06.02.2008

A la recherche de la femme perdue

En La Ciudad De Sylvia
Der Jäger und seine Beute

Kinokontroverse in der Hafenstadt

Von Dunja Bialas

Selten wurde einer Film­pro­jek­tion in Rotterdam so entge­gen­ge­fie­bert wie der Vorfüh­rung des Dipty­chons von José Luís Guerín Unas Fotos En La Ciudad De Sylvia und En La Ciudad De Sylvia. Der Besuch der Guerín-Filme gestal­tete sich als hyste­ri­sches Event: war es ohnehin fast aussichtslos, noch eine Eintritts­karte zu der über­vollen Vorstel­lung zu ergattern, wurde man dann noch von Warte­schlange zu Warte­schlange geschickt. Schließ­lich fand sich jemand, der einen Platz im vollen Cinerama freihielt. Die Verhand­lungen mit dem Türsteher, der wie ein Höllen­hund den Kinosaal bewachte, mündeten dann schließ­lich doch noch in einem Last-Minute-Ticket und verschafften den Zutritt zu einem Saal, in dem die Atmo­sphäre reichlich angeheizt war, wegen der Verspä­tung, mit der das Double-Feature begann. Alles stimmige Zutaten, um die Vorfüh­rung zu einem wichtigen Film­ereignis zu machen, bei dem man dabei sein muss.

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Der Ruhm der Sylvia-Filme begründet sich auf die Tatsache, dass der kata­la­ni­sche Regisseur Guerín seit seinem Doku­men­tar­film En Cons­truc­ción von 2001 neben seinem gleich­falls kata­la­ni­schen Regie­kol­legen Albert Serra als Spaniens inno­va­tivster Filme­ma­cher gilt. Mit En La Ciudad De Sylvia war er 2007 zum ersten Mal bei den Film­fest­spielen von Vendig vertreten und konnte dort höchstes Lob der Film­kritik einheimsen. So schrieb Jean-Michel Frodon in den fran­zö­si­schen »Cahiers du Cinéma«: »Guerín stellt einen erstaun­lich zugäng­li­chen radikal-theo­re­ti­schen Raum her und berei­chert gleich­zeitig unauf­hör­lich die Imagi­na­tion.« Mit der fest­ge­stellten »Verwand­lung der Zeit in filmische Materie« in En La Ciudad verglich ihn ein Kritiker der Schweizer »NZZ« mit Antonioni, Bresson und Ozu (mit einem Vertigo-Hauch von Hitchcock). »Eine Liebes­er­klärung an alles Weibliche« hieß es an anderer Stelle der Film­kritik, eine vermut­lich gedan­ken­lose, aber vom Film geradezu heraus­ge­for­derte Versäch­li­chung der Frau, die den kriti­schen Punkt des Films benennt.

