26.08.2010

Wie der Tod einmal nicht zu trium­phieren vermochte

Christoph Schlingensief
Über sich selbst hinausgewachsen:
Christoph Schlingensief

Von Josef Schnelle

Über Christoph Schlin­gen­sief

Als dreister Provo­ka­teur galt er vor allem, der sich seinen Spaß daraus machte, Geschmacks­grenzen beherzt zu über­springen. Dazu benutzter er alle Medien: Film, Oper, Theater, Fernsehen, Kunst­aus­stel­lung, Straßen­be­fra­gung, Happening und eigent­lich jede seiner öffent­li­chen Äuße­rungen, als seien sie im Grunde eins. Das ist eigent­lich die größte Provo­ka­tion seines Werkes, dass es univer­sell sein sollte. Und so hat er sich über die ganze Welt ausge­breitet mit einem Opernhaus in Afrika, einer Opern­in­sze­nie­rung in Bayreuth, einer Instal­la­tion auf der Kunst­bi­en­nale von Venedig, aber auch mit der Voll­endung trivialer Insze­nie­rungen wie der Big-Brother-Show, der Quiz-Befragung oder einer von allen guten Geistern verlas­senen Straßen­bahn in einer Fern­seh­serie. Er prügelte sich öffent­lich, tobte, beschmutzte, beschmierte mit Farbe und nahm mit einer Ketten­säge ausein­ander, was anderen hoch und heilig ist.

Außerdem forderte am liebsten Unmög­li­ches: Das nun endlich Schluss sei mit dem Skandal des mensch­li­chen Todes, der jede Minute unseres Lebens bestimmt. Nun ist Kunst immer ein Kampf gegen den Tod, ein aussichts­loser dazu. Sieh das beizeiten ein, sei demütig, lebe, als würdest du morgen schon sterben, hinter­lasse Baum, Haus, Kind. So lange jemand an dich denkt, lebst du ja weiter im Gedächtnis der Mensch­heit.

Schlin­gen­sief fand sich damit nicht ab. Er forderte den Tod frech heraus, und als er schon im Sterben lag, insze­nierte er mit allem Pomp und allem Glanz und Gloria seine »Kirche der Angst vor dem Fremden in mir« mit Prozes­sionen, Päpsten und Gesängen und mitten drin mit einem Rönt­genbid seiner eigenen schon zerfetzten Lunge. Wer das gesehen hat, dieses wahn­wit­zige Opern-Kino-Kunst­er­eignis, der begann plötzlich an allem zu zweifeln, was er bisher über den Tod gewusst zu haben glaubte, wie all die Milli­arden Menschen in der Geschichte unserer Art, die schon gestorben sind und sich ihrer elemen­taren Angst vor dem Tod nur mit der Erfindung und Ausschmü­ckung eines schöneren Jenseits retten konnten, das sogar Selbst­mord­at­ten­täter mit Jung­frauen und Schal­meien tröstet. Das alle Kunst ein Versuch ist, den Tod zu über­winden erwei­terte Schlin­gen­sief endlich zu einer offenen Feld­schlacht gegen die Mächte der Vergäng­lich­keit. In der ersten Minute nach der Geburt, sagt man, beginnt das Sterben und jeder wird sich an den Augen­blick erinnern in seinem Leben (meist in der Pubertät) in dem er begriffen hat, dass auch er sterben wird.

Nicht umsonst wirken viele Aktionen Schlin­gen­siefs so rauh und explosiv wie dieses Lebens­alter. Kunst, das heißt dem Tod bei der Arbeit zuschauen – aber nicht bei seinem Triumph. Christoph Schlin­gen­sief hat den Tod heraus­ge­for­dert und er ist Sieger in diesem Kampf geblieben, weil er gezeigt hat, dass man ihm auch offen entgegen treten kann. Möglich dass wir sterben müssen, viel­leicht sogar durch eine mörde­ri­sche Krankheit mit Schmerzen und Angst. Aber in der Heroen­ga­lerie der Kämpfer gegen den Tod hat Schlin­gen­sief einen ganz beson­deren Platz besetzt. Weil er wahrhaft der Sieger geblieben ist, mitten unter uns Klein­gläu­bigen und Mutlosen, denen nichts weiter übrig bleibt, als an allen Ecken dieser Welt seinen Nachlass mit Zähnen und Klauen zu vertei­digen. Und der bedeutet vor allem: Niemals zu schweigen zu Hunger, Unter­drü­ckung, Ausbeu­tung und Massen­mord. Ob in einem Opernhaus in Afrika, einem Deutschen Pavillion bei der Kunst­bi­en­nale von Venedig, im Deutschen Fernsehen, im Stadt­theater oder in der Fußgän­ger­zone. Christoph Schlin­gen­sief ist tot. Lang lebe der Revo­lu­ti­onär, der einmal den Tod in seine Schranken wies.