Pulsierende Kunst- und Wunderkammern |
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Der Name ist Programm: Schmelzdahins »Stadt in Flammen« von 1984 |
Von Sabine Matthes
Mit der grandiosen Überblicksausstellung »Zelluloid. Film ohne Kamera« bietet die Schirn Kunsthalle Frankfurt noch bis zum 29. August 2010 ein seltenes und wahrhaft rauschartiges Vergnügen. Ein halluzinatorischer Trip, mit der Lichtgeschwindigkeit des Traums, der Sterne und des Planktons, durch einen Parcours filmischer Kunst- und Wunderkammern, im pulsierenden Beat explodierender Formen, Farben und Klänge. 28 Filme, mit einer Länge von 30 Sekunden bis 12 Minuten, das sind etwa 160 000 Einzelbilder, von den Anfängen des »direct film« oder kameralosen Films in den 1930er Jahren bis heute, geben Einblick in die Alchimistenküche von 21 internationalen Künstlern und Filmemachern wie Len Lye, Norman McLaren, Harry Smith, Hy Hirsh, Stan Brakhage, Tony Conrad, Aldo Tambellini, José Antonio Sistiaga, Jennifer Reeves, Bärbel Neubauer, Jennifer West oder »Schmelzdahin«. Anstatt die Aussenwelt mit der Kamera einzufangen, wird bei dieser Form des Experimentalfilms der Filmstreifen selbst, das Zelluloid, zur Leinwand. Er wird handwerklich bearbeitet mit Tusche, Farbe, Stempeln und Schablonen, mit Kratzen, Ritzen, Kochen, Nähen oder Verbrennen, durch physikalische, chemische, bakteriologische Einwirkung verfremdet, collagiert, als »found footage« überarbeitet oder wie ein Fotogramm direkt belichtet. Diesen Filmen ist die DNS des Lebens eingehaucht, im Licht des Projektors beginnt ihr Puls zu schlagen. Sie sind neugierige Weltenbummler, mit wenig Geld und viel Zeit im Gepäck, übermütig, zauberhaft, grausam, geheimnisvoll und verletzlich – wie wir.
Der Film Black Is (1965) des Amerikaners Aldo Tambellini suggeriert ihm zufolge »Samen schwarz, Samen schwarz, Sperma schwarz, Sperma schwarz« und wird vom pochenden Ton eines menschlichen Herzens begleitet. Ein Schlachtfeld organischer Formen unterm Mikroskop, aufgepeitscht von tachistischen Pinselhieben. Tambellini hat als Jugendlicher in Italien knapp den Bombenhorror des 2.Weltkriegs überlebt und in den 60er Jahren im New Yorker East Village ein Avantgarde- und Underground-Kino in einer ehemaligen Kirche eröffnet, wo unter anderem Filme von Brakhage, Bruce Conner und seine eigenen liefen. Mit Otto Piene gründete er 1967 das Black Gate Theatre, ein »Electromedia«-Kino für experimentelle Medien, Performance und Installationen. Bei live-Aufführungen wurden seine Filme und bemalten Dias auch auf die Körper auftretender Künstler oder aufblasbare Leinwände projiziert, sie entmaterialisierten den Raum und lösten eine sinnliche Desorientierung beim Betrachter aus. Black Is war der erste in seiner Serie von sieben experimentellen »Black Films«, die von 1965-1968 als eine Sinneserforschung des Mediums entstanden und von völliger Abstraktion über footage vom Mord an Bobby Kennedy und dem Vietnam Krieg zu schwarzen Teenagern in Coney Island reichen. Seine Obsession für Schwarz erklärt Tambellini so: »Schwarz ist der Zustand des Blindseins und erhöhter Aufmerksamkeit. Schwarz ist das Einssein mit der Geburt. Schwarz ist eins mit der Ganzheit, die Einheit allen Seins. Schwarz ist die Ausdehnung des Bewusstseins in alle Richtungen.«
