05.03.2010

Obsession, Passion, Kontem­pla­tion

Psycho: Same same but different
Psycho: Same same but different

Die Gus-Van-Sant-Retrospektive im Filmmuseum

Von Michael Haberlander

Stell dir vor, im Kino laufen alle Filme eines der leiden­schaft­lichsten, krea­tivsten und kühnsten Regis­seure unserer Zeit, und kaum einer geht hin.
Diesen Eindruck konnte man zumindest bei einigen der ersten Vorstel­lungen der aktuellen Gus-Van-Sant-Reihe im Film­mu­seum gewinnen. Damit hinterher keiner sagen kann: »Hätte ich es nur gewusst!«, darf hier mit allem Nachdruck auf diese Retro­spek­tive hinge­wiesen werden.

Entdecken kann man dabei ein Oeuvre, das viel­fäl­tiger, span­nender und heraus­for­dernder kaum sein kann, das bevorzugt von Themen wie Drogen, (Homo-)Sexua­lität, Obses­sionen und (zwischen)mensch­li­chen Kata­stro­phen erzählt und das sich dabei einer bewun­derns­werten Vielfalt cine­as­ti­scher Stil­mittel bedient. Stell­ver­tre­tend für die multiplen Qualitäten im Schaffen des Gus Van Sant seien die folgenden drei Filme genannt und empfohlen.

Wege zum Ruhm

Eine tragende Säule im Werk von Gus Van Sant ist sein Gespür für Schau­spieler, das sich im Finden neuer Talente (manche dieser Entde­ckungen sind jetzt Weltstars, von manchen hat man nie wieder etwas gehört), dem oft über­ra­schenden Einsatz bekannter Schau­spieler und Darsteller (wie Musiker, Regis­seure oder Literaten) und dem Zusam­men­fügen dieser bunten Mischung zu einem homogenen Ganzen zeigt. Proto­ty­pisch zu bewundern ist diese Fähigkeit etwa in der bitter­bösen Satire To Die For, in der selbst die kleinsten Neben­fi­guren sehens­werte Minia­turen sind (um nur einige Beispiele zu nennen: Illeana Douglas als süffi­sante Schwester, Wayne Knight als schwer­ge­wich­tiger Provinz­fern­seh­ma­cher oder der Cameo-Auftritt von David »Naked Lunch« Cronen­berg).

Den größten Coup landet Van Sant jedoch mit seiner Haupt­dar­stel­lerin Nicole Kidman, die eine attrak­tive Frau mit dem unbe­dingten Willen zur Medi­en­kar­riere verkör­pert. »Verkör­pert« ist hier tatsäch­lich die einzig passende Bezeich­nung, da (ähnlich wie bei Mickey Rourke in The Wrestler) Schau­spieler und Rolle zu einem Ganzen verschmelzen, das an Wahr­haf­tig­keit kaum zu über­treffen ist.
Als es um die Besetzung für To Die For ging, war Kidman zwar finan­ziell erfolg­reich, wurde aber nicht als ernst­hafte Schau­spie­lerin wahr­ge­nommen. Um das zu ändern, bemühte sie sich inten­sivst um Rollen in anspruchs­vollen Filmen, so auch für To Die For (u.a. akzep­tierte sie eine Gage von 2 Mio. Dollar, während Meg Ryan, die die Rolle zuvor abgelehnt hatte, 5 Mio. Dollar angeboten worden waren). Ein Frau die alles dafür tut, eine Frau darzu­stellen, die alles dafür tut, um Erfolg und Aner­ken­nung zu erlangen; was für eine Konstel­la­tion.

Man muss diese Hinter­gründe nicht notwen­di­ger­weise kennen, um den Film zu verstehen und sich dabei zu amüsieren. Letztlich ist es ja egal, wieso eine schau­spie­le­ri­sche Darstel­lung so (gut) ausfällt, wie sie auf der Leinwand zu sehen ist.
Ande­rer­seits ist Gus Van Sant aber auch ein virtuoser Spieler mit kultu­rellen (vor allem cine­as­ti­schen) Vorgaben und Klischees, weshalb jeder seiner Filme auf mehreren Ebenen und in unter­schied­li­chen Kontexten betrachtet werden kann, woraus sich für den Zuschauer zusätz­liche Erfah­rungen ergeben. Je mehr man also (über die Hinter­gründe seiner Filme) weiß, um so span­nender wird es.

