich dann verstörende Vorfälle zu häufen. Als der jüngste Sohn verschwindet, verdächtigen die fanatischen Eltern ihre Tochter Thomasin (Anja Taylor Joy) eine Hexe zu sein. Dieser Horrorfilm entfaltet in eindringlichen Bildern den uralten Konflikt zwischen Gut und Böse und bietet dabei zwei unterschiedliche Interpretationsansätze an. Die somit gewonnene narrative Ambivalenz steht klarerweise im Widerspruch zur klassischen Erzählnorm – in The VVitch erwächst eine fundamentale Intransparenz aus der gleichwertigen Zulässigkeit zweier Erzählwinkel: Zum einen gibt es die rationalistische Lesart, die das Schicksal dieser Familie als Folge des religiösen Wahns darstellt, den sie allumfassend lebt, und somit als selbstverschuldet auslegt. Zum anderen wird der übernatürliche folkloristische Gehalt des Stoffes aus Teufelsanbetung und Hexensabbat überaus ernst genommen und in keiner Weise ironisierend oder verneinend dargestellt. Eggers’ akribische Recherchearbeit, die sorgfältige Auswertung historischer Quellen, sowie die detailgetreue Übernahme von Textdokumenten und Artefakten haben an diesem Effekt erheblichen Anteil und markieren damit ein wesentliches Erkennungszeichen der Handschrift Eggers’.
Unterdrückte Sexualität, Isolation und Wahn prägen auch Eggers’ nächsten Spielfilm The Lighthouse (2019), in dem er Robert Pattinson und Willem Dafoe in einem kammerspielartigen Schauspielerduell vor der Kamera zusammenbrachte. Angesiedelt in den späten 1890er Jahren, wieder in Neuengland, folgt die Geschichte zwei Leuchtturmwärtern, Thomas Wake (Dafoe) und Ephraim Winslow (Pattinson), die auf einer abgelegenen Insel ihr Dasein fristen. Während sie sich um den Leuchtturm kümmern, beginnen die beiden Männer der rauen Umgebung zu verfallen, während ihre Beziehung sich konfliktbeladen zuspitzt. Es geht Eggers in The Lighthouse um die dezidierte Anbindung an die unmittelbare Lebensrealität zweier Menschen, die an den Folgen der Isolation und Kommunikationsarmut zerbrechen. Die düstere visuelle Atmosphäre die aus dem 4:3-Format und der Schwarz-Weiß-Fotografie gewonnen wird, kombiniert Eggers mit einer eindringlichen dumpfen Klangkulisse, die die psychologisch belastenden Erlebnisse der Wärter auf das Publikum übertragen soll – Eggers Irritationseffekt entsprechend verschwimmen bald die Grenzen zwischen Realität und Wahn. Die scheinbare Ereignislosigkeit intensiviert sich dabei anhand der beanspruchten Erzähldauer. Dem durchdringenden und surrealen Erlebnis soll hier das Augenmerk gelten, nicht zuletzt, weil Eggers Verweise auf Bibelerzählungen oder die Odin-Sage spielerisch herstellt und keine definitiven Interpretationsangebote macht.
Eggers' Faszination für mythische Stoffe wurde schließlich mit The Northman (2022) ganz offenkundig. Seine Hinwendung zu diesem Urtext aus altnordischer Zeit, der Amletus-Saga (der Vorstufe zu Shakespeares »Hamlet«) und dessen Bearbeitung stellen mit Blick auf den betriebenen Verweigerungsgestus eine wesentliche, radikale Steigerung gegenüber den beiden Vorgängerfilmen dar. Erzählerisch operiert dieser Film über die Muster des Abenteuerfilms. Die Reise des Helden ist der handlungsgebende Topos, die hier nur noch von Rache bestimmt zu sein scheint. Als der abtrünnige Bruder Fjölnir (Claes Bang) den König Aurvandil (Ethan Hawke) tötet, sinnt sein Sohn auf Vergeltung. Als erwachsener Mann kehrt Amleth (Alexander Skarsgård) in seine Heimat zurück, um den Mord an seinem Vater zu rächen und seine Mutter Gudrún (Nicole Kidman) zu befreien. Eggers schafft hier mit der immer wiederkehrenden Einflechtung von heidnischen Ritualen und mythisch aufgeladenen Traumsequenzen einen Wikingerfilm, der weit entfernt ist von den romantisierten Darstellungen, wie sie die Serie »Vikings« (2013-2020) abbildete. Ähnlich wie Nicolas Winding Refns Walhalla Rising (2009) konfrontiert dieser Film mit Versatzstücken aus der nordischen Mythologie, die die Überhand nehmen und mithin einen starken Sog- und Verunsicherungseffekt auslösen. Auf intelligible Weise ist diesem Film allein nicht beizukommen: Eggers geht es hier einmal mehr um die sinnliche Filmerfahrung, um das Eintauchen in eine Erlebniswelt von Archaik und Determination.
Für den Mythos so bedeutsam ist die Idee der Schicksalshaftigkeit, die Vorsehung, die alle menschlichen Geschicke letztlich leitet: Davon erzählen die Filme Eggers, vornehmlich sind es Männer, die an ihren jeweiligen Vorhaben scheitern, deren Abwendung des Schicksals so illusorisch ist, wie ihr Wille zur Selbstbestimmung verzweifelt erscheint. So auch in seinem neuesten Film: Dass sich Eggers an eine Neuverfilmung des expressionistischen Filmklassikers von Friedrich Wilhelm Murnau wagt, dürfte weiter nicht verwundern – der expressionistische deutsche Film der Zwanzigerjahre war besonders auf das Produktionsdesign ausgerichtet. Murnaus Schauermärchen von 1922 etablierte das Grauen im Kino auf eine nie zuvor gesehene Weise, noch bevor sich der Begriff des Horrorfilms überhaupt etabliert und gefestigt hatte. Robert Eggers’ Nosferatu (2024) ist vornehmlich eine ehrfürchtige Reverenz auf das Original, dessen erstmaliges Erleben im Kindesalter für ihn zu der prägenden filmischen Sinneserfahrung wurde, die ihn zum Filmschaffen brachte. Die Geschichte – bereits bei Murnau eine Übernahme der berühmten Vampirerzählung von Bram Stoker – folgt dem Immobilienmakler Thomas Hutter (Nicholas Hoult), der nach Transsilvanien reist, um einen mysteriösen Kunden, Graf Orlok (Bill Skarsgård), zu treffen. Orlok entpuppt sich als ein vampirähnliches Wesen, das nicht nur Hutter, sondern auch seine Frau Ellen (Lily Rose-Depp) bedroht, mit der er sich zutiefst schicksalsverwandt sieht. Alle Bemühungen Hutters, auch mit der Unterstützung des verschrobenen Vampirjägers Albin Eberhart von Franz (Willem Dafoe), das Unheil abzuwenden, und seine Geliebte aus den Fängen des Monsters zu befreien, müssen scheitern. Aus Eggers’ Anverwandlung des Stoffes spricht die unbedingte Hingabe zur visuellen Gestaltung, die sichtlich Anleihen bei der Romantik macht. Die sorgfältigen Bildarrangements, die große Tiefenschärfe, die aufwändigen Kostümierungen und die detailversessenen Ausstattungen zeugen von Eggers’ Willen, mit Nosferatu eine moderne Rückbesinnung auf den expressionistischen Stummfilm zu schaffen, auf eine Zeit, in der der Film zuvorderst ein visuelles Medium war und sich der Horror aus Schauder und Grusel nährte.