Hinterwäldler Horror, Torture Porn! |
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Eröffnungsfilm: The Pack |
Von Thomas Willmann
Gallants (Da lui toi) R: Derek Kwok, mit Siu-Lung Leung, Koon Tai Chan, Teddy Robin, Turbo Law u.a., Hongkong 2010, 98 Min.
Es hat ungefähr 30 Sekunden gedauert, bis ich mich in Gallants verliebt hatte. Ein Vorspann in klassischer Martial-Arts Film-Manier, dann ein Duell zweier Kinder, die sich zu Kung-Fu-Superhelden träumen, filmisch stilecht, aber im Pappkartonkostüm. Das wirkte alles schon, als hätte jemand entdeckt, dass Spike Jonze ein verschollener Shaw Brother ist. Nun gibt’s im Kino aber viele Lieben auf den ersten Blick, die dann mehr und mehr Schönheitsflecken erkennen lassen, die irgendwann zu eitrigen Ekzemen werden, und die vor allem offenbaren, dass sie das Herz nicht am rechten Fleck tragen. Die wahre Spannung bei Gallants war für mich dann also das »Hoffentlich verdirbt er’s jetzt nicht!«. Er hat’s nicht verdorben. Es ist eine wunderschöne Hommage an die Veteranen der »60er, ‘70er Jahre, die nun als 60-, 70-Jährige in einem heutigen Alltagskaff in Hongkong hocken und aus ihrem ehemaligen Dojo eine Teestube gemacht haben, weil der Meister seit Jahren im Koma liegt. Aber früher oder später heißt«s dann eben doch wieder: »Everybody was Kung Fu Fighting!« Und alle werden wieder zu Helden, nur halt in Schlabber-Jogginghosen und mit Herrenhandtäschchen. Und bekommen ihre Freeze-Frame-Großaufnahme mit Schriftzeicheneinblendung à la »Siu-Lung Leung as Tiger«. Inklusive »Frozen Chicken as Pickled Duck«. Und grad wenn man so richtig glücklich ist, weil alles so heiter und albern ist, zieht Gallants noch eine wunderbare Note der Wehmut aus dem Ärmel. Und man ist noch ein Stück glücklicher. Und freut sich auf das zweite Date mit diesem Film.
The Last Exorcism R: Daniel Stamm, mit Patrick Fabian, Ashley Bell, Louis Herthum, Iris Bahr, Caleb Jones u.a., USA 2010, 82 Min.
Es gibt im Englischen die schöne Scherz-Redewendung: »Snatching defeat from the jaws of victory« – also dem Sieg in letzter Minute noch eine Niederlage entreißen. The Last Exorcism ist die perfekte Illustration: Ca. 83 Minuten lang ist der Film wirklich clever. Er bemüht sich sehr, seine Tarnung als angeblicher Dokumentarfilm eingermaßen plausibel durchzuziehen (freilich: echte Doku-Kameramänner sind nicht gar so drauf bedacht, dauernd drauf aufmerksam zu machen, dass sie eine Handkamera haben). Und vor allem hält er die zentrale Frage offen, ob da nun übernatürliche Mächte im Spiel sind oder nur Trickserei und die psychischen Knackse einer recht kaputten Familie. Da ist er nebenbei auch noch ein Film über das Erstarken der evangelikalen Fundis in den wirtschaftlich den Bach runtergehenden USA. Und dann hat er eigentlich schon sein perfektes Ende. Und müsste nur aufhören, oder höchstens noch einen kleinen, subtilen Haken obendrauf schlagen. Tja, und dann kommen die letzten 3 Minuten. Wo möglicherweise Eli Roth drauf bestanden hat, dass mit der Subtilität und Intelligenz nun aber bitte Schluss sein muss, damit man noch merkt, dass er den Film produziert hat. Und da ist der Film wie ein 1000-Meter-Läufer auf der Zielgeraden ist und nur noch 100 Meter geradeaus laufen müsste, um sich definitiv zumindest eine respektable Plazierung, wenn nicht gar eine Medaille zu sichern. Und der dann beschließt, dass ihm das zu einfach wäre. Und sich überlegt, was er denn jetzt noch tun könnte. Und er kommt auf die tolle Idee: »Ich könnte mir doch die Kniescheibe amputieren, das wäre doch eine klasse Sache!« Und macht’s...
The Pack (La meute) R: Franck Richard, mit Emilie Dequenne, Yolande Moreau, Eric Godon, Philippe Nahon, Benjamin Biolay u.a., F / B 2010, 81 Min.
Pubertierende Franzosen auf der lustigen Versatzstückparty: »Ey, haben wir auch alles in den Film gepackt, ey?« »Lass schau'n. Texas Chainsaw Massacre, Hinterwäldler Horror, Torture Porn?« »Check!« »Bisserl Bad Taste, böse Biker, Filmzitate selbst auf dem Flipper im Hintergrund?« »Check!« »Philippe Nahon?« »Check!« »Wie, wir haben Philippe Nahon? Was macht der bei uns?« »Gute Frage. Nicht viel. Aber, ey, Du hast doch noch das T-Shirt mit dem voll geilen Spruch! Das zieh'n wir ihm an, dann passt das schon!« »Okay. Weiter: Quasi-Vampire, Jason-Overalls, Descent-Maulwurfmonster, Night of the Living Dead?« »Check! Check! Check!« »Sozialkritik am schweren Schicksal der ausgebeuteten Mienenarbeiter?« »Oh, Moment. Da muss ich mal gucken...« »Ey, jetzt sag nicht, wir haben die Sozialkritik am schweren Schicksal der ausgebeuteten Mienenarbeiter vergessen! Ey Mann!« »Nee, halt, keine Sorge! Check!« »Boah, das ist ja echt grade nochmal gut gegangen!«
Wir wissen’s spätestens seit Freud: »Das Unheimliche« heißt nicht umsonst so, es hat etwas mit dem Heim zu tun. Und es ist kein Zufall, dass der Grusel so gern in Spukhäusern wohnt. Two Eyes Staring ist auch einer dieser Filme, wo die (vermeintlich?) besessene Behausung vor allem widerspiegelt, was im Unterbewussten ihrer Bewohner an Unbewältigtem lauert. Also eine Familiengeschichte, über Eltern und Kinder, Schwestern und Schuld. Wo der Umzug ins Haus der verstorbenen Großmutter wieder aufbrechen lässt, was die Mutter lang verdrängt hat. Das ist Anfang sehr atmosphärisch gemacht, und hat gerade in der Darstellung der Beziehung des Elternpaars eine fürs Genre eher unübliche Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit. Irgendwann überstrapaziert der Film allerdings etwas seinen bedeutungsschweren Rhythmus. Hat aber dafür einen ausnahmsweise mal wirklich klugen Dreh im Ärmel. Mit dem er die berühmte Beobachtung (von wem war die nochmal?) aushebelt, dass alle Geistergeschichten im Grunde ja tröstlich seien, weil sie wenigstens ein Weiterleben der Seele nach dem Tod versprechen.