KINO MÜNCHEN FILM AKTUELL ARCHIV FORUM LINKS SITEMAP
17.05.2001
 
 
   
 

Poppen im Kino
oder: Wie das Corn zum Lichtspiel kam

 
DIE MUMIE KEHRT ZURÜCK
     
 
 
 
 

BUMMMMMMMM SCHEPPPPER (raschelraschel) KRAAAAAAACH WUMMMMMMMMM (knusperknurps) KRAWOINNNNG KRAWOINNNNG (knister) RRRRRRUUUUUMMMMMMSSSSSSS!!!!!!!! Jawoll, liebe Leserinnen, Leser und LeserInnen, Sie haben es bestimmt schon erraten, was hier so schön onomatopoetisch, um nicht gar zu sagen lautmalerisch, ausgedrückt werden sollte: Die diesjährige Saison des Popcorn-Kinos ist eröffnet. Mit dem Start von THE MUMMY RETURNS (dt. MUTTI IST WIEDER DA, oder so ähnlich) ist es amtlich - der Sommer hält Einzug auf die Leinwände.

Popcorn-Kino heißt Popcorn-Kino, weil irgendjemand mal auf die kluge Idee kam, es so zu nennen. Und andere ihm folgten. Pardauz! Woher jedoch spross da der Quell der Inspiration? Aha, da ist die rechte Frage! (Wenn man großzügig davon absieht, dass Quellen nicht sprießen...) Zum einen Teile wohl, weil diesen Mensch die selbige Gattung konstituierenden Filme so aufgebläht, leichtgewichtig und bar des wahren Nährwerts dünkten, dass sie gepufften Maises Körnern glichen. (Womit der Mensch allenfalls bedingt Recht hatte.) Zum andren Teile aber, weil das jenigliche Filme besuchende Publikum noch über die gewohnten Maße hinaus den Film-Genuss durch den Genuss von Popcorn zu begleiten pflegt, ja der Verzehr der raschelnd-knirschenden Köstlichkeit am Ritual des Kinogehens insgeheim das recht Eigentliche für diese Leute ist.

Tatsache ist jedenfalls, dass heut so gut wie gar kein Kino überleben könnte, wenn es nicht Snackbar mit angeschlossenem Projektionsbetrieb wäre. Die heilige Ruhe des Münchner Filmmuseums ist nur durch Subventionen zu erkaufen, die Aura des Werkstattkinos, wo nur das sanfte Nuckeln und Glucksen seligen Bierverzehrs das Leinwandgeschehn begleitet, nur durch gehörigen Idealismus der Betreiber. Jedes normale Lichtspieltheater müsste binnen Kürzestem schließen, kämen die Menschen plötzlich auf die absurde Idee, es lediglich zum Betrachten von Filmen aufzusuchen statt zur Einnahme einer Zwischenmahlzeit. Der Kartenverkauf allein trägt meist kaum die Betriebskosten. Wen wunderts da, dass sich eine Form von Kino besonderer Beliebtheit erfreut, die dem begleitenden Verkauf von Atzung und Trank überaus förderlich ist? Paranoide Cineasten jedenfalls behaupten, dass all das 37-Kanal Dolby-Digital-Surround-Gewumm und Gesumm nur deshalb erfunden wurde, damit bei jeder Saal- und Popcorntüten-Größe mühelos alle Knister- und Mampf-Geräusche übertönt werden können. Denn wenn der Film die Lautstärke eines durchschnittlichen NATO-Luftangriffs übertrifft, stört kein Geraschel mehr.

Die Geschichte des Popcorns im Kino ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Sie beginnt selbstverständlich in Amerika, und sie beginnt mit dem Filmpionier Edwin S. Porter, der 1910 als erster auf die Idee kam, sein Publikum mit gepufftem Mais zu speisen. Der Vorstoß hatte sofort bahnbrechende Resonanz - nicht verwunderlich, bedenkt man, dass die Kinobesucher da schon seit 15 Jahren genötigt waren, auf ungepufften Maiskörnern herumzukauen. Puffmais hatte den Vorteil, fast überall in den USA angebaut zu werden, und im Transport äußerst platzsparend zu sein gegenüber dem üppigen Verzehr-Volumen. Viele der frühen Projektoren von Wanderkinos wurden bald mit Vorrichtungen ausgestattet, die erlaubten, das Corn mittels der Hitze der Projektorlampe zu poppen. (Das ist übrigens gerade alles frei erstunken und erlogen, aber klingt doch recht überzeugend, oder?)

