Warum schreien, wenn nicht einmal schweigen hilft? |
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Schön irritierend: Florian Riegels Holding Still |
Von Axel Timo Purr
Die Preisträger des diesjährigen internationalen Festivals der Filmhochschulen, wie immer in München ausgetragen, besitzen eine Gemeinsamkeit, die stutzen lässt, gleicht sie doch einem Gedankenspiel um Wittgensteins viel zitierten Satz aus dem Tractatus Logico-Philosophicus: »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.« Hatte Wittgenstein damit die philosophische Rede schlechthin in Frage gestellt, variieren die prämierten Filme Wittgensteins Aussagen immer wieder frappant.
Das beginnt mit dem belgischen als »Special Mention« ausgezeichneten Preacher, der manchmal ein wenig zu plakativ mit (christlich) fundamentalistischer Einsamkeit spielt, deren Schweigen und Wahn letztlich nur Gewalt evoziert. Wie nah diesem Szenario allerdings die ganz normale Ehe sein kann – deren Schweigen im Film sicherlich nicht zum ersten Mal porträtiert wird – veranschaulicht der schlüssige Siegerfilm aus Polen, Pawel Maslonas For Madmen only. Aber anders als die nach außen gerichtete tumbe Aggression im Glauben, gelingt es Maslona in seinen Szenen einer Ehe, die feinere Gewalt der Autoaggression einzufangen, deren zersetzendes Schweigen nur mit dem sportlichen Pendant kuriert werden kann, dem Golfspiel. Viel Worte fallen auch nicht in dem kubanischen Beitrag, der den Preis für das beste Drehbuch erhielt. Jainaina Marques stille Sehnsucht einer Frau nach dem Leben, das letztendlich nur ihrer Mutter gewidmet sein kann, ist Wittgensteins Aussage vielleicht am nächsten. Warum schreien, wenn nicht einmal schweigen hilft?
Ein Segen, dass auch die deutschen Filme nicht dem hierzulande so populären, plappernden Mainstream gehuldigt haben, sondern ebenfalls den steinigen Weg des Schweigens gehen. Ulrike Vahls mit dem »Student Camera Award« ausgezeichneter Gömböc geht ihn im deutschen Osten. Hier hat scheinbar jeder seine Sprache verloren, aber Schweigen macht das Leben nicht leichter. Dass Schweigen aber auch seine Stärken haben und fast zum terroristischen Akt mutieren kann, beweist Boris Kunz in Daniels Asche, der mit der besten Produktion eines deutschen Films ausgezeichneten Geschichte über die Unwägbarkeiten eines Begräbnisses.
Der irritierendste Film und mit dem »Arri Preis für die beste Dokumentation« ausgezeichnete Holding Still von Florian Riegel lässt diese Spielarten allerdings weit hinter sich. Riegel erzählt die Geschichte einer Unsichtbaren. Seine Kamera nähert sich einem amerikanischen Badeort und einem Haus, dessen Besitzerin nie ins Bild tritt. Riegel verlässt sich allein auf die Stimme, die mal seiner Kamera und dann wieder ihren eigenen im ganzen Haus installierten CCTV-Kameras folgt. Sie hat diesen Ort seit mehr als zwanzig Jahren nicht verlassen und genießt die Stille, das Schweigen der großen Räume. Ihre Kamerafahrten verharren im Kleinen, bleiben bei einem Bücherregal stehen, um wenig später nach draußen, auf die Straße zu schwenken, wo das Leben, vorbeizieht, Geräusche sind. Fast beiläufig erzählt sie ihre Geschichte, die Riegel mit seiner Kamera illuminiert, indem er langsam, still und schweigend die an Wänden hängenden Fotos einfängt. Eine schöne Frau und ein schöner Mann, eine schöne Ehe, ein paar Drogen und dann der Moment, der alles umkehrt. Der schöne Mann kehrt eines Morgens nach Hause, die Frau will gerade mit den Kindern ans Meer. Sie unterhalten sich noch im Bett, lachen, dann will sie gehen. Der Mann steht ebenfalls auf, ist hinter ihr, umfasst ihren Kopf, hebt sie am Kopf in die Höhe und drückt den Kopf dann nach vorne, bis es knackt und das Rückgrat gebrochen ist. Drogen und eine Disposition zu Schizophrenie haben manchmal ungute Auswirkungen, sagt die Frau und dann noch etwas, mit einem letzten Blick auf die Straße mit Passanten, dann das Meer. Lange habe sie gedacht, mann müsse auf das Leben zugehen, um es einzufangen. Aber wartet man nur lange genug mit sich, bei sich, dann ist es das Leben selbst, das zu einem kommt.