Das Leben geht weiter |
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Robert Altman (1925-2006) | ||
(Foto: Robert Altman) |
Über Robert Altman muss man sagen, dass Filme wie seine einer der Gründe sind, um den Beruf eines Kritikers überhaupt auszuüben. Lang erwartete man sie, freute sich drauf, und selbst schwächere Altman-Werke bedeuteten einen oft seltenen Augenblick des reinen Glücks im Kinosaal. Wenn einer 81 Jahre alt ist, muss man mit seinem Tod rechnen, doch trotzdem ist man traurig, wenn es soweit ist. Seine letzten zehn Jahre, nach einer Herztransplantation, von der er erst im Frühjahr berichtete, waren bereits ein Geschenk, wie er gestand, als er im März 2006 den überfälligen Ehrenoscar bekam: »Ich glaube, es war das Herz einer jungen Frau Ende dreißig«, sagte er damals. »Nach dieser Rechnung würden Sie den Preis zu früh verleihen. Ich glaube, ich habe noch vierzig Jahre vor mir.« Mit dem Herz einer jungen Frau und seit 1995 Ritter der französischen Ehrenlegion präsentierte er damals auch eine wunderbare Arbeitsbilanz: »Für mich ist Filme machen so, wie alle seine Freunde an den Strand einzuladen, um gemeinsam eine Sandburg zu bauen. Und sie bauen und bauen, und man selber lehnt sich zurück, und man sieht die Welle kommen, und die nimmt die Sandburg mit. Nichts bleibt übrig. Aber sie bleibt im Kopf – ich liebe das. Ich liebe es, Filme zu machen.«
Robert Altmans Filme haben weder einen Anfang noch ein Ende. Ihre Form ist nicht der Fluß, das Strömen der Zeit von A nach B, sondern Simultanität und Parallelität. Die Zeit bewegt sich in ihnen auch zurück, breitet sich aus, geht Umwege. Einzelschicksale haben Altman nie wirklich interessiert, sondern die Darstellung des Ganzen. Trotzdem sind seine Figuren Individuen, mit Träumen, Ängsten, Fehlern und Hoffnungen. Aber sie sind doch nie die Hauptsache, sondern Fallbeispiele für das, was Altman eigentlich darstellen möchte: das Leben selbst, das nur zur Erscheinung gebracht werden kann in der Vielstimmigkeit seiner Facetten. Individualität, den große US-amerikanischen Mythos, gibt es bei Altman nie für sich, sondern immer nur im Kontrast zu einer anderen, die sie relativiert.
Seine Filme waren, das zuallererst, Komödien. Denn das Leben ist komisch, je genauer man hinschaut. Wie alle guten Komödien handeln sie von traurigen Dingen, denn das Leben ist auch traurig, erst recht, wenn man den Blick nicht abwenden will. Wenn es stimmt, was Robert Altman von sich selbst sagte, er habe »eigentlich nur einen Film« gemacht, dann ist dieser Film eine Comedie Humaine, in der sich die Liebe zum Menschen mit dem Sarkasmus über das Allzumenschliche mischt, in der Ironie und Nachsicht zusammenfallen. Altman war ein Humanist, aber einer, den sein Humanismus nicht von Hingucken abhielt.
Manche hielten das dann für Zynismus, obwohl doch nur grundsätzliche Neugier und Humor zu einem Kopfschütteln über die seltsamen Scherze führten, die das Schicksal mit den Menschen treibt. Genauso gut konnte man ihn, den linksliberalen Außenseiter des US-Kinos, als verkappten Moralist verstehen – und damit als heimlichen Konservativen, der am amerikanischen Traum festhält gegen seine Erblasser, die ihn gerade verschleudern. Er hat diesen amerikanischen Traum aber auch kritisiert, indem er seine Folgen gezeigt hat, nicht nur für die Verhältnisse, sondern auch für die Gemüter der Menschen. Das, die schonungslose Offenheit, hat ihm den Ruf des progressiven Hollywood-Rebellen eingebracht. Zu recht, denn Altman spielte die Spielchen nicht mit.
Robert Altman, 1925 in Kansas City geboren, war kurzfristig Bomberpilot, dann Erfinder (angeblich unter anderem einer Hunde-Tätowierungsmaschine) und Versicherungsvertreter, bevor er Ende der 40-er Jahre beim Fernsehen begann, als Drehbuchautor und Serienregisseur. Fast zwei Jahrzehnte lang dauerte diese Zeit, dann bekam er die Chance, fürs Kino ein Script zu verfilmen, das diverse Vorgänger abgelehnt hatten: M*A*S*H war eine geniale Komödie und einer der besten Kriegsfilme aller Zeiten; er traf die Antivietnam-Stimmung seiner Epoche und wurde Altmans bis heute erfolgreichster Film. Seitdem war Altman aus dem US-Kino nicht mehr wegzudenken, trotz einer Phase des Misserfolgs in den 80-ern, trotzdem er nie riesigen Publikumszuspruch hatte und von den Studiobossen immer instinktiv als Feind erkannt wurde. Denn Altman nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es um die künstlerische Korruption der Filmindustrie ging, um die Dummheit derjenigen, die in ihr das Sagen haben und um die geistlose Betriebswirtschafts-Mentaltät, um Gier und Ausbeutung, die in ihr heute mehr denn je den Ton angeben.