Der Siegeszug des Popcorns als Kinonahrung war von da an international nicht mehr aufzuhalten. Nur unbedeutende regionale Varianten haben sich dabei herausgebildet - während hierzulande beispielsweise zwischen süß und salzig gewählt werden darf, kennt der Amerikaner süßes Popcorn nur in Form von mit Nüssen versetzten Zucker-und-Mais-Klumpen namens Cracker Jack, steht im Kino aber lediglich vor der Entscheidung salzig mit oder ohne Butter-Ersatz-Batz obendrauf. (Das ist jetzt ausnahmsweise kein Witz. Wer das Missvergnügen hatte, das Zeug mal zu riechen und schmecken weiß, dass das wirklich kein Witz ist. Oh nein!) Eine echte Alternative zum Popcorn aber konnte sich nirgends etablieren.

Eisensteins Versuch einer kommunistischen kulinarischen Gegenoffensive mit madigem Fleisch führte in einem Lichtspielhaus von Odessa zu Aufständen. In Frankreich gab man nach wenigen Jahren schon die Herstellung von Escargot-au-pop auf, als man einsehen musste, dass Schnecken beim besten Willen nicht richtig fluffig werden; Experimente mit rohem Fisch führten in Japan zu nicht viel größeren Erfolgen - zwar konnte man bei Pop-Fugo dem Mais ähnliche Volumenzunahmen erreichen, aber die Zuschauersterblichkeit bei dieser Kugelfisch-Spezialität erwies sich letztlich doch als hinderlich hoch. Lediglich in einigen Regionen Süddeutschlands konnte sich längere Zeit der Brauch halten, vor dem Betreten des Saals einen kleinen, mittleren oder großen Eimer Sauerkraut zu erstehen. Doch mit Abflauen der Heimatfilm-Welle verschwand auch diese Gepflogenheit.

Noch heute kämpfen dennoch Einzelne verzweifelt den Kampf gegen die Vormachtstellung des Popcorns in den Lichtspielhäusern. Seit Jahrzehnten betreten in größeren Kinos unmittelbar vor dem Film Damen mit Bauchladen den Saal und fragen "Will jemand Eis?" - und müssen die bange Frage stets unerwidert verhallen sehen. Berichte, nach denen im Juli 1978 in Kastrop-Rauxel tatsächlich mal jemand Eis wollte, erwiesen sich bei späterer Recherche als Erfindung eines "Bild"-Redakteurs. Nicht totzukriegen sind freilich dennoch die Gerüchte von der Bauchladen-Dame, die auf die unerwartete Forderung eines des Rituals nicht kundigen Zuschauers nach Eis weinend zusammenbrach und gestehen musste, dass sie seit Jahren schon ihren Umhänge-Verkaufsstand leer mit sich trage.

Kaum erfolgreicher zeigen sich gelegentliche Versuche, das Essens-Angebot enger an spezifische Filme zu koppeln, und selbst mit scheinbar sicheren Blockbustern konnte da so mancher schon seine böse Überraschung erleben. Noch verhältnismäßig harmlos waren da spätere Kundenreklamationen, als viele bei Spielbergs Echsen-Epen zu Fruchtgummi-Dinos griffen und dann lästige Dinosaurier-Stückchen zwischen den Zähnen hatten - zahnärztliche Diagnose: JURASSIC PLAQUE. Wahre Stürme der Entrüstung jedoch rief Haribos SCHINDLER-SNACK hervor - ein Tütlein voller Weingummis und Lakritze in Davidstern- und Hakenkreuz-Form. Und auch McDonald's musste ein Begleitprodukt zu einem Film von St. Steven schon nach kurzer Frist vom Markt nehmen, als sich das SAVING PRIVATE RYAN Kids-Happy-Meal trotz des neukreirten Mäc Blutwurscht unerwartet geringer Beliebtheit erfreute. (Dafür gelten die dazu erhältlichen Plastik-Soldaten mit abtrennbaren Gliedmaßen inzwischen als besonders begehrte, weil rare, Sammlerobjekte.)

Der einzige, dem es mit naiver List gelang, wenn schon nicht das Popcorn-Geschäft zu schlagen, dann doch zumindest daraus Profit zu schlagen, ist unser lieber Vilsmaier Sepp. Der schafft es nämlich immer wieder aufs Neue, dass man zu seinen Filmen nicht nur zum Puffmais greift, sondern gern auch zu den gesondert erhältlichen Brech-Beuteln.

Thomas Willmann

  top
   
 
 
[KINO MÜNCHEN] [FILM AKTUELL] [ARCHIV] [FORUM] [LINKS] [SITEMAP] [HOME]