In diesen Tagen läuft LADYKILLERS, der neue Film der
Coen-Brüder, im Wettbewerb des Filmfestivals in Cannes.
Die ganz große Euphorie ob dieser Tatsache will in der
Filmgemeinde nicht mehr aufkommen, denn der aktuelle Filmoutput
der fleißigen Brüder hat in letzter Zeit qualitativ
deutlich nachgelassen.
Lange Zeit waren Joel und Ethan Coen, das Musterbeispiel
für die wenigen unabhängigen Filmemacher, die sich
von Hollywood nicht einnehmen ließen. Ihre Anfänge
in den frühen 80er Jahren waren Independent Filme im
klassischen Sinne, BLOOD SIMPLE (1984) haben sie mit einfachsten
Mitteln und unbekannten Schauspielern realisiert. Bereits
mit diesem ersten Film konnten sich die Brüder eine ansehnliche
Fangemeinschaft sichern. Auch die folgenden Filme RAISING
ARIZONA (1987), MILLER'S CROSSING (1989) und BARTON FINK (1991)
waren unabhängig produzierte, mit etwas größeren
Budgets und etwas bekannteren Schauspielern realisierte Independent-Filme.
In ihnen haben die Coens sich frühzeitig mit den Genres
Komödie und Gangsterfilm beschäftigt. Und mit BARTON
FINK ihr erstes Meisterwerk geschaffen, das damals in Cannes
die Goldene Palme gewann und Joel und Ethan endgültig
auch bei den Kritikern etablierte. Noch wichtiger für
die Karriere der Coen-Brüder waren vermutlich die ersten
Begegnungen mit Schauspielern, die später zu immer wiederkehrenden
Größen in ihren Ensembles werden sollten. Frances
McDormand spielte bereits in BLOOD SIMPLE zum ersten Mal in
einem Film der Beiden die Hauptrolle, John Goodman in RAISING
ARIZONA, während John Turturro seit MILLER'S CROSSING
dabei ist. Diese Darsteller, und dazu Steve Buscemi, Peter
Stormare, Michael Badalucco u.a., tauchten über die Jahre
hinweg immer wieder in Coen-Filmen auf, nicht immer in Hauptrollen
aber meistens in entscheidenden Positionen. Stets hatte man
dabei den Eindruck, dass die Darsteller gerade in diesen Filmen
ihre besten Leistungen ablieferten. Auf jeden Fall konnten
Joel und Ethan dadurch auf ein vorhandenes Figurenarsenal
zurückgreifen, das ihren Filmen stets eine zusätzliche
Ebene verlieh. Zudem waren die wiederkehrenden Darsteller
ein entscheidender Beitrag zum unverwechselbaren Coen-touch.
Nach dem Erfolg von BARTON FINK dauerte es drei Jahre bis
der nächste Film realisiert wurde und es fand zum ersten
Mal eine Abkehr von der Arbeitsweise als unabhängige
Produzenten statt. Mit THE HUDSUCKER PROXY (1994) haben sich
die Coen-Brüder erstmals an einer Hollywood-Produktion
versucht - und auch gleich verhoben. Der Film funktioniert
nicht so gut wie ihre frühen Werke, da ihr sehr eigener
Humor in diesem, eher dem Mainstream angelehnten, Film nicht
besonders gut zur Geltung kommt. Genau wie BARTON FINK entstand
der Film komplett im Studio, aber auch wenn das Ambiente perfekt
ist, funktioniert diese Kulisse nicht für den Film. Der
versteht sich als Hommage an die Screwball Komödien der
30er Jahre und wurde auch entsprechend ausgestattet. Da aber
diese üppige Ausstaffierung nicht mit dem speziellen
Stil ihrer sonstigen Filme übereinstimmt wirkt die Kulisse
seltsam leer. Es bleibt nur der Raum, von Inhalt plötzlich
keine Spur mehr.
Auffallend ist auch die Besetzung. Nicht untypisch für
einen Studiofilm, sind die Hauptrollen mit Tim Robbins, Paul
Newman und Jennifer Jason Leigh erstklassig besetzt. Die typischen
Darsteller aus dem bisherigen Umfeld der Coens fehlen jedoch
komplett und nehmen dem Film dadurch viel vom Charme der früheren
Werke.
In der Rückschau kann man THE HUDSUCKER PROXY durchaus
als missglückten Versuch abtun, denn schon mit dem nächsten
Film bewiesen die Brüder ihr großes Können
und schufen mit FARGO (1996) ein weiteres Meisterwerk in ihrem
Oeuvre. Mit Frances McDormand und Steve Buscemi waren die
bekannten Gesichter zurück und mit ihnen und einem exzellenten
Drehbuch auch der alte Coen-touch. Die Figur der schwangeren
Polizistin Marge Gunderson ist die vermutlich gelungenste
unter den vielen skurrilen und doch liebenswerten Charakteren
der Coen-Brüder. Die verschiedenen Handlungsstränge
könnten jeweils auch alleine einen ganzen Film füllen,
zusammen ergeben sie ein faszinierendes Szenario, das durch
die Ankündigung der Film basiere auf einer wahren Begebenheit
noch eine zusätzliche Facette erhält.
In THE BIG LEBOWSKI (1998) tummelten sich dann fast alle
Darsteller aus der Coen-Filmfamilie. John Goodman, Steve Buscemi,
Peter Stormare und John Turturro kehrten zurück in dieser
Komödie, deren Humor nicht ganz so verschmitzt ist wie
in Fargo. Es fehlt hier die Eigenart der wortkargen Einwohner
Minnesotas, was allerdings durch die umso skurrileren Nebenfiguren
ausgeglichen wurde. Kleine Details, wie die von Hauptfigur
"Dude" im Supermarkt betrachtete Fernsehansprache
George Bush Seniors, die zum letztlich auslösenden Moment
seines Feldzugs für Gerechtigkeit wird, sind wunderbare
Beispiele für den sehr eigenen Humor der Brüder.
