Film als Kunst, Ausstellung als Design |
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Die Münchner Hochschule für Fernsehen und Film mit einer Leistungsschau in der Pinakothek der Moderne |
»Wer ist verantwortlich für die Entscheidungen über Design und Zusammensetzung einer Ausstellung?« Diese, zuerst von Martin Schmidl in seinem Buch über Postwar Exhibiton Design aufgeworfene Frage stellt sich mir in dem großen, abgedunkelten Durchgangsraum, durch den die Ausstellung Subjektiv – Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert den Besucher in die eigentlichen Präsentationsräume schleust.
Ich betrete den nächsten Raum und bin umgeben von 64 kleinen, durchscheinenden Projektionsflächen, die auf brusthohen, apple-weißen Stelen angebracht sind. Ein Mini-Projektor wirft auf jede Fläche einen Film, der von beiden Seiten der Scheibe sichtbar ist. Seitlich an den Stelen hängen gleichfalls apple-weiße Telefonhörer, die man abnehmen und sich an ein Ohr halten kann, um auch den Ton des projizierten Films zu hören. Schriftzüge auf jeder Stele kennzeichnen – wie in Museen üblich – Titel und Autor des jeweiligen Films. Die Stelen sind in einem Raster von 8x8 angeordnet, an den sie umgrenzenden Raumwänden bezeichnen Schriftzüge eine kategorische Anordnung nach Begriffen (Suche, Tagebuch, Arena, Grenze, Abweichung u.a.) und eine numerische: von eins bis acht. An den Wänden sind zusätzlich kleine Spiegel angebracht, die die Reihen der Stehlen optisch ins Unendliche verlängern. Auch jeder der 64 Filme wiederholt sich, ist er einmal an sein Ende gekommen, unendlich.
Die Technik der kleinen Projektoren fasziniert mich, trotzdem habe ich zuerst keine Lust einen der Hörer abzuheben. Viele der Filme habe ich im Kino gesehen, ich kenne die technische Qualität ihres Ursprungsmaterial: einige sind auf 35 oder 16mm gedreht, die Tonmischung ist meistens in Stereo – davon kann eine Mini-Projektion mit Mono-Lautsprecher zwangsläufig nur ein schwaches Nachbild sein. (Die klare Entscheidung gegen die Aufführung der Filme in ihrem Originalformat irritiert mich auch deswegen so, weil Museen generell auf die auratische Materialität der Ausstellungsgegenstände besonderen Wert legen.) Dennoch bin ich immer noch überwältigt von der schieren Masse der mir angebotenen Auswahlmöglichkeiten, welchen Film ich mir anschauen könnte. Um mich nicht plötzlich in der Mitte irgendeines Filmes wiederzufinden, suche ich Orientierung bei den Kategorien an den Wänden: Was heißt »Arena«? Suche, Grenze, Ritual...
Zum Glück sehe ich ein bekanntes Gesicht im Säulenwald, Heiner Stadler, Professor für Dokumentarfilm an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film, kurz HFF. Ich frage ihn, ob er etwas über die Entstehungsgeschichte der Ausstellung weiß, und es stellt sich heraus, dass ich den Initiator des Projekts vor mir habe. Er erzählt mir, wie er mit seinen eigenen Dokumentarfilmen zu zwei Kunstausstellungen eingeladen wurde. Diese Erfahrung habe ihm gezeigt, dass aus der Fernseh-
und Filmindustrie stammende Dokumentarfilme im Kontext der Bildenden Kunst durchaus möglich und sogar willkommen sind. (An anderer Stelle heißt dies auch: »Professor Heiner Stadler von der HFF sieht in der Zusammenarbeit mit Museen eine Möglichkeit, unabhängig vom Fernsehen gute Dokumentationen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und dabei kostendeckend zu arbeiten.« Benjamin Weber in der taz vom 9.12.2010.)
