Wie der Tod einmal nicht zu triumphieren vermochte |
![]() |
|
Über sich selbst hinausgewachsen: Christoph Schlingensief |
Von Josef Schnelle
Als dreister Provokateur galt er vor allem, der sich seinen Spaß daraus machte, Geschmacksgrenzen beherzt zu überspringen. Dazu benutzter er alle Medien: Film, Oper, Theater, Fernsehen, Kunstausstellung, Straßenbefragung, Happening und eigentlich jede seiner öffentlichen Äußerungen, als seien sie im Grunde eins. Das ist eigentlich die größte Provokation seines Werkes, dass es universell sein sollte. Und so hat er sich über die ganze Welt ausgebreitet mit einem Opernhaus in Afrika, einer Operninszenierung in Bayreuth, einer Installation auf der Kunstbiennale von Venedig, aber auch mit der Vollendung trivialer Inszenierungen wie der Big-Brother-Show, der Quiz-Befragung oder einer von allen guten Geistern verlassenen Straßenbahn in einer Fernsehserie. Er prügelte sich öffentlich, tobte, beschmutzte, beschmierte mit Farbe und nahm mit einer Kettensäge auseinander, was anderen hoch und heilig ist.
Außerdem forderte am liebsten Unmögliches: Das nun endlich Schluss sei mit dem Skandal des menschlichen Todes, der jede Minute unseres Lebens bestimmt. Nun ist Kunst immer ein Kampf gegen den Tod, ein aussichtsloser dazu. Sieh das beizeiten ein, sei demütig, lebe, als würdest du morgen schon sterben, hinterlasse Baum, Haus, Kind. So lange jemand an dich denkt, lebst du ja weiter im Gedächtnis der Menschheit.
Schlingensief fand sich damit nicht ab. Er forderte den Tod frech heraus, und als er schon im Sterben lag, inszenierte er mit allem Pomp und allem Glanz und Gloria seine »Kirche der Angst vor dem Fremden in mir« mit Prozessionen, Päpsten und Gesängen und mitten drin mit einem Röntgenbid seiner eigenen schon zerfetzten Lunge. Wer das gesehen hat, dieses wahnwitzige Opern-Kino-Kunstereignis, der begann plötzlich an allem zu zweifeln, was er bisher über den Tod gewusst zu haben glaubte, wie all die Milliarden Menschen in der Geschichte unserer Art, die schon gestorben sind und sich ihrer elementaren Angst vor dem Tod nur mit der Erfindung und Ausschmückung eines schöneren Jenseits retten konnten, das sogar Selbstmordattentäter mit Jungfrauen und Schalmeien tröstet. Das alle Kunst ein Versuch ist, den Tod zu überwinden erweiterte Schlingensief endlich zu einer offenen Feldschlacht gegen die Mächte der Vergänglichkeit. In der ersten Minute nach der Geburt, sagt man, beginnt das Sterben und jeder wird sich an den Augenblick erinnern in seinem Leben (meist in der Pubertät) in dem er begriffen hat, dass auch er sterben wird.
Nicht umsonst wirken viele Aktionen Schlingensiefs so rauh und explosiv wie dieses Lebensalter. Kunst, das heißt dem Tod bei der Arbeit zuschauen – aber nicht bei seinem Triumph. Christoph Schlingensief hat den Tod herausgefordert und er ist Sieger in diesem Kampf geblieben, weil er gezeigt hat, dass man ihm auch offen entgegen treten kann. Möglich dass wir sterben müssen, vielleicht sogar durch eine mörderische Krankheit mit Schmerzen und Angst. Aber in der Heroengalerie der Kämpfer gegen den Tod hat Schlingensief einen ganz besonderen Platz besetzt. Weil er wahrhaft der Sieger geblieben ist, mitten unter uns Kleingläubigen und Mutlosen, denen nichts weiter übrig bleibt, als an allen Ecken dieser Welt seinen Nachlass mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. Und der bedeutet vor allem: Niemals zu schweigen zu Hunger, Unterdrückung, Ausbeutung und Massenmord. Ob in einem Opernhaus in Afrika, einem Deutschen Pavillion bei der Kunstbiennale von Venedig, im Deutschen Fernsehen, im Stadttheater oder in der Fußgängerzone. Christoph Schlingensief ist tot. Lang lebe der Revolutionär, der einmal den Tod in seine Schranken wies.