08.03.2001

Von HJ bis HipHop

Emil und die Detektive
Emil (und eine Detektivin) im Jahr 2001
(Foto: Constantin Film)

Dreimal EMIL UND DIE DETEKTIVE

Von Michael Wegscheider

Noch einmal also EMIL UND DIE DETEKTIVE. Noch einmal die Geschichte vom braven Landei auf Räuber­jagd in Berlin. Noch einmal die Geschichte von der wackeren Bürger­wehr. Da lohnt sich zunächst ein genauerer Blick auf die früheren Versuche, sie zu erzählen.

Der Schwarz­weiß­film von 1931 (Regie: Gerhard Lamprecht) zunächst, obwohl mit Ton, doch noch ganz von der Ästhetik des Stumm­films geprägt. Nur scheinbar handelt er von dem munteren Räuber-und-Gendarme Spiel einiger Jungen und von der kreativen Gewitzt­heit, die Kinder einer tumben Erwach­se­nen­welt entgegen setzen. Nur wenn man den Film volls­tändig aus seinem histo­ri­schen Horizont entfernt, kann die Denk­mal­schän­dung in der Eingangs­se­quenz als Dumme­jun­gen­streich erscheinen. Tatsäch­lich folgt auf die öffent­liche Bloßstel­lung einer unfähigen und retar­dierten Staats­ge­walt die Demons­tra­tion der Macht einer männer­bün­disch orga­ni­sierten Jugend in einer Gemein­schaft mit para­mi­li­täri­schen Struk­turen. Die Hatz des Gauners Grundeis durch die entfes­selt johlende Menge trägt Züge eines Pogroms. Der Flug des gefei­erten Helden Emil und sein Empfang in der Heimat­stadt nimmt schließ­lich bis ins Detail eine Szene vorweg, in der nur wenige Jahre später eine ungleich folgen­rei­chere Heroi­sie­rung zur filmi­schen Perfek­tion getrieben wird: der Anflug Hitlers auf Nürnberg in Leni Riefen­stahls Doku­men­tar­film TRIUMPH DES WILLENS. Insgesamt erweist sich der Film als beklem­mender Zerr­spiegel der Weimarer Verhält­nisse und gestattet einen Blick auf die Wurzeln einer tota­li­tären Gesell­schaft, der als Bedingung und Nährboden die volls­tän­dige Mili­ta­ri­sie­rung der Jugend voraus­zu­gehen hatte.
23 Jahre später sind die Menschen eben jener Gene­ra­tion, die diese erste Insze­nie­rung bejubelt hatte, eifrig dabei die wirk­li­chen Pogrome zu vergessen, die, wenn sie nicht von Ihnen selbst veran­staltet worden waren, doch unter ihren Augen unge­hin­dert hatten statt­finden können. Denn zur Jagd auf jene, die im ganz großen Stil gemordet hatten, war man nicht bereit gewesen. Für solche Konse­quenzen hatten die Lager­feu­er­träume vom Endsieg den Blick getrübt.

Die Verfil­mung von 1954 (Regie: Robert A. Stemmle) befaßt sich mit dem Thema daher etwas weniger forsch und in der gebotenen zeit­ge­mäßen Betu­lich­keit. Anstatt ein Denkmal zu schänden, befreien Emil und seine Kumpane eine gefangene Seerobbe. Weniger ein Vergehen dies, als eine gute Tat, bei der ein Rechts­bruch billigend in Kauf genommen wird. Aus dem von Fitz Rasp großartig verkör­perten dämo­ni­schen Verbre­cher in Gerhard Lamp­rechts Verfil­mung wird hier eine farblose, etwas trot­te­lige Witzfigur mit betont deutscher Anmutung. Auf männer­bün­di­sches Gehabe wird weit­ge­hend verzichtet; die mili­täri­schen Vokabeln sind aus der Sprache der Helden verschwunden. Und schließ­lich fliegt auch Emil nicht mehr in der Tante Ju, sondern die Mutter ganz zivil in einer Lini­en­ma­schine der Air France in die ehemalige Reichs­haupt­stadt, um dort die Verlobung mit dem Dorf­po­li­zisten bekannt zu geben.
An die soeben über­stan­dene Kata­strophe erinnert allein die ausge­bombte Gedächt­nis­kirche, in der die Knaben ihr Lager aufschlagen. Die Verfol­gung des Diebes findet vor Neubauten statt und von Berlin ist in der Haupt­sache der volls­tändig instand­ge­setzte Kurfürs­ten­damm zu sehen. Einzig eine deutlich ins Bild gerückte Bautafel der »Hoch-Tief« Bauge­sell­schaft weist mit einiger Ironie darauf hin, daß die Konstruk­tion des rechts­staat­li­chen Bodens auf dem diese Jugend sich neuer­dings bewegen soll, die Trümmer des Gewaltstaates über die er gelegt wurde, erst notdürftig bedeckt. Zum guten Schluß gibt eine nun demo­kra­ti­sche Exekutive ausge­rechnet im Berliner Olym­pia­sta­dion auf dem Poli­zei­sport­fest ihre Freiü­bungen zum Besten. Bei der Belo­bi­gung von Emils Leistung versäumt es der Stadi­on­spre­cher nicht, die hervor­ra­gende Zusam­men­ar­beit der Detektive mit der Polizei hervor­zu­heben. Solcher­maßen auf zivi­li­sierten Gehorsam einge­schworen, war eine neue deutsche Jugend fit für den Marsch ins Wirt­schafts­wun­der­land.

