Das Apatow-Prinzip |
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SUPERBAD. Während er noch unmissverständlich erklärt, lacht sie sich (oder ihn) schon schlapp. |
Wem immer noch nicht klar ist, dass sich der Film und die Popmusik hinsichtlich ihrer Entwicklung, Funktionsweise und allgemeinen Wahrnehmung geradezu zwillingshaft gleichen, der brachte nur einmal die veränderte Rolle des Produzenten in diesen beiden Kunstformen betrachten.
Obwohl Pop- und Filmproduzenten immer schon großen Einfluss auf einzelne Werke oder ganze Genres und Stilrichtungen hatten (darüber wie maßgeblich dieser Einfluss tatsächlich war, wurde und wird naturgemäß hitzig gestritten), blieben sie in der Öffentlichkeit doch weitgehend unbekannt, so dass in der Regel nur Eingeweihte und Kenner etwas mit ihrem Namen verbanden und ihnen eine individuelle Handschrift zuordnen konnten. Dass in den letzten Jahren zunehmend Produzenten in den Vordergrund treten und auch einer größeren Menge bekannt sind, hat zwei (sich bedingende Gründe). Zum einen hat sich der Verweis auf »die Macher« eines Kunstwerkes (die eben nicht nur ein Interpret bzw. eine Band oder ein Regisseur sind) als überaus hilf- und erfolgreiches Werbeargument etabliert. Zum anderen treten die Produzenten heute offensiver und in vielfacher Funktion (etwa auch als eigentlicher Künstler) auf. Die Herren Timbaland und Pharrell Williams kennt man eben nicht nur wegen den unzähligen Tracks, die sie für andere produziert haben, sondern auch durch ihre Tätigkeit als Interpret.
Eine ähnliche Vermischung kann man auch im Kino beobachten, wo anstatt des reinen Produzenten das drehbuchschreibende, regieführende und produzierende Multitalent tritt. Im Gegensatz zum klassischen Autorenfilmer geht es hierbei aber nicht darum, die totale Kontrolle über einen einzigen (den eigenen) Film zu behalten, sondern darum, auf vielfältige Weise und in vielen verschiedenen Filmen künstlerische Spuren zu hinterlassen. Steven Soderbergh steht für dieses Prinzip ebenso wie Spike Jonze oder Judd Apatow. Letzterer repräsentiert eine neue, oft noch verkannte Form der amerikanischen Komödie, die man vom 23.9.10 bis 29.9.10 mit zwei Filmen im Werkstattkino (aber auch im regulären Kinoprogramm mit Männertrip) kennenlernen kann bzw. kennenlernen sollte. Dass man auf die Filme Superbad und Adventureland vom Regisseur Greg Mottola so explizit hinweisen muss, verwundert auf den ersten Blick, da man es vordergründig mit typischen unterleibsorientierten Teeniekomödien zu tun hat, die sich üblicherweise auch ohne jeden filmkritischen Kommentar (egal ob positiv oder negativ) von selbst verkaufen.
Bei genauer Betrachtung stellt man aber fest, dass es hier zwar streckenweise etwas derb und politisch unkorrekt zugeht, man dabei aber trotzdem weit entfernt von American Pie und ähnlichem Unsinn ist. Es ist wohl diese Zielgruppenunklarheit bzw. -ungenauigkeit, die dazu führt, dass manche Filme aus dem Apatow-Umfeld enorm erfolgreich sind, während andere – trotz des scheinbareren Erfolgssiegels »Von den Machern von…« – kommerziell scheitern. Das geschieht dann, wenn der anspruchsvolle(re) Kinogeher sich vorschnell von scheinbar schlichten, jugendlichen Themen und derben Späßen abschrecken lässt, während der anspruchsarme Comedyfan vergeblich auf die Bedienung von gross out- oder romantic comedy-Standards wartet. Hilfreich wäre bei solchen Werken der Hinweis: »Dieser Film erscheint in der Werbung und in der Kritik primitiver, als er tatsächlich ist.«
Klassisches Beispiel hierfür ist Superbad, der von drei ziemlich uncoolen Jungs handelt, die alles daran setzen, sich Alkohol zu beschaffen, um damit bei einer bevorstehenden Party das Urteilsvermögen der angehimmelten Mädchen derart zu beeinflussen, dass es zum verzweifelt ersehnten Sex kommt. Da die Jungs aber zu jung für den legalen Kauf von Alkohol sind, gestaltet sich dieses Vorhaben als äußerst schwierig. Das Ergebnis ist eine aberwitzige Odyssee, in der auch zwei »unkonventionelle« Polizisten eine maßgebliche Rolle spielen. 'Wie geistreich kann das schon sein?' denkt man angesichts eines solchen Plots (den man ähnlich aus tausend peinlich doofen Filmen kennt) vorschnell. Doch so einfach (strukturiert) wie es klingt ist es nicht. Natürlich ist hier mancher Gag unter der Gürtellinie und natürlich ist das Geschehen überzeichnet und überdreht und natürlich werden hier reihenweise Klischees bedient. Aber zugleich ist der Film auch erstaunlich geistreich, emotionell tiefgründig und in mancherlei Hinsicht wahrhaftig.
Wer jemals die Höhen und Tiefen einer Pubertät durchlebt hat und die Fähigkeit besitzt, ehrlich und ohne Verklärung auf diese Zeit zurückzublicken, der wird durch Superbad (wie bei einer posttraumatischen Belastungsstörung) so manche Episode aus der Jugend erneut durchleben und das obwohl der Film zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort spielt (was nur wieder verdeutlicht, dass gewisse Erfahrungen universell sind). Dass das Ganze nicht zu einem arg quälenden coming-of-age Drama wird, verdankt sich dem enormen humoristischen Potential von Superbad. Perfektes Timing, messerscharfe Dialoge, geschickt konstruierte Situationen und schillernden Figuren, die von komikbegabten Schauspielern verkörpert werden, fügen sich zu einer erfreulich witzigen Einheit, die sich in ihrer gesamten Pracht wohl nur dem erschließt, der sich überdurchschnittlich mit (Pop)Kultur im Allgemeinen und Komödie im Speziellen beschäftigt. Ein weiterer Beleg dafür, dass der Film eher für cineastische Connaisseur und weniger für oberflächliche Zerstreuungssüchtige geeignet ist. Ohne Adventureland gesehen zu haben, wage ich die Behauptung, dass vieles vom Vorstehenden auch darauf zutrifft und das, obwohl Judd Apatow an diesem Film überhaupt nicht direkt beteiligt war (ihm wird im Abspann nur – wofür auch immer – gedankt). Vielleicht erkennt man die wirklich großen Produzenten ja daran, dass sie es schaffen ein Werk zu prägen, ohne es unmittelbar zu beeinflussen.