Ein wichtiges Mittel zur Schaffung dieser (wort­wört­li­chen) Viel­schich­tig­keit ist bei Van Sant die Filmmusik, die ihm nicht nur als schlichte Unter­ma­lung, Klang­ta­pete oder Stim­mungs­er­satz dient, sondern immer auch (wegen des Textes, wegen des Musik­stils, wegen der Geschichte eines Musik­stücks) Infor­ma­tionen trans­por­tiert und derart einen fast narra­tiven Charakter erlangt (ähnlich ist es bei Jim Jarmusch, dessen Dead Man im Rahmen der Retro­spek­tive am 28.3. um 21:00 Uhr zu sehen ist). Wenn die verfüh­re­ri­sche Nicole Kidman mit wallendem Haar erstmals an ihren puber­tären »Opfern« vorbei­schwebt, dann würden das andere Regis­seure viel­leicht mit Tom Jones oder Barry White oder (wenn sie es arg komisch meinen) mit sleazigem Saxophon-Porno-Sound unter­legen. Gus Van Sant dagegen spielt extra harten Death Metal, was an Genia­lität kaum zu über­treffen ist. Nach­zu­prüfen ist das am 5.3. um 21.00 Uhr und am 9.3. um 18.30 Uhr

Return of the mummy

Egal auf wie viele verschie­dene Arten man einen Film von Gus Van Sant auch betrachten kann, gibt es doch immer auch einen »Basis­ebene«, auf der er ohne jedes zusätz­liche Wissen funk­tio­niert (bei To Die For etwa auf der Ebene einer äußerst amüsanten Medien- und Gesell­schafts­sa­tire). Bei seinem Remake von Alfred Hitch­cocks Psycho (zu sehen am 17.3. um 18:30 Uhr und am 19.3. um 21:00 Uhr) stimmt das im Grunde auch, nur steht man (als Cineast) vor dem Problem, Van Sants Version nie wirklich unbe­fangen, also ohne Vorwissen betrachten zu können. Im Hinter­kopf läuft da immer das geniale Original mit und fordert zum Vergleich auf (durch die unge­wöhn­liche Methode, den Film Einstel­lung für Einstel­lung nach­zu­in­sze­nieren, ist die Versu­chung der Gegenüber­stel­lung besonders groß).

Einen solchen Vergleich kann der neue Psycho nur verlieren, selbst dann, wenn man nicht an der sakro­sankten Unberühr­bar­keit von Film­klas­si­kern festhält oder sich vom eigenen und allge­meinen Mythos, der das Original umgibt, blenden lässt.
»Wozu das alles? Was will Van Sant damit beweisen? Glaubt er wirklich das Original verbes­sern bzw. aktua­li­sieren zu können?«, war dann auch meine ratlose Reaktion nach dem ersten Sehen von Van Sants Psycho. Zum Glück hinter­ließ der Film neben Ratlo­sig­keit aber auch eine leichte Vers­tö­rung, die dazu führte, dass ich ihn im Lauf der Jahre immer wieder anschaute, was nach und nach zu einer Verschie­bung meiner Betrach­tungs­weise und damit zum Erkennen seiner Qualitäten führte.

Denn wenn einem als (cine­as­tisch vorbe­las­teten) Zuschauer auch die einfachste Ebene (als abgrün­diger Thriller) verwährt bleibt, gibt es doch einige andere Ebenen, die trotz bzw. nur mit der Kenntnis des Originals funk­tio­nieren.
Van Sants Psycho ist entgegen des ersten Eindrucks kein typisches (scheinbar besonders unkrea­tives) Remake, das sich (finan­zi­elle oder künst­le­ri­sche) Vorteile durch die Übernahme bzw. Ausbeu­tung einer filmi­schen »Marke« verschafft. Vielmehr ist er ein aber­wit­ziges Expe­ri­ment, wie es in der Filmwelt seines­glei­chen sucht.
Ähnlich wie Steven Soder­bergh oder Lars von Trier ist Gus Van Sant ein großer Film­ex­pe­ri­men­tator, der immer wieder der Frage nachgeht, was einen (guten) Film eigent­lich ausmacht, welche Bestand­teile dringend notwendig sind, was das Ganze im Innersten zusam­men­hält.

Durch die skla­vi­sche Nach­in­sze­nie­rung von Hitch­cocks Psycho macht sich Van Sant auf die Suche nach dem soge­nannten »Je ne sais quoi«, dem sonder­baren Geheimnis, das aus manchen Bildern und Tönen (große) Kunst macht und aus anderen eben nicht.
Zudem konfron­tiert er den Zuschauer mit der Tatsache, dass das Betrachten (und Bewerten) von Filmen zu einem erheb­li­chen Teil aus dem Erinnern von bereits gemachten (filmi­schen) Erfah­rungen besteht.
Van Sants Psycho-Remake ist ein (intel­lek­tuell) heraus­for­derndes Kunstwerk, das mit einer Instal­la­tion wie »24 Hour Psycho« von Douglas Gordon letztlich mehr gemeinsam hat, als mit einer typischen filmi­schen Neuge­stal­tung à la King Kong oder Fran­ken­stein.
Die besondere Heraus­for­de­rung bei solchen filmi­schen Expe­ri­menten ist immer die finan­zi­elle Seite. Die Instal­la­tion von Douglas Gordon lässt sich mit einen Mate­ri­al­auf­wand von einigen tausend Euro umsetzen. Einen kompletten Film nach­zu­drehen kostet dagegen mehrere Millionen.