Während für Tambellini die billige Herstellungstechnik des »direct film« auch eine Art Gegenbewegung zu Hollywood darstellte, war sie bei dem neuseeländischen Künstler Len Lye aus purer Not geboren: er konnte sich keine Kamera leisten. Zum Glück. So entdeckte Lye 1934/35, dass er Filme direkt auf das Zelluloid zeichnen konnte und sein, als Teil einer Reihe von Auftragsarbeiten für die Britische Post produzierter, Film A Colour Box (1935) wurde zum Gründungswerk des »handpainted film«. Erstaunlich zeitlos, wie alle »direct films«, hat er sich seinen draufgängerischen Charme bewahrt und tanzt mit unvermindertem Schwung ein abstraktes Ballett farbiger Formen zum Rhythmus einer kubanischen Band. Lye stand dem Surrealismus nahe und war geprägt von seinen frühen Studien der Kunst der Maori, der Tanzrituale Polynesiens und der australischen Aborigines. Er liebte gerade das Rohe, die Imperfektion und die rastlose Energie der handgemalten Figuren als perfekte Entsprechung zur Vitalität des Jazz. Als er 1944 von London nach New York zog, trug er zu einem Aufschwung experimentellen Filmschaffens in den USA bei, lernte die Künstler des Abstarkten Expressionismus kennen, deren Arbeiten er sich verwandt fühlte, und zeigte seine Filme auf ihren Parties. Als Pionier von filmischen Animationstechniken und kinetischen Skulpturen wollte Lye eine neue Kunst mit »reinen Figuren der Bewegung« entwickeln, dem sein Film Free Radicals (1958/1979) am nächsten kommt. Um sich auf die wichtigsten Elemente, Licht und Bewegung, zu konzentrieren, gab er die Farbe auf und entwickelte neue Symbole von »Energie«, die er mit unterschiedlichsten Instrumenten wie alten indianischen Pfeilspitzen und modernen Zahnarztgeräten auf den schwarzen Film kratzte. So sieht man weisse Linien wie übergeschnappte Herzrhythmuskurven oszillieren, als würden geometrische afrikanische Stoffmuster vom Trommelwirbel des Bagirmi Stammes zum ekstatischen Tanz in der 3.Dimension aufgefordert. Für Len Lye waren Animationsfilmer »freie Radikale« mit einem perfekten Medium für Experimente.
Auch der Schotte Norman McLaren, die zweite wichtige Figur, die zur Etablierung des kameralosen Films wesentlich beitrug, hatte für die angesehene experimentelle Filmabteilung der Britischen Post in London gearbeitet. Er war von Len Lyes A Colour Box tief beeindruckt und mit ihm befreundet. McLaren wurde Filmemacher, weil er nicht Tänzer oder Choreograf werden konnte und sah in Lyes Film eine auf Zelluloid gemalte »Choreografie«. Er experimentierte auch mit der Erzeugung von Tönen durch das Zeichnen auf die optische Tonspur und erstellte eine Kartei grafischer Klänge. Der Film Dots (1940) wirkt wie ein harmloser Kinderspass, ein Ping Pong blauer Punkte und Amöben zwischen Leinwand und Betrachter. Er birgt aber das Geheimnis der Sogwirkung von Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey in sich, eine Technik, die McLaren bereits in den 30er Jahren entwickelt hatte.
Die hypnotische Erfahrung des Versinkens in einem vibrierenden Kosmos fluoreszierender Lichtstaubwolken macht man auch in dem Film Impresiones en la alta atmósfera (1988/89) des baskischen Malers José Antonio Sistiaga. Er hatte Ende der 50er Jahre in Paris einen Animationsfilm von Norman McLaren gesehen, ein prägendes Erlebnis. Sistiagas Film beweist, dass es allein durch Malerei möglich ist, ausgehend von einem Kreis als Symbol für die Erde mit Aureole, durch das gesamte Universum zu reisen. 10.080 minutiös mit farbiger Tinte gezeichnete Einzelbilder im 70-mm-Format fügen sich in der filmischen Projektion zu einem glühenden Tableau rasenden Stillstands. Am Ende geht das Dröhnen des Weltalls in einen Schrei über, ein Schrei, mit dem baskische Schäfer das Wiehern eines Pferdes imitieren. Damit implodiert die kosmische Leuchtkraft und Ordnung und katapultiert uns abrupt in die nackte Realität zurück. Dies ist Sistiagas zweiter gemalter Film, sein erster, fast 20 Jahre früher, hat Spielfilmlänge und kann auch als Gemälde mit über einem Kilometer Länge angesehen werden.
