Kanadische Grenzerfahrungen |
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Im Fokus der Stilkritik: The Tracey Fragments |
So widersinnig es auch ist, die künstlerischen Ansätze der Regisseure eines Landes zusammenzufassen, sprechen wir doch immer wieder pauschalierend vom deutschen Film, von Hollywood (als Synonym für den amerikanischen Film), von der Filmnation Frankreich, vom Hongkong-Kino oder gar dem asiatischen Film.
Aber trotz aller Vereinfachung steht jedes Filmland bzw. jede Filmregion für eine durchaus markante Charakteristik, wenn auch das Ganze mehr bzw. etwas anderes ist,
als die Summe seiner einzelnen Teile.
In diesem Sinne ist der kanadische Film sympathisch, offen, unaufgeregt und wohl deshalb auch ein ewiger Geheimtipp, der es bei uns noch nie zu einem (wenn auch bescheidenen) Trend gebracht hat. Das ist um so erstaunlicher (und bedauerlicher), da die »Maple Movies« europäischen Anklänge (vor allem im französischsprachigen Quebec) mit Einflüsse ihres amerikanischen Nachbarn verbinden, die USA dabei aber oft an Einfallsreichtum, Mut, Kompromisslosigkeit, Ehrlichkeit und Eigenwilligkeit übertreffen.
Wie weit dieser kanadische Eigensinn gehen kann, hat auch die diesjährige Maple Movies Reihe, die ein buntes Paket kanadischer Filme auf Tournee durch Deutschland schickt, eindrucksvoll bewiesen. Sie enthielt mit dem Eröffnungsfilm The Tracey Fragments von Bruce McDonald und dem neuesten Streich von Guy Maddin Brand Upon the Brain! zwei Filme, die in ihrer Experimentierlust sogar an die Grenzen des Kinos gelangen und deshalb eine besondere Betrachtung verdienen.
Bruce McDonald kam (bei Cineasten) in den 1990er Jahren durch seine Road-Trilogy zu bescheidenem Ruhm, wobei der letzte Teil dieser Reihe, die hervorragende Mockumentary Hard Core Logo von 1996 die wohl letzte Möglichkeit bot, eines seiner Werke regulär in einem deutschen Kino zu sehen.
Entsprechend freudig war die Erwartung auf seinen neuesten Film, The Tracey Fragments, der die Geschichte eines Mädchens in der Pubertätshölle erzählt.
Eine durchaus interessante Geschichte, gute Darsteller, lakonisch triste Bilder und eine schöne Musikauswahl bieten ein solides Fundament, auf dem McDonald seinen extravaganten Film aufbaut. Dass die Geschichte nicht chronologisch linear erzählt wird, dass man zeitlich also munter vor und zurück springt, verwundert oder verunsichert einen als regelmäßigen Kinogänger schon seit Jahren nicht mehr. Sofern diese Methode nicht nur zur künstlichen Verkomplizierung einer an sich
lahmen Geschichte dient, ist sie ein durchaus akzeptables Stilmittel.
Ungewöhnlicher ist da schon McDonalds Montagetechnik, die z.B. durch mehrfache Wiederholungen auf Techniken aus der Videokunst verweist. Kann man sich auch damit noch als reizvolle Aufbrechung der üblichen Filmästhetik anfreunden, stößt man bei McDonalds zentralem Gestaltungsmittel an die Grenze dessen, was in einem Spielfilm akzeptabel ist und was nicht.
Der Film ist komplett in Splittscreens
gestaltet, d.h., dass sich das Gezeigte auf der Leinwand von der ersten bis zur letzten Minute in zwei, drei oder noch mehr einzelne unabhängige Bildabschnitte, die zudem laufend ihre Anzahl, Größe und Zusammenstellung ändern, aufteilt. Da der Gedanke eines Full-Splittscreen-Films keineswegs einzigartig ist (siehe z.B. Timecode von Mike Figgis), bleibt ohne Novitäten- und Avantgardebonus der Blick auf einen Film, der einen die kritische Beurteilung
außerordentlich schwer macht.
Die Beschäftigung mit radikalen gestalterischen Mitteln im Kino ist immer eine sehr ambivalente Angelegenheit. Denn einerseits ist es gut , schön, spannend und mutig, dass ein Regisseur etwas Neues ausprobiert und damit vielleicht den Weg für eine neue Technik des Erzählens bereitet. Andererseits besteht hier aber die Gefahr, dass bei allem Streben nach Neuerung und Experiment bzw. bei der Auslieferung an ein ästhetisches Konzept der Blick auf den Film als Ganzes verloren geht. Lars von Trier z.B. bewegt sich sehr erfolgreich in diesem schwierigen Fahrwasser, wobei die qualitativ sehr unterschiedlichen Werke der von ihm mitbegründeten Dogma-Bewegung auf die Gefahren und Probleme solcher radikaler Ansätze hinweisen.
Als Betrachter kommt man angesichts solch ungewohnter Filme immer dann in Verlegenheit, wenn einem das Ganze nicht gefällt. Da sich der übliche Abgleich mit filmischen Standards nicht anwenden lässt, wird man mit ziemlich schwerwiegenden Fragen konfrontiert:
Funktioniert hier das künstlerische Konzept nicht oder scheitert der Regisseur an der Umsetzung dieses Konzepts oder scheitert er schlicht am Filmemachen? Oder liegt es gar am Zuschauer selber? Hat man (freundlich
ausgedrückt) keinen Zugang zu dieser besonderen Sichtweise oder ist man (unfreundlich ausgedrückt) ein ignoranter Ewiggestriger, der über seine eingeübten Sehgewohnheiten nicht hinauskommt?