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Dennoch – ganz von der Sache her gespro­chen, war es ein tolles Unter­nehmen des Festivals von Rotterdam, En La Ciudad zusammen mit Unas Fotos zu zeigen, der dort seine Europa-Premiere feierte. Denn auch wenn Guerín darauf besteht (womit er zwei­fels­ohne Recht hat), dass beide Sylvia-Filme eigen­s­tän­dige Werke sind, so sollten sie doch unbedingt zusammen gesehen werden. Unas Fotos ist von seiner Entste­hung her die Studie zu En La Ciudad, dem Spielfilm. Zwei unter­schied­liche Formate treffen im Diptychon aufein­ander: Unas Fotos ist in schwarz-weiß gehalten, stumm, und zeigt semi-doku­men­ta­ri­sche Schnapp­schüsse, die Guerín von jungen Frauen in Straßburg gemacht hat, der Stadt von Sylvia. Den Hinter­grund für seine Foto­studie (nach 20 Jahren eine Frau wieder­zu­finden, darüber einen Spielfilm machen zu wollen, diese Frau immer noch zu lieben wie in dem ersten flüch­tigen Moment ihrer Begegnung) erklärt er zunächst in Unter­ti­teln, im weitern Verlauf des Films dann in klas­si­schen Stummfilm-Zwischen­ti­teln. Es ergibt sich so für den Zuschauer eine stille Lektüre des Films, die sich in der völligen Laut­lo­sig­keit seiner Bilder abspielt. Im zweiten Teil, En La Ciudad haben die Bilder das Laufen gelernt, sind farbig und mit einem inten­siven Score der Straße unterlegt – gespro­chen wird auch hier nicht viel. Guerín unter­nimmt im Aufein­an­der­treffen seiner beiden Sylvia-Filme einen Sprung innerhalb der tech­ni­schen Geschichte des Kinos. Er beginnt noch vor den Anfängen des Kinos, als versucht wurde, mit mehreren hinter­ein­ander gezeigten Foto­gra­fien eine Konti­nuität in den Aufnahmen und so die Illusion eines bewegten Bildes zu erstellen. Auch greift er die ersten Kine­ma­to­gra­phien auf aus der Zeit, als die Bilder noch keine Sprache hatten und sich die Erzählung durch die mediale Schrift-im-Bild-Prothese mitteilen musste. Die Bewegung der Bilder, die mit dem zweiten Teil einsetzt, wirkt zunächst als positiver ästhe­ti­scher Schock, – kehrt sich dann aber zunehmend in ein Unwohl­sein um, das bereits im ersten Teil begonnen hatte. Denn so ausge­klü­gelt die Sylvia-Filme sein mögen, so konstru­iert gebärden sie sich, und so schwer sind sie inhalt­lich erträg­lich.

Seine Geschichte um Sylvia greift die in der Kunst allge­gen­wär­tige Idea­li­sie­rung der Frau auf. Zumindest ist dies die Behaup­tung, die Guerín aufstellt, durch die auffällig-unauf­fäl­lige Streuung von Anspie­lungen auf diese (nicht nur) lite­ra­ri­sche Tradition. Im ersten Teil spürt er den Spuren nach, die Goethe und seine Charlotte in Straßburg hinter­lassen haben (immer wieder im Bild: die Büste Goethes), in denen Petrarca und seine Laura gefunden werden können (immer wieder im Bild: Ein Graffiti »Laura, je t’aime«, das im Spielfilm wieder­kehrt). Dante und seine Beatrice dürfen als weitere lite­ra­ri­sche Folie der Erzählung herhalten. Welcher Erzählung aber?

Ein junger Mann (Xavier Lafitte) (ist er gleich­falls ein Dichter? Ist er ein Künstler? – immerhin führt er ein Skiz­zen­buch mit sich) ist vor Jahren in Straßburg einer Frau begegnet. Hatten sie eine Liebes­nacht? War es nur die flüchtige Begegnung in den Straßen von Straßburg, die ihn wie den flanie­renden Baude­laire ange­sichts einer Frau, die kokett den Saum ihres Trau­er­kleides hob, seither nicht mehr loslässt? Jetzt, Jahre später (in der Foto-Studie sind 20 Jahre vergangen, im Spielfilm schrumpfen sie dann auf sechs Jahre zusammen), sitzt dieser junge Mann auf der Terrasse eines Cafés und hält Ausschau nach jener seither so flüch­tigen Sylvia, die ihn nicht mehr loslässt.

