29.11.2006

Das Leben geht weiter

Robert Altman
Robert Altman (1925-2006)
(Foto: Robert Altman)

Am 21. November 2006 ist Robert Altman in Los Angeles gestorben

Von Rüdiger Suchsland

Über Robert Altman muss man sagen, dass Filme wie seine einer der Gründe sind, um den Beruf eines Kritikers überhaupt auszuüben. Lang erwartete man sie, freute sich drauf, und selbst schwächere Altman-Werke bedeu­teten einen oft seltenen Augen­blick des reinen Glücks im Kinosaal. Wenn einer 81 Jahre alt ist, muss man mit seinem Tod rechnen, doch trotzdem ist man traurig, wenn es soweit ist. Seine letzten zehn Jahre, nach einer Herz­trans­plan­ta­tion, von der er erst im Frühjahr berich­tete, waren bereits ein Geschenk, wie er gestand, als er im März 2006 den über­fäl­ligen Ehren­oscar bekam: »Ich glaube, es war das Herz einer jungen Frau Ende dreißig«, sagte er damals. »Nach dieser Rechnung würden Sie den Preis zu früh verleihen. Ich glaube, ich habe noch vierzig Jahre vor mir.« Mit dem Herz einer jungen Frau und seit 1995 Ritter der fran­zö­si­schen Ehren­le­gion präsen­tierte er damals auch eine wunder­bare Arbeits­bi­lanz: »Für mich ist Filme machen so, wie alle seine Freunde an den Strand einzu­laden, um gemeinsam eine Sandburg zu bauen. Und sie bauen und bauen, und man selber lehnt sich zurück, und man sieht die Welle kommen, und die nimmt die Sandburg mit. Nichts bleibt übrig. Aber sie bleibt im Kopf – ich liebe das. Ich liebe es, Filme zu machen.«

Robert Altmans Filme haben weder einen Anfang noch ein Ende. Ihre Form ist nicht der Fluß, das Strömen der Zeit von A nach B, sondern Simul­ta­nität und Paral­le­lität. Die Zeit bewegt sich in ihnen auch zurück, breitet sich aus, geht Umwege. Einzel­schick­sale haben Altman nie wirklich inter­es­siert, sondern die Darstel­lung des Ganzen. Trotzdem sind seine Figuren Indi­vi­duen, mit Träumen, Ängsten, Fehlern und Hoff­nungen. Aber sie sind doch nie die Haupt­sache, sondern Fall­bei­spiele für das, was Altman eigent­lich darstellen möchte: das Leben selbst, das nur zur Erschei­nung gebracht werden kann in der Viel­stim­mig­keit seiner Facetten. Indi­vi­dua­lität, den große US-ameri­ka­ni­schen Mythos, gibt es bei Altman nie für sich, sondern immer nur im Kontrast zu einer anderen, die sie rela­ti­viert.

Seine Filme waren, das zual­ler­erst, Komödien. Denn das Leben ist komisch, je genauer man hinschaut. Wie alle guten Komödien handeln sie von traurigen Dingen, denn das Leben ist auch traurig, erst recht, wenn man den Blick nicht abwenden will. Wenn es stimmt, was Robert Altman von sich selbst sagte, er habe »eigent­lich nur einen Film« gemacht, dann ist dieser Film eine Comedie Humaine, in der sich die Liebe zum Menschen mit dem Sarkasmus über das Allzu­mensch­liche mischt, in der Ironie und Nachsicht zusam­men­fallen. Altman war ein Humanist, aber einer, den sein Huma­nismus nicht von Hingucken abhielt.

Manche hielten das dann für Zynismus, obwohl doch nur grund­sätz­liche Neugier und Humor zu einem Kopf­schüt­teln über die seltsamen Scherze führten, die das Schicksal mit den Menschen treibt. Genauso gut konnte man ihn, den links­li­be­ralen Außen­seiter des US-Kinos, als verkappten Moralist verstehen – und damit als heim­li­chen Konser­va­tiven, der am ameri­ka­ni­schen Traum festhält gegen seine Erblasser, die ihn gerade verschleu­dern. Er hat diesen ameri­ka­ni­schen Traum aber auch kriti­siert, indem er seine Folgen gezeigt hat, nicht nur für die Verhält­nisse, sondern auch für die Gemüter der Menschen. Das, die scho­nungs­lose Offenheit, hat ihm den Ruf des progres­siven Hollywood-Rebellen einge­bracht. Zu recht, denn Altman spielte die Spielchen nicht mit.

Robert Altman, 1925 in Kansas City geboren, war kurz­fristig Bomber­pilot, dann Erfinder (angeblich unter anderem einer Hunde-Täto­wie­rungs­ma­schine) und Versi­che­rungs­ver­treter, bevor er Ende der 40-er Jahre beim Fernsehen begann, als Dreh­buch­autor und Seri­en­re­gis­seur. Fast zwei Jahr­zehnte lang dauerte diese Zeit, dann bekam er die Chance, fürs Kino ein Script zu verfilmen, das diverse Vorgänger abgelehnt hatten: M*A*S*H war eine geniale Komödie und einer der besten Kriegs­filme aller Zeiten; er traf die Anti­vietnam-Stimmung seiner Epoche und wurde Altmans bis heute erfolg­reichster Film. Seitdem war Altman aus dem US-Kino nicht mehr wegzu­denken, trotz einer Phase des Miss­erfolgs in den 80-ern, trotzdem er nie riesigen Publi­kums­zu­spruch hatte und von den Studio­bossen immer instinktiv als Feind erkannt wurde. Denn Altman nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es um die künst­le­ri­sche Korrup­tion der Film­in­dus­trie ging, um die Dummheit derje­nigen, die in ihr das Sagen haben und um die geistlose Betriebs­wirt­schafts-Mentaltät, um Gier und Ausbeu­tung, die in ihr heute mehr denn je den Ton angeben.

