A la recherche de la femme perdue |
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Der Jäger und seine Beute |
Von Dunja Bialas
Selten wurde einer Filmprojektion in Rotterdam so entgegengefiebert wie der Vorführung des Diptychons von José Luís Guerín Unas Fotos En La Ciudad De Sylvia und En La Ciudad De Sylvia. Der Besuch der Guerín-Filme gestaltete sich als hysterisches Event: war es ohnehin fast aussichtslos, noch eine Eintrittskarte zu der übervollen Vorstellung zu ergattern, wurde man dann noch von Warteschlange zu Warteschlange geschickt. Schließlich fand sich jemand, der einen Platz im vollen Cinerama freihielt. Die Verhandlungen mit dem Türsteher, der wie ein Höllenhund den Kinosaal bewachte, mündeten dann schließlich doch noch in einem Last-Minute-Ticket und verschafften den Zutritt zu einem Saal, in dem die Atmosphäre reichlich angeheizt war, wegen der Verspätung, mit der das Double-Feature begann. Alles stimmige Zutaten, um die Vorführung zu einem wichtigen Filmereignis zu machen, bei dem man dabei sein muss.
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Der Ruhm der Sylvia-Filme begründet sich auf die Tatsache, dass der katalanische Regisseur Guerín seit seinem Dokumentarfilm En Construcción von 2001 neben seinem gleichfalls katalanischen Regiekollegen Albert Serra als Spaniens innovativster Filmemacher gilt. Mit En La Ciudad De Sylvia war er 2007 zum ersten Mal bei den Filmfestspielen von Vendig vertreten und konnte dort höchstes Lob der Filmkritik einheimsen. So schrieb Jean-Michel Frodon in den französischen »Cahiers du Cinéma«: »Guerín stellt einen erstaunlich zugänglichen radikal-theoretischen Raum her und bereichert gleichzeitig unaufhörlich die Imagination.« Mit der festgestellten »Verwandlung der Zeit in filmische Materie« in En La Ciudad verglich ihn ein Kritiker der Schweizer »NZZ« mit Antonioni, Bresson und Ozu (mit einem Vertigo-Hauch von Hitchcock). »Eine Liebeserklärung an alles Weibliche« hieß es an anderer Stelle der Filmkritik, eine vermutlich gedankenlose, aber vom Film geradezu herausgeforderte Versächlichung der Frau, die den kritischen Punkt des Films benennt.
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Dennoch – ganz von der Sache her gesprochen, war es ein tolles Unternehmen des Festivals von Rotterdam, En La Ciudad zusammen mit Unas Fotos zu zeigen, der dort seine Europa-Premiere feierte. Denn auch wenn Guerín darauf besteht (womit er zweifelsohne Recht hat), dass beide Sylvia-Filme eigenständige Werke sind, so sollten sie doch unbedingt zusammen gesehen werden. Unas Fotos ist von seiner Entstehung her die Studie zu En La Ciudad, dem Spielfilm. Zwei unterschiedliche Formate treffen im Diptychon aufeinander: Unas Fotos ist in schwarz-weiß gehalten, stumm, und zeigt semi-dokumentarische Schnappschüsse, die Guerín von jungen Frauen in Straßburg gemacht hat, der Stadt von Sylvia. Den Hintergrund für seine Fotostudie (nach 20 Jahren eine Frau wiederzufinden, darüber einen Spielfilm machen zu wollen, diese Frau immer noch zu lieben wie in dem ersten flüchtigen Moment ihrer Begegnung) erklärt er zunächst in Untertiteln, im weitern Verlauf des Films dann in klassischen Stummfilm-Zwischentiteln. Es ergibt sich so für den Zuschauer eine stille Lektüre des Films, die sich in der völligen Lautlosigkeit seiner Bilder abspielt. Im zweiten Teil, En La Ciudad haben die Bilder das Laufen gelernt, sind farbig und mit einem intensiven Score der Straße unterlegt – gesprochen wird auch hier nicht viel. Guerín unternimmt im Aufeinandertreffen seiner beiden Sylvia-Filme einen Sprung innerhalb der technischen Geschichte des Kinos. Er beginnt noch vor den Anfängen des Kinos, als versucht wurde, mit mehreren hintereinander gezeigten Fotografien eine Kontinuität in den Aufnahmen und so die Illusion eines bewegten Bildes zu erstellen. Auch greift er die ersten Kinematographien auf aus der Zeit, als die Bilder noch keine Sprache hatten und sich die Erzählung durch die mediale Schrift-im-Bild-Prothese mitteilen musste. Die Bewegung der Bilder, die mit dem zweiten Teil einsetzt, wirkt zunächst als positiver ästhetischer Schock, – kehrt sich dann aber zunehmend in ein Unwohlsein um, das bereits im ersten Teil begonnen hatte. Denn so ausgeklügelt die Sylvia-Filme sein mögen, so konstruiert gebärden sie sich, und so schwer sind sie inhaltlich erträglich.
Seine Geschichte um Sylvia greift die in der Kunst allgegenwärtige Idealisierung der Frau auf. Zumindest ist dies die Behauptung, die Guerín aufstellt, durch die auffällig-unauffällige Streuung von Anspielungen auf diese (nicht nur) literarische Tradition. Im ersten Teil spürt er den Spuren nach, die Goethe und seine Charlotte in Straßburg hinterlassen haben (immer wieder im Bild: die Büste Goethes), in denen Petrarca und seine Laura gefunden werden können (immer wieder im Bild: Ein Graffiti »Laura, je t’aime«, das im Spielfilm wiederkehrt). Dante und seine Beatrice dürfen als weitere literarische Folie der Erzählung herhalten. Welcher Erzählung aber?