Über 30 Filme hat er seit M*A*S*H fürs Kino gemacht. Zuerst folgten großartige Genre-Dekonstruktionen wie California Split, McCabe & Mrs. Miller und Buffalo Bill and the Indians (für den er den Goldenen Bär auf der Berlinale gewann), in denen er reihenweise mit alten Hollywood-Mythologien aufräumte. Verbunden bleibt sein Name am ehesten mit dieser »New Hollywood«-Zeit bis Mitte der 70-er, die er in zweier seiner besten Filme, mit Nashville und A Wedding resümierte, und mit seinem sogenannten »Comeback« Anfang der 90er mit The Player und Short Cuts, den er selbst für seinen besten Film hielt.
In diesen vier Filmen, in Nashville, A Wedding, The Player und Short Cuts, wie in einigen weniger erfolgreichen – dem hintersinnigen Pret-à-Porter, dem unterschätzen Dr. T & the Women – und dem erstaunlichen Spätwerk Gosford Park, brachte Altman seine ureigene Inszenierungsmethode zur Perfektion, die er mit M*A*S*H, noch unsicher, aber schon enorm
selbstbewusst, begonnen hatte. Es ging darin um nicht weniger als um den Abschied von überkommenen Formen und um die radikale Erfindung einer neuen Erzählweise des Kinos. Sein Markenzeichen waren zum einen eine kreisende Kamera, die ihre Umgebung in langen, immer flüssig-bewegten Plansequenzen einfängt, und eine polyphone Tonspur. Vor allem die Bedeutung des Tons, des oft missachteten Sounddepartments, muss man für Altmans Filme hoch einschätzen.
Mit diesen zwei Hauptmitteln,
unterstützt von sorgfältig auseinanderziselierten Handlungsfäden, die er in Parallelmontagen subtil wieder zusammenwebt, lenkt dieser Regisseur den Focus weg vom einzelnen Subjekt und Akteur hin zu den Strukturen und Beziehungsgeflechten, vom Held zur Historie.
Nashville schrieb Pauline Kael einst im »New Yorker«, »ist ein radikaler, evolutionärer Schritt. Er löst den Rahmen, sodass wir die Kontinuität spüren zwischen dem, was auf der Leinwand ist und dem Leben jenseits der Kamera.«
Altmans Kino ist nicht von einer erzählerischen Antihaltung bestimmt, aber von einer Neuausrichtung des Interesses dafür, was eigentlich erzählt werden soll. Das
Storytelling ist keineswegs aus den Filmen Altmans verschwunden, nur haben die Protagonisten gewechselt: Strukturen, Systeme, Arbeitsplätze und Familien, aber auch Orte und Landschaften sind die Hauptdarsteller.
Altmans Kino stellt neue, weiterhin hochaktuelle Fragen: Gibt es nicht, neben der Grammatik der Worte, auch eine Grammatik der Bilder, und ist diese nicht für das Kino mindestens genauso zentral wie jene? Ist Erzählung wirklich so wichtig? Und kann man nur so erzählen,
wie wir es vom Kino heute mehr denn je gewohnt sind, mit jener Plotlogik, die man inzwischen in jedem Drehbuchratgeber lernen kann? Altman hielt sich nicht an solche Regeln, er erfandet sich seine eigenen.
Altmans Filme sind für das Kino, was der Impressionismus für die Malerei war: Eine Neuentdeckung des Mediums voller Leichtigkeit und Licht, atemberaubend unangestrengt. Formal betrachtet sieht man einzelne Farbkleckse, doch aus der Distanz, in der Gesamtsicht fügen sie sich zu einem Ganzen. Es ging Altman immer auch um Kunst um der Kunst willen, aber seine Methode der fragmentarischen Inszenierung, des zerstreuenden Erzählens in Momentaufnahmen und Satzfetzen, stand zugleich für eine höhere realistische Moral, die Altman neben die ganz Großen unter den Realisten des Kinos, neben Renoir, Lang und Godard stellt: Zeigen ist nicht Darstellen, und weil die Wirklichkeit interessanter ist als jede Illusion, ist sie es wert, erzählt zu werden, selbst zur Darstellung zu kommen. Weil sie das Leben selbst bei der Arbeit zeigen, können Altmans Filme keinen Anfang und kein Ende haben.