Das Echo von Sistiagas kosmischem Urschrei ist verstummt in den farbenprächtigen Omeganebeln des amerikanischen Filmemachers Stan Brakhage. Mit seinen über 400 experimentellen Filmen gilt Brakhage als poetisch philosophischer Meister eines abstrakt expressionistischen Kinos. Sieben Jahre Arbeit stecken in dem neun-minütigen Stummfilm The Dante Quartet (1987), der ursprünglich in kathedralenartigen Dimensionen gedacht war. Brakhages lebenslange Faszination für Dantes »Göttliche Komödie« mischt sich hier mit der persönlichen Erfahrung einer Lebenskrise. Durch die Hölle und daraus empor zu einer Art göttlichem Zustand, der mit einem Rilke Zitat als »existence is song« beschrieben wird. In der dunklen Nacht der Seele kämpfen fiebrig schöne Farben um Momente der Erleuchtung. Brakhage scheint den Filmstreifen mit dem Furor eines Jackson Pollock und dem Destillat aus Strahlkraft und Wahnsinn von Coppolas Apocalypse Now bearbeitet zu haben. Wie häufig in seinen Filmen zoomen die Bilder gleichzeitig in ein subjektives inneres und äusseres Universum. Ursprünglich begann Brakhage auf Film zu malen, um Bilder zu finden, wie sie sich auf der inneren Leinwand des geschlossenen Auges abspielen, »because there was no way I could get the camera inside my head«. Durch die ständige Metamorphose ihrer Formen sensibilisieren sie uns für eine Fülle subjektiver Interpretationen und lassen gleichzeitig eine Beckett-artige Leere und Vergeblichkeit erahnen. Später wollte Brakhage Filme machen, »that are, in the ordinary sense of the word, about nothing«. Filme, an die man sich nicht erinnert, weil sie in einer Sphäre jenseits des Verbalen existieren und vollkommen dem Unbewussten übergeben werden. Filme, die inspirieren ohne zu manipulieren, bei denen durch die Erfahrung des Nichts die inneren Sinne geschärft werden und das Bedürfnis weiterzuleben – so, wie Brakhage es selbst angesichts der Marc Rothko Bilder in der Rothko Chapel erlebt hatte.
Wie John Cage durch die Stille zu intensiverem Hören auffordert, so erweitert Stan Brakhage unseren Erfahrungsraum der Imagination. In Mothlight (1963), einem Klassiker des Experimentalfilms, tanzt ein zitterndes Ballett reanimierter Mottenflügel zur unhörbaren Melodie einer Bachfuge. Die lichtdurchflutete Collage osziliert in ihrer kraftvollen Intensität und fragilen Schönheit zwischen Leben und Tod.
Brakhage machte die meissten seiner Filme ohne Ton, um nicht von ihrem visuellen Rhythmus abzulenken. Trotzdem sah er sie als reine »Musik für die Augen« in einer Tradition der visuellen Musik. Viele Arbeiten des abstrakten Films, vom absoluten Film der 1920er Jahre bis zu den psychedelischen Filmen der 1960er und 1970er Jahre, zeichnen sich durch die synästhetische Wirkung von musikalischen Elementen und bewegten Bildern aus, eine Vorstellung wie sie Wassily Kandinsky vertrat. Geprägt von dessen Theorien und Werk war auch der amerikanische Musik-Ethnologe, Anthropologe, Sammler, Künstler, Okkultist und Exzentriker Harry Smith, einer der schillerndsten Protagonisten des Experimentalfilms. Seine Eltern waren Theosophen, die ihn mit pantheistischen Ideen vertraut machten, seine Mutter unterrichtete im Lummi Indianer Reservat, deren Gesänge und Rituale Smith aufzeichnete. In San Francisco gehörte er zu den Avantgarde Filmemachern der Bay Area, zog nach New York, gab eine »Anthology of American Folk Music« heraus, war mit Jazz Pionieren wie Charlie Parker befreundet und den Beat Poeten um Allen Ginsberg, lebte bei Native Americans und starb mit knapp 70 Jahren singend in den Armen einer Freundin im legendären Chelsea Hotel. Seine extravagant abstrakten Animationsfilme sind kleine mystisch-surreale Zaubermaschinen, sie sind das »alchemistische Schmelzgut« (William Moritz) seiner schwindelerregenden Vielfalt an Interessen. Smith konnte, um seinem Zuhörer die zugrundeliegende Verbindung und Wechselbeziehung allen Seins zu erklären, in einer Kette freier Assoziationen, in ausführlichster Länge und Tiefe, vom Makro- zum Mikrokosmos gelangen, von Bioelektromagnetik, Elektrophysiologie zum geomagnetischen Feld und der