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Es war einmal in jenen Zeiten, als das Tanzen noch geholfen hat.
Da ging ein junger Mann durch die Straßen von Little Italy. Mit
T-Shirt und Lederjacke à la Marlon Brando war dieser Tony Manero
einer von uns, ein Kind der 70er Jahre, ein langweiliger, von
seiner Arbeit gelangweilter Ladenschwengel ohne Zukunft. Nur in
einer Nacht vertauschte er alles mit rosa Hemd, aus dem sein
Brusthaar herausquoll, und einem weißen Anzug, wie ihn sonst nur
die Kellner trugen, und dann schmierte er sich noch eine halbe Tube
Gel ins Haar. Und für diesen Samstag war er der König. Der
Schauspieler John Travolta sollte für die nächsten fünfzehn Jahre
mit diesem Tony Manero verschmelzen, denn man wußte nicht mehr, wen
von beiden man meinte, wenn man seine Tanz-Gesten nachahmte, so
albern sie auch waren, wenn man die Haare halblang schnitt, und
plötzlich auf Partys Bee Gees Platten spielte. Aber ungefähr zur
gleichen Zeit hörte auch Marlon Brando auf, richtige Filme zu
drehen, und da wusste man, dass man auch auf ihn und die Revolution
nicht mehr zu hoffen brauchte.
Das Werkstattkino kann man gar nicht genug dafür beglückwünschen,
dass es jetzt an diese ersten Tage von Disco erinnert, indem es mit
einer Reihe zwei Wochen lang jene Ära filmisch beschwört, die
gerade weit genug weg ist, dass wir uns wieder an sie erinnern.
John Badhams SATURDAY NIGHT FEVER, mit dem alles begann, wird
ebenso gezeigt, wie die Fortsetzung STAYING ALIVE, die von keinem
anderen stammt, als von Sylvester Stalone höchstpersönlich, selbst
ein Sproß Little Italys, der in Travolta auch sich selbst
portraitiert.
Zum 20. Jubiläum kamen 1998 zwei Filme ins Kino - STUDIO 54 und DIE LETZTEN TAGE
VON DISCO -, die nicht nur hommageartig die alten Zeiten beschworen
und den angesagten Disco-Retro-Trend aufgriffen, sondern auch eine
kleine Kulturgeschichte der Jahre um 1980 lieferten - der letzten
Epoche, in der es noch keine Yuppies und kein Ozonloch gab, als
Tanz, Musik und Liebe noch eine Lösung sein konnte. Dass die
Wirklichkeit schon damals etwas anders aussah, zeigt am besten ein
Film, der leider in der Reihe fehlt: Spike Lees SUMMER OF SAM, sozusagen die
wahre Geschichte von Tony Manero. Dort trifft Disco auf Punk, und
es gibt eine wunderbare Szene, in der Mira Sorvino zu Abba "Dancing
Queen" ihrem Macker den Marsch bläst. Dieser Film, aber auch
STUDIO 54 und DIE LETZTEN TAGE VON DISCO sind auch in anderer
Hinsicht interessant. Es sind Kostümfilme, die die Epoche aus der
Distanz, kühl und sozusagen objektiv beleuchten. Sie zeigen,
soziologisch informierter als die Filme die aus der Ära selbst
stammen, das Disco eigentlich immer ein Traum der Kinder der
kleinen Leute war - ein Ausbruch für eine Nacht, das Glück des
erfüllten Augenblicks, das nicht mehr auf die Utopie warten will,
die in die unendliche Zukunft verzeitlicht wurde. Und sie zeigen wo
unter dem scheinbar Glatten, unpolitisch Angepassten, doch noch
eine Revolte lauert, sie zeigen, wo und wie die Revolte zum Pop
wurde. Daneben wird natürlich noch eine andere Geschichte
erzählt, in Whit Stillmans DIE LETZTEN TAGE VON DISCO, der bei uns
leider nie in die Kinos kam, mehr als in STUDIO 54: Die der frühen
Yuppies, derjenigen, die man bei uns in der Bundesrepublik erst
einmal Popper nannte, und die nicht soviel mit Geldverdienen im
Stil hatten, wie damit, ihrem tristen Alltag etwas Glamour
einzuhauchen. Das war alles noch lange vor der New Economy, als
Reagan gerade Präsident wurde, und man im westlichen Mittelstand
noch nicht wusste, dass man fünf Jahre später Margaret Thatcher
bewundern und Lieder von Stephanie von Monaco im Radio hören würde.
Auch wenn man nach all dem immer noch skeptisch ist, was dieses
Thema angeht, sollte man diese neuen Filme nicht versäumen, denn in
ihnen trifft man auf einige der begabtesten Schauspieler der
jüngsten Hollywood-Generation: Chloe Sevigny, Neve Campbell, Kate
Beckinsale, Salma Hayek, Ryan Philippe. Sie alle geben dem
Rückblick auf diese Ära eine Aura, die sie nicht hatte. Egal, denn
wir sprechen vom Märchen einer ganzen Generation. Und wenn sie
nicht gestorben sind, dann tanzen sie noch heute.
Rüdiger
Suchsland
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