Über 30 Filme hat er seit M*A*S*H fürs Kino gemacht. Zuerst folgten groß­ar­tige Genre-Dekon­struk­tionen wie Cali­fornia Split, McCabe & Mrs. Miller und Buffalo Bill and the Indians (für den er den Goldenen Bär auf der Berlinale gewann), in denen er reihen­weise mit alten Hollywood-Mytho­lo­gien aufräumte. Verbunden bleibt sein Name am ehesten mit dieser »New Hollywood«-Zeit bis Mitte der 70-er, die er in zweier seiner besten Filme, mit Nashville und A Wedding resü­mierte, und mit seinem soge­nannten »Comeback« Anfang der 90er mit The Player und Short Cuts, den er selbst für seinen besten Film hielt.

In diesen vier Filmen, in Nashville, A Wedding, The Player und Short Cuts, wie in einigen weniger erfolg­rei­chen – dem hinter­sin­nigen Pret-à-Porter, dem unter­schätzen Dr. T & the Women – und dem erstaun­li­chen Spätwerk Gosford Park, brachte Altman seine ureigene Insze­nie­rungs­me­thode zur Perfek­tion, die er mit M*A*S*H, noch unsicher, aber schon enorm selbst­be­wusst, begonnen hatte. Es ging darin um nicht weniger als um den Abschied von über­kom­menen Formen und um die radikale Erfindung einer neuen Erzähl­weise des Kinos. Sein Marken­zei­chen waren zum einen eine kreisende Kamera, die ihre Umgebung in langen, immer flüssig-bewegten Plan­se­quenzen einfängt, und eine polyphone Tonspur. Vor allem die Bedeutung des Tons, des oft miss­ach­teten Sound­de­part­ments, muss man für Altmans Filme hoch einschätzen.
Mit diesen zwei Haupt­mit­teln, unter­s­tützt von sorg­fältig ausein­an­der­zi­se­lierten Hand­lungs­fäden, die er in Paral­lel­mon­tagen subtil wieder zusam­men­webt, lenkt dieser Regisseur den Focus weg vom einzelnen Subjekt und Akteur hin zu den Struk­turen und Bezie­hungs­ge­flechten, vom Held zur Historie.

Nashville schrieb Pauline Kael einst im »New Yorker«, »ist ein radikaler, evolu­ti­onärer Schritt. Er löst den Rahmen, sodass wir die Konti­nuität spüren zwischen dem, was auf der Leinwand ist und dem Leben jenseits der Kamera.«
Altmans Kino ist nicht von einer erzäh­le­ri­schen Anti­hal­tung bestimmt, aber von einer Neuaus­rich­tung des Inter­esses dafür, was eigent­lich erzählt werden soll. Das Story­tel­ling ist keines­wegs aus den Filmen Altmans verschwunden, nur haben die Prot­ago­nisten gewech­selt: Struk­turen, Systeme, Arbeits­plätze und Familien, aber auch Orte und Land­schaften sind die Haupt­dar­steller.
Altmans Kino stellt neue, weiterhin hoch­ak­tu­elle Fragen: Gibt es nicht, neben der Grammatik der Worte, auch eine Grammatik der Bilder, und ist diese nicht für das Kino mindes­tens genauso zentral wie jene? Ist Erzählung wirklich so wichtig? Und kann man nur so erzählen, wie wir es vom Kino heute mehr denn je gewohnt sind, mit jener Plotlogik, die man inzwi­schen in jedem Dreh­buch­rat­geber lernen kann? Altman hielt sich nicht an solche Regeln, er erfandet sich seine eigenen.

Altmans Filme sind für das Kino, was der Impres­sio­nismus für die Malerei war: Eine Neuent­de­ckung des Mediums voller Leich­tig­keit und Licht, atem­be­rau­bend unan­ge­strengt. Formal betrachtet sieht man einzelne Farb­kleckse, doch aus der Distanz, in der Gesamt­sicht fügen sie sich zu einem Ganzen. Es ging Altman immer auch um Kunst um der Kunst willen, aber seine Methode der frag­men­ta­ri­schen Insze­nie­rung, des zerstreu­enden Erzählens in Moment­auf­nahmen und Satz­fetzen, stand zugleich für eine höhere realis­ti­sche Moral, die Altman neben die ganz Großen unter den Realisten des Kinos, neben Renoir, Lang und Godard stellt: Zeigen ist nicht Darstellen, und weil die Wirk­lich­keit inter­es­santer ist als jede Illusion, ist sie es wert, erzählt zu werden, selbst zur Darstel­lung zu kommen. Weil sie das Leben selbst bei der Arbeit zeigen, können Altmans Filme keinen Anfang und kein Ende haben.