Von Nacktschnecken und anderen Menschen
Wer nicht die Chance hat, auf Festivals herumzureisen und
sich die diversesten Filme anzuschauen, muss sich mit dem
zufrieden geben, was die deutschen Verleiher hierzulande in
die Kinos bringen. Dabei gibt es noch so viele andere Filme,
die es mehr als wert sind gesehen zu werden.
Für artechock ist dies der Anlass, eine regelmäßige
Reihe zu veranstalten, für die wir ganz bewusst Filme
auswählen, die keinen Verleih* in Deutschland finden,
auf die wir aber einen Focus setzen wollen. Um so etwas durchzuführen,
braucht es jedoch Geld, denn wirtschaftlich ist so ein Unterfangen
ganz und gar nicht. Dafür macht es eine Menge Spaß.
Und wir haben Glück gehabt, denn die BMW Group zeigte
schnell Interesse ein Arthouse-Programm in ihre Kulturstaffel
mit einzubeziehen. Mit dem Kino Neues Arena haben wir dazu
einen Kooperationspartner, der sich extrem flexibel und engagiert
zeigt.
Ab Oktober 05 bis zum Mai 06 zeigen wir jeden zweiten Sonntag
im Monat im Kino Neues Arena einen Film, der eine Ergänzung
zum regulären Münchner Kinoprogramm ist.
Gestartet wird mit dem österreichischen Film NACKTSCHNECKEN (9. Oktober, 11h30) von Michael Glawogger. Ein Vorschlag unseres
Redakteurs Thomas Willmann, der sich als Fan des österreichischen
Films outete und ihn folgendermaßen beschreibt: "Zwei
ex-studentische Slacker werden von einer deutlich patenteren,
geschäftstüchtigen Freundin auf die Idee gebracht,
einen Pornofilm zu drehen: Lösung der notorischen Geldsorgen
und ihrer nicht minder notorischen Sexarmut zugleich. Aber
schon das Casting gestaltet sich eher ungelenk, und die Dreharbeiten
im Haus der verreisten (Althippie-)Eltern zeigen vollends,
wie weit die Jungs und Mädels von funktionierenden Sexindustriemaschinen
entfernt sind. Der Kopf steht dem Körper im Weg. Was
im deutschen Kino todsicher zu einer zotigen Teenie-Klamotte
verkommen wäre, gerät der Truppe aus dem Dunstkreis
des Grazer 'Theater im Bahnhof' zu einer ungleich fein-schwebenderen,
melancholischeren (und manchmal einen Hauch surrealen) Art
von Komödie."
Auf dem Dokfilmfest München 05 fiel uns besonders der
Dokumentarfilm
IN THE SHADOW OF THE PALMS - IRAQ (13. November, 11h30) des
Australiers Wayne Coles-Janess auf. Coles-Janess ging im Frühling
2003, vier Wochen vor der Invasion in den Irak, nach Bagdad.
Er mischte sich unter die Bevölkerung und es gelang ihm
Szenen des alltäglichen Lebens der unterschiedlichsten
sozialen Schichten zu einem einzigartigen Dokument zusammenzufügen.
Einzigartig deswegen, weil die Normalität des Alltags
sich den uns bekannten Nachrichtenbildern aus dem Fernsehen
widersetzt. Ein Kindergeburtstag, eine Schulklasse, ein Café
der Dichter in Bagdad und alle anderen Protagonisten betonen
weniger das Fremde, sondern sie geben die Möglichkeit
der Identifikation. Diese Menschen stehen uns viel näher,
als uns jede Landesgrenze oder Religion glauben machen möchte.
Gleichzeitig erleben wir auch die Propagandamaschine des Saddam-Hussein-Regimes.
Doch der Film geht noch weiter und zeigt die ersten Bomben
und das Leid, das sie bringen. Der Krieg wird greifbar in
seiner Unmenschlichkeit, die vor allem die Zivilbevölkerung
trifft. Ein Film, der berührt, Perspektiven öffnet
und mit dem Blick fürs Detail auch voller Humor ist.
FOLLOWING SEAN (11. Dezember, 11h30) von Ralph Arlyck ist
dagegen eine dokumentarische Zeitreise. Als junger amerikanischer
Filmemacher zog Arlyck Ende der 60er Jahre in San Franciscos
Viertel Haight Ashbury: Hochburg des Flower Powers. Im gleichen
Haus wohnte damals der vierjährige Sean mit seinen Hippie-Eltern
und seiner Schwester. Arlyck interviewte den Jungen, der ihm
bereitwillig Auskunft über die Wochentage, seinen großen
Zeh und auch über Drogen und Polizeizusammenstösse
gab. Daraus entstand damals ein erfolgreicher Kurzfilm.
Dreißig Jahre später machte sich Arlyck wieder
auf die Suche nach Sean. Was war aus diesem Jungen geworden,
der Sprössling einer Weltanschauung gewesen war, die
alle Tabus brach. Diese Suche nach Sean wurde für den
Regisseur auch eine Suche nach sich selbst und ein Rückblick
auf die eigenen Lebensstationen. Der Werdegang von Sean, der
Generation seiner Eltern und des Regisseurs selbst verblüfft,
ist aber ungemein spannend und berührend in diesem dokumentarischen
Essay umgesetzt.
Ab Januar geht es dann weiter mit neuen Filmen und wir hoffen,
dass unsere Filmauswahl Euch gefällt. Jeder Film wird
kurz eingeführt und danach gibt es die Möglichkeit
zum Gespräch im Foyer.
Magali Thomas
*Ausnahme NACKTSCHNECKEN, den Senator Film im Verleih hat,
jedoch noch keinen Starttermin.
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