Leinwände haben kein Gedächtnis. Sie sind dazu gemacht,
das auf sie projezierte Licht in den Zuschauerraum abzustrahlen
und am Ende des 24-frames-per-second Bombardements genauso
weiß und rein wieder dazustehen wie zu Beginn.
Letzte Woche waren die Filmbegeisterten in unserer Landeshauptstadt
der alljährlichen cineastischen Großoffensive Eberhard Hauffs
und seines Teams von der Internationalen Münchner Filmwochen
GmbH ausgesetzt - vom 28. Juni bis zum 5. Juli fand (bereits
zum 15. Mal) das FILMFEST MÜNCHEN statt. Acht Tage lang flimmerten
226 Filme über 16 Leinwände.
Jetzt rattert an den Spielstätten des Filmfests wieder die
hektische Sommerware durch die Projektoren, und das Donnern
von Explosionen fetzt durch die THX-Anlagen. Geblieben sind
vom Festival nur die Erinnerungen in den Köpfen des Publikums.
Und die könnten sich dieses Jahr als nicht sonderlich nachhaltig
herausstellen.
Daß es, egal wie lust- oder schmerzvoll Frau Stone vom Plakat
stöhnte, mit dem angekündigten "Festival der großen Gefühle"
nichts werden würde, zeichnete sich bereits vor Festivalbeginn
ab, als das Programm bekannt gegeben wurde. Das Filmfest selbst
hat dann die Vorahnung bestätigt: es war nicht einfach nur
das weitgehende Fehlen der großen Namen der Filmkunst; auch
auf unbekanntem Terrain gab es nicht viel zu entdecken, was
Anlaß zur Ekstase geboten hätte.
Mit den großen Emotionen zusammen blieben allerdings auch
die große Langeweile und das große Ärgernis aus: es fand sich
für mich genug im Angebot, was akzeptabel bis sehenswert war
- rückblickend gesehen wäre "Festival des soliden Handwerks"
das passendste Prädikat gewesen.
Davon waren auch gerade die aktuellen Filme der wenigen auf
dem Filmfest vertretenen bekannteren Regisseure nicht ausgenommen.
Allesamt Nebenwerke, nicht uninteressant oder gar schlecht,
aber eben auch lange nicht auf der Höhe jener Filme, denen
die Schöpfer ihren herausragenden Ruf verdanken. Weder Woody
Allens lockeres Musical EVERYONE SAYS I LOVE YOU (das immerhin
ein bezauberndes Pas-de-deux zwischen Allen und Goldie Hawn
an den Ufern der Seine aufweisen kann), noch Nicolas Roegs
TWO DEATHS, dem zum großen Wurf die Kraft und zum wirklich
überzeugenden Kammerspiel die Präzision fehlte, konnten begeistern;
Paul Schrader trat mit dem hervorragend besetzten, aber leidlich
zähen TOUCH den Beweis an, daß die Komödie sein Metier nicht
ist. Und warum ich Abel Ferraras kryptischen, quälenden THE
BLACKOUT letzlich dennoch faszinierend fand, kann ich mir
selbst bisher nicht erklären.
Am Beispiel Ferrara (der unter den "Internationalen Premieren"
lief) zeigt sich übrigens, wie beliebig dieses Jahr die Trennlinie
zwischen den "Internationalen Premieren", den "Previews" und
den "American Independents" verlief. Praktisch alle amerikanischen
Filme mit deutschem Verleih hätten mit gleichem Fug und Recht
beliebig in all diesen Kategorien laufen können.
Letzlich ist dies jedoch egal; was zählt ist allein die Qualität
der Filme, und George Hickenloopers schmerzvolles Kleinstadtdrama
DOGTOWN, Stephen Baigelmans dreckige, schwarze Komödie FEELING
MINNESOTA, Steven Soderberghs kongeniale filmische Adaptation
von Spalding Grays Bühnenmonolog GRAY'S ANATOMY, oder Laura
Derns Paradeauftritt in Alexander Paynes Abtreibungs-Satire
CITIZEN RUTH ließen sich unabhängig von jedem Reihen-Label
genießen.
Dennoch: alles Filme, die wenig bleibenden Eindruck hinterlassen
haben. Ihre Spuren in meinem Gedächtnis sind fast ausschließlich
einzelne Details, Szenen, Stimmungen, Bilder, und darin unterscheiden
sie sich kaum von den enttäuschenderen Filmen, die mit ähnlicher
Halbwertzeit verblassen.
Richard Linklaters SUBURBIA, mit exzellenten Darstellern gesegnet,
aber leider nur abgefilmtes Theater oder der vielgepriesene
THIS WORLD, THEN THE FIREWORKS (Regie: Michael Oblowitz),
der furios als quietschbunte Karrikatur eines film noir beginnt
und in dem Moment zu funktionieren aufhört, wo er sich ernstnimmt,
sind für mich nicht merklich mehr vergessen.
Nächste Woche: Wenn ich mich
noch daran erinnern kann, gibt es einen Streifzug durch die
internationalen Produktionen, das übliche Gejammere über den
Zustand des deutschen Films, einen Rückblick auf die Retrospektiven
und eine Huldigung der Hommagen, sowie meine persönlichen
Favoriten.
Stay tuned...
Thomas
Willmann
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