So entstand die Idee, auch die Filme seiner
Studenten in den Kontext der Kunst zu bringen. Dafür entwickelte er eine »Kommunikationsstrategie«, mit der er bei Bernhard Schwenk, Kurator für Gegenwartskunst an der PDM offene Ohren fand. Professor Stadler hilft mir auch bei meiner Orientierungslosigkeit im großen Raum: Es gehe nicht darum, Filme zu zeigen oder gar ein Filmfestival zu veranstalten. Sondern es sollen unterschiedliche Filmsprachen miteinander verglichen werden. Die museale Form dafür wurde von einem
Berliner Szenografen-Team entwickelt. Der aufwendige Designprozess hat rund 300 000 Euro gekostet.
Daheim recherchiere ich die Szenografen: Während sich ihr Blog zur HFF-Schau auf die Entstehung des Plakatmotivs konzentriert (ein stilisiertes, aus vielen Filmstills zusammengesetztes Auge), gibt es aufschlussreiche Materialien zu einer anderen Ausstellung, die dasselbe Team für den gleichen Raum ein paar Jahre früher entwickelt hat. Sie trug den Titel: »P.P.P. Passolini und der Tod«. Der schnelle Strich einer dazugehörigen Skizze gibt mir das Gefühl, einem Designer über die Schulter schauen, während er erste Ideen für die Form einer neuen Ausstellung entwickelt. Ein gezeichneter Grundriss zeigt neun große Projektionen und eine zentrale Tonquelle (– wenn aber neun Filme gleichzeitig gezeigt werden, welcher Ton ist dann zu hören?). Darüber stehen folgende Zeilen: »24/SEC / 24 FILME / 12 FILMSCREENS« (vierundzwanzig Bilder pro Sekunde ist die Frequenz eines 35mm Filmprojektors, Pier Paolo Pasolini hat vierundzwanzig Filme gemacht). Ein anderes Bild, eine Computersimulation, zeigt einen Raum mit neun hängenden Projektionsleinwänden, auf sie sind Großaufnahmen verschiedener Frauen aus Pasolini-Filmen montiert. Eine Bildschirmkopie eines Filmschnittprogramms zeigt neben dieser Kategorisierung (Frauenportraits) noch weitere: »acteur laura betti«, »acteur maria callas«, »acteur passolini« und »lachen«. »RAUM ALS INSTRUMENT / ANALYSE« ist in Grossbuchstaben auf der ersten Skizze lesen.
Das führt mich wieder zurück zur HFF-Ausstellung. »Die Filmauswahl gleicht einem wissenschaftlichen Muster (...) die Filme der Studierenden bilden dabei das Datenmaterial«, resümiert Renate Heilmeier in ihrer Ausstellungsbesprechung im DRadio Kultur am 1.12.2010. Stadler erzählt in dem Radiobeitrag, dass Bernhard Schwenk die Szenografen Weitz und Epple ins Spiel gebracht habe, die er aus der Zusammenarbeit bei der Pasolini-Ausstellung kannte. Tatsächlich erscheint mir der Umgang mit dem filmischen Ursprungsmaterial in beiden Ausstellungen grundsätzlich ähnlich. In beiden Fällen wurde unterschiedliches Ausgangsmaterial (verschiedene Film- und Videoformate) zuerst technisch auf einen gemeinsamen Nenner gebracht. Dieses »Datenmaterial« wurde dann kategorisch neu geordnet (Lachen, Frauenportraits... bzw. Distanz, Konflikt...) und in einer aufwendigen Ausstellungsarchitektur präsentiert. Beides sind Anstrengungen, um eine große Anzahl Filme mit einer sehr langen Gesamtlaufzeit (24x circa 90 Minuten = 36 Stunden Pasolini, 64x durchschnittlich 60 Minuten = 64 Stunden Filmhochschule) in eine Form zu bringen. Bevor den Szenografen diese sehr anspruchsvolle Aufgabe gestellt wurde, ist eine grundlegende Setzung schon gefallen. Mit dem Slogan »Kein Filmfestival!« entschieden sich die Kuratoren gleichzeitig gegen eine kuratierte Auswahl an Filmen. Stattdessen bieten beide Ausstellungen einen großen Überblick: alle Filme Pasolinis und 64 Filme aus der Filmhochschule.
