12.01.2012

»Reality« in deutschen Kinos

Der Teilchenbeschleuniger CERN
Bigger than life:
der Teilchenbeschleuniger CERN

Der Film Reality XL und seine Entstehung

Von Christian Rechmann

Das deutsche Genre-Kino hat es schwer. Finan­ziert und verliehen wird gerne, was gefällt, oder was schon mal gefallen hat. Das macht es für ein unge­wöhn­li­ches oder sperriges Film­pro­jekt schwierig Produk­ti­ons­gelder zu bekommen und quasi unmöglich, im Kino zu starten. Das ist die Realität. Die »Realität XL« ist eine andere.

Tom Bohn ist Regisseur und Dreh­buch­autor. Er hat 16 Tatorte geschrieben, gedreht – meist beides, wurde für seine Werbe­spots mehrfach ausge­zeichnet und hat bereits eine Reihe von großen Film-Produk­tionen umgesetzt. Er müsste kein Risiko eingehen und er muss es auch niemanden mehr beweisen. Viel­leicht ist das eine gute Voraus­set­zung, um es doch zu tun.

Mit seinem Label Indie-Stars hat er ein Film­pro­jekt verwirk­licht, das versucht, sich den festen Mecha­nismus der Film­ver­mark­tung zu wider­setzen. Er hat eine kleine Crew um sich geschart, mit Heiner Lauter­bach und Max Tidorf bekannte Schau­spieler für sein Drehbuch gewonnen und im vollen finan­zi­ellen Risiko selbst den Film Reality XL produ­ziert, mit dem er nun auch im Selbst­ver­leih an diesem Donnerstag mit 20 Kopien in den wich­tigsten Kino-Städten deutsch­land­weit startet (darunter München im Monopol Kino in der Schleiss­heimer Straße 127).

Die Crew hat viele Schrauben gedreht, um die Produk­tion günstig zu halten. Bereits im Drehbuch wurde auf die Möglich­keit zur bühnen­haften Insze­nie­rung geachtet, die gesamte Handlung spielt mit nur vier Schau­spie­lern in drei Räumen und alle Betei­ligten haben den Film auf Rück­stel­lung produ­ziert, also ihre Gagen »gestundet«, bis das Projekt schwarze Zahlen schreibt. Als Setting finden sich die Personen in einen Verhör­zimmer wieder, das an einen frühen Bond erinnert: riesige Para­bol­an­tennen in deren Inneren Compu­ter­an­lagen aus den 60ern blinken und ticken. Auch hier nutzte das Team eine vorhan­dene Location, um ohne Kosten für Studio oder Setbau einen unge­wöhn­li­chen Eindruck zu vermit­teln. Gedreht wurde in einer alten ameri­ka­ni­schen Anten­nen­an­lage am Ammersee.

Das alles kann auch die Schwie­rig­keit an der Kinokasse werden: Der Eintritt ist halt auch nicht günstiger, als der von Sherlock Holmes und keiner geht ins Kino »für einen guten Zweck«. Aber eine Empfeh­lung für Reality XL auf das Label »unter­s­tüt­zens­wert« zu beschränken, wird dem Film nicht gerecht. Reality XL ist ein Kammer­spiel der beson­deren Art, oder eben Genre-Kino, auch wenn man nicht recht defi­nieren mag, welches Genre: Eine Mystery-Geschichte, ein bisschen »who-done-it«, ein wenig Film noir, am Ende irgendwas zwischen Inception und Der Tod und das Mädchen.

Im Zentrum des Films steht der Teil­chen­be­schleu­niger CERN. Am 13. Januar 2011 betreten 24 Wissen­schaftler seinen Kontroll­raum. Nach der Nacht­schicht kommt jedoch nur ein Wissen­schaftler wieder aus dem Raum heraus. Die anderen 23 sind spurlos verschwunden. Dieser Wissen­schaftler (Professor im Rollstuhl: Heiner Lauter­bach) wird von zwei Ermitt­lern (Annika Blendl und Max Tidorf) in einer abge­le­genen Indus­trie­an­lage befragt, das Ganze wird von einem Proto­koll­führer fest­ge­halten (sehr schön akribisch: Godehard Giese). Während der Befragung verlieren die vier Personen den Blick für die Wirk­lich­keit und schon bald ist nicht mehr klar, was wirklich geschehen ist, und was nur in der Vorstel­lung der Akteure. Die schein­bare Wahrheit wechselt ständig: Aus dem Zeugen wird der Täter, aus den Ermitt­lern werden Opfer, und schon früh stellt der Film die Frage, wie die Realität überhaupt zu greifen ist.