Von HJ bis HipHop |
![]() |
|
Emil (und eine Detektivin) im Jahr 2001 | ||
(Foto: Constantin Film) |
Noch einmal also EMIL UND DIE DETEKTIVE. Noch einmal die Geschichte vom braven Landei auf Räuberjagd in Berlin. Noch einmal die Geschichte von der wackeren Bürgerwehr. Da lohnt sich zunächst ein genauerer Blick auf die früheren Versuche, sie zu erzählen.
Der Schwarzweißfilm von 1931 (Regie: Gerhard Lamprecht) zunächst, obwohl mit Ton, doch noch ganz von der Ästhetik des Stummfilms geprägt. Nur scheinbar handelt er von dem munteren Räuber-und-Gendarme Spiel einiger Jungen und von der kreativen Gewitztheit, die Kinder einer tumben Erwachsenenwelt entgegen setzen. Nur wenn man den Film vollständig aus seinem historischen Horizont entfernt, kann die Denkmalschändung in der Eingangssequenz als Dummejungenstreich erscheinen.
Tatsächlich folgt auf die öffentliche Bloßstellung einer unfähigen und retardierten Staatsgewalt die Demonstration der Macht einer männerbündisch organisierten Jugend in einer Gemeinschaft mit paramilitärischen Strukturen. Die Hatz des Gauners Grundeis durch die entfesselt johlende Menge trägt Züge eines Pogroms. Der Flug des gefeierten Helden Emil und sein Empfang in der Heimatstadt nimmt schließlich bis ins Detail eine Szene vorweg, in der nur wenige Jahre später eine
ungleich folgenreichere Heroisierung zur filmischen Perfektion getrieben wird: der Anflug Hitlers auf Nürnberg in Leni Riefenstahls Dokumentarfilm TRIUMPH DES WILLENS. Insgesamt erweist sich der Film als beklemmender Zerrspiegel der Weimarer Verhältnisse und gestattet einen Blick auf die Wurzeln einer totalitären Gesellschaft, der als Bedingung und Nährboden die vollständige Militarisierung der Jugend vorauszugehen hatte.
23 Jahre später sind die Menschen eben jener
Generation, die diese erste Inszenierung bejubelt hatte, eifrig dabei die wirklichen Pogrome zu vergessen, die, wenn sie nicht von Ihnen selbst veranstaltet worden waren, doch unter ihren Augen ungehindert hatten stattfinden können. Denn zur Jagd auf jene, die im ganz großen Stil gemordet hatten, war man nicht bereit gewesen. Für solche Konsequenzen hatten die Lagerfeuerträume vom Endsieg den Blick getrübt.
Die Verfilmung von 1954 (Regie: Robert A. Stemmle) befaßt sich mit dem Thema daher etwas weniger forsch und in der gebotenen zeitgemäßen Betulichkeit. Anstatt ein Denkmal zu schänden, befreien Emil und seine Kumpane eine gefangene Seerobbe. Weniger ein Vergehen dies, als eine gute Tat, bei der ein Rechtsbruch billigend in Kauf genommen wird. Aus dem von Fitz Rasp großartig verkörperten dämonischen Verbrecher in Gerhard Lamprechts Verfilmung wird hier eine farblose, etwas
trottelige Witzfigur mit betont deutscher Anmutung. Auf männerbündisches Gehabe wird weitgehend verzichtet; die militärischen Vokabeln sind aus der Sprache der Helden verschwunden. Und schließlich fliegt auch Emil nicht mehr in der Tante Ju, sondern die Mutter ganz zivil in einer Linienmaschine der Air France in die ehemalige Reichshauptstadt, um dort die Verlobung mit dem Dorfpolizisten bekannt zu geben.
