Obsession, Passion, Kontemplation |
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Psycho: Same same but different |
Stell dir vor, im Kino laufen alle Filme eines der leidenschaftlichsten, kreativsten und kühnsten Regisseure unserer Zeit, und kaum einer geht hin.
Diesen Eindruck konnte man zumindest bei einigen der ersten Vorstellungen der aktuellen Gus-Van-Sant-Reihe im Filmmuseum gewinnen. Damit hinterher keiner sagen kann: »Hätte ich es nur gewusst!«, darf hier mit allem Nachdruck auf diese Retrospektive hingewiesen werden.
Entdecken kann man dabei ein Oeuvre, das vielfältiger, spannender und herausfordernder kaum sein kann, das bevorzugt von Themen wie Drogen, (Homo-)Sexualität, Obsessionen und (zwischen)menschlichen Katastrophen erzählt und das sich dabei einer bewundernswerten Vielfalt cineastischer Stilmittel bedient. Stellvertretend für die multiplen Qualitäten im Schaffen des Gus Van Sant seien die folgenden drei Filme genannt und empfohlen.
Eine tragende Säule im Werk von Gus Van Sant ist sein Gespür für Schauspieler, das sich im Finden neuer Talente (manche dieser Entdeckungen sind jetzt Weltstars, von manchen hat man nie wieder etwas gehört), dem oft überraschenden Einsatz bekannter Schauspieler und Darsteller (wie Musiker, Regisseure oder Literaten) und dem Zusammenfügen dieser bunten Mischung zu einem homogenen Ganzen zeigt. Prototypisch zu bewundern ist diese Fähigkeit etwa in der bitterbösen Satire To Die For, in der selbst die kleinsten Nebenfiguren sehenswerte Miniaturen sind (um nur einige Beispiele zu nennen: Illeana Douglas als süffisante Schwester, Wayne Knight als schwergewichtiger Provinzfernsehmacher oder der Cameo-Auftritt von David »Naked Lunch« Cronenberg).
Den größten Coup landet Van Sant jedoch mit seiner Hauptdarstellerin Nicole Kidman, die eine attraktive Frau mit dem unbedingten Willen zur Medienkarriere verkörpert. »Verkörpert« ist hier tatsächlich die einzig passende Bezeichnung, da (ähnlich wie bei Mickey Rourke in The Wrestler) Schauspieler und Rolle zu einem Ganzen verschmelzen, das an Wahrhaftigkeit kaum zu übertreffen ist.
Als es um die Besetzung für To Die For
ging, war Kidman zwar finanziell erfolgreich, wurde aber nicht als ernsthafte Schauspielerin wahrgenommen. Um das zu ändern, bemühte sie sich intensivst um Rollen in anspruchsvollen Filmen, so auch für To Die For (u.a. akzeptierte sie eine Gage von 2 Mio. Dollar, während Meg Ryan, die die Rolle zuvor abgelehnt hatte, 5 Mio. Dollar angeboten worden waren). Ein Frau die alles dafür tut, eine Frau darzustellen, die alles dafür tut, um Erfolg und Anerkennung zu
erlangen; was für eine Konstellation.
Man muss diese Hintergründe nicht notwendigerweise kennen, um den Film zu verstehen und sich dabei zu amüsieren. Letztlich ist es ja egal, wieso eine schauspielerische Darstellung so (gut) ausfällt, wie sie auf der Leinwand zu sehen ist.
Andererseits ist Gus Van Sant aber auch ein virtuoser Spieler mit kulturellen (vor allem cineastischen) Vorgaben und Klischees, weshalb jeder seiner Filme auf mehreren Ebenen und in unterschiedlichen Kontexten betrachtet werden kann,
woraus sich für den Zuschauer zusätzliche Erfahrungen ergeben. Je mehr man also (über die Hintergründe seiner Filme) weiß, um so spannender wird es.