Aufgrund der hohen Produk­ti­ons­kosten hat ein expe­ri­men­tier­freu­digen Regisseur meist nur zwei Möglich­keiten. Entweder totale Verknap­pung und Redu­zie­rung der Kosten, um das Expe­ri­ment notfalls mit eigenen Mitteln bestreiten zu können oder man schafft es, finanz­starken Produ­zenten ein solches Projekt »unter­zu­schieben«.
Ironi­scher­weise gelang Van Sant das zweite, während Hitchcock bei seinem Psycho den ersten Weg beschreiten musste bzw. wollte. Denn man darf nie vergessen, dass bereits Hitch­cocks Film in genau demselben Span­nungs­ver­hältnis zwischen Kommerz und Kunst(Expe­ri­ment) entstand wie Jahr­zehnte später Van Sants Version. Nach außen hin war Hitch­cocks Film ein billiger Schocker, um schnelles Geld zu verdienen. Tatsäch­lich aber ist er ein visi­onäres Film­kunst­werk, was die anhal­tende Begeis­te­rung beim Publikum und bei Künstlern und den Aufstieg zur kultu­rellen Ikone erklärt (Hitch­cocks Psycho läuft im Rahmen der Retro­spek­tive am 16.3. um 18:30 Uhr).

Dieser Kontext mag ein Grund gewesen sein, weshalb sich Van Sant ausge­rechnet Psycho für sein Expe­ri­ment ausge­sucht hat. Ein anderer dürften die unter­schwel­ligen Themen des Originals gewesen sein. Hinter einer beschau­li­chen Norma­lität lauert obsessive, unter­drückte, gestörte, »abnorme« Sexua­lität, die Gewalt und mensch­liche Kata­stro­phen nach sich zieht. Das entspricht ziemlich genau dem Grund­motiv im Schaffen von Van Sant, weshalb es nur logisch ist, dass er und nicht ein erklärten Hitchcock-Epigone wie Brian de Palma die Ausein­an­der­set­zung mit Psycho wagte.

Der Himmel über der Wüste

Während sich der expe­ri­men­telle Charakter von Psycho nur zaghaft erschließt, ist er bei Gerry (am 20.3. um 21:00 Uhr und am 24.3. um 18:30 Uhr) unüber­sehbar. Zwei junge Männer machen eine Wanderung in der Wüste, verlaufen sich, reden wenig und gehen, gehen, gehen. Das ganze einge­fangen in sehr ruhigen Bildern und unterlegt mit der karg schönen Musik von Arvo Pärt. An den finan­zi­ellen Erfolg dieses Expe­ri­ments glaubten (trotz Matt Damon in einer der Haupt­rollen!) noch nicht einmal die opti­mis­tischsten Verleiher, weshalb Gerry bei uns nie regulär im Kino lief. Schade eigent­lich, denn für den aufge­schlos­senen Kinogeher bietet der Film neben berü­ckender filmi­scher Medi­ta­tion und Kontem­pla­tion wieder die Möglich­keit, etwas über die Funk­ti­ons­weise des Kinos zu lernen.

In diesem Fall geht es um die Frage, wie viel Handlung bzw. Action ein Film benötigt, was Begriffe wie Handlung, Story oder Drama­turgie im Kino überhaupt bedeuten. Reicht es aus, zwei schwei­genden Menschen minu­ten­lang beim Gehen zuzu­schauen, um so etwas wie Spannung zu erzeugen?
In Gerry (in gerin­gerem Umfang aber auch in anderen Filmen wie Elephant oder Last Days) zeigt Van Sant, dass selbst dann, wenn auf der Leinwand scheinbar nichts (wichtiges) passiert, doch unwei­ger­lich eine gewisse Drama­turgie einsetzt. Genau das beweisen auch die Filme des Regis­seurs James Benning, dessen außer­ge­wöhn­liche »Doku­men­tar­filme« sich darauf beschränken, in einem starren zeit­li­chen Schema und mit stati­scher Kamera Aufnahmen vom Himmel, von Seen oder vorbei­fah­renden Zügen anein­an­der­zu­reihen. Auch hier stellt man mit Erstaunen fest, dass man eben nicht immer das gleiche sieht und das auf der Leinwand nicht nichts passieren kann, sofern das Bild nicht ange­halten wird.
Dass die beiden Regis­seure (mir ist nicht bekannt, ob sie sich kennen und / oder gegen­seitig beein­fluss(t)en) wahre Verwandte im Geiste sind, merkt man auch daran, dass James Benning 2005 seinen eigenen Film One Way Boogie Woogie von 1977 exakt Einstel­lung für Einstel­lung nach­in­sze­nierte.

Dem Film­mu­seum vorzu­halten, dass im (insgesamt sehr span­nenden) Rahmen­pro­gramm der Van-Sant-Retro­spek­tive auch ein Film von James Benning ganz gut gepasst hätte, ist jedoch müßig, da die Auswahl von Filmen anderer Regis­seure zwangs­läufig lücken­haft und will­kür­lich bleiben muss. Zu groß sind die Verweise und Verflech­tungen im Schaffen Van Sants, als dass sie voll­s­tändig aufge­führt werden könnten.
Film­freunden bietet die Werkschau von Gus Van Sant die Möglich­keit, selber diesen Verbin­dungen nach­zu­gehen und in einen faszi­nie­renden Film­kosmos einzu­tau­chen.