Und zu allem Überfluss bewegen sich solche Filme oft noch an der unklaren Grenze zwischen Film als eigener Kunstform und Film als Medium für die bildende Kunst (man vgl. hierzu etwa die Werke von Matthew Barney), die jeweils sehr unterschiedliche Sichtweisen und Bewertungsnormen
erfordern.
Mit solchen Überlegungen plagt man sich nun auch bei The Tracey Fragments, dem man bei aller schwierigen Abwägung einen schweren Makel klar zuweisen kann.
Splittscreen ist ein schöner Effekt, der richtig eingesetzt einen Film bereichern kann. Entscheidend daran ist aber, dass es ein Effekt ist (ähnlich wie Zeitlupe), der zur Hervorhebung einer bestimmten Szene dient. Ein Film, der
komplett als Effekt gestaltet ist, verliert aber diese Qualität des Besonderen und wird wie ein Text, der jedes Wort mit Unterstreichung und drei Ausrufezeichen versieht, nur unnötig schwer leserlich. Ein ganzer Film in Zeitlupe würde mit dem selben Problem kämpfen bzw. in den Bereich der Kunst hinüberwandern wie etwa bei Douglas Gordons berühmten 24 Hours Psycho.
Nach anfänglicher Neugier schleicht sich deshalb beim Betrachten von The Tracey Fragments zunehmend eine gewisse Gleichgültigkeit ein, trotz der guten Grundlagen und trotz der zweifelsfrei geschickten Montage, die den Film aber nicht davor retten kann, dass er regelrecht »zerfällt« und dadurch einen Großteil seiner Spannung verliert.
Irgendwann sehnt man sich danach, dass die Bilder
endlich zusammenfinden, man sich auf eine Einstellung konzentrieren darf und man die diffusen Eindrücke in eine Richtung lenken kann. Doch Bruce McDonald bleibt bis zum Ende konsequent, und so verlässt man das Kino ohne auch nur ein nachhaltige Szene im Kopf zu behalten, obwohl auf der Leinwand dreimal so viele Bilder zu sehen waren als bei einem normalen Film der gleichen Länge.
Während McDonalds Radikalität ein wenig unverhofft kommt (seine frühen Film waren weitgehend »konventionell« gestaltet), ist man von seinem Landsmann Guy Maddin schon manche Extravaganz gewohnt. Maddins Neu- bzw. Uminterpretierung vergangener Filmästhetik (vor allem des Stummfilms) führte immer wieder zu einzigartigen Filmen, die geradezu beispielhaft für die positiven Möglichkeiten von Experimentier- und Fabulierlust im Kino stehen. Sein neuester Film Brand upon the brain folgt dieser Tradition und hätte erneut das Potential für ein abseitiges Kinovergnügen, wenn Maddin (möglicherweise in dem Bemühen immer neue Ausdrucksmittel zu finden), diesmal nicht ein weiteres Stilmittel hinzufügen würde. In Brand Upon the Brain! dauert keine Einstellung länger als (durchschnittlich) eine Sekunde. Solche Schnittfrequenzen schaffen üblicherweise nur (darob gerne gescholtene) hyperaktive Actionfilme und da auch nur in den spektakulären Kampf- und Verfolgungsszenen. Daneben greift aber auch das anspruchsvolle Kino auf diese Technik zurück, um einzelne Szenen hervorzuheben, als klassisches Beispiel gilt hier etwa die Duschszene aus Hitchcocks Psycho.
Seine Wirkung kann dieser Effekt aber nur im Wechselspiel mit normalen Schnittfolgen entwickeln, weshalb sich in Maddins Film trotz allem künstlerischen Bemühen nur Hektik und (unangenehme) Nervosität breit macht. Was er damit erreichen will, bleibt unklar (Eine Reminiszenz an die höhere Bildergeschwindigkeit der frühen Stummfilme? Eine Anspielung auf manch rasant montierte Sequenz bei Eisenstein?). Schlussendlich bleibt nur der ungute Eindruck, dass hier das Gelingen des gesamten Films der Durchsetzung einer fixen künstlerischen Idee geopfert wurde. Gerade bei jemanden wie Guy Maddin fällt es jedoch schwer, solche Kritik zu üben, da man seinem kompromisslosen Brechen vom üblichen Filmstandards und seiner Resistenz gegenüber (wohlgemeinter) Kritik einige wunderbare Filme zu verdanken hat.
Die Erkenntnisse, die man nun aus all dem ziehen kann, sind äußerst schlicht:
1. Lieber ein Film, der sich auf einem neuen Weg verrennt, als einer, der auf ausgelatschten Bahnen langweilt.
2. Wer sich als Filmmacher bewusst außerhalb der gewohnten Konventionen bewegt, sollte nicht mit dem gleichen Maß wie der neue Harry Potter gemessen werden. Über einer kritischen Beurteilung steht er aber auch nicht.
3. Kanada bleibt auch weiterhin der nette Underdog der Kinowelt.