Ein wichtiges Mittel zur Schaffung dieser (wortwörtlichen) Vielschichtigkeit ist bei Van Sant die Filmmusik, die ihm nicht nur als schlichte Untermalung, Klangtapete oder Stimmungsersatz dient, sondern immer auch (wegen des Textes, wegen des Musikstils, wegen der Geschichte eines Musikstücks) Informationen transportiert und derart einen fast narrativen Charakter erlangt (ähnlich ist es bei Jim Jarmusch, dessen Dead Man im Rahmen der Retrospektive am 28.3. um 21:00 Uhr zu sehen ist). Wenn die verführerische Nicole Kidman mit wallendem Haar erstmals an ihren pubertären »Opfern« vorbeischwebt, dann würden das andere Regisseure vielleicht mit Tom Jones oder Barry White oder (wenn sie es arg komisch meinen) mit sleazigem Saxophon-Porno-Sound unterlegen. Gus Van Sant dagegen spielt extra harten Death Metal, was an Genialität kaum zu übertreffen ist. Nachzuprüfen ist das am 5.3. um 21.00 Uhr und am 9.3. um 18.30 Uhr
Egal auf wie viele verschiedene Arten man einen Film von Gus Van Sant auch betrachten kann, gibt es doch immer auch einen »Basisebene«, auf der er ohne jedes zusätzliche Wissen funktioniert (bei To Die For etwa auf der Ebene einer äußerst amüsanten Medien- und Gesellschaftssatire). Bei seinem Remake von Alfred Hitchcocks Psycho (zu sehen am 17.3. um 18:30 Uhr und am 19.3. um 21:00 Uhr) stimmt das im Grunde auch, nur steht man (als Cineast) vor dem Problem, Van Sants Version nie wirklich unbefangen, also ohne Vorwissen betrachten zu können. Im Hinterkopf läuft da immer das geniale Original mit und fordert zum Vergleich auf (durch die ungewöhnliche Methode, den Film Einstellung für Einstellung nachzuinszenieren, ist die Versuchung der Gegenüberstellung besonders groß).
Einen solchen Vergleich kann der neue Psycho nur verlieren, selbst dann, wenn man nicht an der sakrosankten Unberührbarkeit von Filmklassikern festhält oder sich vom eigenen und allgemeinen Mythos, der das Original umgibt, blenden lässt.
»Wozu das alles? Was will Van Sant damit beweisen? Glaubt er wirklich das Original verbessern bzw. aktualisieren zu können?«, war dann auch meine ratlose Reaktion nach dem ersten Sehen von Van Sants Psycho. Zum Glück hinterließ der Film neben Ratlosigkeit aber auch eine leichte Verstörung, die dazu führte, dass ich ihn im Lauf der Jahre immer wieder anschaute, was nach und nach zu einer Verschiebung meiner Betrachtungsweise und damit zum Erkennen seiner Qualitäten führte.
Denn wenn einem als (cineastisch vorbelasteten) Zuschauer auch die einfachste Ebene (als abgründiger Thriller) verwährt bleibt, gibt es doch einige andere Ebenen, die trotz bzw. nur mit der Kenntnis des Originals funktionieren.
Van Sants Psycho ist entgegen des ersten Eindrucks kein typisches (scheinbar besonders unkreatives) Remake, das sich (finanzielle oder künstlerische) Vorteile durch die Übernahme bzw. Ausbeutung einer filmischen »Marke«
verschafft. Vielmehr ist er ein aberwitziges Experiment, wie es in der Filmwelt seinesgleichen sucht.
Ähnlich wie Steven Soderbergh oder Lars von Trier ist Gus Van Sant ein großer Filmexperimentator, der immer wieder der Frage nachgeht, was einen (guten) Film eigentlich ausmacht, welche Bestandteile dringend notwendig sind, was das Ganze im Innersten zusammenhält.
Durch die sklavische Nachinszenierung von Hitchcocks Psycho macht sich Van Sant auf die Suche nach dem sogenannten »Je ne sais quoi«, dem sonderbaren Geheimnis, das aus manchen Bildern und Tönen (große) Kunst macht und aus anderen eben nicht.
Zudem konfrontiert er den Zuschauer mit der Tatsache, dass das Betrachten (und Bewerten) von Filmen zu einem erheblichen Teil aus dem Erinnern von bereits gemachten (filmischen) Erfahrungen besteht.
Van
Sants Psycho-Remake ist ein (intellektuell) herausforderndes Kunstwerk, das mit einer Installation wie »24 Hour Psycho« von Douglas Gordon letztlich mehr gemeinsam hat, als mit einer typischen filmischen Neugestaltung à la King Kong oder Frankenstein.
Die besondere Herausforderung bei solchen filmischen Experimenten ist immer die finanzielle Seite. Die Installation von Douglas Gordon lässt sich mit
einen Materialaufwand von einigen tausend Euro umsetzen. Einen kompletten Film nachzudrehen kostet dagegen mehrere Millionen.
Aufgrund der hohen Produktionskosten hat ein experimentierfreudigen Regisseur meist nur zwei Möglichkeiten. Entweder totale Verknappung und Reduzierung der Kosten, um das Experiment notfalls mit eigenen Mitteln bestreiten zu können oder man schafft es, finanzstarken Produzenten ein solches Projekt »unterzuschieben«.