Psyche, Musikologie und Molekularphysik, Parapsychologie und Tarot, bis zur Sammlung seiner 30.000 ukrainischen Ostereier und seminolischen Textilien. »Early Abstractions No.3 (Interwoven)« (1947-1949) gleicht einer gebatikten Animation pulsierender Kandinsky Formen zur Musik der Beatles. Durch ihren hypnotischen Effekt, die Korrespondenz von mystisch inspirierter Malerei, Musik und Bewegung, und durch Smiths eigene Drogenerfahrung, sind seine Filme Vorboten und Ausdruck einer körperlichen, sinnenübergreifenden psychedelischen Erfahrungswelt der 60er Jahre. »Handgemalte Animation unanständiger Formen – der Verlauf der erdgeschichtlichen Entwicklung reduziert auf Orgasmuslänge« – wie Smith selbst es beschrieb. Noch wichtiger als die akribische, teils jahrelange Bearbeitung der Filme, war ihre Performance. Mit dem live-Auftritt von Bands, stroboskopischen Effekten, magischen Laternen, Mehrfachprojektionen seiner kabbalistisch inspirierten Bilder um die Filme herum, explodierten sie zum Leben. Laut Kenneth Anger war Harry Smith »der grösste lebende Magier«.
Auch der Fotograf und Filmemacher Hy Hirsh, der ebenfalls aus der Underground Film Bewegung der Jazz-Beat Szene San Franciscos kam und mit Harry Smith kooperiert hatte, fasste seine Filmvorführungen als Happenings auf. Die fröhlich aufgeregte Energie von Zirkus und Jahrmarkt, die vielen der »direct films« eigen ist, strahlt sein Film Scratch Pad (1960) am schönsten aus. Er reisst uns mit wie eine visuelle Achterbahnfahrt durch den Farbrausch eines nächtlichen Lunaparks. Ein kaleidoskopisches Dreamland, Explosionen pulsierender, leuchtender Linien und Punkte, Graffitis die alle möglichen artistischen und clownesken Kunststückchen aufführen, sich zu Leitern und Überlandleitungen formieren und mit einem uniformierten Äffchen Leierkasten spielen.
Der strahlende kalifornische Optimismus dieses Feuerwerks verwandelt sich bei Stadt in Flammen (1984) des deutschen Künstlerkollektivs Schmelzdahin zu einem morbide flimmernden Farbenspiel, zum zerstörerischen Lodern von Feuer. Der französische Film Ville en flamme wurde dafür einen Sommer lang im Garten unter Laub begraben. Natürlicher Zerfall, Bakterien und die Hitze der Projektorlampe zerfrassen Emulsion und Gesichter, sie zucken im Rhythmus einer sich auf den Brustkorb hämmernden Faust, die im letzten Bild verstummt. In Bärbel Neubauers Fotogrammfilm Feuerhaus (1998) wird man mit einem von ihr komponierten Techno Beat wie ein Hase mit Nachtsichtgerät durchs nächtliche Unterholz gejagt, illuminiert von balzenden Glühwürmchen. Die Technik dazu hatte Man Ray, ein weiterer wichtiger Pionier des kameralosen Films, bereits in seinem ersten Filmexperiment Le Retour à la Raison (1923) mit den Mitteln des Rayogramms erprobt. Er würzte den Filmstreifen mit Salz und Pfeffer, Stecknadeln und Reißnägeln, und belichtete ihn direkt, was in der Projektion zu einem stakkatoartigen dadaistisch-surrealistischen Formentanz führt.
In der filmischen Suppenküche der jungen Amerikanerin Jennifer West geht es noch wilder zu. Ihre kameralosen Arbeiten begannen damit, dass sie Teilstücke eines Films, den sie über zehn Jahre im Kühlschrank hatte, ihren Freunden gab, damit sie den Film in einem Gebräu ihrer Wahl »marinierten«. Die Titel ihrer tonlosen Filme, wie Marinated Film – the roll of 16 mm I had in the fridge for over ten years (16 mm film negative marinated for several months in: Absinthe & XTC, Pepsi & Poprocks, Jim Shaw`s Urine, Red Wine, Coffee & Detox Tea, Aphrodisiacs) (2005), erklären den performativen Akt der Herstellung und erzeugen einen starken synästhetischen Effekt. Wir sehen, schmecken und riechen die Geschichte der Filme. Ihren Jam Licking Sledgehammered Film (2008) beschreibt sie als »wie ein durch Lecken entstandener Sonnenuntergang.« In der Fluxus Manier von Ben Pattersons »Lick Piece« lecken Menschen, mit freiem Oberkörper oder BH, gemeinsam Marmelade vom Filmstreifen. In ihrer ersten öffentlichen Performance Skate the Sky (2009) fuhr eine Gruppe von Skateboardern über die Filmstreifen auf der Rampe der Turbinenhalle der Tate Modern.