Dort sind die Teenies in der aktuellen Verfil­mung längst ange­kommen. Das Kind erscheint nun als Konsument, als kompe­tenter, cooler und niemals über­for­derter User des popkul­tu­rellen und IT-tech­ni­schen Angebots. Politisch ganz korrekt ist Pony Hütchen die Chefin einer Clique mit multi­kul­tu­reller Besetzung. Man bewegt sich auf Boards, Skates und Rollern, ausge­stattet mit treu­deutsch simpli­fi­zierten Stereo­toypen der HipHop Kultur. Es gibt den break­dan­cenden Türken Kebab. Die graf­fit­tisprühenden Zwillinge Fee und Elfe, die in ihrer püpp­chen­haft zurecht­fri­sierten Zimper­lich­keit in der Insze­nie­rung von 1954 auch nicht weiter aufge­fallen wären. Da ist der Worthülsen stam­melnde Comicfan im Superman T-Shirt und auch eine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur für agile Sports­ka­nonen wurde nicht vergessen. Zur Hebung der Auslän­der­quote gibt es Gipsy, den immer munteren Rumänen aus erwar­tungs­gemäß kinder­rei­cher Groß­fa­milie, die Kinder­aus­gabe einer Zigeu­ner­knall­ch­arche, die ebenso schlitz­ohrig durch­trieben, wie phan­ta­sie­mäßig voll auf Zack zu sein hat und sich selbst­ver­s­tänd­lich als bril­li­anter Jongleur erweist. Nur der kleine Dienstag ist geblieben, was er immer war: das nützliche Söhnchen reicher Eltern, nun aller­dings zeitgemäß mit Handy und Kredit­karte ausgerüstet.

Das quietsch­ver­gnügte Panop­tikum einer viel­fäl­tigen Kinder- und Jugend­kultur in Franziska Buchs Verfil­mung zeugt nur auf den ersten Blick von einem wirk­li­chen Interesse an den Kindern und ihren Moti­va­tionen. Die Behaup­tung einer Authen­ti­zität dieser Kultur in Oppo­si­tion zur Erwach­se­nen­welt bleibt ebenso frag­würdig, wie die Pseu­do­sub­ver­si­vität der dem Markt schon längst zur allge­meinen Konsu­mier­bar­keit einver­leibten HipHop Kultur. Die Gangs­ter­jagd wird zum Action­spaß und die Predigt von Pastorin Hummel für eine kinder­ge­rech­tere Welt ist doch nur ein Aufruf zur kinder­ge­rechten Gestal­tung der Regeln des Konsums. Keine Denk­mal­schän­dung steht mehr am Beginn der Geschichte, sondern die wider­recht­liche Beschaf­fung des richtigen Outfits. Nach­haltig verstärkt das aufdring­liche Product Placement von ziel­grup­pen­re­le­vanten Waren diesen zwie­späl­tigen Eindruck auf der Zeichen­ebene des Films. In Neben­sätzen ange­ris­sene Themen wie Patch­work­fa­mi­lien und Schei­dungs­waisen möchten Vers­tändnis für reale kindliche Lebens­er­fah­rung signa­li­sieren und sind doch zu ober­fläch­lich und holz­schnitt­haft insze­niert, als daß sie den Figuren echte Tiefe und Viel­schich­tig­keit verleihen könnten.
Über­zeu­gender ist hingegen die von Jürgen Vogel sehr witzig gespielte Karri­katur eines Vampirs, der die zynische Haltung dieser Gesell­schaft ihren Kindern gegenüber program­ma­tisch auf den Punkt bringt: Kinder sind »kleine Monster«, die »abgezockt« werden müssen. Dagegen eine ernsthaft kritische Haltung zu formu­lieren, gelingt dem Film nicht. Ande­rer­seits gibt er, genau wie die anderen Verfil­mungen zuvor auf ihre Weise, sehr präzise Auskunft über die Rolle die den Kindern in einem bestimmten histo­ri­schen Augen­blick in der Gesell­schaft zuge­wiesen wird. Dazu hat Erich Kästner mit seinem Text offenbar die ideale und stets aufs Neue wirksame Matrix geschaffen.