Ironischerweise gelang Van Sant das zweite, während Hitchcock bei seinem Psycho den ersten Weg beschreiten musste bzw. wollte. Denn man darf nie vergessen,
dass bereits Hitchcocks Film in genau demselben Spannungsverhältnis zwischen Kommerz und Kunst(Experiment) entstand wie Jahrzehnte später Van Sants Version. Nach außen hin war Hitchcocks Film ein billiger Schocker, um schnelles Geld zu verdienen. Tatsächlich aber ist er ein visionäres Filmkunstwerk, was die anhaltende Begeisterung beim Publikum und bei Künstlern und den Aufstieg zur kulturellen Ikone erklärt (Hitchcocks Psycho läuft im Rahmen der
Retrospektive am 16.3. um 18:30 Uhr).
Dieser Kontext mag ein Grund gewesen sein, weshalb sich Van Sant ausgerechnet Psycho für sein Experiment ausgesucht hat. Ein anderer dürften die unterschwelligen Themen des Originals gewesen sein. Hinter einer beschaulichen Normalität lauert obsessive, unterdrückte, gestörte, »abnorme« Sexualität, die Gewalt und menschliche Katastrophen nach sich zieht. Das entspricht ziemlich genau dem Grundmotiv im Schaffen von Van Sant, weshalb es nur logisch ist, dass er und nicht ein erklärten Hitchcock-Epigone wie Brian de Palma die Auseinandersetzung mit Psycho wagte.
Während sich der experimentelle Charakter von Psycho nur zaghaft erschließt, ist er bei Gerry (am 20.3. um 21:00 Uhr und am 24.3. um 18:30 Uhr) unübersehbar. Zwei junge Männer machen eine Wanderung in der Wüste, verlaufen sich, reden wenig und gehen, gehen, gehen. Das ganze eingefangen in sehr ruhigen Bildern und unterlegt mit der karg schönen Musik von Arvo Pärt. An den finanziellen Erfolg dieses Experiments glaubten (trotz Matt Damon in einer der Hauptrollen!) noch nicht einmal die optimistischsten Verleiher, weshalb Gerry bei uns nie regulär im Kino lief. Schade eigentlich, denn für den aufgeschlossenen Kinogeher bietet der Film neben berückender filmischer Meditation und Kontemplation wieder die Möglichkeit, etwas über die Funktionsweise des Kinos zu lernen.
In diesem Fall geht es um die Frage, wie viel Handlung bzw. Action ein Film benötigt, was Begriffe wie Handlung, Story oder Dramaturgie im Kino überhaupt bedeuten. Reicht es aus, zwei schweigenden Menschen minutenlang beim Gehen zuzuschauen, um so etwas wie Spannung zu erzeugen?
In Gerry (in geringerem Umfang aber auch in anderen Filmen wie Elephant oder Last Days) zeigt Van Sant, dass selbst dann, wenn auf der
Leinwand scheinbar nichts (wichtiges) passiert, doch unweigerlich eine gewisse Dramaturgie einsetzt. Genau das beweisen auch die Filme des Regisseurs James Benning, dessen außergewöhnliche »Dokumentarfilme« sich darauf beschränken, in einem starren zeitlichen Schema und mit statischer Kamera Aufnahmen vom Himmel, von Seen oder vorbeifahrenden Zügen aneinanderzureihen. Auch hier stellt man mit Erstaunen fest, dass man eben nicht immer das gleiche sieht und das auf der Leinwand
nicht nichts passieren kann, sofern das Bild nicht angehalten wird.
Dass die beiden Regisseure (mir ist nicht bekannt, ob sie sich kennen und / oder gegenseitig beeinfluss(t)en) wahre Verwandte im Geiste sind, merkt man auch daran, dass James Benning 2005 seinen eigenen Film One Way Boogie Woogie von 1977 exakt Einstellung für Einstellung nachinszenierte.
Dem Filmmuseum vorzuhalten, dass im (insgesamt sehr spannenden) Rahmenprogramm der Van-Sant-Retrospektive auch ein Film von James Benning ganz gut gepasst hätte, ist jedoch müßig, da die Auswahl von Filmen anderer Regisseure zwangsläufig lückenhaft und willkürlich bleiben muss. Zu groß sind die Verweise und Verflechtungen im Schaffen Van Sants, als dass sie vollständig aufgeführt werden könnten.
Filmfreunden bietet die Werkschau von Gus Van Sant die Möglichkeit, selber
diesen Verbindungen nachzugehen und in einen faszinierenden Filmkosmos einzutauchen.