Da es kein kuratorisches, kein inhaltliches Interesse an den einzelnen Filmen gibt (Schwenk im Deutschland-Radio: »wir wollen ja nicht den einzelnen Film featuren«) konnten die Designer sehr frei mit dem Material arbeiten (im Fall der Pasolini-Ausstellung sogar in die innere Struktur der Filme eingreifen und sie neu montieren). Nun stellt sich mir die Frage, welchen Inhalt die Designer überhaupt zur Schau bringen sollen? Um subjektive Wahrnehmung oder subjektive Ausdrucksformen der Studenten kann es nicht gehen, da die Ausdruckskraft der einzelnen Filme duch die Präsentationswucht des Ausstellungsdesigns in den Hintergrund gedrängt wird. Der Ausstellungstitel »Subjektiv – Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert« ist auch deshalb verwirrend, weil es sich ausschließlich um Studienarbeiten der HFF München handelt. Vielleicht ist die Repräsentation der Hochschule für Fernsehen und Film das eigentliche Ziel der Ausstellung. (Der große Neubau wird noch dieses Jahr schräg gegenüber des Museums eingeweiht.) Dass es um Markenrepräsentation geht, passt auch zu den Assoziationen, die sich beim Betreten des Raumes direkt einstellen: Apple-Store und Messestand. Volker Pantenburg schreibt in der »Kolik« unter dem Titel »Attention, please. Notizen zur Aufmerksamkeitsökonomie in Kino und Museum« auch: »Die ziellose, flanierende Bewegung an Videoarbeiten entlang erinnert an das Vorbeistreifen an Schaufenstern und Waren.«
Die Homepage der Pinakotheken öffnet mit einem bildschirmfüllenden Photo. Darauf sind zwei junge Männer abgebildet, die direkt in die Kamera schauen. Es ist ein Standbild aus einem der Dokumentarfilme der Ausstellung. In einem kurzen Text an anderer Stelle beschreiben die Regisseure Stefanie Brockhaus und Andy Wolff, wie sie aus hundert Jungen genau diese beiden – »ideale Protagonisten« – ausgesucht haben. Ihr Film jedoch, so schreiben sie weiter, gehe über eine
Sozialstudie hinaus, er sei ein »weitreichender Diskurs«. Weder die Sozialstudie noch der Diskurs, so ist meine Einschätzung nach dem Besuch der Ausstellung und nach Gesprächen mit anderen Ausstellungsbesuchern, wird in der Präsentation des Film in der PDM sichtbar.
Was sichtbar ist: Das Photo wird von einem hellgrauen, halb-durchsichtigen Kasten überlagert, der für die Pinakotheken und für die Ausstellung der Filmhochschule wirbt. Rechts unten, durch den
Farbkontrast gut sichtbar, sticht ein rotes Audi-Logo hervor. Der direkte Blick der Abgebildeten in die Kamera, in Verbindung mit den darüber gesetzten Schriftzügen und Logos wecken bei mir Assoziationen an großformatige H&M-Werbeplakate im Aussenraum – die beiden jungen Männer sind zu Werbeträgern geworden. In den Überlegungen der Kuratoren zur Ausstellung (die in der Ausstellung und im Katalog veröffentlicht sind) sagt Bernhard Schwenk: »Kunst und
Dokumentarfilm haben keine eindeutige Botschaft.« Und ich denke mir: Wenn der einzelne Film, das einzelne Bild durch eine übergeordnete, dominante Form (das Ausstellungsdesign) derart geschwächt ist, dann ist es leicht, diese »Uneindeutigkeit« zu missbrauchen für einen in diesem Fall sehr eindeutigen Zweck. Pasolini kann sich nicht mehr wehren, dass seine Filme als Datenmaterial und Werbeträger benützt werden, doch in der aktuellen Ausstellung bleibt für mich die Frage: Aus
welchen Gründen unterwerfen sich die Filmemacher dem ästhetischen Regime der Designer?