Filme von Jacques Doillon im Münchner Werkstattkino |
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Le premier Venu: Gérald Thomassin |
Von Dunja Bialas
Jacques Doillon ist ein eigenwilliger Regisseur. Seine Filme scheren aus dem Blümchenkleidchen-und-Weingelage-Frankreich aus, haben oft jugendliche Darsteller und thematisieren immer wieder auch das sozial problematische Frankreich, mit einer sichtbar dokumentarischen Handschrift. Wie beispielsweise in dem bewundernswerten Petits frères, in dem ein Kampfhund eine überaus sympathische Rolle einnimmt. Mit Ponette, vielleicht in Deutschland der bekannteste seiner Filme, verschaffte er der erst vierjährigen Victoire Thivisol 1996 in Venedig den Preis für die Beste Darstellerin. Sein jüngster Film, Le Mariage à trois, ist eine Triangel-Geschichte um einen Theaterregisseur, seine Ex und deren Liebhaber. Das Aufeinanderprallen von Menschen in schwierigen Beziehungskonstellationen ist ein Grundthema Doillons, sich darauf einzulassen, scheint die Zuschauer hierzulande an ihre Grenzen zu bringen. Der »Spiegel« nannte ihn mal »Feinfühler für Beziehungstran«, der »in spröden Bildern und ohne ein Tröpfchen Musik« von Eigenbrötlern erzählt. Immerhin attestierte er seinen Filmen auch das »Gelingen besonderer Intimität«.
Letztes Jahr lief Le Mariage à trois in den französischen Kinos an, hier wird man wohl – nicht zuletzt wegen der deutschen Schwierigkeit, sich auf experimentelle Figurenkonstellationen einzulassen (Rudolf Thome wird ein Lied davon singen können) – vergebens auf einen Filmstart hoffen. Dabei gilt es ja, einiges nachzuholen: Erst dieses Jahr startete sein bereits 2008 produzierter Film Le premier venu in den deutschen Kinos, in München war er bislang noch gar nicht zu sehen. Vielleicht, um den Mangel spürbar zu machen, der sich mit der Nichtkenntnis seines Werks verbindet, und die Sehnsucht nach seinem neuen Film groß werden zu lassen, zeigt das Münchner Werkstattkino jetzt eine Auswahl seiner Filme.
»Man sagt immer, ich hätte eine Menge Filme gemacht, aber ich finde, ich habe wenige Filme gemacht. Ich würde an liebsten jeden Nachmittag eine Einstellung machen. In Berlin hat man mich einmal gefragt: Wären Sie bereit, eine Meisterklasse zu halten? Was für ein schreckliches Wort: Meister. Alles, was ich kann, ist: Gebt mir vier Schauspieler, nicht gleich ein Dutzend, höchstens fünf oder sechs, und wir machen eine Einstellung.« (Jacques Doillon im »Cargo«-Interview, Ausgabe 08/2010)
Hier das Programm, alle Filme sind zu sehen im Werkstattkino München:
Camille, eine junge Frau aus bürgerlichem Hause, ist angeödet von ihrem Leben. Auf der Suche nach Intensität beschließt sie, ihre Liebe zu verschenken – nicht an den Schönsten, sondern an den Erstbesten. An jemanden, von dem sie glaubt, dass er sie brauche. Da kommt Costa gerade recht, ein Herumtreiber, der in einem Bunker haust und auf den ersten Blick weder liebenswert noch zu lieben fähig ist. Fasziniert von Camille, verfolgt ein Polizist die beiden.
»Sich für offensichtlich interessante Menschen zu interessieren ist ja nicht besonders interessant. Ich wollte eine junge Frau zeigen, die radikal offen ist für etwas Anderes, für den Anderen.« (Jacques Doillon)
In die Gemeinschaft von Christophe, Léon und Rosette wird die Schwedin Liv aufgenommen, deren unbekümmerte Art die anderen fasziniert. In langen Gesprächen versuchen die vier, ihre Schwierigkeiten zu formulieren und ihre Probleme zu bewältigen: Unsicherheiten gegenüber einem selbständigen Leben, Ängste und Sehnsucht nach einem festen Halt. Doch die Gemeinschaft ist nicht tragfähig, sie bricht auseinander.
»Eine Gruppe von 13- oder 14jährigen Schülern, Mädchen und Jungen aus einem eher kleinbürgerlichen Pariser Stadtteil. Einer von ihnen hat sich das Leben genommen, damit beginnt der Film: Mit der Ratlosigkeit von Ismael, der doch angeblich der beste Freund des Toten war und nun erkennen muß, wie wenig er von ihm wußte; mit den Spekulationen der Klassenkameraden, die meinen, ein plausibles Tatmotiv ließe sie leichter über den Schock wegkommen; mit der Racheaktion für den Toten an einem verhaßten Lehrer, mit Mutmaßungen über Drogen und mit der Suche nach einem geheimnisvollen Mädchen, das den Freund in Liebesverzweiflung gestürzt haben könnte. Die Kreise breiten sich aus und brechen sich.« (Der Spiegel)
»Dies ist die Geschichte eines Jungen, der das Photo eines Mädchens küsst, weil er es nicht wagt, das Mädchen selbst zu küssen.« (Jacques Doillon)
»Als Alma eines Nachts gemeinsam mit ihrem betrunkenen Ehemann Andrew und einem Freund nach Hause zurückkehrt, warten vor der Tür ihre frühere Geliebte Carole und ein geheimnisvolles Mädchen. Sofort flammt die alte Leidenschaft der beiden Frauen füreinander wieder auf, doch Alma kann, nein, will sich nicht zwischen ihrem Mann und ihrer Freundin entscheiden. In der Folge entwickelt sich ein furioses Hin und Her, das die Figuren die ganze Nacht und den kommenden Tag über in Atem hält und fluchtartig vor sich her treibt durch Hotelzimmer, über Autobahnen, schließlich auf ein Schiff und am Ende auf die offene See. Dort gibt es vor der Entscheidung kein Entrinnen mehr.« (Viennale)
»Ein Mädchen, das keine Frau sein will. Ein Junge, der noch kein Mann sein will. Und ein Vater, der kein Vater sein will. Die drei verbringen einen Urlaub auf einer Insel im Mittelmeer. Der Himmel ist weit, die Farben sind klar, die Gefühle in Bewegung. Das Mädchen liebt den Jungen, weil er noch jung genug ist, um nicht ständig an Sex zu denken. Und der Vater interessiert sich für das Mädchen, weil es jung genug ist, um auch Gefühle zu zeigen, die jenseits der Begierde liegen. Das ist die Utopie bei Doillon: daß die alten Hierarchien zwischen innen und außen, Fühlen und Handeln, Absicht und Ergebnis im Kino über den Haufen geworfen werden.« (Michael Althen)