Ihr Bild jedoch hat er vergessen. Und so gibt es bei jeder Frau, die sein Blickfeld kreuzt, zunächst einmal die Möglich­keit, dass sie Sylvia sein könnte. Er sieht den hübschen Mädchen nach, fixiert sie mit seinen blass­blauen Augen, streift sich dabei durch sein brünettes, fast schul­ter­langes Haar. Greift zu Stift und Skiz­zen­block und hält in schnellen Strichen den flüch­tigen Augen­blick fest, in dem er viel­leicht einen erwi­derten Blick verspürte. Er ist der aus Liebes­idealen zum Voyeur gewordene Beau, der aus der einen Leiden­schaft zu einer Frau die Frauen insgesamt zur großen Leiden­schaft gemacht hat. Irgend­wann geht er dann einer Frau (Pilar López de Ayala) hinterher, die er für Sylvia hält, verfolgt sie durch die Gassen der Stadt (immer wieder im Blick: das Graffiti »Je t’aime, Laura«), bis er sie schließ­lich zögernd in der Straßen­bahn anspricht. Die Ange­spro­chene verneint mit viel­sa­genden, wohl­wol­lenden Blicken, Sylvia zu sein, beschwert sich noch ein wenig darüber, dass er sie verfolgt hat, haucht ihm beim Aussteigen einen Kuss mit der Hand zu – und verschwindet wieder in den Straßen der Stadt.

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Christina Nord von der »taz« wies trotz ihrer Bewun­de­rung für Guerín anläss­lich der Premiere von En La Ciudad in Venedig, auf die »jungen Frauen, konven­tio­nellen Reize« des Films hin. Und fügt dann noch leicht genervt hinzu: »Gibt es jenseits der zu Tode zitierten Nouvelle-Vague-Sentenz von den schönen Frauen, die schöne Dinge tun, eigent­lich nichts anderes zu sagen?«

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Gueríns Spielfilm ist ein Film über den schönen Schein, der sich klas­si­schen Erzähl­mus­tern verwei­gert, so viel ist klar. Er tut dies mittels einer pene­tranten Insze­nie­rung des Blickes des Mannes auf die Frau, die ein auf Ferne gehal­tenes und willen­loses Opfer seiner ästhe­ti­schen Jagd wird. Selbst als die vermeint­liche Sylvia in den Gassen von Straßburg zu bemerken scheint, dass man ihr nach­stellt (es gibt immerhin schei­ternde Versuche, den Verfolger abzu­hängen), kehrt sie nicht den Blick auf ihn um und stellt ihn zur Rede. Gueríns Frauen sprechen nicht, und wenn dann nur als »Hübschies«, die zaghaft die männlich-forschen Fragen verneinen. Und dies leider völlig ironie­frei. Gueríns SYLVIA-Filme, die kunstvoll Bild und Ton zusam­men­fügen, sind die ästhe­tisch verbrämte Porno­gra­phie einer Stadt, auf deren Plan sich der Bleistift des Verfol­gers wie eine trium­phale, phal­li­sche Speer­spitze seiner Jagd legt.

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Die Kontro­verse um beide Sylvia-Filme, die während des Festivals von Rotterdam im Lantaren-Kino-Foyer entbrannte, so viel sei noch hinzu­ge­fügt, kreiste aber nicht ausschließ­lich um diese gender-proble­ma­ti­schen Gesichts­punkte. Auch die Inno­va­tion seiner Ästhetik stand durchaus zur Debatte, die Qualität seiner Fotos im ersten Teil des Dipty­chons, der ober­fläch­liche Umgang mit den lite­ra­ri­schen Zitaten, die wie verschämte Feigen­blätter seiner urbanen Schür­zen­jagd wirken. Die Ausblen­dung von Häss­lich­keit und Alter, die Ausstaf­fie­rung seiner Mädchen zur animierten Mode­strecke, und immer wieder: das Unge­bro­chene seines Film­ent­wurfs, die Ironie­frei­heit, der Mangel an Selbst­re­fle­xion.

Rotterdam zentrierte sich so durch das hyste­ri­sche Event, das die Vorfüh­rung von Unas Fotos En La Cuidad De Sylvia und En La Cuidad De Sylvia abgab, und später durch die nicht minder aufgeregt-aufre­gende Debatte um die Sylvia-Filme: Der Besuch des Festivals von Rotterdam, und das hat das Festival durch die Europa-Premiere des Dipty­chons möglich gemacht, war dieses Jahr eine Reise in die »Stadt von Sylvia«.