THE BIG LEBWOSKI lebte weniger von seiner Handlung als von
den Details, den Nebenfiguren und einzelnen Sequenzen, die
auch für sich alleine stehen könnten.
Mit O BROTHER, WHERE
ART THOU (2000) betraten Joel und Ethan dann wieder Neuland.
Zum einen war mit George Clooney ein großer Hollywoodstar
mit an Bord, zum anderen hat der Film einen gänzlich
anderen Ton als ihre vorigen Filme. Das beginnt mit dem Drehbuch,
für das sie Homer einen Credit als Koautor zugestehen,
was ganz richtig ist, denn der Film erzählt im Prinzip
tatsächlich die Geschichte von Odysseus, wenn auch durch
die Augen der Coen-Brüder gesehen. Angesiedelt ist er
allerdings in den amerikanischen Südstaaten und bezieht
auch Thematiken mit ein, die neu in ihrem Werk sind. Ebenfalls
ein Novum für die Coens ist der exzessive Einsatz von
Musik, sogar von Gesangseinlagen im Film. O BROTHER, WHERE
ART THOU wirkt auf den ersten Blick nicht wie ein typischer
Coen-Film. Die Musik irritiert und der Humor ist nicht so
offensichtlich wie noch in THE BIG LEBOWSKI. Bei wiederholtem
Betrachten des Films offenbart dieser jedoch Qualitäten,
die ihn, eben gerade auf Grund dieser zunächst irritierenden
und untypischen Elemente, zu einem ihrer interessantesten
und nachhaltigsten werden lassen.
Der folgende Film, THE MAN WHO WASN'T THERE (2001), besticht
vor allem durch seine fantastische schwarzweiß Fotografie.
Schon allein aus diesem Grund ist die Hommage an den Film
Noir der 40er Jahre ein Augenschmaus. Der Film zeigt eine
perfekt ausgeleuchtete Kulisse, durch die sich der ständig
rauchende Billy Bob Thornton langsam und mühevoll auf
sein unentrinnbares Ende hin zubewegt. Vom Ton her fällt
der Film deutlich aus dem Rahmen. Es gibt natürlich komische
Momente, aber der extreme Humor, der die Coen-Filme normalerweise
trägt, fehlt. Neben Frances McDormand, die einmal mehr
einen Film ihres Mannes in einer Hauptrolle trägt, sucht
man in THE MAN WHO WASN'T THERE vergeblich nach den üblichen
Verdächtigen, die speziell in den Komödien immer
wieder auftauchten. Auf Grund des untypischen Stils fehlen
diese Gestalten hier jedoch kaum.
Ganz anders ist das in ihrem letzten in Deutschland veröffentlichten
Film INTOLERABLE CRUELITY (2003). Es ist der zweite Versuch
der Coen-Brüder im Hollywood Mainstream Fuß zu
fassen. Und es ist der erste Film, für den sie nicht
das Drehbuch selbst geschrieben haben. Sie sind erst ziemlich
spät in das Projekt eingestiegen, wie es in Hollywood
inzwischen nur allzu üblich ist. Ihrer bisherigen Arbeitsweise
entspricht das jedoch ganz und gar nicht. Das Staraufgebot
ist noch mal eine Nummer größer als bei THE HUDSUCKER
PROXY. Mit George Clooney und Catherine Zeta-Jones spielen
zwei absolute Topstars die Hauptrollen, daneben agieren mit
Geoffrey Rush und Billy Bob Thornton auch keine Unbekannten.
Außer letzterem ist allerdings niemand dabei, mit dem
die Brüder schon vorher einmal gearbeitet haben. Und
bei diesem Film fehlen die bekannten Gesichter und der mit
ihnen verbundene Humor schmerzlich. Der Film ist wieder eine
Hommage, erneut an die Screwball Komödien. Und auf den
ersten Blick könnte auch alles so schön funktionieren,
Clooney und Zeta-Jones haben das Potential lustig zu sein,
nur die Pointen zünden nicht so recht. Die Story steht
auf wackeligen Füßen und was noch viel schlimmer
ist: Die Regisseure trauen ihr selbst nicht! Während
des Films beschleicht einen immer wieder der Gedanke, man
bekäme nur etwas vorgeführt. Im Gegensatz zu allen
anderen Filmen der Coen-Brüder fehlt hier deutlich die
Anteilnahme der Regisseure, ein Mitfühlen mit der Geschichte
und den Charakteren. Und gerade davon leben die klassischen
Screwball Komödien.
Erstaunlich ist die rasche Abfolge an Filmen, die Joel und
Ethan Coen in letzter Zeit gedreht haben. Nun läuft in
Cannes der nächste Film, THE LADYKILLERS. Diesmal haben
sie das Drehbuch wieder selbst verfasst, allerdings handelt
es sich erstmals um ein Remake. Der Film spielt erneut in
den Südstaaten, damit hatten sie ja bereits gute Erfahrungen
gemacht. Die Darsteller sind jedoch wieder nicht mit bekannten
Coen-Gesichtern besetzt. Die Hauptrolle übernimmt Tom
Hanks und es besteht natürlich die Gefahr, dass der Film
ein Starvehikel wird. Man muß abwarten, die Reaktionen
aus den USA nach dem dortigen Kinostart waren nicht gerade
berauschend und vielleicht sollten die Brüder eine kreative
Pause einlegen und wieder etwas näher an ihre künstlerischen
Wurzeln zurückkehren. Es wäre schade, diese kreativen
Filmemacher gänzlich an Hollywoods Mainstream zu verlieren.
Tobias Lehmann
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