Durch die Pflichten der Kindererziehung ans Haus gebunden, hatte Tony Conrad, einer der wichtigsten Konzeptuell geprägten Künstler der amerikanischen Filmavantgarde, bereits Anfang der 70er Jahre die Kochkunst mit dem Filmprozess verbunden. In Curried 7302 (1973) werden durch das Mitkochen und Erhitzen des Zelluloids Kaskaden abstrakter Farbspiele freigesetzt. In dem Performance Film 7360 Sukiyaki (1973) werden die Menschen selbst zum »Pro-jektor« und werfen die in Tamari gekochten Film-, Fleisch- und Gemüsefetzen, in rohes Ei getunkt, direkt auf die Filmleinwand, als klebrig schimmerndes, tropfendes Bild. Auch die Dauer des Lebens wollte 1:1 abgebildet werden. Seine Yellow Movies (1972-1976) sind ein lebender Abdruck von Licht und Zeit, wo billige weiße Farbe sich auf einer Leinwand allmählich gelblich verfärbt – die langsamsten Filme der Welt, ohne Film, Kamera und Projektor. Tony Conrad war Anfang der 60er Jahre nach New York gekommen und gehörte mit La Monte Young und dem Theatre of Eternal Music zu den Mitbegründern der Minimal Music. Das bewußtseinsverändernde Potential ausgedehnter Zeitdauer, wie zuerst in John Cages »4´33´´« oder der Minimal Music, wurde auch von Theater und Film übernommen. Für Conrad ist es Ausdruck einer anti-autoritären, anti-bürgerlichen Gegenbewegung, wie Drogen, Meditation, Fluxus, Orientalismus und die Hippie Bewegung.
Im Gegensatz zu den Yellow Movies war Tony Conrads erster und bekanntester Film The Flicker (1965-66) wie ein Zeitraffer, ein Konzentrat aller jemals gemachten Filme, und zeigt: Kino ist »Trancetechnik« (Ute Holl). Für Conrad ist er eine Art perfekter Science Fiction, der einen nicht nur auf einen anderen Planeten transportiert, sondern in ein völlig abstrakt strukturiertes Parallel-Universum. Er zeigt 47 unterschiedliche Flimmermuster aus stroboskopartig pulsierenden schwarzen und weißen Filmbildern, angefangen bei einer hohen Frequenz von 24 Blitzen pro Sekunde bis zu niedrigeren Frequenzen zwischen 18 und 4 Blitzen pro Sekunde. Durch den Rhythmus kann der Betrachter eine kalkulierte Skala halluzinatorischer Farbeffekte erfahren. Conrad beschreibt, wie er anfangs Angst hatte, daß er damit den Leuten das Gehirn aus dem Kopf jagen würde und deswegen einen prominenten Psychoanalytiker konsultierte, einen ehemaligen Schüler von Freud, der im Ersten Weltkrieg selbst Kriegstraumata von Soldaten erfolgreich mit Flimmern behandelt hatte. Conrad wurde an die amerikanische Epilepsie Gesellschaft weiter verwiesen und sprach mit einem Arzt, der klinische Erfahrung hatte mit durch Flimmern herbeigeführten Anfällen, und der einigen Zulauf von Menschen bekam, die sich absichtlich Epilepsie wünschten, da sie sie als eine eher romantische Störung ansahen.
Vielleicht sind all diese Unberechenbarkeiten der Grund dafür, dass wir diesen Film leider nicht in der Ausstellung sehen. Oder, weil die ganze Ausstellung selbst wie ein einziger wilder Flicker wirkt. Von solch bizarrer Schönheit werden die Bilder sein, die von unserer Erde auf der Netzhaut von Insekten erhalten bleiben.