USA 2000 · 107 min. · FSK: ab 12 Regie: Joel Coen Drehbuch: Joel Coen, Ethan Coen Kamera: Roger Deakins Darsteller: George Clooney, John Turturro, Tim Blake Nelson, Holly Hunter u.a. |
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Mississippi, 15:30 und die Frisur sitzt! |
Ich hatte einen wunderbaren Traum.
Dass es ein Traum war, habe ich gleich gemerkt: Denn solche Farben, die gibt’s nicht in der Welt. Sonnenversengt und ausgebleicht, kein bisschen Grün, kaum Rot, kühlendes Blau nur nachts. Wie alte, gilbe Photos, wie Gemälde, wie frühe Filme, von Hand mit Gelb und Braun koloriert.
Eine staubige, trockene, knochenhelle Welt mit einer Patina der Nostalgie.
Es war ein Traum vom Amerika der frühen 1930er Jahre, der Zeit der Depression. Und alle waren sie da: Babyface Nelson, der berüchtigte Bankräuber, Robert Johnson, die Blues-Legende (im Traum hatte er – wie das in Träumen so ist – einen anderen Namen), die landstreichenden Hobos, die sadistischen Sheriffs und die korrupten Politiker mit ihren Wahlkampfversprechen, die knorrigen Ladenbesitzer und degenerierten Kleinst-Farmer. Die fugitives from a chain gang,
entflohene Kettensträflinge im gestreiften Häftlingsgewand.
Und Haarpomade. Ich erinnere mich genau an die Marke: Dapper Dan. Denn die war ganz wichtig. (Sie wissen, wie das in Träumen ist, wo die seltsamsten Details ohne Erklärung eine ungeheure Bedeutung bekommen.)
Es war ein Traum voller Gesichter, die ich aus ähnlichen Träumen kannte, nur unter anderen Namen. Der leicht debile Pete war mir schon mal als kleiner Mafia-Gangster erschienen und als verzweifelter Drehbuchautor, der dicke Senator Pappy O’Daniel als Millionär im Rollstuhl. Und einer der entflohenen Sträflinge sah genau aus wie George Clooney. Aber er war es nicht. Denn da war so viel Selbstironie mit im Spiel, so viele Witze über seine Obsession mit seiner Frisur, so viel dauernd komisch gegen die Wand gelaufene Selbstüberschätzung. Und sogar eine hinreissend dämliche Bauerntölpel-Tanznummer. Das würde George Clooney in echt nie machen.
Irgendwie ist mir auch Homers Odyssee in den Traum geraten. (Sie wissen, wie das in Träumen ist, wo die seltsamsten Dinge aufeinandertreffen und sich vermischen.) Da wurden die drei entflohenen Sträflinge zu Odysseus und seinen Gefährten. Da gab’s den blinden Seher, den Zyklop, die Sirenen, und die bevorstehende Hochzeit von Odysseus Frau mit einem anderen. Aber ganz egal, was die Traumdeuter alle sagen werden: Das war eine falsche Fährte, das hatte keine wirklich tiefe Bedeutung. Das war ein Spiel der Bilder, ein launischer Erfindungstrick des Unterbewusstseins. (Genau wie diese Referenzen an Preston Sturges' Sullivan`s Travels, die da gelegentlich auftauchten.)
Wobei: Es war, wie gesagt, ein Traum von Amerika. Aber nicht einer von diesen Schmelztiegel-Träumen, in denen die kulturellen Zutaten aus aller Welt – auch die aus dem antiken Griechenland – zu so einem schönen, amerikanischen Allgemein-Süppchen verkochen. Es war ein Traum von einem Amerika der vielen voneinander getrennten Kulturen. Wo fast jeder und jede ein ganz eigenes Englisch spricht. (Auch das war wie so manchmal im Traum: Diese unterschiedlichen Sprachen, diese
Dialekte, Akzente, Vokabulare waren von einer solch überdeutlichen Genauigkeit und Treffsicherheit, dass sie eine seltsame Hyperrealität ausstrahlten, eine Stilisiertheit, die an der Wahrheit hinter der Wirklichkeit rührt.)
Wo die Vorstellungen in den Köpfen – von Herkunft, Schicht, »Rasse«, Bildung geprägt – oft sehr hart auf die von anderen, Mächtigeren gestaltete Realität prallen. Wo amerikanische Kultur nichts Vorgegebenes ist (ganz gleich, wie
überzeugt der Zyklop und seine bettlakenbedeckten Freunde davon sind, die Hüter des einzigen wahren und echten AmeriKKKas zu sein) – sondern wo kaum jemand, der an ihr Teil hat, je ganz in ihr aufgeht. Wo alles in ständiger Verhandlung befindlich ist und die Zutaten frei herumgeschwemmt werden wie von der Flut eines geborstenen Damms erfasst, wie Gedankenfetzen in einem Traum.
(Es scheint mir, dass es da schon ein paar Träume aus der selben Quelle gab, die Ähnliches gesagt
haben.)
Vor allem war es aber ein Traum voller Musik. Im Himmel muss es solche Musik geben, wenn die Engel statt Harfen Banjos, Fiddeln, Gitarren und Zupfbass spielen. Wenn sie statt »Hallelujah« und »Hossianna« Bluegrass und Country und Blues singen. So wie diese entflohenen Sträflinge, die’s ohne es zu wollen oder zu wissen als »Soggy Bottom Boys« zu Radio-Ruhm bringen.
Musik, die mir noch lange im Kopf umging, nachdem ich schon wieder wach war.
Komisch übrigens: Ich weiß, dass der Traum irgendwann vorbei war. Dass ich grinsend und glücklich und bestens gelaunt wieder in unserer Tageswelt stand.
Aber ich kann mich nicht daran erinnen, aufgewacht zu sein.
Seltsam: Denn es muss ein Traum gewesen sein. Weil es sowas Schönes in der Wirklichkeit doch gar nicht gibt. Im Leben sowieso nicht. Und eigentlich auch nicht (mehr) im Kino.
Es sei denn vielleicht in den Big Rock Candy Mountains.