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28.09.2000
 
 
   
 

Actors, Directors, Dictators

 
Verschwommene Heilige: Björk in DANCER IN THE DARK
     
 
 
 
 

Was haben der Papst, der amerikanische Präsident, japanischen Atomkraftwerksbetreiber und ein nicht unerheblicher Teil der deutschen Politiker gemeinsam ? Richtig, sie haben sich entschuldigt. Zu dieser illustren Gruppe ist nun auch der Regisseur Lars von Trier zu zählen, der seit dem Filmfestival von Cannes ein permanentes "I'm sorry" mit sich herumträgt. Im Gegensatz zu den vorher genannten sehe ich bei von Trier jedoch keine Veranlassung zu solcher Demut, da er mit seinem Film DANCER IN THE DARK etwas Großartiges geleistet hat und er sich deshalb erlauben könnte mit einem "Ihr könnt mich !" durchs Leben zu gehen.
Wenn von Trier die Entschuldigungen an seine Hauptdarstellerin Björk tatsächlich ernst meint, dann ist die künstlerischen Freiheit der Regisseure wieder ein Stückchen kleiner geworden. Doch der Reihe nach.

Während der Dreharbeiten zu DANCER IN THE DARK gab es einige Streitereien zwischen dem Regisseur von Trier und der Darstellerin Björk. Ursache für den Streit war vor allem die Auslegung von Björks Rolle. Während sie die menschlich natürliche Note der Figur herausheben wollte, lag von Triers Augenmerk bei deren Leiden und Verzweiflung, eigentlich typisch für von Trier. Sowohl der Film als auch Björk als Hauptdarstellerin gewannen in Cannes und von Trier nutzte vor, während und nach der Preisverleihung jede Möglichkeit, sich in aller Öffentlichkeit für sein Verhalten bei Björk zu entschuldigen.
Vereinfacht gesagt: Lars von Trier verhilft der hauptberuflichen Sängerin Björk in ihrem Spielfilmdebüt auf anhieb zum Darstellerpreis in Cannes (eine Ehrung auf die unzählige professionelle Darstellerinnen ein Leben lang vergeblich warten) und muss sich dafür bei ihr entschuldigen. I don't get it.

Mag sein, dass während der Dreharbeiten einige unschöne Worte zwischen den beiden gefallen sind, aber so etwas regelt man entweder unter vier Augen oder gar nicht. Der Hauptstreitpunkt war und ist dagegen ohnehin die Auslegung von Björks Rolle, wobei die Sängerin selbst jetzt nicht müde wird, das Thema in Interviews immer wieder anzuschneiden.
Warum aber, so frage ich mich, muss sich ein Regisseur für seine filmische Vision entschuldigen ? Warum glaubt Björk besser zu Wissen was für den Film gut ist als einer der wichtigsten, mutigsten und kreativsten Regisseure unserer Zeit ? Seit wann sind Darsteller überhaupt maßgebender als Regisseure ?

Es gab Zeiten, da waren Filmemacher wie Hitchcock, Otto Preminger oder Sam Peckinpah berühmt für ihre Ruppigkeit gegenüber den Darstellern. Mag sein, dass es für die Schauspieler nicht angenehm war mit diesen Regiediktatoren zu arbeiten. Aber im Gegensatz zur alltäglichen Arbeitswelt, die nicht minder von selbstherrlichen Vorgesetzten bestimmt wird, dauerte die Zusammenarbeit mit den schwierigen Regisseuren nur relativ kurze Zeit, wurde ziemlich üppig bezahlt und am Ende stand in der Regel ein guter Film, der auch den Namen der Darsteller für immer in die Filmgeschichte einschrieb.

Die kommenden Generationen von Regisseuren waren vielleicht nicht mehr so augenfällig autoritär, ihr Verhältnis zu den Darstellern war aber immer noch eindeutig genug. Harrison Ford hat vergeblich mit Ridley Scott endlos über BLADE RUNNER gestritten, Coppola ruinierte beinahe Martin Sheens Gesundheit für APOCALYPSE NOW (man vgl. hierzu die Doku HEART OF DARKNESS über die Entstehung des Films) und Abel Ferrara zeigt uns seine sehr eigenwillige Methode mit Schauspielern umzugehen anhand von Madonna in DANGEROUS GAME. Es ist bezeichnend, dass in diesem Film von Ferrara ein Clip zu sehen ist, in dem sich Werner Herzog, der Klaus Kinski beinahe einmal umbringen ließ (man vgl. hierzu MEIN LIEBSTER FEIND), zu den Dreharbeiten von FITZCARRALDO äußert. Und es verwundert nicht, dass Lars von Trier in einem Interview gesagt hat, dass er sich bei den Dreharbeiten von DANCER IN THE DARK ein bisschen wie Herzog gefühlt habe und das Björk seine Entsprechung für Kinski gewesen sei, somit seine "liebste Feindin".

Dabei ist es ja schon tröstlich, dass von Trier die Unstimmigkeiten auf dem Set überhaupt zugibt. Die Praxis heute sieht meist so aus, dass Regisseure in Interviews und billigen Making Off-Reportagen das rosige Bild der wunderbaren Dreharbeiten zeichnen und endlos wiederholen, wie toll es doch war, mit dem Schauspieler XY zusammenzuarbeiten. Diese glorreichen Schilderungen sind möglicherweise gelogen, aber wer einmal gesehen hat, wie z.B. Quentin Tarantino vor seinen Darstellern kriecht, der weiß, dass sich im Verhältnis Regisseur - Darsteller seit den Tagen Hitchcocks manches geändert hat.
Es besagt schon einiges über die Machverhältnisse und Prioritäten in der Filmindustrie, dass es (im Gegensatz zu den Schauspielern) keine Regisseure gibt, denen man pro Film 20 Millionen Dollar zahlt. Die Position als "Zugpferd" eines Films nutzen viele Darsteller zur Einflußnahme auf den Regisseur, wobei es an kreativer Selbstüberschätzung nicht zu fehlen scheint, wie die unzähligen Schauspieler, die sich dazu berufen fühlen selber Regie zu führen oder Filme zu produzieren, beweisen.

Wenn Superstars ihre 20 Millionengagen als Machtinstrument im "Kampf" mit dem Regisseur benutzen, dann ist das ein Sache. Wenn aber filmische Laien (trotz ihrer starken Leistung in DANCER IN THE DARK ist sie ein solcher nun einmal) wie Björk glauben, sie wüßten a priori wie ein guter Film zu machen sei, dann ist das schon eine arge Dreistigkeit.
Bei jeder Kritik an den kreativen Entscheidungen von Lars von Trier sollte Björk immer daran denken, dass es auch seine (sehr mutige und auch richtige) Entscheidung war, sie überhaupt für diese Hauptrolle zu besetzten.

Es beruhigt zu sehen, dass es aber auch noch einen Filmemacher wie Woody Allen gibt, der genau weiß, was die Schauspieler ohne einen guten Regisseur wert sind und der sich eine gewisse Arroganz gegenüber den Darstellern erhalten hat. Dass selbst die größten Stars trotzdem angekrochen kommen, um für ein geradezu lächerliches Einheitsgehalt für Allen zu arbeiten, spricht für sich.

Michael Haberlander

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