Ein junger Mann (Xavier Lafitte) (ist er gleichfalls ein Dichter? Ist er ein Künstler? – immerhin führt er ein Skizzenbuch mit sich) ist vor Jahren in Straßburg einer Frau begegnet. Hatten sie eine Liebesnacht? War es nur die flüchtige Begegnung in den Straßen von Straßburg, die ihn wie den flanierenden Baudelaire angesichts einer Frau, die kokett den Saum ihres Trauerkleides hob, seither nicht mehr loslässt? Jetzt, Jahre später (in der Foto-Studie sind 20 Jahre vergangen, im Spielfilm schrumpfen sie dann auf sechs Jahre zusammen), sitzt dieser junge Mann auf der Terrasse eines Cafés und hält Ausschau nach jener seither so flüchtigen Sylvia, die ihn nicht mehr loslässt.
Ihr Bild jedoch hat er vergessen. Und so gibt es bei jeder Frau, die sein Blickfeld kreuzt, zunächst einmal die Möglichkeit, dass sie Sylvia sein könnte. Er sieht den hübschen Mädchen nach, fixiert sie mit seinen blassblauen Augen, streift sich dabei durch sein brünettes, fast schulterlanges Haar. Greift zu Stift und Skizzenblock und hält in schnellen Strichen den flüchtigen Augenblick fest, in dem er vielleicht einen erwiderten Blick verspürte. Er ist der aus Liebesidealen zum Voyeur gewordene Beau, der aus der einen Leidenschaft zu einer Frau die Frauen insgesamt zur großen Leidenschaft gemacht hat. Irgendwann geht er dann einer Frau (Pilar López de Ayala) hinterher, die er für Sylvia hält, verfolgt sie durch die Gassen der Stadt (immer wieder im Blick: das Graffiti »Je t’aime, Laura«), bis er sie schließlich zögernd in der Straßenbahn anspricht. Die Angesprochene verneint mit vielsagenden, wohlwollenden Blicken, Sylvia zu sein, beschwert sich noch ein wenig darüber, dass er sie verfolgt hat, haucht ihm beim Aussteigen einen Kuss mit der Hand zu – und verschwindet wieder in den Straßen der Stadt.
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Christina Nord von der »taz« wies trotz ihrer Bewunderung für Guerín anlässlich der Premiere von En La Ciudad in Venedig, auf die »jungen Frauen, konventionellen Reize« des Films hin. Und fügt dann noch leicht genervt hinzu: »Gibt es jenseits der zu Tode zitierten Nouvelle-Vague-Sentenz von den schönen Frauen, die schöne Dinge tun, eigentlich nichts anderes zu sagen?«
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Gueríns Spielfilm ist ein Film über den schönen Schein, der sich klassischen Erzählmustern verweigert, so viel ist klar. Er tut dies mittels einer penetranten Inszenierung des Blickes des Mannes auf die Frau, die ein auf Ferne gehaltenes und willenloses Opfer seiner ästhetischen Jagd wird. Selbst als die vermeintliche Sylvia in den Gassen von Straßburg zu bemerken scheint, dass man ihr nachstellt (es gibt immerhin scheiternde Versuche, den Verfolger abzuhängen), kehrt sie nicht den Blick auf ihn um und stellt ihn zur Rede. Gueríns Frauen sprechen nicht, und wenn dann nur als »Hübschies«, die zaghaft die männlich-forschen Fragen verneinen. Und dies leider völlig ironiefrei. Gueríns SYLVIA-Filme, die kunstvoll Bild und Ton zusammenfügen, sind die ästhetisch verbrämte Pornographie einer Stadt, auf deren Plan sich der Bleistift des Verfolgers wie eine triumphale, phallische Speerspitze seiner Jagd legt.
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Die Kontroverse um beide Sylvia-Filme, die während des Festivals von Rotterdam im Lantaren-Kino-Foyer entbrannte, so viel sei noch hinzugefügt, kreiste aber nicht ausschließlich um diese gender-problematischen Gesichtspunkte. Auch die Innovation seiner Ästhetik stand durchaus zur Debatte, die Qualität seiner Fotos im ersten Teil des Diptychons, der oberflächliche Umgang mit den literarischen Zitaten, die wie verschämte Feigenblätter seiner urbanen Schürzenjagd wirken. Die Ausblendung von Hässlichkeit und Alter, die Ausstaffierung seiner Mädchen zur animierten Modestrecke, und immer wieder: das Ungebrochene seines Filmentwurfs, die Ironiefreiheit, der Mangel an Selbstreflexion.
Rotterdam zentrierte sich so durch das hysterische Event, das die Vorführung von Unas Fotos En La Cuidad De Sylvia und En La Cuidad De Sylvia abgab, und später durch die nicht minder aufgeregt-aufregende Debatte um die Sylvia-Filme: Der Besuch des Festivals von Rotterdam, und das hat das Festival durch die Europa-Premiere des Diptychons möglich gemacht, war dieses Jahr eine Reise in die »Stadt von Sylvia«.