Zum Abschluss des Münchner Festivals der Filmhochschulen |
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Now Everybody Seems To Be Happy |
Von Axel Timo Purr
Nicht anders als beim Wein haben auch die Abschlussjahrgänge an den internationalen Filmhochschulen ihre besonderen Noten, ist es immer wieder absehbar, ob gesellschafltiches- und wirtschaftliches Schönwetterklima geherrscht hat oder erodierende Wertesysteme zu psychogenen Filmlandschaften transformiert worden sind.
Das Besondere am gegenwärtigen Jahrgang, dessen Auslese auf dem eben zu Ende gegangenen Festival der Filmhochschulen in München präsentiert wurde, ist ein faszinierender, aber auch ernüchternder Hang zum ausdrücklich nicht Besonderen, zum ungewollt Unspektakulären, zum Alltagsvollzug.
Besonders deutlich läßt sich diese Tendenz am Preisträger zum besten Film des diesjährigen Festivals ablesen, dem argentinischen Now Everybody Seems To Be Happy, einer zwanzigminütigen Variation über das Lolitathema. Der 43-jährige Roberto, Professor von Beruf, brennt mit der 14-jährigen Carmen durch. Auf dem unerklärten Weg ins Nirgendwo des von Rinderherden und wortkargen Menschen bevölkerten argentinischen wilden Westens erdrückt allein schon die schiere Alltäglichkeit des stundenlangen Umherfahrens die Perspektive dieser Beziehung. Weder findet das Paar ein gemeinsames Thema zum Reden, noch funktioniert das Bindemittel Sex. Nicht einmal die Musik aus dem Radio kittet die Antagonismen; Lolita ist zu jung, um die Musik des Professors auch nur zu kennen geschweige denn sie zu genießen. Genervt verbietet sie ihm schließlich den Soundtrack seines Lebens. So ist es alles andere als überraschend, dass ihre erste Nacht auf der Flucht auch ihre letzte ist. Die Festnahme Robertos am nächsten Morgen durch die Polizei kommt einer Erlösung gleich, zum ersten und einzigen Mal lächelt Roberto.
Auch die übrigen Preisträger erzählen von einem Alltag, der gefangen nimmt: der beste Dokumentarfilm Scarlet Sunrise bewegt sich in grandiosen Bildern nahezu sprachlos durch die kleine Siedlung Barentsburg, nördlich des russischen Polarkreises und beobachtet Menschen, die nur durch die Präsenz der Kamera zu einem manchmal selbstironischen Kommentar fähig scheinen, so wie der einzige Arzt der Insel: »Ich weiß nicht, ob ich gut bin, aber da ich hier der Einzige bin, spielt das keine Rolle.« Ähnlich einsam zieht der Protagonist des israelischen Beitrags und Gewinners des Spezialpreises der Jury seine Runden zwischen Jerusalem und Tel Aviv. Sowohl seine Frau als auch seine beiden erwachsenen Kinder sind von der Banalität ihres Alltags derartig durchdrungen, dass sie die Trauer um den Tod des Hundes, der 14 Jahre Teil des Familienlebens war, schlichtweg verweigern. Das auch in Kriegszeiten alltägliche Langeweile möglich ist und dazu noch tödliche Folgen haben kann, zeigt vielleicht ein wenig zu plakativ der zum besten deutschen Beitrag gekürte Milan. Aber immerhin gelingt es Milan trotz des offensichtlichen Konstrukts der in den Balkankrieg eingebetteten Erzählung zu berühren.
Das dies den anderen Filmen nur ganz selten gelingt, liegt in der Natur der Sache, ist das ja gerade das Wesen des Alltags, das unmerkliche, fast zarte Abhandenkommen aller Gefühle und die Akzeptanz der Gefangenschaft, die immerhin eines bietet – Sicherheit. Den Ausbruch aus dieser biedermeierschen Behaglichkeit gab es dieses Mal nicht zu konstatieren, aber umso gespannter darf deshalb auf den nächsten Jahrgang gewartet werden.