Es ist Filmfest,
Menschenmengen schieben sich durch das Foyer des MaxX, Filmteams
beleuchten ausgewählte Ecken einzelner Kinos, in die sich dann
ausgewählte Menschen stellen und ausgewählte Worte sprechen,
überall trifft man intentional oder versehentlich auf große und
kleine Prominenz und -fast gerät der eigentliche Grund des ganzen
Trubels in Vergessenheit- täglich versucht man mindestens 3 Filme
zu gucken, um wenigstens 1/10 des angebotenen Programms
mitzunehmen. Irgendwie schon stressig die vielen Menschen, aber es
ist Eustreß -anregender, stimulierender Streß- und schließlich
droht schon der diesjährige Filmfest-Slogan: "im Kino ist man nie
allein".
Um bei der Filmfest Eigenpromotion zu bleiben: Richtig schlimm
ist der allen Filmen vorgeschaltete Trailer. Unterhalten sich zwei
Raumschiffe, sagt das eine zum anderen „Where are you going?“, sagt
das andere „Hollywood! And you?“, „Munich Filmfest!“ antwortet das
erste und das zweite (neidisch) „Great!!“. Wollen die Macher sich
damit neben Hollywood präsentieren oder eben genau davon abheben?
Oder hat sich diese Frage einfach niemand gestellt? Und wieso
schneidet man nach diesen computeranimierten Raumsch iffen auf ein
Bild des Zunge zeigenden Albert Einsteins -hat der Filme im
Programm?
Hat er nicht, aber sonst bietet die Auswahl ein Spektrum der
Filmlandschaft, vom HFF-Übungffilm bis zum Big Picture aus „Holy
Wood“. Überraschend war bei dieser Palette das Ziel des ersten
Andranges; als erster Film in allen Vorstellungen ausverkauft war
"Workaholic", die Fortsetzung der deutschen Flach-Komödien, die
ohnehin in wenigen Wochen in jedem Kino laufen wird. Dabei hält das
konkurrierende Programm wirkliche Leckerbissen parat (bzw. bei der
Fülle des Angebots: versteckt), die man vielleicht nicht mal auf
Video zu sehen bekommen wird: die Ausländischen Reihen, die
Independents und natürlich das Kurzfilmprogramm hätten es
tatsächlich verdient, restlos überfüllt zu sein. Immerhin muß man
sich so wenigstens nicht um die Karten prügeln; also geht doch alle
in Workaholic, soll ganz toll sein! (vgl. unsere Kritik von Richard Oehmann)
Ganz toll ist auch folgendes: Das Filmfest enttarnt die
Klassengesellschaft. Erkennbar sind die Stände verschiedener
Individuen an der Farbe ihrer VIP-Karten: keine Karte ist ganz
schlecht und bedeutet "zahlen" und "kein Eintritt in besondere
Vorstellungen", blaue Karte ist für Teilnehmer und ermöglicht ihren
Besitzern in der Regel freien Eintritt in die Filmvorstellungen,
bei Presse- oder Interviewterminen müssen diese sich jedoch heftig
mit den Türstehern auseinandersetzen, um Einlaß zu bekommen,
türkise Karte ist schon recht praktisch, bedeutet "Presse" und
gewährt Einlaß in alle nicht ausverkauften Vorstellungen inklusive
Pressevorstellungen, exklusive der Prime-Time-Vorstellung um 20:00
Uhr, ganz oben auf der "wo-darf-ich-rein?"-Liste stehen die
violetten Karten der Organisatoren, mit einer solchen stehen
eigentlich alle Türen offen, aber welcher Organisator hat schon die
Zeit, dies zu nutzen. Schade eigentlich, diese
Privilegienverschwendung....
Mit welcher Karte und in welche Vorstellung es den Besucher auch
zieht, das Filmfest bietet die wirklich seltene Chance, Filme zu
gucken ohne von Vorabpresse, Promotion, Trailer und Werbung bereits
ein fast fertiges Bild im Kopf zu haben. Einfach einen Film gucken
können, nur weil der Titel gefällt, die Hauptdarstellerin neulich
schon so gut war, die Filmreihe letztes Jahr schon gefallen hat
oder gerade mal 2 Stunden des Tages noch nicht verplant. Egal ob
gut oder schlecht, nichts wissen macht Filme spanne nd. Und
spannende Filme gibt es noch weitere 3 Tage, also „where are you
going?“-“Munich Filmfest“.
Christian Rechmann
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