An die soeben überstandene Katastrophe erinnert allein die
ausgebombte Gedächtniskirche, in der die Knaben ihr Lager aufschlagen. Die Verfolgung des Diebes findet vor Neubauten statt und von Berlin ist in der Hauptsache der vollständig instandgesetzte Kurfürstendamm zu sehen. Einzig eine deutlich ins Bild gerückte Bautafel der »Hoch-Tief« Baugesellschaft weist mit einiger Ironie darauf hin, daß die Konstruktion des rechtsstaatlichen Bodens auf dem diese Jugend sich neuerdings bewegen soll, die Trümmer des Gewaltstaates über die er
gelegt wurde, erst notdürftig bedeckt. Zum guten Schluß gibt eine nun demokratische Exekutive ausgerechnet im Berliner Olympiastadion auf dem Polizeisportfest ihre Freiübungen zum Besten. Bei der Belobigung von Emils Leistung versäumt es der Stadionsprecher nicht, die hervorragende Zusammenarbeit der Detektive mit der Polizei hervorzuheben. Solchermaßen auf zivilisierten Gehorsam eingeschworen, war eine neue deutsche Jugend fit für den Marsch ins
Wirtschaftswunderland.
Dort sind die Teenies in der aktuellen Verfilmung längst angekommen. Das Kind erscheint nun als Konsument, als kompetenter, cooler und niemals überforderter User des popkulturellen und IT-technischen Angebots. Politisch ganz korrekt ist Pony Hütchen die Chefin einer Clique mit multikultureller Besetzung. Man bewegt sich auf Boards, Skates und Rollern, ausgestattet mit treudeutsch simplifizierten Stereotoypen der HipHop Kultur. Es gibt den breakdancenden Türken Kebab. Die graffittisprühenden Zwillinge Fee und Elfe, die in ihrer püppchenhaft zurechtfrisierten Zimperlichkeit in der Inszenierung von 1954 auch nicht weiter aufgefallen wären. Da ist der Worthülsen stammelnde Comicfan im Superman T-Shirt und auch eine Identifikationsfigur für agile Sportskanonen wurde nicht vergessen. Zur Hebung der Ausländerquote gibt es Gipsy, den immer munteren Rumänen aus erwartungsgemäß kinderreicher Großfamilie, die Kinderausgabe einer Zigeunerknallcharche, die ebenso schlitzohrig durchtrieben, wie phantasiemäßig voll auf Zack zu sein hat und sich selbstverständlich als brillianter Jongleur erweist. Nur der kleine Dienstag ist geblieben, was er immer war: das nützliche Söhnchen reicher Eltern, nun allerdings zeitgemäß mit Handy und Kreditkarte ausgerüstet.
Das quietschvergnügte Panoptikum einer vielfältigen Kinder- und Jugendkultur in Franziska Buchs Verfilmung zeugt nur auf den ersten Blick von einem wirklichen Interesse an den Kindern und ihren Motivationen. Die Behauptung einer Authentizität dieser Kultur in Opposition zur Erwachsenenwelt bleibt ebenso fragwürdig, wie die Pseudosubversivität der dem Markt schon längst zur allgemeinen Konsumierbarkeit einverleibten HipHop Kultur. Die Gangsterjagd wird zum
Actionspaß und die Predigt von Pastorin Hummel für eine kindergerechtere Welt ist doch nur ein Aufruf zur kindergerechten Gestaltung der Regeln des Konsums. Keine Denkmalschändung steht mehr am Beginn der Geschichte, sondern die widerrechtliche Beschaffung des richtigen Outfits. Nachhaltig verstärkt das aufdringliche Product Placement von zielgruppenrelevanten Waren diesen zwiespältigen Eindruck auf der Zeichenebene des Films. In Nebensätzen angerissene Themen wie
Patchworkfamilien und Scheidungswaisen möchten Verständnis für reale kindliche Lebenserfahrung signalisieren und sind doch zu oberflächlich und holzschnitthaft inszeniert, als daß sie den Figuren echte Tiefe und Vielschichtigkeit verleihen könnten.
Überzeugender ist hingegen die von Jürgen Vogel sehr witzig gespielte Karrikatur eines Vampirs, der die zynische Haltung dieser Gesellschaft ihren Kindern gegenüber programmatisch auf den Punkt bringt: Kinder sind »kleine
Monster«, die »abgezockt« werden müssen. Dagegen eine ernsthaft kritische Haltung zu formulieren, gelingt dem Film nicht. Andererseits gibt er, genau wie die anderen Verfilmungen zuvor auf ihre Weise, sehr präzise Auskunft über die Rolle die den Kindern in einem bestimmten historischen Augenblick in der Gesellschaft zugewiesen wird. Dazu hat Erich Kästner mit seinem Text offenbar die ideale und stets aufs Neue wirksame Matrix geschaffen.